Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 26.06.2020 - 4 ME 97/20
Fundstelle
openJur 2020, 31881
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 B 31/20

1. Der weite Auffangtatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG erfasst sämtliche Zulassungsentscheidungen, auf die umweltbezogene Rechtsvorschriften anzuwenden sind und die nicht bereits von den Nrn. 1 bis 2b der Regelung erfasst sind. Darunter fällt auch eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG von den artenschutzrechtlichen Verboten des § 44 BNatSchG.

2. Ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage, der unzulässig ist, kann in einen zulässigen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs umgedeutet werden.

3. Stellt ein Dritter beim Verwaltungsgericht einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, bedarf es keines vorherigen Aussetzungsantrags bei der Behörde gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO besonders angeordnet hat.

4. Eine von der Behörde verfügte befristete Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsaktes lässt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur dann entfallen, wenn die Befristung im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch nicht abgelaufen ist.

5. Zu den Voraussetzungen, unter denen gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG nach Schafsrissen eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung eines Wolfs erteilt werden kann.

6. Ein potentielles FFH-Gebiet, das ein Habitat einer prioritären Art ist und von dem Mitgliedstaat anhand der in Anhang III der FFH-Richtlinie aufgeführten Kriterien der Kommission hätte gemeldet werden müssen, aber nicht gemeldet worden ist, unterliegt jedenfalls keinem weitergehenden Schutz als ein Gebiet, das der Kommission bereits gemäß Art. 4 Abs. 1 der FFH-Richtlinie gemeldet worden, aber noch nicht in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen worden ist.

7. § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG erlaubt den Abschuss von einzelnen Mitgliedern eines Wolfsrudels ohne Zuordnung der durch Nutztierrisse verursachten Schäden zu einem bestimmten Einzeltier nur in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass, wenn nicht mit absoluter Sicherheit, so doch zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit derjenige Wolf getötet wird, der für die Nutztierrisse auch verantwortlich ist. Entsprechend ist es Aufgabe der zuständigen Behörde, in der Ausnahmegenehmigung sowohl den zeitlichen als auch den räumlichen Zusammenhang so zu bestimmen, dass eine entsprechende Prognose fachlich gerechtfertigt ist.

Tenor

Die Beschwerdeverfahren 4 ME 97/20 und 4 ME 98/20 werden verbunden. Führend bleibt das Aktenzeichen 4 ME 97/20.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin werden die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer - vom 18. Mai 2020 geändert und jeweils wie folgt neu gefasst.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Nebenbestimmungen Nr. 3 und 4 des Bescheides des Antragsgegners vom 4. April 2020 wird wiederhergestellt.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 30.000 EUR festgesetzt. Der Streitwert der beiden erstinstanzlichen Verfahren wird jeweils unter Abänderung der Streitwertentscheidung des Verwaltungsgerichts auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin, eine anerkannte Umweltschutzvereinigung, wendet sich gegen eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung von Wölfen.

Der Beigeladene ist Inhaber eines Schafhaltungsbetriebs mit über 1.000 Tieren. Nachdem es in seinen Herden bereits in der Zeit zwischen Juli 2017 bis Ende 2019 zu mehreren Schafsrissen gekommen war, fanden im ersten Quartal 2020 weitere 15 Rissereignisse statt, wobei allein bei einem Vorfall am 19. März 2020 32 Schafe getötet oder verletzt wurden. Bei diesem Vorfall konnte ebenso wie bei drei vorangegangenen Schafsrissen im März 2020 eine Beteiligung des Wolfsrüden GW1027m aus dem Rudel D. nachgewiesen werden. Bei zwei weiteren Schafsrissen im März 2020 sowie einem weiteren im August 2017 konnte eine Beteiligung der Wölfin (Fähe) GW242f aus dem Rudel E. nachgewiesen werden.

Aufgrund dessen erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen auf Antrag mit dem für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 4. April 2020 eine Ausnahmegenehmigung für die zielgerichtete letale Entnahme (Tötung) dieser beiden Wolfstiere, die räumlich auf die Gebiete der Gemeinden F., G. und H. beschränkt und bis zum 30. Juni 2020 befristet wurde. Hinsichtlich der Fähe ordnete er die Aussetzung der Vollziehung vom 15. April bis zum 15. Mai 2020 an und regelte zusätzlich mit ergänzendem Bescheid vom 8. April 2020, dass die Entnahme einer laktierenden (säugenden) Fähe auszuschließen sei. Ferner regelte der Antragsgegner unter den Ziffern 3. und 4. des Bescheides vom 4. April 2020 die Nebenbestimmungen, dass, solange die beiden Wolfsindividuen in der Landschaft nicht anhand besonderer, leicht erkennbarer äußerer Merkmale identifiziert werden könnten, eine Identifizierung auch über den engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in Anknüpfung an die den Individuen jeweils zugeordneten Rissereignisse erfolgen könne. Eine Entnahme sei dann zu begrenzen auf das Gebiet der Gemeinden F., G. und H. im unmittelbaren räumlichen Bezug zu den dortigen Schafhaltungen, der in einem Radius von 500 m um die Schafhaltung gegeben sei. Nach einer so begründeten Entnahme eines Einzeltieres müsse abgewartet werden, ob in dem jeweiligen Revier mit der Entnahme die Nutztierrisse aufhörten, bzw. soweit möglich mittels genetischer Untersuchung ermittelt werden, ob tatsächlich das jeweils schadensverursachende Tier entnommen worden sei. Träten nach einer so begründeten Entnahme eines Einzeltieres in dem jeweiligen Revier weitere Übergriffe durch Wölfe auf, könne in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den bereits eingetretenen, den jeweiligen Individuen zuzuordnenden Rissereignissen sukzessive jeweils ein weiteres Mitglied des jeweiligen Wolfsrudels bis zum Ausbleiben von Schäden entnommen werden.

Gegen den Bescheid vom 4. April 2020 legte die Antragstellerin einen bisher vom Antragsgegner nicht beschiedenen Widerspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung, die der Antragsgegner mit Schreiben vom 24. April 2020 ablehnte.

Bereits am 21. April 2020 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zugleich einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Das Verwaltungsgericht hat die Streitsachen sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im einstweiligen Rechtsschutz jeweils hinsichtlich des Wolfsrüden einerseits und der Wölfin andererseits in zwei voneinander getrennten Verfahren geführt. Über die Klagen (Az. 2 A 124/20, 2 A 125/20) hat es bisher noch nicht entschieden.

Mit zwei Beschlüssen vom 18. Mai 2020 hat das Verwaltungsgericht die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung als unzulässig abgelehnt, dass die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht gegeben sei.

Die Antragstellerin hat gegen diese beiden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Beschwerden eingelegt, denen der Antragsgegner entgegengetreten ist.

II.

Der Senat verbindet die Beschwerden gemäß § 93 Satz 1 VwGO.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat in dem tenorierten Umfang Erfolg, da sie nur insoweit begründet ist.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. Denn aus den von der Antragstellerin dargelegten Gründen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt sich, dass ihre Antragsbefugnis entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zu bejahen ist.

Unter den hier unzweifelhaft gegebenen Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 UmwRG erstreckt sich die Antragsbefugnis von anerkannten Umweltschutzvereinigungen wie der Antragstellerin gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG auf Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nrn. 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden. Vorhaben im Sinne dieser Norm sind sämtliche Maßnahmen, über deren Zulassung unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften zu entscheiden ist und die nicht bereits von den Nrn. 1 bis 2b der Regelung erfasst sind. Die engere Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass als Vorhaben nur planerische Maßnahmen anzusehen sind, durch deren Verwirklichung physisch, ortsspezifisch und unmittelbar in Natur und Landschaft eingegriffen wird, teilt der Senat nicht.

Schon der Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG spricht nicht zwingend für die Auffassung des Verwaltungsgerichts, da es im deutschen Recht keinen einheitlichen Vorhabensbegriff gibt (vgl. BT-Drs. 11/3919, S. 21; Appold in: Hoppe/Beckmann/Kment, UVPG, 5. Aufl. 2018, § 2 Rn. 85). Entsprechend stützt auch der ausdrückliche Verweis der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs zu § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG auf die Bestimmung des Vorhabensbegriffs in § 2 Abs. 2 UVPG a. F. (heute § 2 Abs. 4 UVPG – siehe BT-Drs. 18/9526, S.36) die Ansicht des Verwaltungsgerichts nur scheinbar. Denn erstens „orientiert“ sich gemäß der Gesetzesbegründung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG verwendete Begriff des Vorhabens lediglich an der Begriffsbestimmung im Umweltverträglichkeitsrecht, während der Gesetzgeber davon abgesehen hat, in das Umweltrechtsbehelfsgesetz selbst einen Verweis auf § 2 Abs. 2 UVPG a. F. aufzunehmen. Zweitens soll nach der Gesetzesbegründung die Orientierung an § 2 Abs. 2 UVPG a. F. ausdrücklich ohne Bezugnahme auf die Anlage 1 zum UVPG und somit ohne die in dieser Anlage enthaltenen Konkretisierungen zum Vorhabensbegriff erfolgen. Drittens kommt entscheidend hinzu, dass es in der Gesetzesbegründung weiter heißt, dass für die Abgrenzung des Vorhabensbegriffs jeweils allein maßgeblich ist, ob für die Zulassungsentscheidung umweltbezogene Vorschriften anzuwenden sind (a. a. O.). Diese Aussage knüpft klar erkennbar an vorangegangene ausführliche Passagen der amtlichen Begründung an, wonach der Gesetzentwurf u. a. der vollständigen Umsetzung der völkervertraglichen Verpflichtungen Deutschlands aus Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention dient (a. a. O., S. 23 f., 31-33). Ausdrücklich erwähnt wird in diesem Zusammenhang der für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindliche Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz, mit dem die Auffassung des Compliance Committees bestätigt worden ist, dass Deutschland seine aus Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention bestehenden Verpflichtungen bisher nicht ausreichend in innerstaatliches Recht umgesetzt habe. In diesem Zusammenhang verweist die Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf, dass das Compliance Committee in ständiger Spruchpraxis eine weite Auslegung zum Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention vertritt und als maßgeblich für die Konkretisierung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift allein die Frage ansieht, ob eine Anwendung umweltbezogener Bestimmungen erforderlich ist (a. a. O., S. 32). Ferner zitiert die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs ausführlich und wörtlich eine Stellungnahme des Compliance Committees im konkreten Verfahren gegen Deutschland, wonach im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien zur Klagebefugnis, die der Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention dienen, stets mit dem Ziel des Übereinkommens vereinbar sein müssten, einen weiten Zugang zu Gerichten sicherzustellen. Die Vertragsparteien seien zwar nicht verpflichtet, in ihre Rechtsordnung ein System der Popularklage einzuführen. Andererseits dürften die Vertragsparteien den Nebensatz in Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention „sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen“ nicht als Vorwand für die Einführung oder Beibehaltung so strenger Kriterien benutzen, dass alle oder nahezu alle Mitglieder der Öffentlichkeit, Umweltorganisationen eingeschlossen, an der Anfechtung von Handlungen oder Unterlassungen, die gegen umweltbezogenes innerstaatliches Recht verstoßen, wirksam gehindert würden. Der Zugang zu solchen Verfahren sei vorausgesetzt und nicht die Ausnahme (a. a. O., S. 33).

Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund muss § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG als weiter Auffangtatbestand verstanden werden (BVerwG, Urt. v. 26.9.2019 - 7 C 5.18 -, 2. Leitsatz u. v. 19.12.2019 - 7 C 28.18 -, Rn. 25; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 20.11.2018 - 5 S 2138/16 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.5.2019 - OVG 11 S 40.19 -). Entsprechend erfasst der Vorhabensbegriff der Norm sämtliche Zulassungsentscheidungen, auf die umweltbezogene Rechtsvorschriften anzuwenden sind und die nicht bereits von den Nrn. 1 bis 2b der Regelung erfasst sind.

Damit begründet § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG auch im vorliegenden Fall die Antragsbefugnis der Antragstellerin. Denn bei der hier in Streit stehenden Ausnahmegenehmigung von dem Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, das auch für die streng geschützte Art des Wolfs gilt, handelt es sich unzweifelhaft um eine Zulassungsentscheidung, auf die umweltbezogene Rechtsvorschriften anzuwenden sind (Bay. VGH, Urt. v. 1.10.2019 - 14 BV 17.1278 - u. a., NuR 2020, 61 = ZUR 2020, 240; VG Gera, Beschl. v. 20.2.2020 - 5 E 67/20 Ge -, ZUR 2020, 313).

Da somit die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die von der Antragstellerin dargelegten Gründe beschränkte Prüfung ergeben hat, dass die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht rechtfertigt, hat der Senat im Weiteren selbst umfassend die weitere Zulässigkeit und die Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu prüfen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 14.3.2013 - 8 S 2504/12 -, DVBl 2013, 795 m. w. N.).

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist auch im Übrigen zulässig.

Der Zulässigkeit des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz steht nicht entgegen, dass die anwaltlich vertretene Antragstellerin ausdrücklich beantragt hat, die aufschiebende Wirkung „der gleichzeitig erhobenen Klage“ anzuordnen (richtigerweise: wiederherzustellen). Die Klage, auf die sich dieser Antrag bezieht, ist zum heutigen Zeitpunkt zwar offensichtlich unzulässig, da sie von der Antragstellerin erhoben worden ist, ohne die Bescheidung des von ihr eingelegten Widerspruchs abzuwarten und ohne dass die in § 75 Satz 2 VwGO geregelten Voraussetzungen für die Erhebung einer Untätigkeitsklage gegeben sind. Entsprechend kann auch der hieran anknüpfende Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht als zulässig angesehen werden. Der Senat deutet den somit unzulässigen Antrag jedoch in einen zulässigen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs um. Zu dieser Vorgehensweise ist der Senat auch befugt, da aufgrund des baldigen Ablaufs des Zeitraums, auf den sich der angefochtene Bescheid bezieht, Eile geboten ist und deshalb eine Verfügung des Vorsitzenden, mit der gemäß § 86 Abs. 3 VwGO auf einen sachdienlichen Antrag der Antragstellerin hingewirkt wird, nicht mehr ergehen kann (vgl. dazu Ortloff/Riese in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 88 Rn. 16 m. w. N.). Im Übrigen wird durch die Umdeutung im vorliegenden Fall auch nicht der Zweck des Rechtsschutzgesuchs verändert, was einer Umdeutung entgegenstehen würde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.3.1998 - 1 B 20.98 -, NVwZ 1999, 641 m. w. N.).

Der Zulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin vor der Einlegung des Rechtsbehelfs beim Verwaltungsgericht zwar beim Antragsgegner einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt, die Bescheidung dieses Antrags aber nicht abgewartet hat.

Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des für Bausachen zuständigen 1. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in dem Fall, dass ein Dritter die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt, gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 6 VwGO nur dann zulässig, wenn der Dritte zuvor einen Aussetzungsantrag bei der zuständigen Behörde gestellt und die Bescheidung dieses Antrags abgewartet hat, bevor er gerichtlichen Rechtsschutz sucht, oder wenn die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO zum Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht vorliegen (siehe nur Nds. OVG, Beschl. v. 27.8.2010 - 1 ME 146/10 -, NVwZ-RR 2011, 185 m. w. N.). Diese Rechtsprechung aber ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass gemäß § 212a Abs. 1 BauGB Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung haben. In dieser Konstellation sorgt das Erfordernis eines vorherigen Aussetzungsantrags bei der Baubehörde dafür, dass diese grundsätzlich nicht mit einem gerichtlichen Eilantrag überzogen werden kann, ohne ihr zuvor Gelegenheit zu geben, sich erstmalig im Rahmen eines Antrags gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO mit der Aussetzung der Vollziehung zu befassen. Dies dient zugleich der Entlastung der Verwaltungsgerichte.

Diese beiden Gesichtspunkte sind auf den vorliegenden Fall aber nicht übertragbar. Der Wegfall der aufschiebenden Wirkung beruht hier nicht auf einer gesetzlichen Bestimmung, sondern darauf, dass der Antragsgegner auf der Grundlage von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung besonders angeordnet hat. Der Antragsgegner hat sich somit bereits vor der Anrufung des Verwaltungsgerichts mit der sofortigen Vollziehbarkeit eingehend befasst und hierüber auch bereits eine verbindliche Entscheidung getroffen. Von einer nochmaligen Entscheidung des Antragsgegners über die Aussetzung der Vollziehung vor der Anrufung des Verwaltungsgerichts wäre daher auch nicht mehr eine nennenswerte Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu erwarten gewesen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation Nds. OVG, Beschl. v. 13.11.2006 - 1 ME 166/06 -, NVwZ 2007, 478), zumal davon auszugehen ist, dass dem Antragsgegner bereits bei der Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst gewesen sein wird, dass voraussichtlich Umweltschutzverbände gegen die Ausnahmegenehmigung zur Tötung von Wölfen vorgehen werden.

Im Übrigen haben zumindest hinsichtlich der Ausnahmegenehmigung zur Tötung des Wolfsrüden zum hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Einlegung des Eilantrags beim Verwaltungsgericht am 21. April 2020 auch die Voraussetzungen von § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO vorgelegen. Für dieses Tier hat eine Vollstreckung des Bescheides gedroht, da aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Tötung des Tieres jederzeit hätte erfolgen können, während für die Fähe gemäß Ziffer 2 des Bescheides vom 4. April 2020 der Vollzug der Ausnahmegenehmigung noch bis zum 15. Mai 2020 ausgesetzt war.

Schließlich fehlt dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der angeordneten Tötung der Fähe nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dem steht nicht entgegen, dass – wie soeben erwähnt – hinsichtlich dieses Tiers der Vollzug der Ausnahmegenehmigung zum Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags beim Verwaltungsgericht noch befristet ausgesetzt war. Denn für die Beantwortung der Frage, ob ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgebend. Eine Befristung der Aussetzung der Vollziehung lässt das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO daher nur dann entfallen, wenn die Befristung im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch nicht abgelaufen ist (Bay. VGH, Beschl. v. 29.12.2005 -11 CS 05.826 -, BeckRS 2005, 17998; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 950). Das ist hier aber nicht der Fall, denn die befristete Aussetzung der Vollziehung ist bereits seit dem Ablauf des 15. Mai 2020 beendet.

Der somit zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat in der Sache nur teilweise Erfolg.

Soweit der Antragsgegner mit dem angegriffenen Bescheid die Tötung des Wolfsrüden GW1027m und der Wolfsfähe GW242f erlaubt hat, ist der Antrag unbegründet. Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausreichend begründet. Außerdem überwiegt das Vollzugsinteresse gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Die Ausnahmegenehmigung zur Tötung der beiden Tiere ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Ferner ist zur Abwendung eines drohenden ernsten Schadens für den landwirtschaftlichen Betrieb des Beigeladenen ein zügiger Vollzug der Ausnahmegenehmigung geboten.

Der Antragsgegner hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausnahmegenehmigung damit begründet, dass ohne eine zeitnahe Entnahme der Wölfe die Schädigung der betroffenen Betriebe bzw. Tierhalter kontinuierlich fortgesetzt würde. Um diese Schadenssituation zu unterbinden, sei ein schnelles Handeln erforderlich. Das zeige die Entwicklung der Rissereignisse in der betroffenen Region, da sich Nutztierrisse wiederholt und in räumlichem Zusammenhang ereigneten. Diese Ausführungen genügen den Anforderungen, die sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO für die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ergeben (vgl. dazu den Senatsbeschl. v. 9.10.2017 - 4 ME 280/17 - m. w. N.).

Die erteilte Ausnahmegenehmigung ist formell rechtmäßig.

Die Antragstellerin hätte am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt werden müssen. Eine Beteiligtenstellung der Umweltschutzvereinigung im Verwaltungsverfahren ergibt sich nicht aus § 2 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG, da diese Vorschriften nur das gerichtliche Verfahren betreffen. § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG regelt ein Mitwirkungsrecht von Naturschutzvereinigungen, die von einem Land anerkannt worden sind und nach ihrer Satzung landesweit tätig sind, nur vor der Zulassung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG durch Rechtsverordnung oder durch Allgemeinverfügung. Dieser beiden Handlungsformen hat sich der Antragsgegner aber nicht bedient. Außerdem handelt es sich bei der Antragstellerin auch nicht um eine von einem Land, sondern um eine vom Bund anerkannte Naturschutzvereinigung, wie sich aus dem von ihr im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Anerkennungsbescheid des Umweltbundesamtes vom 28. Juni 2018 ergibt. Es existieren im Übrigen auch keine gesetzlichen Regelungen, nach denen der Antragsgegner andere Behörden am Verwaltungsverfahren hätte beteiligen müssen.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin spielt es auch keine Rolle für die formelle Rechtmäßigkeit der Ausnahmegenehmigung, ob zuvor beim Betrieb des Beigeladenen in ausreichendem Maß amtliche Kontrollen zur Einhaltung der tierschutzrechtlichen Vorgaben für die Haltung von Nutztieren stattgefunden haben.

Die Ausnahmegenehmigung zur Tötung der beiden Wölfe ist bei summarischer Prüfung auch materiell rechtmäßig.

Ermächtigungsgrundlage hierfür ist § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG. Danach können die zuständigen Naturschutzbehörden unter anderem von dem artenschutzrechtlichen Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, unter das als streng geschützte Art auch der Wolf fällt, Ausnahmen zulassen zur Abwendung erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass es hierfür nicht darauf ankommt, ob bereits ein erheblicher Schaden eingetreten ist, sondern ob ein solcher Schaden droht (Senatsbeschl. v. 22.2.2019 -4 ME 48/19 -; siehe auch EuGH, Urt. v. 14.6.2007 - C-342/05 - Rn. 40). Es ist somit eine Gefahrenprognose erforderlich. Ferner ist für die Prüfung der Erheblichkeit des drohenden Schadens nicht von einem rein wirtschaftlich-monetären Schadensverständnis auszugehen. Denn die Regelung dient der Umsetzung von Art. 16 Abs. 1 b FFH-Richtlinie, wonach Ausnahmen unter anderem vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum zugelassen werden können. Die Richtlinie trägt damit dem grundrechtlichen Schutz des Privateigentums im Unionsrecht Rechnung, so dass für § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG entsprechendes zu gelten hat (Senatsbeschl. v. 22.2.2019, a. a. O., m. w. N.).

Die Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigen die Prognose, dass die beiden Wölfe bei ungehindertem Geschehensfortgang jeweils in naher Zukunft eine größere Zahl von Schafen aus den Herden des Beigeladenen reißen und ihm somit einen erheblichen Eigentumsschaden zufügen werden.

Gemäß der in der Begründung des Bescheides enthaltenen Risstabelle war der Wolfsrüde in der kurzen Zeitspanne zwischen dem 1. März und dem 19. März 2020 an nicht weniger als vier Rissereignissen beteiligt, wobei allein beim letzten Vorfall 32 Schafe des Beigeladenen getötet oder verletzt worden sind. Das rechtfertigt ohne weiteres die Prognose, dass die Jagd auf eingezäunte Schafherden bei diesem Tier ein hinreichend erlerntes und gefestigtes Beuteverhalten darstellt und es diese auch künftig weiter praktizieren wird.

Entsprechendes gilt für die Fähe. Hinsichtlich dieses Tieres hat der Antragsgegner seine Gefahrenprognose zwar nur auf zwei Rissereignisse vom 17. August 2017 und vom 3. März 2020 gestützt. Trotz des großen zeitlichen Abstandes zwischen diesen beiden Vorfällen ist aber auch bei diesem Tier davon auszugehen, dass Schafsrisse ein gefestigtes Beuteverhalten darstellen. Dafür spricht nicht nur, dass dieses Tier gemäß der Risstabelle an einem weiteren Riss von zwei Schafen am 7. März 2020 beteiligt war, den der Antragsgegner nicht in seine Gefahrenprognose einbezogen hat, weil er von einem unzureichenden Herdenschutz ausgegangen ist (obwohl die Wolfsfähe bei diesem Vorfall immerhin ein 90 cm hohes Elektronetz übersprungen hat). Hinzu kommt, dass die Risstabelle für das erste Quartal 2020 eine Reihe von weiteren Rissvorfällen in den Herden des Beigeladenen aufzählt, bei denen entweder keine Identifizierung des verantwortlichen Wolfstiers möglich war, bei denen nur andere Tiere aus dem Wolfsrudel der Fähe identifiziert werden konnten oder die noch in Bearbeitung sind. Der Senat sieht es als naheliegend an, dass die Fähe als eines der beiden Elterntiere ihres Rudels an diesen Vorfällen zumindest zum Teil beteiligt war, auch wenn hierfür ein eindeutiger Nachweis fehlt.

Soweit die Antragstellerin infrage stellt, dass der Beigeladene ausreichende Vorkehrungen zum Schutz seiner Schafherden getroffen habe, wird hierdurch die Gefahrenprognose nicht entkräftet. Aus der Risstabelle in dem Bescheid ergibt sich, dass sowohl der Rüde als auch die Fähe bei den ihnen zugeordneten Rissereignissen jeweils stromführende Zäune überwunden haben, die im Fall der Fähe zwischen 90 und 120 cm und im Fall des Rüden zwischen 90 und 108 cm hoch waren. Dies rechtfertigt aus Sicht des Senats die Annahme, dass bei diesen Tieren das Überwinden derartiger Schutzzäune zum erlernten und gefestigten Jagdverhalten gehört. Darüber hinausgehende Anforderungen an den Herdenschutz sind im Rahmen der Gefahrenprognose nicht zu stellen. Diesbezügliche Fragen stellen sich erst bei der Prüfung, ob es im Sinne von § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG zumutbare Alternativen zur Tötung der beiden Tiere gibt. Ob die bisherigen Schutzmaßnahmen des Beigeladenen die Voraussetzungen erfüllen, unter denen das Land Niedersachsen Billigkeitsregelungen zum Ausgleich von Schafsrissen zahlt, ist für die Gefahrenprognose ebenfalls nicht von entscheidender Bedeutung.

Schließlich spricht für die Prognose, dass es ohne eine Tötung der beiden Wölfe zu weiteren erheblichen Rissschäden kommen wird, dass Wölfe Rudeltiere sind, für die soziales Lernen eine große Rolle spielt. Es besteht daher die Möglichkeit, dass die beiden Elterntiere in ihrem jeweiligen Rudel ihr erlerntes und gefestigtes Beuteverhalten an jüngere Tiere weitergeben. Es gibt Indizien dafür, dass dieser Prozess zum Teil bereits eingesetzt hat. So sind etwa für den Rissvorfall am 18. März 2020 neben dem Wolfsrüden noch zwei weitere Wölfe identifiziert worden.

Ist somit die Annahme gerechtfertigt, dass das Eindringen in eingezäunte Schafherden ein erlerntes und gefestigtes Jagdverhalten der beiden Wölfe darstellt, das diese beiden Tiere möglicherweise auch an ihre jeweiligen Nachkommen weitergeben, so stellt die Tötung der beiden Tiere ein geeignetes Mittel für die Abwendung des drohenden erheblichen Schadens dar. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass im Fall der Tötung der Fähe drohe, dass unerfahrene Jungtiere aus ihrem Rudel ohne „Führung“ zurückblieben, infolgedessen jede Scheu ablegen und vorrangig versuchen würden, bei Nutztieren leichte Beute zu machen, teilt der Senat diese Befürchtung schon deshalb nicht, weil die jungen Wölfe in diesem Fall durch das männliche Leittier weiter „geführt“ werden würden. Eine Tötung des männlichen Leittieres droht derzeit nicht, da der Senat aus Gründen, die unten näher ausgeführt werden, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich derjenigen Nebenbestimmungen des Bescheides wiederhergestellt hat, die eine Tötung weiterer Rudelmitglieder zulassen.

Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG darf eine Ausnahme unter anderem von dem artenschutzrechtlichen Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind. Zumutbare Alternativen, die in gleicher Weise wie die Ausnahme von dem Tötungsverbot geeignet sind, den drohenden erheblichen Schaden abzuwenden, bestehen hier nicht. Der Senat teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass Vergrämungsmaßnahmen nicht erfolgversprechend sind. Auch das Einfangen der beiden Wölfe und ihre dauerhafte Haltung in einem Wildgehege ist nach der nachvollziehbaren Einschätzung des Antragsgegners kein geeignetes milderes Mittel, da davon auszugehen ist, dass freilebende Wölfe sich an ein Leben in Gefangenschaft nicht anpassen können. Im Hinblick darauf, dass wegen der hohen Frequenz der Rissereignisse im ersten Quartal 2020 zügiges Handeln zur Abwehr des drohenden Schadens geboten ist, wäre die Anschaffung weiterer Herdenschutzhunde durch den Beigeladenen ebenfalls keine gleich geeignete Alternative, da sie vor dem Einsatz zum Herdenschutz zunächst zeitaufwendig ausgebildet werden müssten.

Schließlich sieht der Senat in einer Verbesserung der Einzäunung der Schafe durch den Beigeladenen ebenfalls keine gleich geeignete Alternative zu der Ausnahmegenehmigung für die Tötung der Wölfe. Das Bundesamt für Naturschutz und die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf empfehlen zwar für einen optimalen Herdenschutz von Schafen und Ziegen elektrische Zäune mit einer Spannung über die gesamte Zaunlänge von mindestens 2.500 V und mindestens 120 cm Höhe (Empfehlungen zum Schutz von Weidetieren und Gehegewild vor dem Wolf, BfN-Skripten 530, 2019, S. 7 f.), während der Beigeladene bei den in der Risstabelle aufgeführten Vorfällen im ersten Quartal 2020 nur Elektronetze mit einer Höhe zwischen 90 und 110 cm im Einsatz hatte. Im Hinblick darauf, dass der Wolfsrüde gemäß der Risstabelle bereits zweimal 107 bzw. 108 cm hohe Elektronetze und die Fähe einmal ein 110 cm hohes Flexinetz und im August 2017 bereits einmal ein 120 cm hohes Flexinetz mit Flatterband übersprungen haben, sieht der Senat bei einer durchgängigen Erhöhung der eingesetzten Elektrozäune auf 120 cm aber keine ausreichende Gewähr dafür, dass die beiden Wölfe entsprechend optimierte Einzäunungen künftig nicht mehr für die Jagd auf Schafe überspringen werden. Eine Erhöhung der Spannung der stromführenden Zäune sieht der Senat aufgrund der in dem Bescheid beschriebenen praktischen Probleme hinsichtlich der Erdung ebenfalls nicht als gleich geeignete Alternative an. Offenbleiben kann daher, ob dem Beigeladenen, der mehrere Schafherden in Wanderhaltung hält und daher täglich neue Einzäunungen setzen muss, der Zeit- und Kostenaufwand für die Optimierung der Einzäunungen zugemutet werden könnte.

Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG darf eine Ausnahme von den Verboten des § 44 BNatSchG ferner nur dann zugelassen werden, wenn sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert. Da sich die Wolfspopulationen in Deutschland derzeit jährlich um durchschnittlich ein Drittel vergrößern und diese positive Entwicklung gerade auch in Niedersachsen zu verzeichnen ist, wäre aus Sicht des Senats die Annahme fernliegend, dass die Tötung von lediglich zwei erwachsenen Wölfen sich negativ auf den Erhaltungszustand der Wolfspopulationen auswirken könnte (vgl. dazu auch den Senatsbeschl. v. 22.2.2019 - 4 ME 48/19 -).

Eine fehlerhafte Ausübung des von § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG eröffneten Ermessens vermag der Senat hinsichtlich der Genehmigung zur Tötung der beiden Wölfe ebenfalls nicht zu erkennen. Insbesondere ist die Maßnahme auch verhältnismäßig, soweit sie die Fähe betrifft. Einer Gefährdung von ohne Muttertier noch nicht überlebensfähigen Welpen hat der Antragsgegner dadurch ausreichend vorgebeugt, dass er in dem Ergänzungsbescheid vom 8. April 2020 die Entnahme einer laktierenden (säugenden) Fähe ausdrücklich ausgeschlossen hat. Dies sieht der Senat als genügend zum Schutz von Welpen an. Da sich im Wolfsrudel an der Aufzucht der Jungtiere beide Elternteile sowie auch ältere, nicht geschlechtsreife Jungtiere vom Vorjahr beteiligen (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz, Der Wolf in Niedersachsen – „Wolfskonzept Niedersachsen“, S. 15), geht der Senat davon aus, dass Welpen, die nicht mehr gesäugt werden, im Fall der Tötung der Fähe von dem Leitrüden und den Jungtieren des Rudels ausreichend versorgt werden würden.

Weitergehende Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der erteilten Ausnahmegenehmigung ergeben sich auch nicht, soweit ein weiterer Naturschutzverein, der Antragsteller und Beschwerdeführer in der parallelen Beschwerdesache 4 ME 116/20 ist, vorgetragen hat, dass es sich bei den von der Genehmigung betroffenen Territorien in der Südheide wegen ihrer Eigenschaft als Habitat für die gemäß Anhang II der FFH-Richtlinie prioritäre Art des Wolfs (Canis lupus) um „potentielle FFH-Gebiete“ (vgl. zu dieser Rechtsfigur Gellermann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 92. EL 2020, vor § 31 BNatSchG Rn. 18 ff.) handele. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gebietet es das Schutzregime der FFH-Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten in Gebieten, die sie der Kommission gemäß Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie gemeldet haben und die noch nicht in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen worden sind, keine Eingriffe zulassen, die die ökologischen Merkmale des Gebietes ernsthaft beeinträchtigen könnten. Dies gilt insbesondere u. a. dann, wenn ein Eingriff zum Verschwinden von in diesem Gebiet vorkommenden prioritären Arten führen könnte (EuGH, Urt. v. 14.9.2006 - C-244/05 -, Rn. 46 f.). Für ein potentielles FFH-Gebiet, das ein Habitat einer prioritären Art ist und von dem Mitgliedstaat anhand der in Anhang III der FFH-Richtlinie aufgeführten Kriterien der Kommission hätte gemeldet werden müssen, aber nicht gemeldet worden ist, können jedenfalls keine weitergehenden Anforderungen gelten. Demnach lässt sich hier ein Verstoß gegen die FFH-Richtlinie auch dann nicht feststellen, wenn man der Auffassung folgt, dass es sich bei den in Rede stehenden Territorien um potentielle FFH-Gebiete handelt. Denn es ist ersichtlich, dass die Genehmigung zur Tötung von zwei Wölfen die ökologischen Merkmale der Gebiete nicht ernsthaft beeinträchtigen könnte und dort insbesondere nicht zum Verschwinden der prioritären Art des Wolfes führen wird.

Erweist sich somit nach summarischer Prüfung die Ausnahmegenehmigung zur Tötung der beiden Wölfe als rechtmäßig, so besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Bescheides, da aufgrund der gehäuften Rissvorfälle im ersten Quartal 2020 zur Abwehr erheblichen weiteren Schadens für den Schafhaltungsbetrieb des Beigeladenen schnelles Handeln erforderlich ist.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hingegen begründet, soweit er sich gegen die Nebenbestimmungen Nr. 3 und 4 des Bescheides vom 4. April 2020 richtet, in denen geregelt ist, dass eine Identifizierung der beiden zu tötenden Wölfe auch über einen engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in Anknüpfung an die den Individuen jeweils zugeordneten Rissereignisse erfolgen kann und dass nach einer so erfolgten Entnahme unter bestimmten Voraussetzungen noch weitere Wölfe getötet werden dürfen. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt gegenüber dem Vollzugsinteresse hinsichtlich dieser Regelungen, weil sie nach summarischer Prüfung rechtswidrig sind.

Gestützt hat der Antragsgegner diese Nebenbestimmungen auf die am 13. März 2020 in Kraft getretene Regelung des § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG, wonach im Umgang mit dem Wolf § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG mit der Maßgabe gilt, dass, wenn Schäden bei Nutztierrissen keinem bestimmten Wolf eines Rudels zugeordnet worden sind, der Abschuss von einzelnen Mitgliedern des Wolfsrudels in engem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen auch ohne Zuordnung der Schäden zu einem bestimmten Einzeltier bis zum Ausbleiben von Schäden fortgeführt werden darf.

Das Verwaltungsgericht ist in einem obiter dictum davon ausgegangen, dass diese Vorschrift im vorliegenden Fall nicht einschlägig ist, da sie nach ihrem Wortlaut nur den Fall regelt, dass bereits eingetretene Rissereignisse einem bestimmten einzelnen Wolf nicht zugeordnet werden konnten, während hier den beiden Wölfen, deren Tötung die Ausnahmegenehmigung in erster Linie dient, sehr wohl jeweils mehrere Rissvorfälle zugerechnet werden konnten. Allerdings soll die Regelung nach der amtlichen Begründung des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs auch den Fall erfassen, dass einem oder mehreren Wölfen Nutztierrisse eindeutig genetisch zugeordnet werden können, sich eine gezielte Tötung aber schwierig gestaltet, weil der jeweilige Wolf wegen des Fehlens besonderer, leicht erkennbarer äußerer Merkmale (zum Beispiel eine besondere Fellzeichnung) nicht in der Landschaft erkannt und von anderen Wolfsindividuen unterschieden werden könne (vgl. BT-Drs. 19/10899, S. 10). Das ist die Konstellation, auf die die hier in Rede stehenden Nebenbestimmungen abzielen. Ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen ist, dass der eindeutige Wortlaut der Norm eine erweiternde Auslegung im Sinne der Gesetzesbegründung nicht zulässt, lässt der Senat im Ergebnis offen. Er weist in diesem Zusammenhang aber darauf hin, dass gemäß Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB der mögliche Wortsinn des Gesetzes nur bei Strafnormen eine absolute Auslegungsgrenze darstellt (vgl. dazu nur Nolte/Aust in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 103 Rn. 158 ff.). Die Auslegungsfrage kann aber dahinstehen. Denn auch bei einer erweiternden Auslegung stehen die beiden Nebenbestimmungen nicht mit § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG in Einklang.

Die Norm erlaubt den Abschuss von einzelnen Mitgliedern des Wolfsrudels nur in einem sowohl räumlich als auch zeitlich engen Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass, wenn nicht mit absoluter Sicherheit, so doch zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit derjenige Wolf getötet wird, der für die Nutztierrisse auch verantwortlich ist. Entsprechend ist es Aufgabe der Naturschutzbehörde, sowohl den zeitlichen als auch den räumlichen Zusammenhang so zu bestimmen, dass eine entsprechende Prognose fachlich gerechtfertigt ist. Hieran fehlt es jedoch hinsichtlich der erforderlichen Bestimmung des engen zeitlichen Zusammenhangs. Sowohl in der Nebenbestimmung Nr. 3 als auch in Nr. 4 hat der Antragsgegner eine Identifizierung und Tötung von einzelnen Wolfsindividuen aufgrund des engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs zu vorangegangenen Rissereignissen erlaubt, ohne allerdings den engen zeitlichen Zusammenhang näher zu konkretisieren. Dies hat er nur hinsichtlich des engen räumlichen Zusammenhangs getan, den er auf das Gebiet der Gemeinden F., G. und H. in einem Radius von 500 m um die Schafhaltungen begrenzt hat.

Bei summarischer Prüfung vermag der Senat auch in der Befristung sämtlicher Regelungen des am 4. April 2020 ergangenen Bescheides auf die Zeit bis zum 30. Juni 2020 keine rechtmäßige Entscheidung über den von § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG geforderten engen zeitlichen Zusammenhang zu sehen. Im Anwendungsbereich von Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie, dessen Anforderungen die Auslegung sowohl von §§ 45 Abs. 7 Satz 1 als auch von § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG genügen muss, ist die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung rechtswidrig, wenn die zuständige Behörde nicht anhand fundierter wissenschaftlicher Daten nachzuweisen vermag, dass die Ausnahmegenehmigung geeignet und erforderlich ist, um das damit verfolgte Ziel – hier die Abwendung von erheblichen Nutztierschäden auf Seiten des Beigeladenen – zu erreichen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.10.2019 - C-674/17 - Rn. 80). Jedenfalls an einem derartigen Nachweis fehlt es hier, zumal sich dem Bescheid keine Begründung dafür entnehmen lässt, dass und aus welchen naturschutzfachlichen Erwägungen der von § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG geforderte enge zeitliche Zusammenhang sich über einen Zeitraum von etwa drei Monaten erstreckt und innerhalb des so gewählten Zeitraums noch die Prognose gerechtfertigt ist, dass ein Wolf, der sich in den 500 m-Radius rund um die Schafhaltungen des Beigeladenen bewegt, zu den Verursachern der in der Risstabelle des Bescheides aufgeführten Schafsrisse zählt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da er keine Anträge gestellt und sich im gerichtlichen Verfahren daher keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG und orientiert sich an den Ziffern 1.2 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Der Senat setzt für jede der beiden Ausnahmegenehmigungen einen Wert von 15.000 EUR an, die gemäß § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen sind. Eine Halbierung des Streitwerts ist nicht vorzunehmen, da die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hauptsache vorwegnimmt, was der Senat in seiner Streitwertfestsetzung im Beschluss vom 22. Februar 2019 (4 ME 48/19) nicht berücksichtigt hatte.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).