ArbG Lübeck, Urteil vom 22.01.2020 - 4 Ca 2222/19
Fundstelle
openJur 2020, 32799
  • Rkr:

1. Ein Arbeitnehmer kann ein Arbeitszeugnis mit identischem Wortlaut des Zeugnisses eines anderen Arbeitnehmers, der mit ihm in einer Gruppe gearbeitet hat, nicht bereits deshalb verlangen, weil es sich bei der Gruppe um ein sog. Scrum-Team gehandelt hat.

2. Auch bei Arbeit in Gruppen nach der sog. Scrum-Methode als besondere Form agiler Arbeit besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit einer individuellen Leistungsbewertung, auch wenn im Rahmen dieser Arbeitsmethode die Steuerung der Gruppe im Wesentlichen dieser bzw. deren Mitgliedern selbst überlassen wird.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Der Streitwert wird auf EUR 7.500,00 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berichtigung eines erteilten Arbeitszeugnisses.

Zwischen den Parteien bestand im Zeitraum vom 01.02.2017 bis 31.01.2019 auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 19.01./25.01.2017 (Anlage K1, Bl. 5 ff. d.A.) ein befristetes Arbeitsverhältnis. Der Kläger war bereits vor Abschluss dieses befristeten Arbeitsvertrages bei der Beklagten langjährig als freier Mitarbeiter beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers betrug zuletzt 7.500,00 €.

Auf Grundlage des vorgenannten Arbeitsvertrages und auch bereits im Rahmen der freien Mitarbeit war der Kläger bei der Beklagten, einem Unternehmen der Medizin- und Sicherheitstechnik, als Testingenieur, zuletzt im Bereich Product Qualification beschäftigt. Das befristete Arbeitsverhältnis wurde auf Intention der Beklagten nicht verlängert.

Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem Datum 31.01.2019 ein Arbeitszeugnis nach dem Wortlaut der Anlage K2, Blatt 14-15 der Akte. Wegen der Einzelheiten des Zeugnisses wird auf die Anlage verwiesen.

In identischer Tätigkeit wie der Kläger beschäftigt die Beklagte den Mitarbeiter L.., dem sie auf dessen Wunsch unter dem 07.09.2018 ein Zwischenzeugnis (Anlage K3, Blatt 16-17 der Akte) erteilte. Der Kläger und der Mitarbeiter L.. arbeiteten gemeinsam in der Entwicklungsabteilung der Beklagten im Rahmen eines sogenannten Scrum-Teams. Hierbei handelt es sich um ein Organisationsmodell, bei dem Teams weitgehend eigenverantwortlich Aufgaben planen, organisieren und nach im Wesentlichen selbst gegebenen Regeln vorgehen.

Der Kläger verfolgt die Berichtigung des ihm erteilten Arbeitszeugnisses Anlage K2 (Blatt 14-15 der Akte). Er stellt hierbei den Antrag auf Erteilung nach dem in der Klageschrift vom 28.10.2019 enthaltenen Zeugniswortlaut. Dieser Zeugniswortlaut entspricht im wesentlichen demjenigen Wortlaut, in dem die Beklagte dem Mitarbeiter L.. das Zwischenzeugnis vom 07.09.2018 (Anlage K3, Blatt 16-17 der Akte) erteilt hat.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte sei bereits deshalb verpflichtet, ihm ein Zeugnis im beantragten Wortlaut zu erteilen, da sie dem Mitarbeiter L.. ein Zeugnis in entsprechender Ausstattung erteilt habe. Aufgrund des Umstandes, dass er und der Mitarbeiter L.. Mitglieder desselben Scrum-Teams gewesen seien und aufgrund der angewendeten Arbeitsmethode Scrum, habe die Beklagte zum einen auf die Ausübung des fachlichen Direktionsrechts gegenüber den Mitgliedern des Scrum-Teams verzichtet und zum anderen auf eine individuelle Leistungsmessung der Team-Mitglieder. Die Beklagte sei daher weder berechtigt noch in der Lage, den Kläger individuell zu beurteilen. Sie sei daher gehalten, aufgrund der bestehenden Arbeitsmethode dem Kläger ein Zeugnis in entsprechender Ausstattung desjenigen Zeugnisses zu erteilen, dass die Beklagte dem Mitarbeiter L.. erteilt habe.

Wegen der weiteren Ausführungen des Klägers zu aus seiner Sicht zu korrigierenden Zeugnispassagen wird auf die Ausführungen im Kläger Schriftsatz vom 30.12.2019 (Blatt 58 ff. der Akte verwiesen.

Der Kläger beantragt,

ihm folgendes Zeugnis auf dem Briefbogen der Beklagten unter dem Ausstellungsdatum 31.01.2019 zu erteilen:

"Herr O. M., geboren am ... 1975 in S., trat am 1. Februar 2017 als Testingenieur in den Bereich Product Qualification der D. AG & Co. KGaA ein.

D. ist ein international führendes Unternehmen der Medizin- und Sicherheitstechnik. Unsere innovativen Produkte, Dienstleistungen und Systeme schützen, unterstützen und retten Leben. Im Krankenhaus, in der Industrie, im Bergbau, im Brandschutz und im Rettungswesen vertrauen Menschen auf D.-Know-how.

Der Wirkungs- und Verantwortungsbereich von Herrn M. umfasste im Wesentlichen die folgenden Aufgaben:

- Testdurchführung (Probedurchführungen und exploratives Testen; Agiles Testen im agilen Entwicklungsprojekt nach Scrum, Feature basiertes und risikobasiertes Testen, Smoke-Tests (Intake Tests), anforderungsbasierte Systemtests, Last- und Performance Tests Systemintegrationstests, Regressionstests, Produktprüfung gemäß externen Standards)

- Erstellung und Review von Tests auf Software- und Systemebene

- Spezifikation und Verifizierung im Requirements Management (Featureanalyse)

- Entwicklung von Verifikationsstrategien sowie Planung, Koordination und Durchführung von Verifikationsmaßnahmen

- Ermittlung, Analyse und Dokumentation von auftretenden Abweichungen

- Testmanagementaufgaben (Prozessoptimierung im Rahmen der agilen Softwareentwicklung (Feature Build Prozess, Intake Test), Planung, Organisation und Dokumentation von explorativen Systemtestphasen, anforderungsbasierte Testreport-Reviews inkl. "Suspect Link" Analysen)

- Testumgebungsverwaltung (Entwicklung und Validierung von Mess- und Testhilfsmitteln, Prüfung und Inbetriebnahme neuer Soft- und Hardware auf Komponenten- und Systemebene, Umsetzung und Einhaltung der Labororganisation nach 5S Methode)

- Einhaltung und Umsetzung des internen Entwicklungsprozesses

Herr M. arbeitete sich aufgrund seiner sehr guten Auffassungsgabe in kürzester Zeit selbstständig und umfassend in alle relevanten Aufgabenfelder ein. Durch sein herausragendes Fachwissen, insbesondere im Bereich Systemverifizierung und Softwaretest, sowie durch seine umfangreiche Berufserfahrung in der Medizintechnik lieferte er stets sehr gute Arbeitsergebnisse unter Einhaltung aller Termine.

Herr M. qualifizierte sich besonders durch seine analytischen und konzeptionellen Fähigkeiten, und die Qualität seiner Arbeit erfüllte stets die höchsten Ansprüche. Aufgrund seiner besonders klaren und durchdachten Arbeitsweise war er stets in der Lage, auch schwierige und komplexe Herausforderungen (wie z. B. die Entwicklung von technisch sehr anspruchsvollen Systemtests) mit Erfolg umzusetzen. Darüber hinaus identifizierte sich Herr M. in höchstem Maße mit seiner übernommenen Verantwortung und zeigte stets eine ausgezeichnete Leistungsbereitschaft.

Wir schätzten Herrn M. stets als einen verlässlichen und loyalen Mitarbeiter, der zu jeder Zeit äußerst pflichtbewusst agierte. Aufgrund seiner hilfsbereiten und teamorientierten Arbeitsweise, sowie durch seine freundliche Art war er bei seinen Vorgesetzten und Kollegen sehr anerkannt und beliebt.

Wir möchten zudem herausstellen, dass Herr M. mit viel Engagement und Erfolg als zentrale Schnittstelle zwischen Test und Entwicklung tätig war und hierdurch die Implementierung von neuen Systemfunktionen maßgeblich vorangebracht hat. Speziell bei der Planung, Koordination und Durchführung von explorativen Testphasen, nutzte er sein tiefgehendes Systemwissen, um gemeinsam mit dem Team die hohe Qualität unserer Produkte weiter zu verbessern. Bei internen Gesprächsrunden bewies er Argumentations- und Überzeugungsvermögen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Herr M. die ihm übertragenen Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erfüllt hat.

Herr M. verlässt uns zum 31.01.2019, dem Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses entsprechend seinem Anliegen.

Wir danken Herrn M. für seine wertvolle Mitarbeit in unserem Hause und wünschen ihm für den weiteren Verlauf seines beruflichen Werdeganges alles Gute und weiterhin viel Erfolg."

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Kläger habe bereits keinen Anspruch auf die Erteilung eines Zeugnisses nach von ihm gewählten Wortlaut. Nichts Anderes folge aus dem Umstand, dass die Beklagte dem Mitarbeiter L.. ein Zeugnis in nahezu identischer Ausstattung des Klägerantrags erteilt habe. Am individuellen Charakter eines Zeugnisses ändere sich nichts dadurch, dass der Kläger und der Mitarbeiter L.. im selben Beschäftigungsbereich unter Einsatz der agilen Arbeitsmethode Scrum beschäftigt gewesen seien. Auch bei Einsatz einer solchen Arbeitsmethode beurteile sich die Leistung eines Arbeitnehmers nach dessen individuellen Leistungen. Dies sei der Beklagten auch innerhalb eines Scrum-Teams möglich. Der Verzicht auf die Ausübung des Direktionsrechts führe nicht zu einer fehlenden Beurteilbarkeit der Leistungen eines einzelnen Mitarbeiters. Innerhalb eines Scrum-Teams werde auch nicht identisch gearbeitet, sondern mit individuellen Tätigkeiten innerhalb individueller Leistungsparameter und lediglich freier und offener, was die Gestaltung der Organisation innerhalb des Teams angehe. Oberhalb des Teams befinde sich immer noch ein Leitungsapparat, das Team sei in den Betrieb eingegliedert.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beklagten wird auf deren Schriftsatz vom 17.1.2020 (Blatt 66 ff. der Akte) verwiesen.

Wegen des weiteren Sach-und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger kann von der Beklagten nicht Berichtigung des bereits erteilten Arbeitszeugnisses nach vom ihm beantragten Wortlaut verlangen.

Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer die Berichtigung eines ihm erteilten Arbeitszeugnisses verlangen, wenn die Beschreibung der von ihm wahrgenommenen Tätigkeiten unrichtig oder unvollständig ist oder wenn Bewertungen, die über den Arbeitnehmer getroffen werden, fehlerhaft sind. Die Formulierungshoheit über die textliche Gestaltung des Arbeitszeugnisses obliegt hierbei allein dem Arbeitgeber. Ein Arbeitnehmer kann hiernach grundsätzlich keine Erteilung eines Zeugnisses nach einem bestimmten, vom vorgestellten Wortlaut verlangen. Ein Arbeitnehmer, der Korrekturen am Zeugnistext verlangt und hierfür einen bestimmten Wortlaut vorgibt, hat hierzu für jede einzelne von ihm begehrte Änderung substantiierten Sachvortrag dazu zu leisten, warum die von ihm verlangte Formulierung durch einen entsprechenden ihm zustehenden Anspruch getragen wird. Der Arbeitnehmer hat hiernach gegebenenfalls satz- oder zumindest abschnittsweise vorzutragen, warum ein Zeugnis nach einem bestimmten Wortlaut ausgestaltet werden soll.

In dieser Weise hat der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger hat es zur generellen Rechtfertigung der Berichtigung des ihm bereits erteilten Arbeitszeugnisses dabei belassen, auf die besondere Arbeitsform im agilen Arbeiten nach der sogenannten Scrum-Methode hinzuweisen sowie auf den Umstand, dass die Beklagte den ebenfalls in seinem Scrum-Team beschäftigten Mitarbeiter L.. ein Zeugnis eines entsprechenden Wortlauts erteilt hat. Auf diese Begründung kann der Kläger seinen Antrag gerichtet auf Berichtigung des Zeugnisses nach einem von ihm vorgegebenen Wortlaut nicht stützen.

Zwar handelt es sich bei der sogenannten Scrum-Methode um eine Form des agilen Arbeitens, innerhalb derer in hohem Maße auf Selbstorganisation der Arbeitsgruppe des Scrum-Teams gesetzt wird und der Arbeitgeber auf die Ausübung des fachlichen Weisungsrechts weitgehend verzichtet. Es mag zutreffen, dass es disziplinarischen Vorgesetzten schwerer als in hergebrachten Organisationsformen des betrieblichen Arbeitens fällt, eine individuelle Leistungsbewertung der Mitglieder eines Scrum-Teams vorzunehmen. Ausgeschlossen ist dies indes nicht, wie auch das dem Kläger erteilte Arbeitszeugnis, dessen Berichtigung er verlangt, zeigt. Das Zeugnis verhält sich weder floskelhaft noch oberflächlich, sondern nimmt neben einer detaillierten Tätigkeitsbeschreibung weiterreichende Bewertungen des Arbeits- und Leistungsverhaltens des Klägers vor. Die das Arbeitszeugnis unterschreibende disziplinarische Vorgesetzte des Klägers war also sehr wohl in der Lage, eine individuelle Leistungsbewertung grundsätzlich vorzunehmen. Sie hat sich hierbei erkennbar bewusst dagegen entschieden, eine identische Bewertung wie diejenige im Zwischenzeugnis des Mitarbeiters L.. vorzunehmen. Sie hat hiernach über die individuelle Leistung des Klägers reflektiert, das Leistungsspektrum des Klägers bewertet und ein entsprechendes Arbeitszeugnis erteilt. Die Arbeit des Klägers als Mitglied eines Scrum-Teams steht hiernach einer Leistungsbewertung grundsätzlich nicht entgegen.

Gegen die Ansicht des Klägers spricht auch, dass im Betrieb der Beklagten nicht generell nach der agilen Arbeitsmethode Scrum gearbeitet wird, sondern diese lediglich vereinzelt, namentlich auch im Beschäftigungsbereich des Klägers nach dieser agilen Arbeitsmethode arbeitet. Die Beklagte hat also nicht für den gesamten Betrieb auf die Ausübung des fachlichen Weisungsrechts verzichtet, sondern lediglich in sogenannten Inseln eine andere, agile Arbeitsmethode eingeführt. Bei im Übrigen bestehender Einbettung in disziplinarische Führung- und Leitungsstrukturen liegt hiernach eine grundsätzliche Beurteilbarkeit der fachlichen und disziplinarischen Leistungen des Klägers vor.

Da allein der Umstand, dass der Kläger als Mitglied eines Scrum-Teams bei der Beklagten gearbeitet hat, nicht dazu führt, dass er Anspruch auf ein einheitliches, der Ausstattung des Zeugnisses des Mitarbeiters L.. entsprechendes Zeugnis hat, hatte der Kläger für die beantragte Erteilung des Arbeitszeugnisses nach Wortlaut für jede einzelne Zeugnispassage vorzutragen, aus welchem Grund die inhaltliche Angabe im beanstandeten Zeugnis entweder falsch ist oder er eine bessere Führung- und Leistungsbewertung an der jeweiligen Stelle aufgrund tatsächlicher Umstände, die darzustellen waren, verdient hat. Der Kläger hat zwar im Schriftsatz vom 30.12.2019 (Blatt 58 ff. der Akte) umfangreich dazu vorgetragen, aus welchen Gründen die von ihm wahrgenommenen Tätigkeiten und erzielten Arbeitsergebnisse unabhängig von der reinen Vergleichbarkeit mit dem dem Mitarbeiter L.. erteilten Zwischenzeugnis sich abweichend vom ihm erteilten Arbeitszeugnis gestaltet haben sollen. Jedoch ist durchgängig nicht erkennbar, auf welche Zeugnispassage sich die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz entweder beziehen oder aus welchen Gründen welche konkrete Beurteilung oder Beschreibung im erteilten Zeugnis fehlerhaft sein soll. Der Kläger schildert im Schriftsatz vom 30.12.2019 (Blatt 58 ff. der Akte) in eher loser Reihenfolge, aus welchen von ihm angenommenen Gründen die erteilten Zeugnispassagen im beanstandeten Zeugnis fehlerhaft bzw. ungenügend sein sollen. Er schildert hierbei jedoch nicht, aus welchen Gründen die von ihm angenommenen und vorformulierten Passagen richtig sein sollen. Hierzu hätte es einer an einer tabellarischen Aufstellung angelehnten Vortragsweise bedurft, aus der das Gericht hätte erkennen können, welcher Vortragsteil des Klägers sich konkret auf welche Passage des von ihm verlangten Zeugnisses seinem Antrag nach bezieht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Wertfestsetzung folgt § 3 ZPO unter Zugrundelegung eines Bruttomonatsgehalt.

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