Bei aus dem westlichen Ausland nach Afghanistan zurückkehrenden Personen sind derzeit (Mai 2020) aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in der Regel erfüllt, sofern diese Rückkehrer nicht über erhebliche eigene finanzielle Mittel verfügen oder zu erwarten ist, dass sie von Dritten erhebliche nachhaltige finanzielle oder andere materielle Unterstützung erhalten.
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Nr. 4 bis Nr. 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.11.2017 (Az. ...-423) verpflichtet, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bezüglich Afghanistan vorliegt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens tragen der Kläger 60 %, die Beklagte 40 %.
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags sowie gegen die verfügte Abschiebungsandrohung nebst Ausreisefristsetzung und das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Der Kläger ist ein nach eigenen Angaben 1993 geborener afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens aus der Provinz Kabul. Er reiste Mitte 2013 aus Afghanistan aus und auf dem Landweg im Sommer 2015 in das Bundesgebiet ein. Am 23.12.2015 stellte er einen Asylantrag. Zu seinem Begehren wurde er am 18.11.2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angehört.
Dabei gab er im Wesentlichen an, in Kabul im Haus seiner Familie zusammen mit seinen Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder gelebt zu haben. Dieses Haus sei zur Finanzierung der Ausreise zur Pfandleihe übergeben worden. Er habe 12 Jahre die Schule mit Abschluss besucht und anschließend zwei Jahre eine Ausbildung im Bereich Management und Administration - ohne Abschluss - absolviert. Halbtags habe er in einem Kleidergeschäft seines Onkels mütterlicherseits gearbeitet und die Finanzen verwaltet.
2012 hätten die Onkel väterlicherseits ... und ... seine Familie besucht. Für ... Sohn hätten sie um die Hand seiner Tante mütterlicherseits angehalten. Seine Mutter habe gesagt, dass sie in dieser Angelegenheit nicht weiterhelfen könnte. Einige Monate später seien sie wiedergekommen und hätten zu seiner Mutter gesagt, dass sie den Kläger und seine Geschwister mit ihren eigenen Kindern verheiraten wollen würden, da diese sich von klein auf einander versprochen gewesen seien. Das sei die Kultur in seiner Herkunftsregion. Seine Mutter habe entgegnet, dass die Kinder selbst entscheiden sollten, wen sie heiraten würden, da sie und ihre Kinder diese Hochzeiten nicht gewollt hätten. Es seien Leute aus dem Dorf ohne jede Schulbildung. Er, der Kläger, und seine Geschwister seien jedoch gebildet.
Sein Vater habe vor langer Zeit im Krieg eine Kopfverletzung erlitten und sei wie seine Kinder kriegstraumatisiert. Er habe sehr unter dem Einfluss seiner Brüder gestanden, die ihm damals finanziell geholfen und ins Krankenhaus gebracht hätten. Er habe großen Respekt vor ihnen gehabt und habe nicht undankbar sein wollen. ... und ... hätten ihn angestiftet, den Kläger und seine Geschwister sowie die Mutter aufgrund ihrer Ablehnung zu schlagen, was dieser auch getan habe. Dabei habe er sogar den Arm seiner Mutter angebrochen und diese am Rücken verletzt. Selbst in Deutschland habe er sie einmal im Gesicht geschlagen, weshalb sie getrennt leben würden. 2013 sei er aus dem Freizeitpark zurückgekommen und habe Polizei vor dem Haus gesehen. Sein Vater habe wegen der Heiratsgeschichte ein Messer auf die Mutter des Klägers gerichtet, um ihr Angst einzujagen. Sein Onkel mütterlicherseits ... habe ihn, den Kläger, und seine Geschwister zwei Monate zu sich genommen. Seine Mutter habe sich bei der Polizei über die Gefahr, die von den Onkeln ... und ... ausgegangen sei, beschwert. Seine Schwester ... sei auf dem Schulweg von diesen Onkeln belästigt worden und habe deshalb die Schule gewechselt. Sein Vater sei zwei Monate nach seiner Verhaftung wieder freigekommen. ..., der Bruder von ... und ..., sei nett und habe herausgefunden, dass ... und ... dem Richter 1.000 Dollar gezahlt hätten, damit die Anklage fallen gelassen werde. ... habe dies der Mutter des Klägers vor der Freilassung erzählt und empfohlen, die Anzeige zurückzunehmen, damit es nach der Freilassung zu weniger Problemen beim Zusammenleben der beiden komme. Seine Mutter habe dann diese Anzeige zurückgenommen und sei wieder mit ihrem Mann zusammengezogen.
Es sei dann mit den Schlägen weitergegangen und es sei ihnen psychisch schlecht gegangen. Seine Schwester habe sich einmal in einen Brunnen stürzen und umbringen wollen. ... sei eines Tages zu ihnen gekommen und habe von zwei Optionen gesprochen. Entweder sie würden den Forderungen der Onkel nachkommen oder sie sollten das Land verlassen. Die beiden Onkel seien einflussreich und hätten Beziehungen zu Parlamentsmitgliedern. Er habe sie dann zwei Wochen bei sich aufgenommen. In dieser Zeit sei das Haus als Pfand hergegeben und die Ausreise in die Türkei vorbereitet worden. In der Türkei seien sie jedoch von einem Afghanen erkannt worden und seine beiden Onkel seien über ihren Aufenthalt informiert worden.
Auf Nachfrage zu eigenen Problemen in Afghanistan erklärte der Kläger, er sei öfter von seinem Vater geschlagen und von seinem Onkel bedroht worden. Er habe eine einige Jahre ältere Cousine heiraten sollen. Diese Ablehnung werde in Afghanistan als Ehrverletzung angesehen.
In Deutschland habe er seinen Vater einmal gesehen und er habe telefonischen Kontakt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sei sein Leben in Gefahr, weil er seine Cousine nicht geheiratet habe. Er könne dort auch nicht problemlos eine andere heiraten. Seine Onkel hätten viele Beziehungen.
Auf die Frage, was geschehen wäre, wenn sie nicht ausgereist wären, antwortete der Kläger, er habe später von seiner Mutter erfahren, dass seine beiden Onkel mit mehreren Personen versucht hätten, ihr Haus mit Waffen zu überfallen. Das sei in der Zeit der Inhaftierung seines Vaters gewesen. Seine Mutter habe das nicht sofort erzählt, damit er sich auf die Schule konzentrieren könne. ... habe seiner Mutter telefonisch mitgeteilt, dass ... in die Türkei kommen wolle. Da hätten sie beschlossen, auch die Türkei zu verlassen. Er sei als Erster nach Deutschland vorausgegangen.
Mit Bescheid vom 17.11.2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es liege kein Verfolgungsgrund vor. Vom Vater drohe nach dessen Flüchtlingsanerkennung keine Verfolgung. Eine Verfolgung durch seine beiden Onkel habe er nicht glaubhaft gemacht. Familienasyl oder internationaler Schutz für Familienangehörige nach § 26 AsylG komme nicht in Betracht, weil der Kläger bei Antragstellung volljährig gewesen sei. Bezüglich des Einreise- und Aufenthaltsverbots verfüge der Kläger im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären. Da der Kläger volljährig sei, könnten seine Eltern keine schutzwürdigen Belange begründen. Auch seine in Deutschland lebenden Geschwister würden aufgrund ihres Verwandtschaftsgrades zu keiner Fristverkürzung führen.
Die Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers, ..., die im hiesigen Verfahren als Zeugin angehört wurde, wurde dieser von der Beklagten mit Bescheid vom 23.05.2016 zuerkannt. Als Begründung für ihren Asylantrag gab diese bei ihrer Anhörung am 02.05.2016 im Wesentlich an, ihre Onkel väterlicherseits hätten sie zwingen wollen, deren Söhne zu heiraten, was sie aber nicht gewollt hätten. Auch der Schwester ... wurde mit Bescheid vom 29.06.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Sie gab bei ihrer Anhörung am 02.05.2016 im Wesentlichen an, sie und ihre Schwester seien nicht bereit gewesen, die Söhne ihres Onkels zu heiraten. Der Vater des Klägers gab in seiner Anhörung am 10.05.2016 unter anderem an, seine beiden Töchter hätten verheiratet werden sollen. Die Mutter des Klägers gab in ihrer Anhörung am 02.05.2016 ebenfalls unter anderem an, ihre Schwäger hätten ihre beiden Töchter für ihre Söhne haben wollen. Der Mutter des Klägers wurde mit Bescheid vom 08.06.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Seinem im Jahr 1999 oder 2000 geborenen Bruder wurde nach § 26 AsylG mit Bescheid vom 08.06.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Gegen den am 29.11.2017 zugestellten Bescheid vom 17.11.2017 hat der Kläger am 05.12.2017 Klage erhoben. Zu deren Begründung führt er aus, sein Vortrag sei glaubhaft. Seine Mutter, sein Bruder und sein Vater, die mit ihm gemeinsam ausgereist seien, hätten bereits rechtskräftig die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen. Außerdem lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung eines Abschiebungsverbots vor. Er leide an psychischen Störungen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.11.2017 hinsichtlich der Ziffern 1 und 3 bis 6 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise, festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot bezüglich Afghanistan vorliegt.
Die in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Beklagte hat schriftsätzlich den Antrag angekündigt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 23.10.2019 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Die auf den Gerichtsaktenseiten 141 f. aufgeführten Erkenntnismittel sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin .... Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 16.01.2020 verwiesen. Der Kläger ist in den Terminen zur mündlichen Verhandlung am 16.01.2020 und am 15.05.2020 ergänzend informatorisch angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Protokolle zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
Dem Gericht haben die Akten der Beklagten betreffend den Kläger, seine Geschwister ... (Az. ...-1-423) und ... (Az. ...-423) sowie seine Eltern (Az. ... und ...) vorgelegen. Auf diese wird ebenso wie auf die Gerichtsverfahrensakten wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
A.
Der aufgrund Kammerentscheidung als Einzelrichter zur Entscheidung berufene Berichterstatter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte trotz Ausbleibens der Beklagten zur Sache verhandeln und entscheiden, da die geladene Beklagte allgemein mit Prozesserklärung vom 27.06.2017 auf die Förmlichkeiten der Ladung verzichtet hat und diese in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
B.
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.11.2017 ist in seinen Ziffern 1 und 3 rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb insoweit nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG bzw. § 26 Abs. 2 und 5 AsylG oder auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Er hat dagegen einen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG bezüglich Afghanistan, da die Ablehnung dieser Feststellung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Auch die Regelungen in Nr. 5 und Nr. 6 des Bescheids erweisen sich als rechtswidrig und sind aufzuheben, weil sie den Kläger in eigenen Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Dem Kläger kommt kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
1. a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention GFK - (BGBl 1953 II, S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Feststellung einer Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG setzt voraus, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach der Vorschrift geschützten Rechtsguts selbst zielt (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 Rn. 13, VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16).
b) Nach § 26 Abs. 2 und 5 AsylG wird einem zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährigen ledigen Kind eines international Schutzberechtigten auf Antrag internationaler Schutz zuerkannt, wenn die Zuerkennung des internationalen Schutzes unanfechtbar ist und diese Zuerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
2. Gemessen hieran kommt dem Kläger kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - ebenso wie des subsidiären Schutzes - nach § 26 Abs. 2 und 5 AsylG scheitert bereits daran, dass der Kläger bei Asylantragstellung volljährig gewesen ist.
Im Übrigen konnte der Einzelrichter nicht die erforderliche volle Überzeugung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO davon gewinnen, dass der behauptete Vortrag einer drohenden Zwangsverheiratung der Wahrheit entspricht.
Soweit davon auszugehen sein sollte, dass den Schwestern des Klägers Zwangsverheiratung drohte, befindet er sich jedenfalls nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes.
a) Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge vielfach befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Schutzsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann (grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, juris, beide m. w. N.; außerdem: BVerwG, Beschluss vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u. a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 108 VwGO Rn. 8, m. w. N.).
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - <M.M.>, NVwZ 2013, 59).
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden (dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090, juris Rn. 59).
Für die richterliche Überzeugungsbildung ist also eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris Rn. 50 ff.).
b) Ausgehend von den Einlassungen des Klägers bei seiner Anhörung durch das Bundesamt, in der Klagebegründung und sodann in den Terminen zur mündlichen Verhandlung hat sich der Einzelrichter nicht die erforderliche volle Überzeugung davon bilden können, dass der Vortrag seiner Flucht aufgrund drohender Zwangsverheiratung der Wahrheit entspricht.
Die Schilderungen erweisen sich in wesentlichen Punkten als vage und unplausibel, was nach Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU zunächst zur Folge hat, dass es über seine Einlassungen hinaus weiterer, objektiver Nachweise, bedurft hätte, damit ihm geglaubt werden könnte. Soweit jedoch seine Schwester als Zeugin gehört wurde, sind deren Angaben unglaubhaft gewesen. Die beigezogenen Akten seiner Familienangehörigen stehen sogar im Widerspruch zu den Angaben des Klägers.
Bei dieser Beurteilung sind folgende Erwägungen maßgeblich gewesen:
aa) Die Angaben der Zeugin ... sind unglaubhaft gewesen.
Zu keinem Zeitpunkt hat sie konkret oder nachvollziehbar geschildert, dass und wie ihr Bruder hätte zwangsverheiratet werden sollen. Sie hat zwar beispielsweise geschildert, dass sie selbst die Schule habe wechseln müssen. Konkrete Auswirkungen auf ihren Bruder hat sie jedoch nicht dargestellt, sondern lediglich einmal vage davon gesprochen, ihre Cousins seien in der Straße aufgetaucht und hätten sie bedroht.
Jedenfalls ergibt sich aus der beigezogenen Bundesamtsakte der Zeugin, dass sie im Widerspruch zu ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung bei ihrer dortigen Anhörung davon gesprochen hat, ihre Onkel väterlicherseits hätten sie zwingen wollen, deren Söhne zu heiraten. In Übereinstimmung mit diesen Ausführungen beim Bundesamt haben auch die weitere Schwester sowie die Eltern des Klägers beim Bundesamt von einer drohenden Zwangsverheiratung der Schwestern des Klägers, nicht jedoch des Klägers selbst, gesprochen.
Vor diesem Hintergrund hat der Einzelrichter aufgrund der beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung widersprüchlichen Angaben der Zeugin sowie der weiteren Anhörungsprotokolle den Angaben der Zeugin keinen Glauben schenken mögen.
bb) Die Angaben des Klägers allein wiederum genügten nicht, um die erforderliche volle Überzeugung von der Wahrheit seiner Angaben zu gewinnen.
(1) Der Einzelrichter hat dabei bedacht, dass allein die Unstimmigkeiten bei der Zeugenaussage seiner Schwester nicht genügen, um den Schluss ziehen zu können, die Angaben des Klägers wären unrichtig. Vielmehr ist der Vortrag des Klägers auch für sich gewertet worden.
(2) Die Angaben des Klägers sind jedoch hinsichtlich einer ihm drohenden Zwangsverheiratung vage und unanschaulich geblieben. Auch auf mehrfache Nachfrage, wie Drohungen seitens seiner Verwandtschaft konkret ausgesprochen worden sein sollen, hat er diese lediglich pauschal geschildert.
Seine weiteren Angaben mögen zwar hinreichend sein, um auf einen tatsächlichen Verwandtschaftsstreit wegen beabsichtigter Zwangsheiraten seiner Schwestern schließen zu lassen. Dass er selbst jedoch hiervon betroffen sein sollte, hat er nicht plausibel und anschaulich vorgetragen.
cc) Die Angaben des Klägers, denen ohne weitere Beweise also nicht hat geglaubt werden können, werden von den in den Akten der Beklagten protokollierten Ausführungen seiner Schwestern und Eltern widerlegt, die übereinstimmend erklärt haben, es sei um die Zwangsverheiratung der Schwestern des Klägers gegangen. Angesichts der vorgetragenen Familiengeschichte ist nicht ersichtlich, weshalb die Familie des Klägers geschlossen und einheitlich spezifisch zulasten des Klägers einen unwahren Sachverhalt hätte behaupten sollen, wenn es tatsächlich auch eine drohende Zwangsverheiratung des Klägers gegeben hätte.
c) Selbst unter Zugrundelegung dessen, dass die Schwestern des Klägers hätten zwangsverheiratet werden sollen, ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft jedenfalls schon aus dem Grund nicht zuzuerkennen, weil er sich nicht deshalb aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Er ist schon nicht vorverfolgt im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ausgereist. Dass etwaige Handlungen gegen den Kläger von Seiten seiner Onkel geplant oder sogar durchgeführt worden sind, steht schon nicht zur Überzeugung des Einzelrichters fest. Insofern hat sich der Einzelrichter hiervon ebenso wenig wie von der dem Kläger selbst drohenden Zwangsverheiratung überzeugen können.
Im Übrigen hat der Kläger nicht vorgetragen und ist nicht ersichtlich, dass seine Onkel ihm wegen der von seinen Schwestern vereitelten Zwangsheirat nachstellen würden, zumal sich einer der beiden Onkel nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ohnehin nicht mehr in Afghanistan befindet.
d) Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2020 ausgeführt hat, im Alter zwischen dreizehn oder fünfzehn Jahren von seinem Cousin väterlicherseits vergewaltigt worden zu sein, ist ihm die Flüchtlingseigenschaft ebenfalls schon aus dem Grund nicht zuzuerkennen, weil er sich nicht deshalb aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Der Kläger hat nach dem behaupteten Vorfall jahrelang weiter in Afghanistan gewohnt. Auf Nachfrage hat er zudem erklärt, es habe sich um ein einmaliges Erlebnis gehandelt. Es liegt somit weder ein Fall des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU vor, noch besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich ein ähnlicher Vorfall wiederholt.
II.
Dem Kläger kommt auch kein Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes zu, weil er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden droht, § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Dies gilt für alle drei Varianten des ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG.
1. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG hat ein Ausländer - vorbehaltlich der Ausschlussgründe gemäß § 4 Abs. 2 AsylG und § 3e i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG - Anspruch auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz mit der Folge eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ein "ernsthafter Schaden" nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylG durch einen Akteur im Sinne des § 3c i. V. m. § 4 Abs. 3 AsylG droht. Danach gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Nach § 4 Abs. 3 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz. Bei der Prüfung, ob dem Ausländer ein ernsthafter Schaden droht, ist - wie bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft - der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454; Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377). Nach § 3e Abs. 1 AsylG - in entsprechender Anwendung - wird dem Ausländer daher kein subsidiärer Schutz gewährt, wenn ihm in einem Teil seines Herkunftslandes keine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens droht und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
2. In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Hinsichtlich seines individuellen Vortrags ergibt sich dies entsprechend aus den oben ausgeführten Gründen.
a) Dem Kläger droht bei seiner Rückkehr nach Afghanistan weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG.
b) Ebenso wenig bestehen stichhaltige Anhaltspunkte für die Annahme, dem Kläger drohe im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in der Form der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
Aus der "Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen" von Stahlmann (Asylmagazin 2019, 276) lässt sich auf keine solche tatsächliche Gefahr für den Kläger als Rückkehrer aus Europa schließen. So lässt die Angabe einer "Gewalterfahrung" durch die Befragten (siehe Stahlmann, Asylmagazin 2019, 276 (278)) keinen Rückschluss darauf zu, in wie vielen Fällen die Gewalterfahrung im Rahmen des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK hinreichend schwerwiegend war. Darüber hinaus werden von Stahlmann auch Fälle willkürlicher Gewalt infolge des bewaffneten internen Konflikts und individuell erlittene Verfolgungshandlungen - etwa aufgrund eines in Deutschland erschienenen Zeitungsartikels, der über Facebook geteilt wurde (Stahlmann, Asylmagazin 2019, 276 (279)) - erfasst. Die Fälle willkürlicher Gewalt aufgrund eines internen bewaffneten Konflikts werden aber in rechtlicher Hinsicht über § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und der in diesem Rahmen erforderlichen qualitativen und quantitativen Betrachtung erfasst und bewertet. Individuelle Verfolgungshandlungen sind überdies nicht geeignet, als Grundlage für einen Rückschluss auf Gefahren, die jede zurückkehrende Person unterschiedslos treffen können, zu dienen. Schließlich sind die Zahlen der Rückkehrer, die für die Studie in den Blick genommen wurde - 55 insgesamt, im Rahmen der Gewalterfahrung 31, 16 wurden wegen ihres nicht mehr als zwei Monate dauernden Aufenthalts in Afghanistan, eine Person wegen Suizids und sieben wegen mangelnder Angaben nicht berücksichtigt - nicht geeignet, hinreichend valide Rückschlüsse auf Gefahren für andere Rückkehrer zuzulassen. Die gilt schon deshalb, weil die Auswahl letztlich nicht zufällig 55 der 547 abgeschobenen Personen erfasste, sondern - systembedingt - "per Schneeballsystem nach Kontaktpersonen" gesucht werden musste, die über den Verbleib berichten oder eine Einwilligung zu direktem Kontakt herstellen konnten (siehe Stahlmann, Asylmagazin 2019, 276 (277). Da nicht bekannt ist, weshalb letztlich kein Kontakt zu weiteren Personen hergestellt werden konnte - denkbar sind unter anderem die fehlende Möglichkeit zur Kontaktaufnahme, aber auch das fehlende Interesse der Abgeschobenen - lässt sich aus der erfassten Stichprobe eine valide Ableitung von Risiken für alle anderen afghanische Staatsangehörige im Falle ihrer Rückkehr nicht durchführen.
c) Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
aa) Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité, NVwZ 2014, 573 Rn. 35).
bb) Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen (EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 43 und vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité -, NVwZ 2014, 573 Rn. 30).
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ("real risk") gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m. w. N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 89).
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt wird. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung erfolgen (BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, NVwZ-RR 2014, 487 Rn. 24).
Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung sind bei der qualitativen Bewertung insbesondere auch die Methoden und Taktiken, die in dem Konflikt angewendet werden, die Anzahl der als Konfliktfolge Binnenvertriebenen, die kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte und die medizinische Versorgungslage in den Blick zu nehmen (vgl. EASO, Artikel 15 Buchstabe c der Anerkennungsrichtlinie (2011/95/EU) - Eine richterliche Analyse, Dezember 2014). Die Bedeutung der kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte im Rahmen der Gesamtbetrachtung liegt - jedenfalls auch - darin, die mit zunehmender Konfliktdauer typischer- und vorhersehbarerweise ansteigende Anzahl und die ansteigende Schwere psychischer Erkrankungen als Folge der dauerhaften Bedrohungssituation angemessen zu würdigen. Indes sind solche Folgen schon deswegen nicht bei der quantitativen Betrachtung zu berücksichtigen, weil hier eine angemessene statistische Erfassung im Krisengebiet schlechterdings nicht vorstellbar ist.
Der Umstand, dass in den Statistiken von UNAMA alle Vorfälle unberücksichtigt bleiben, die nicht von drei unabhängigen, überprüfbaren Quellen bestätigt werden, und daher ausgehend von diesem Ansatz eine Untererfassung der tatsächlichen Vorfälle zwingend vorliegen muss (dazu Stahlmann, Gutachten 2018, S. 177), ist im Rahmen der erforderlichen qualitativen Betrachtung zu berücksichtigen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 137). Im Rahmen der qualitativen Betrachtung sind an erster Stelle die weiteren unmittelbaren Auswirkungen der Konflikte auf betroffene Zivilpersonen in den Blick zu nehmen, insbesondere betrifft dies auch die Anzahl der konfliktbedingt Binnenvertriebenen (vgl. EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8139/07 und 11449/07 - Sufi und Elmi -, Rn. 241).
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17.11.2011 - 10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20 - bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als soweit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen, dass sich ein Mangel bei der grundsätzlich erforderlich werdenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.
cc) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 40, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167) ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 100 ff.).
dd) Ausgehend von diesen Maßstäben ist hier auf die Provinz Kabul abzustellen, da der Kläger dort bis zu seiner angeblich verfolgungsbedingten Ausreise lebte.
ee) Für die Provinz Kabul lässt sich die erforderliche Gefahrendichte für die Annahme einer tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit allein aufgrund der Anwesenheit im Gebiet nicht feststellen. Denn das Risiko der Verletzung oder Tötung liegt für die Provinz Kabul deutlich unterhalb der vorgenannten Schwellen von 0,125 % bzw. 0,1 %, ohne dass andere Umstände im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auf ein anderes Ergebnis führten.
Ausgehend von einer Einwohnerzahl der Provinz von rund 4.860.000 (EASO, Security Situation, Country of Origin Information Report, Juni 2019, S. 162) - 4.100.000 davon in der Stadt Kabul (EASO, Security Situation, Country of Origin Information Report, Juni 2019, S. 67) - lässt sich trotz des Umstands, dass die Provinz Kabul mit 1.563 Opfern (davon 261 Tote) (UNAMA, Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2019, S. 94) die höchste absolute Anzahl an Konfliktopfern in Afghanistan im Jahr 2019 aufzuweisen hatte, feststellen, dass 0,032 % der Provinzbevölkerung verletzt oder getötet worden sind und somit die oben genannte Schwelle von 0,1% oder 0,125 % deutlich unterschritten wird.
Auch wenn man in den Blick nimmt, dass im 1. Halbjahr 2019 473 Personen (UNAMA, Midyear Update on the Protection of Civilians in Armed Conflict, 30. Juli 2019, S. 1 und 3, Fußnote 4) und somit 1.090 Personen im 2. Halbjahr 2019 getötet wurden, führte letzteres bei Hochrechnung der Zahl aus dem 2. Halbjahr 2019 auf ein ganzes Jahr bei 2.180 Opfern zu einer Erhöhung auf 0,045 % Betroffenheit unter der Provinzbevölkerung, was immer noch weit von den oben genannten Schwellen entfernt ist. Das erste Quartal 2020 war mit 1.293 Konfliktopfern (davon 533 Tote) (UNAMA, Protection of Civilians in Armed Conflict, First Quarter Report, April 2020, S. 1) das Quartal mit der niedrigsten Opferzahl seit dem Jahr 2012, was ein nach dem 2. Halbjahr 2019 abflachendes Gewaltniveau belegt.
Diese Zahlen führen auch im Rahmen einer erforderlichen Gesamtbetrachtung, die in den Blick nimmt, dass die festgestellten Zahlen systembedingt zu niedrig sein müssen und dass der lang anhaltende militärische Konflikt in Afghanistan ein zusätzlich erschwerender Faktor ist, nicht zu einem Schutzanspruch aus Art. 3 EMRK. Denn es ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass vom 01.01.2018 bis zum 28.02.2019 10.598 Binnenvertriebene Zuflucht in der Stadt Kabul gefunden haben, während in der Provinz nur 35 Personen selbst konfliktbedingt vertrieben worden sind (EASO, Security Situation, Country of Origin Information Report, Juni 2019, S. 166 f.). Dies ist ein erheblicher Indikator dafür, dass das Ausmaß der Gewalt nicht dergestalt ist, dass eine jede Person allein aufgrund ihrer Anwesenheit gefährdet ist, einen ernsthaften Schaden infolge des bewaffneten Konflikts zu erleiden. Diesem Indikator kommt für den Einzelrichter hier auch entscheidendes Gewicht zu, da das Ausmaß quantifizierbarer willkürlicher Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung bestenfalls am unteren Ende dessen liegt, was ohne das Hinzutreten erheblicher individueller Umstände zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots führen kann und es also erheblicher weiterer, erschwerender Umstände im Rahmen der qualitativen Betrachtung bedürfte, um ein entsprechendes, sehr hohes Risiko zu bejahen.
EASO schließt in seinem Bericht aus dem Juni 2019, dass die bloße Anwesenheit in Kabul noch nicht zu einer tatsächlichen Gefahr des ernsthaften Schadens nach Art. 15 c) RL 2011/95/EU führe und ein höheres Niveau an individuellen Umständen erforderlich sei, um zu der Bejahung des Tatbestands zu kommen (EASO, County Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 102).
Im Anschluss an diese Einschätzung geht auch der erkennende Einzelrichter in Bewertung der oben aufgeführten Umstände davon aus, dass die bloße Anwesenheit in Kabul noch nicht zu einer tatsächlichen Gefahr des ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führt. Denn weder die Anzahl der Opfer noch die Anzahl derer, die die gesamte Provinz konfliktbedingt verlassen haben, legen ein solches, jede Person unterschiedslos treffendes Risiko auch nur nahe.
Besondere persönliche Umstände, die sich gefahrerhöhend auswirken könnten hat der Einzelrichter auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht feststellen können.
III.
Der Kläger hat in Anbetracht der im Falle der Rückkehr zu erwartenden Lebensbedingungen in Afghanistan Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urteile vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 25 und vom 04.07.2019 - 1 C 48.18 - Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16.02.2017 - C-578/16 PPU - C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19.03.2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 - Jawo - Rn. 90 ff.) bezogen auf Art. 4 GRCh darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre." Aus Art. 3 EMRK erwächst auch in Fällen des bewaffneten Konflikts ein Abschiebungsverbot, wobei die Maßstäbe des Art. 15c RL 2011/95/EU - und also des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG - in jedenfalls ähnlicher Weise anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich -, NVwZ 2012, 681 Rn. 226).
Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr ("real risk") erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich -, NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - Abdolkhani und Karimnia/Türkei -, InfAuslR 2010, 47; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2019 - A 11 S 2108/18 -, juris Rn. 44 - 45).
Erforderlich, aber auch ausreichend ist danach die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung, was dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51 Rn. 22). Dies bedeutet auch, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent sein muss und es hier daher nicht um den eindeutigen, über alle Zweifel erhabenen Beweis gehen kann, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (EGMR, Urteil vom 09.01.2018 - 36417/16 - (X/Schweden) Rn. 50; vgl. auch OVG Niedersachsen, Urteil vom 29.01.2019 - 9 LB 93/18 -, juris Rn. 52). Um von dem Schicksal anderer auf das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr für einen Einzelnen, im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein, zu schließen, bedarf es jedenfalls ähnlich wie bei dem Konzept der Gruppenverfolgung, das vom Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. entwickelt worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83,216) und das auch im internationalen Flüchtlingsrecht in sehr ähnlicher Weise Anwendung findet (siehe Hathaway/Foster, The Law of Refugee Status, 2nd Ed. 2014, S. 169 ff.) einerseits einer Gruppe von Personen, bei denen sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bereits feststellen lässt, sowie andererseits der Überzeugung, dass der betroffene Einzelne mit diesen Personen die Merkmale teilt, die für den Eintritt der Umstände, die zu einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung führen, maßgeblich waren (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.06.2019 - A 11 S 2108/18 -, juris Rn. 48 - 56).
Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris Rn. 142). Dieser Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist hier Kabul, wohin die seit Ende 2016 aus Deutschland durchgeführten Abschiebeflüge nach Afghanistan ausnahmslos führten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 -, juris Rn. 202 f.).
Schließlich muss sich die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung nicht unbedingt sofort nach Ankunft im Herkunftsstaat realisieren können; es muss allein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren sein, dass dies in der Zukunft der Fall sein kann. Abhängig von den Gründen, die zu einer solchen tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung führen können, unterscheidet sich der Zeitraum, der für die Prognose in den Blick zu nehmen ist und in dem der Eintritt der tatsächlichen Gefahr für die - nicht notwendigerweise auch der Verletzung der - Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit zu prognostizieren sein muss, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK anzunehmen.
So ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geklärt, dass sich eine Verletzung von Art. 3 EMRK auch daraus ergeben kann, dass im Fall der Rückführung einer Person, die an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet, die ernsthafte Gefahr besteht, dass diese wegen des Fehlens einer angemessenen Behandlung im Zielstaat der Rückführung oder wegen des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, schnellen und irreversiblen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt sein wird, die zu erheblichem Leiden oder einer beachtlichen Verminderung der Lebenserwartung führen wird (EGMR <GK>, Urteil vom 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 183; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24.07.2019 - 2 BvR 686/19 -, juris Rn. 31). Die Wertungen unterliegenden Begrifflichkeiten der schnellen Verschlechterung und der beachtlichen Verminderung der Lebenserwartung zeigen, dass es nicht auf einen einheitlichen, absoluten Zeitrahmen ankommen kann, der bei der Prognose für das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr in den Blick zu nehmen wäre. Vielmehr hängt dieser von den Umständen des Einzelfalls ab; dies gilt nicht allein in Fällen der Abschiebung von Erkrankten, sondern generell bei der Bewertung einer Abschiebung im Lichte von Art. 3 EMRK. Insbesondere ist es im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht erforderlich, dass sich die Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald realisiert. Diese strikte, absolute zeitliche Einschränkung, wie sie bei der verfassungskonformen Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 6 AufenthG zu beachten ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244 Rn. 22), ist im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG gerade nicht anwendbar. Denn sie ist Teil des strengen Maßstabs, der zur von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Durchbrechung der gesetzlich vorgesehenen Sperrwirkung des § 60 Aba. 7 Satz 6 AufenthG geboten ist, der aber keine Anwendung auf § 60 Abs. 5 AufenthG findet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 -, NVwZ 2019, 61 Rn. 13).
Ausgehend von den Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung gelangte der Einzelrichter zu der Überzeugung, dass im Falle des Klägers nach den dargelegten Maßstäben ein ganz außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem humanitäre Gründe seiner Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK zwingend entgegenstehen.
2. a) Die Lebenssituation in Kabul als Ort der Rückkehr stellte sich bis zum Auftreten von Covid-19 Fällen wie folgt dar:
Die wirtschaftliche Lage ist prekär. Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38 % (2011) auf 55 % (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Die wirtschaftliche Entwicklung ist weiterhin geprägt von den Nachwirkungen des Abzugs bis 2014 in größerer Zahl präsenter internationaler Truppen, der schwierigen Sicherheitslage sowie schwacher Investitionstätigkeit. Zugleich gibt es erhebliche Bemühungen internationaler Partner zur Wirtschaftsbelebung. Das Wirtschaftswachstum ist zuletzt von 2,7 % (2017) auf 1 % (2018) zurückgegangen. Für 2019 geht die Weltbank von einer leichten Erholung aus. Hauptgründe sind nach der Dürre 2018 die ergiebigeren Niederschläge, die dem Agrarsektor zugutekommen. Erwartet wird ein realer BIP-Zuwachs von 2,5 % (AA, Lagebericht vom 02.09.2019, S. 27). Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau. Laut ILO lag sie 2017 bei 11,2 %. Dabei ist zu beachten, dass der Anteil formaler Beschäftigungsverhältnisse, ähnlich wie in den benachbarten Staaten Asiens, extrem gering ist (AA, Lagebericht vom 02.09.2019, S. 27). Dies zeigt sich auch in dem Prozentsatz von 23,9 % der arbeitsfähigen Bevölkerung, die entweder nicht arbeiten, nicht nach Arbeit suchen oder weniger als acht Stunden in der Woche in einem Lohnverhältnis stehen (EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019, S. 134; EASO, Afghanistan, Key Socio-Economic Indicators, April 2019, S. 27). Kabul ist die zentrale Drehscheibe für Handel und den Arbeitsmarkt. Die Stadt ist ein Magnet für Tagelöhner auch aus Parwan, Logar und Wardak (EASO, Afghanistan, Key Socio-Economic Indicators, April 2019, S. 28). Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für Mitarbeiter in ausländischen Organisationen (EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019, S. 134; EASO, Afghanistan, Key Socio-Economic Indicators, April 2019, S. 28).
Bei dem Zugang zum Arbeitsmarkt ist zu berücksichtigen, dass die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis angaben, sie nutzten das traditionelle System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönlichen Verbindungen, sog. "wasita" (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind "shanakht" (jemanden kennen) und "safarish" (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt (EASO, Afghanistan - Key Socio-Economic Indicators, August 2017, S. 67).
Den relativ besseren Arbeitsmöglichkeiten in Kabul stehen erheblich höhere Lebenshaltungskosten als im restlichen Afghanistan gegenüber (EASO, Afghanistan, Key Socio-Economic Indicators, April 2019, S. 35). So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US-Dollar für einen alleinstehenden Mann. Hinsichtlich der Mietkosten für eine Wohnung in Kabul werden für 2017 Kosten von bis zu 400 bis 600 US-$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US-Dollar pro Monat genannt (Stahlmann, Gutachten 2018, S. 234). Hinzu tritt in der Regel eine Kaution von sechs Monatsmieten (Stahlmann, Gutachten 2018, S. 244). 70 % der Bevölkerung der Stadt Kabul leben in informellen Siedlungen. Diese Siedlungen haben zwar eine größere Krise der Obdachlosigkeit abgewendet, jedoch bereits bestehende Probleme wie das Fehlen eines Kanalisationssystems und eine unzureichende Müllentsorgung verstärkt (Afghanistan, Key Socio-Economic Indicators, April 2019, S. 56; EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019, S. 132 f.) Außerdem bietet Kabul die Option kostengünstigen Wohnens in sog. "Teehäusern". Die "Teehäuser" werden als vorübergehende Unterkunft von Reisenden, Tagelöhnern, Straßenverkäufern, jungen Leuten, alleinstehenden Männern und anderen Personen genutzt, die keine dauerhafte Unterkunft in der Gegend haben (EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019, S. 133).
Eine Wohnung in Kabul zu haben, bedeutet nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Der Zugang zu Wasser und Strom hat sich zwar in Afghanistan in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Gerade in Kabul ist die Wasserversorgung aber immer noch sehr schwierig. Lediglich 32 % der Einwohner von Kabul haben Zugang zu fließendem Wasser, nur 10 % der Einwohner erhalten Trinkwasser. Viele arme Einwohner sind auf oft weit von ihrem Zuhause entfernte öffentliche Wasserleitungen angewiesen. Die Mehrheit der allgemein zugänglichen Wasserstellen und Brunnen ist mit Abwasser verseucht, was zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führt. Es gibt kein zentrales Abwassersystem. Der Stand des Grundwassers hat sich aufgrund des steigenden Bedarfs erheblich abgesenkt. Lediglich etwa die Hälfte der Einwohner von Kabul hat Zugang zu einfachen sanitären Einrichtungen (EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019 S. 133; EASO, Afghanistan - Key Socio-Economic Indicators, April 2019, S. 57).
Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung - und in besonderem Maße für Rückkehrer - eine tägliche Herausforderung, 6,3 Millionen Menschen in Afghanistan sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA, Lagebericht vom 02.09.2019, S. 29), 2020 werden es voraussichtlich 9,4 Millionen Menschen sein (UNOCHA, Humanitarian Needs Overview Afghanistan 2020, Dezember 2019, S. 4). Im Januar 2017 wurde berichtet, dass 55 Prozent der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert waren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018, S. 13). Im Dezember 2018 war in Kabul ein Fünftel aller Haushalte trotz humanitärer Hilfe zwar gerade noch ausreichend mit Lebensmitteln versorgt, aber ohne das Ausweichen auf Bewältigungsstrategien, die zu einer Abwärtsspirale führen, nicht in der Lage, andere lebenswichtige Ausgaben zu tätigen (EASO, Afghanistan, Key Socio-Economic Indicators, April 2019, S. 38).
Obwohl gemäß der afghanischen Verfassung die medizinische Grundversorgung für alle Afghanen kostenlos sein soll, müssen die Menschen - auch in Kabul - für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Aufenthalte in vielen öffentlichen Einrichtungen bezahlen. Hohe Behandlungskosten führen dazu, dass Menschen sich verschulden oder eine Behandlung nicht durchführen lassen können. Die schlechte Qualität der medizinischen Versorgung führt dazu, dass viele Afghanen sich in Indien oder Pakistan behandeln lassen. Im Jahr 2017 hatten in Kabul 34 % der Rückkehrer keinen Zugang zu medizinischer Versorgung (EASO, Afghanistan, Key Socio-Economic Indicators, April 2019, S. 46 ff.; EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019, S. 133).
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung; dabei lebten Ende 2017 etwa 40 % der Gesamtbevölkerung in den 120 am stärksten vom Konflikt betroffenen Gebieten. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018, S. 35 ff.).
Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte, aber auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben, was zu einer Verweigerung von familiärer Unterstützung führen kann (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018 S. 124, dort Fn. 674).
Zu berücksichtigen ist aber auch, dass Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren. So wird über das von der IOM durchgeführte REAG/GARP Programm unter anderem Starthilfen von 1.000,- EUR je Erwachsenem und 500,- EUR je Kind, begrenzt auf 3.500 EUR je Familienverbund geleistet (REAG/GARP-Programm 2019, Projekt "Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen", Januar 2019). Bei einer freiwilligen Rückkehr wird pro Person 1.000 EUR, begrenzt auf 2.000 EUR je Familie eine sogenannte StarthilfePlus binnen sechs bis acht Monaten nach der Ausreise über IOM ausgezahlt (StarthilfePlus - Ergänzende Reintegrationsunterstützung im Zielland, Februar 2019). Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN (European Return and Reintegration Network, Laufzeit: 06/2018 - 05/2020). Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt (BAMF vom 01.06.2018).
b) Die Lebensbedingungen haben sich nach dem Auftreten von Covid-19-Fällen wie folgt verändert:
Am 14.05.2020 gab es in Afghanistan 5.639 bestätigte Covid-19 Fälle aus allen 34 Provinzen Afghanistans, von denen 691 genesen und 136 verstorben sind. Am meisten betroffen sind - gemessen an bestätigten Fällen - die Provinzen Kabul, Herat, Kandahar und Balkh (UNOCHA, Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 44, 14.05.2020, S. 1).
Der afghanische Staat hat deswegen weitgehende Beschränkungen beschlossen. So gibt es nunmehr landesweit "angemessene Ausgangsbeschränkungen", die zur Schließung von Teilen von Städten und/oder Bewegungseinschränkungen führen. Am 2. Mai 2020 verlängerte die afghanische Regierung die landesweiten Beschränkungen bis zum 24.05.2020, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Obwohl Mitarbeiter von Hilfsorganisationen die Erlaubnis haben, ihren Aufgaben weiter nachzugehen, berichten Nichtregierungsorganisationen von regelmäßigen Verzögerungen und Erschwernissen. Die Regierung kündigte auch an, bis zum Ende des Ramadans (24. Mai 2020) alle kommerziellen Inlandsflüge auszusetzen (UNOCHA, Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 41, 03.05.2020, S. 3). Schon am Sonntag, dem 12.04.2020, wurde der gesamte Verkehr zwischen Kabul und anderen Provinzen mit Ausnahme von Essenslieferungen, Mitarbeitern des Gesundheitswesens und Patienten verboten (TOLOnews, Govt to Ban Movements between Kabul and Provinces: Governor, 11.04.2020; TOLOnews, Passenger Travel In and Out of Kabul Blocked, 12.04.2020). Zwischenzeitlich haben einige Provinzen begonnen, die Ausgangsbeschränkungen zu lockern (UNOCHA, Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 44, 14.05.2020, S. 3). Das afghanische Finanzministerium rechnet aufgrund von COVID-19 mit 50 % weniger Einnahmen im laufenden Finanzjahr (BAMF, Briefing Notes vom 04.05.2020).
Gleichzeitig kehrten vom 1. Januar bis zum 25. April 2020 etwa 265.000 Menschen aus dem Iran nach Afghanistan zurück (UNOCHA, Afghanistan: Weekly Humanitarian Update (20 April - 26 April 2020), S. 1). Während sich die Zahl der Iranrückkehrer in der Woche vom 20. April 2020 auf üblichem Niveau bewegte, war die Prozentzahl derer, die eine gewisse humanitäre Ankunftshilfe benötigten, von sonst üblichen 20 % auf knapp 100 % gestiegen (UNOCHA, Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 41, 03.05.2020, S. 3). Da im Iran über 3,3 Millionen Menschen ihre Arbeitsstelle verloren haben, darunter viele Tagelöhner, von denen wiederum sehr viele Afghanen sind, fallen Überweisungen von Arbeitsmigranten aus, die für viele Familien die Lebensgrundlage bilden (BAMF, Briefing Notes vom 04.05.2020, S. 2).
Auf dem Arbeitsmarkt haben sich die veränderten Umstände in einer höheren Arbeitslosigkeit niedergeschlagen. Das Arbeitsministerium berichtet von zwei Millionen Menschen, die aufgrund der Covid-19-Pandemie arbeitslos geworden sind (BAMF, Briefing Notes vom 27.04.2020, S. 2). Das Wirtschaftsministerium warnte zuvor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40 % und die Armut um 70 % aufgrund des Covid-19-Virus steigen werde (TOLOnews, Union: 2 Million Afghans Lose Jobs Amid COVID-19, 01.05.2020). Die Kaufkraft gewöhnlicher Arbeit ist wegen gestiegener Preise und gesunkener Löhne um 14 - 21 % gesunken (UNOCHA, Afghanistan Flash Update: Daily Brief: COVID-19, No. 38, 23.04.2020, S. 2).
Abgesehen von der Schwierigkeit, angesichts von Ausgangsbeschränkungen überhaupt Geld verdienen zu können, kommt hinzu, dass die Kosten der Lebenshaltung gestiegen sind. Das UN-Welternährungsprogramm WFP stellte in seinem jüngsten Bericht einen Preisanstieg von etwa 20 Prozent für Mehl und Speiseöl in Afghanistan fest. Auch andere Grundnahrungsmittel wie Reis und Zucker sind teurer geworden (Save the Children, COVID-19: More than seven million children in Afghanistan at risk of hunger as food prices soar due to lockdown, 01.05.2020).
Die Nahrungsmittelversorgung in Kabul ist mittlerweile derart desaströs, dass die Stadtverwaltung in Kabul beschlossen hat, kostenlos Brot an die Bevölkerung zu verteilen. Dies vermag jedenfalls nicht zu einer nennenswerten Verbesserung der Situation zu führen. Zum einen führt diese Verteilungsaktion, die über die Bäckereien in Kabul organisiert wird, dazu, dass sich Menschenansammlungen bilden, die zu einer noch größeren Verbreitung des Virus führen (TOLOnews, MoPH Warns of Outbreak of COVID-19 at Bakeries, 04.05.2020). Zum anderen sind die Namenslisten der Empfänger falsch und intransparent (TOLOnews, Poor Deprived of Govt’s Bread Distribution Initiative: Residents, 30.04.2020).
Rückkehrer aus dem Ausland stehen bei der Arbeitssuche bei einer Ankunft in Kabul vor einer zusätzlichen besonderen Herausforderung, weil diese als vermeintlich Verantwortliche für die Gefahr durch Covid-19 stigmatisiert werden (Stahlmann, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankungen an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener, 27.03.2020, S. 2; UNOCHA, Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report vom 06.05.2020, S. 1). Dabei können Sie nicht im bisherigen Umfang von Rückkehrprogrammen profitieren. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ("Lockdown") behindern entgegen anderslautender Versicherungen der Regierung teilweise die Arbeit der Mitarbeiter der UN und von Nichtregierungsorganisationen (UNOCHA, Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report vom 29.04.2020, S. 1). Die Nichtregierungsorganisation ACE, bei der Rückkehrer Unterstützungshilfen nach ERIN beantragen müssten, ist seit 28.03.2020 geschlossen (Stahlmann, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankungen an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener, 27.03.2020, S. 3).
c) Das sich aus den oben benannten, unterschiedlichen Quellen ergebende Lagebild in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung sowie in Afghanistan insgesamt, stellt sich zur Überzeugung des Einzelrichters so dar, dass bei der Ankunft des Klägers in Kabul angesichts der zuvor schon prekären wirtschaftlichen Lage, dem massiven wirtschaftlichen Einbruch und der bei Rückkehrern aus dem westlichen Ausland zu erwartenden Schwierigkeit, sich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für ihn eine Situation entstünde, die mit Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wäre. Bei aus dem westlichen Ausland zurückkehrenden Personen sind die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK in der Regel erfüllt, sofern - wie im Fall des Klägers - diese Rückkehrer nicht über erhebliche eigene finanzielle Mittel verfügen oder zu erwarten ist, dass sie von Dritten erhebliche nachhaltige finanzielle oder andere materielle Unterstützung erhalten.
Waren Nahrungsmittel und andere Güter des Grundbedarfs, Wohnraum und Arbeitsmöglichkeiten bereits vor dem Auftreten der Coronakrise derart knapp und daher umkämpft, dass es Personen mit erhöhter Vulnerabilität grundsätzlich nicht zumutbar war, sich den Risiken insbesondere bei der Suche nach einer ihren Bedürfnissen entsprechenden Unterkunft auszusetzen (so auch insbesondere VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. November 2019 - A 11 S 2376/19 -, juris Rn. 112), so gilt dies nunmehr aufgrund der enormen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise auch für Personen mit robuster Konstitution, sofern sie nicht auf erhebliche eigene finanzielle Ersparnisse oder vor Ort auf nachhaltige materielle Unterstützung Dritter zugreifen können. Denn es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass für einen Rückkehrer aus dem westlichen Ausland ohne finanzielle Mittel selbst eine auch nur einfachste Lebensführung mit einer gegen Wind und Wetter schützenden Unterkunft nicht gewährleistet ist. Ist dies der Fall, besteht aber auch für Personen ohne erhöhte Vulnerabilität wie jungen, alleinstehenden und uneingeschränkt erwerbsfähigen Männern das reale Risiko, in einem kontinuierlichen Prozess zu verelenden und bleibende schwere physische und psychische Schäden davonzutragen.
Aus den obigen Erkenntnismitteln ergibt sich, dass in den für die Existenzsicherung elementaren Bereichen Wohnen, Nahrungsmittelversorgung und Zugang zum Arbeitsmarkt massive Erschwernisse im Vergleich zum Lagebild in Kabul vor März 2020 hinzugekommen sind, die sich in ihren negativen Auswirkungen auf die Möglichkeit der Existenzsicherung wechselseitig verstärken. Insbesondere der Zugang zum Arbeitsmarkt - und sei es nur auf dem Tagelöhnermarkt - machte es bisher jungen, gesunden und alleinstehende Männern im Gegensatz zu Personen mit erhöhter Vulnerabilität wie etwa Kindern, alleinstehenden Frauen, älteren Menschen oder chronisch erheblich Kranken möglich, das Existenzminimum aus eigener Kraft zu sichern. Gerade dieser Vorteil für die Überlebenssicherung ist angesichts der Ausgangsbeschränkungen in Kabul, die sich bereits in einem Anstieg der ohnehin hohen Arbeitslosigkeit niedergeschlagen haben, sehr viel geringer geworden. Gleichzeitig wäre ein regelmäßiges Erwerbseinkommen angesichts gestiegener Preise für Grundnahrungsmittel noch wichtiger für das Überleben als vor dem Ausbruch der Coronakrise.
Der Einzelrichter ist davon überzeugt, dass diese aufgrund des Auftretens von Covid-19-Fällen veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, in der absehbaren Zukunft andauern werden. Selbst im Falle der Aufhebung von Ausgangs- und Bewegungsbeschränkungen ist aufgrund der weitgehend ausgezehrten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes nicht damit zu rechnen, dass sich die Situation in Kabul alsbald nach Aufhebung von Beschränkungen wesentlich verbessern wird. Wann und in welchem Umfang sich eine Besserung einstellen wird, ist vielmehr nicht absehbar. Auch wenn die bevorstehende diesjährige Ernte die Nahrungsmittelversorgung in den ländlichen Gegenden möglicherweise verbessern wird, so werden die mittelfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus Arbeitskräfte in städtischen Gebieten wie Tagelöhner, Beschäftigte im Dienstleistungssektor und kleine Händler besonders hart treffen. Hinzu kommt, dass die Menschen in den Städten sich nicht ausreichend selbst mit Lebensmitteln versorgen können und daher von den hohen Preisen auf dem Lebensmittelmarkt abhängig sind.
Auch außerhalb Kabuls sind jedoch die Voraussetzungen für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zur Überzeugung des Einzelrichters erfüllt. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK kann nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung landesweit droht. Es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative ("internal flight alternative") bestehen. Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG insoweit durchaus ähnliche) Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen (vgl. VGH Bad.-Württemberg, Urteil vom 17.07.2019 - A 9 S 1566/18 -, juris Rn. 32).
Für die Dauer der Reisebeschränkungen ist es schon nicht möglich, legal in einen anderen Landesteil zu reisen, sodass für die Dauer dieser Beschränkungen eine Berücksichtigung solcher Reisen von Rechts wegen ausgeschlossen ist. Unabhängig davon ist angesichts der verheerenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die wirtschaftlich im Vergleich zu den übrigen Landesteilen noch relativ besser gestellte Provinz Kabul sowie angesichts des Umstands, dass nicht nur in Kabul, sondern landesweit Ausgangsbeschränkungen mit all ihren wirtschaftlichen Folgeschäden verhängt wurden, der Einzelrichter davon überzeugt, dass sich die Situation in anderen Landesteilen nicht besser verhält als in Kabul, zumal auch die möglicherweise künftig wieder mit dem Flugzeug erreichbaren Provinzen Herat und Balkh mit ihren ansonsten wie Kabul relativ wohlhabenderen Provinzhauptstädten Herat und Mazar-e Sharif besonders von Covid-19-Fällen betroffen sind. Sollte sich aufgrund der bevorstehenden Ernte die Lebensmittelversorgung in den ländlichen Gebieten in den nächsten Monaten verbessern, so vermag auch dies nicht zu einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Kläger führen, weil jedenfalls die Nutzung der überregionalen Fernstraßen in Afghanistan nicht sicher ist, insbesondere weil Sicherheitskräfte und Aufständische (illegale) Kontrollpunkte errichten, weil Sprengsätze detonieren oder Unbeteiligte von Kampfhandlungen betroffen werden können (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 320; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.10.2019 - A 11 S 1203/19 - juris Rn. 73).
d) In Anbetracht der ausgeführten wirtschaftlichen Situation in Afghanistan sowie der persönlichen Umstände des Klägers ist der Einzelrichter zu der Überzeugung gelangt, dass dieser mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein wird, sein Existenzminimum zu sichern.
Über erhebliche eigene finanzielle Mittel verfügt der Kläger nicht. Er verfügt weder in Afghanistan noch in Deutschland über wesentliche Ersparnisse.
Von Dritten hat der Kläger keine erhebliche nachhaltige finanzielle oder andere materielle Unterstützung zu erwarten. Von Verwandten in Afghanistan hat er nach dem von ihm und seinen Familienangehörigen vorgetragenen Sachverhalt keine Unterstützung zu erwarten.
Auch seine in Deutschland wohnhaften Familienangehörigen werden ihn nicht in ausreichendem Maße bei einer Rückkehr unterstützen. Diese verfügen nicht über erhebliche finanzielle Mittel. Außerdem ist angesichts der mittlerweile jahrelangen Entfernung und damit einhergehenden Entfremdung - die Beklagte hat die Berücksichtigung seiner Familienangehörigen bei der Bemessung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots abgelehnt - nicht zu erwarten, dass der Kläger in Afghanistan von seiner Familie aus Deutschland wesentliche Unterstützung erhalten wird.
3. Ob dem Kläger auch aus anderen Gründen - insbesondere einer psychischen Erkrankung - ein Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG zusteht, kann nach dem oben Ausgeführten dahinstehen.
4. Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegend erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, BVerwGE 140, 319).
IV.
Die Regelungen in Nr. 5 und Nr. 6 des Bescheids sind aufzuheben, weil mit der Feststellung des nationalen Abschiebungsverbots weder die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG noch für die eines behördlichen Einreiseverbots nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG in der seit dem 21.08.2019 geltenden Fassung (BGBl I. S. 1294) vorliegen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Nach § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.