LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.06.2020 - 1 Ta 51/20
Fundstelle
openJur 2020, 32797
  • Rkr:

1. Ein Rechtsanwalt ist seit Inkrafttreten des § 46 g ArbGG zum 1.1.2020 in Schleswig-Holstein nicht zur Vertretung bereit im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO, wenn seine Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe sich auf die Fertigung von Schriftsätzen und die Vertretung der Partei in der mündlichen Verhandlung beschränken soll, er aber insbesondere nicht bereit ist, Schriftsätze auf elektronischem Weg einzureichen und in Empfang zu nehmen und ein elektronisches Empfangsbekenntnis abzugeben.

2. Gelegentliche Störungen bei der Nutzung des beA sind vom Gesetzgeber gesehen worden. Ihnen ist durch die Regelung in § 46 S. 3 ArbGG ausreichend Rechnung getragen worden

Tenor

Die sofortigen Beschwerden des Klägers gegen die Beschlüsse des Arbeitsgerichts Lübeck vom 8.4.2020 und 28.4.2020 - 1 Ca 2508/19 - in der Form des teilweisen Abhilfebeschlusses vom 20.5.2020 werden auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

A. Der Kläger wendet sich gegen die Versagung der Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der Prozesskostenhilfe.

Der Kläger hat - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - vor dem Arbeitsgericht am 02.12.2019 eine Kündigungsschutzklage erhoben. Beim Arbeitsgericht werden die Akten dieses Verfahrens ausschließlich elektronisch geführt. In der Klage hat der Prozessbevollmächtigte gebeten, die Korrespondenz mit ihm in Papierform zu führen, da "systembedingt mein beA-Anschluss derzeit auf Grund eines Systemfehlers noch nicht funktionsfähig ist". Gleichzeitig hat er für den Kläger einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung gestellt.

Am 20.12.2019 hat der Kläger - wiederum vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - seine Klage um einen Zahlungsantrag erweitert und hierfür ebenfalls Prozesskostenhilfe beantragt. Auch in diesem Schriftsatz bat er darum, die Korrespondenz ausschließlich in Papierform zu führen, da "systembedingt mein beA-Anschluss derzeit auf Grund eines Systemfehlers noch nicht funktionsfähig ist".

Zum 01.01.2020 ist in Schleswig-Holstein § 46 g ArbGG vorzeitig in Kraft gesetzt worden. Seitdem sind u.a. Rechtsanwälte verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Mit Schreiben vom 09.01.2020 teilte der Kläger selbst mit, er fertige ab jetzt seine Schriftsätze selbst und führe die Korrespondenz mit dem Gericht. Demzufolge sollten Zustellungen an ihn erfolgen. Sein Prozessbevollmächtigter werde ihn aber weiterhin in Terminen zur mündlichen Verhandlung vertreten. Mit weiterem Scheiben vom 02.04.2020 teilte der Kläger auf Nachfrage des Gerichts mit, er werde weiter durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten, dieser fertige die Schriftsätze und vertrete ihn in der mündlichen Verhandlung. "Ausschließlich aufgrund der offensichtlich bestehenden Probleme beim Arbeitsgericht Lübeck bei elektronischer Übersendung von Schriftsätzen durch Rechtsanwälte, wie der Akteninhalt gezeigt hat durch den Beklagtenvertreter," wähle er für sich "den sicheren Übermittlungsweg ausschließlich deswegen per Briefpost durch mich an das Arbeitsgericht."

Mit Beschluss vom 08.04.2020 hat das Gericht dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und den Antrag auf Beiordnung seines Rechtsanwalts zurückgewiesen. Zur Begründung der Zurückweisung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beiordnung könne nur dann erfolgen, wenn der Rechtsanwalt, dessen Beiordnung begehrt werde, die ihn infolge der Beiordnung treffenden rechtlichen Verpflichtungen erfüllen könne. Hierzu gehöre etwa, die gemäß § 172 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 174 Abs. 3 ZPO vorgesehene Zustellung elektronischer Dokumente an den Prozessbevollmächtigten zu ermöglichen oder formwirksame Erklärungen für seine Partei gegenüber dem Gericht abzugeben. Dies sei nach den eigenen Erklärungen des Klägers nicht der Fall, weil sein Prozessbevollmächtigter z.B. nicht in der Lage sei, ein elektronisches Empfangsbekenntnis abzugeben. "Offensichtlich bestehende Probleme beim Arbeitsgericht bei der Übermittlung elektronischer Schriftsätze" seien nicht bekannt und vom Kläger auch nicht näher konkretisiert worden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Mit Beschluss vom 28.04.2020 hat das Arbeitsgericht in gleicher Weise über einen im ersten Beschluss ersichtlich übersehenen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag aus einem zu der Akte hinzu verbundenen Verfahren entschieden.

Gegen den am 14.04.2020 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 21.04.2020 sofortige Beschwerde eingelegt und ausgeführt: Der Umstand, dass das Arbeitsgericht bei der Bewilligung der Prozesskostenhilfe seinen Antrag vom 03.12.2019 aus einem anderen Verfahren, das mit dem vorliegenden Verfahren verbunden worden sei, übersehen habe, belege, dass die elektronische Aktenführung beim Arbeitsgericht unzulänglich sei. Auch habe das Gericht übersehen, dass sein Prozessbevollmächtigter ihn bis zum 31.12.2019 vertreten habe und auch im Gütetermin am 07.01.2020 für ihn aufgetreten sei. Auch habe das Gericht in einem Parallelverfahren ausdrücklich technische Probleme mit Schriftsätzen des Beklagtenvertreters über beA eingeräumt. Er selbst sei fast Analphabet und benötige einen Prozessbevollmächtigten. Mit derselben Begründung hat der Kläger gegen den am 02.05.2020 zugestellten Beschluss vom 28.04.2020 am 05.05.2020 sofortige Beschwerde eingelegt.

Das Arbeitsgericht hat den sofortigen Beschwerden in einer für beide Beschwerden ergangenen Entscheidung teilweise abgeholfen und dem Kläger für den Zeitraum ab Klageerhebung bis zum 31.12.2019 seinen Prozessbevollmächtigten beigeordnet. Im Übrigen hat es nicht abgeholfen und die sofortige Beschwerde dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Akte verwiesen.

B. Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte, form- und fristgemäß eingelegten und damit zulässigen sofortigen Beschwerden des Klägers sind nicht begründet.

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur noch die Frage, ob dem Kläger auch über den 31.12.2019 hinaus sein Prozessbevollmächtigter im Rahmen der Prozesskostenhilfe beizuordnen ist.

II. Das ist nicht der Fall. Die weitergehenden sofortigen Beschwerden des Klägers sind unbegründet. Eine Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten über den 31.12.2019 hinaus kommt nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen der Beiordnung seit dem 01.01.2020 in der Person des Prozessbevollmächtigten nicht mehr vorliegen.

1. Gemäß § 121 Abs. 2 ZPO ist in Fällen, in denen eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, wie etwa bei den Arbeitsgerichten, auf Antrag der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

Die Beiordnung umfasst dabei die gesamte anwaltliche Vertretung der Partei in der Instanz, für die Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist (MüKo-ZPO-Wache, 5. Aufl. 2016, § 121, Rn. 22). Dies gebietet auch der in § 121 ZPO verankerte Grundsatz der Waffengleichheit (LAG Köln, 25.07.2019 - 9 Ta 101/19). Nach einer Beiordnung sind alle Zustellungen gemäß § 172 ZPO an den Rechtsanwalt auszuführen (BAG, 19.07.2006 - 3 AZB 18/07 - juris, Rn. 14; BGH, 08.12.2010 - XII ZB 38/09 - juris, Rn. 18).

2. Ein Rechtsanwalt ist nur dann zur Vertretung bereit im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO, wenn er nicht nur willens, sondern auch objektiv bereit und in der Lage ist, den sich aus der Beiordnung ergebenden Pflichten tatsächlich nachzukommen. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. "Bereit sein" im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO bedeutet nicht nur, dass der Rechtsanwalt erklärt, er wolle die Partei vertreten, sondern er muss zugleich willens und in der Lage sein, die sich aus der Beiordnung ergebenden Pflichten zu übernehmen. Das folgt für ihn unmittelbar aus § 48 Abs. 1 S. 1 BRAO. Nach dieser Vorschrift muss der Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren die Vertretung einer Partei übernehmen, wenn er auf Grund des § 121 ZPO der Partei beigeordnet worden ist. Eine Beschränkung der Beiordnung auf die Vertretung in der mündlichen Verhandlung und das vorbereitende Fertigen von Schriftsätzen sieht das Gericht außer in den Fällen des hier nicht einschlägigen § 121 Abs. 4 ZPO nicht vor.

3. Danach kommt vorliegend die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten im Wege der Prozesskostenhilfe nicht in Betracht. Dieser ist nicht zur Vertretung bereit im Sinne des Gesetzes.

a. Der Prozessbevollmächtigte ist, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, objektiv nicht bereit und/oder in der Lage, die ihn treffenden Pflichten eines Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren zu übernehmen. Er lehnt die Zustellung an sich im elektronischen Rechtsverkehr (§ 172 Abs. 1 S. 1, 174 Abs. 3 ZPO) ab und ist entgegen seiner Verpflichtung aus § 46 g ArbGG i.V.m. § 174 Abs. 4 ZPO nicht bereit, ein elektronisches Empfangsbekenntnis zu erteilen. Auch lehnt er die Einreichung von Schriftsätzen ab, da er nicht bereit ist, diese auf dem in der Arbeitsgerichtsbarkeit gesetzlich vorgeschriebenen Weg zu übermitteln. Die Aufteilung der Wahrnehmung seiner Rechte auf die Partei selbst, die die Schriftsätze einreicht, und ihren Prozessbevollmächtigten, der sie fertigt, aber Zustellungen von Schriftsätzen des Gegners oder Dokumenten des Gerichts ablehnt, ist im Prozesskostenhilfeverfahren nicht vorgesehen.

b. Die Einwendungen des Klägers im Beschwerdeverfahren vermögen hieran nichts zu ändern.

Der Umstand, dass das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung zunächst den Antrag des Klägers aus dem hinzu verbundenen Verfahren übersehen hat, berechtigt nicht zu der Annahme, die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs sei dem Kläger unzumutbar.

Es kann dahinstehen, ob "offensichtlich beim Arbeitsgericht Lübeck bei elektronischer Übersendung von Schriftsätzen durch Rechtsanwälte bestehende Probleme" die Nutzung der Briefpost durch den Kläger selbst rechtfertigen könnten. Es gibt diese Probleme beim Arbeitsgericht Lübeck nämlich tatsächlich nicht. Richtig ist, dass es in der Vergangenheit wiederholt zu Ausfällen des beA gekommen ist und weiter gelegentlich noch kommt, die eine Übersendung in Einzelfällen scheitern lassen. Dass diese Gefahr besteht, ist aber vom Gesetzgeber gesehen und berücksichtigt worden. So bleibt nach § 46 g S. 3 ArbGG eine Übermittlung von Dokumenten nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist.

Da der Prozessbevollmächtigte in seinen Schriftsätzen vom 02.12. und 20.12.2019 aber selbst textbausteinartig angegeben hat, sein beA-Anschluss sei "derzeit auf Grund eines Systemfehlers noch nicht funktionsfähig", spricht auch einiges dafür, dass die mangelnde Fähigkeit auf elektronischem Weg zu senden und zu empfangen eher dem Prozessbevollmächtigten als dem Arbeitsgericht zuzuordnen ist. Dem Kläger bleibt es unbenommen, einen anderen Prozessbevollmächtigten zu benennen, der die oben dargelegten Anforderungen erfüllt. Insoweit greift auch sein Einwand, er benötige einen Rechtsanwalt, weil er nahezu Analphabet sei, nicht durch.

III. Der Kläger trägt die Kosten seiner erfolglosen Beschwerde. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf den §§ 78 S. 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Frage, ob die "Bereitschaft" eines Rechtsanwalts zur Prozessvertretung neben einer subjektiven auch eine objektive Komponente hat, ist - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden worden.