OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24.10.2006 - 26 Sch 6/06
Fundstelle
openJur 2012, 28054
  • Rkr:

Zur Auslegung einer Schiedsgerichtsklausel, nach der sich das Schiedsverfahren nach den ICC-Regeln Brüssel richten soll

Tenor

Es wird festgestellt, dass das schiedsrichterliche Verfahren der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin nach den ICC-Regeln, Schiedsort Brüssel (Anspruch aus dem „International Career Service Agreement“ vom Oktober 2003), zulässig ist.

Der Antrag der Antragsgegnerin wird als unzulässig zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Gegenstandswert: 207.845,36 €

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Auslegung einer Schiedsklausel.

Die Parteien schlossen im Oktober 2003 eine Vereinbarung über die Erbringung von Kommunikationsdienstleistungen („International Career Service Agreement“). Dieser von der Antragstellerin vorgegebene Vertrag enthält in § 16 eine Schiedsklausel, die in etwa folgenden deutschen Wortlaut hat:

„Jede Streitigkeit aus und in Verbindung mit der Vereinbarung soll zunächst gütlich zwischen den Parteien beigelegt werden. Sollte eine gütliche Einigung nicht zustande kommen, soll ein Schiedsverfahren gemäß der Schiedsregeln des ICC Brüssel oder ihrer Nachfolgeorganisation entschieden werden. Der Schiedsspruch ist bindend. Schiedsort soll Brüssel, Belgien sein.“

In Nummer 26 der Vereinbarung ist geregelt, dass der Vertrag belgischem Recht unterliegt und nach diesem ausgelegt werden muss.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es keine Brüsseler Schiedsregeln gibt. Die Antragstellerin ist deshalb der Auffassung, eine Auslegung der fraglichen Klausel auch nach belgischem Recht ergebe, dass die Parteien die Geltung der Schiedsregeln des ICC Paris gewollt hätten. Sie beruft sich zum Inhalt der maßgeblichen Auslegungsvorschriften des belgischen Rechts auf Stellungnahmen des Brüsseler Büros ihrer Verfahrensbevollmächtigten, die sie in Übersetzung vorgelegt hat. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf Bl. 56 ff d.A. verwiesen. Die Antragstellerin beantragt, festzustellen, dass das schiedsrichterliche Verfahren der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin nach den ICC-Regeln, Schiedsort Brüssel (Anspruch aus dem „International Career Service Agreement“ vom Oktober 2003) zulässig ist.

Die Antragsgegnerin beantragt, 1. den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen;2. festzustellen, dass das schiedsrichterliche Verfahren der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin nach den ICC-Regeln, Schiedsort Brüssel (Anspruch aus dem „International Career Service Agreement“ vom Oktober 2003) unzulässig ist.

Die Antragstellerin beantragt, den Antrag des Antragsgegners als unzulässig zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, eine Auslegung der Klausel ergebe nicht eindeutig, dass die Parteien die Schiedsordnung des ICC Paris vereinbaren wollten. Verbleibende Zweifel gingen aber zu Lasten der Antragstellerin, so dass nicht von einer wirksamen Schiedsvereinbarung auszugehen sei.

Hinsichtlich des Sachvortrages der Parteien im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 02.05.2006 (Bl. 1 ff d.A.), 10.08.2006 (Bl. 32 ff d.A.), 19.09.2006 (Bl. 47 f d.A.) und 06.10.2006 (Bl. 54 ff d.A.) sowie auf die Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 21.07.2006 (Bl. 27 ff d.A.) und 06.09.2006 (Bl. 44 ff d.A.), jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.

II. Der Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens ist zulässig (§ 1032 Abs. 2 ZPO). Die Zuständigkeit des Senats ergibt sich aus §§ 1032 Abs. 2, 1062 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO; die Antragsgegnerin hat ihren Sitz in Hessen.

Der Antrag ist auch begründet. Die Parteien haben in Ziffer 16 des „International Career Service Agreement“ wirksam vereinbart, dass Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis in einem Schiedsverfahren nach den Regeln des ICC Paris auszutragen sind. Auch unter Zugrundelegung belgischen Rechts (Art. 4 Abs. 1, 27 Abs. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), dessen Anwendung die Parteien in Ziffer 26 des Vertrages vereinbart haben, ist die fragliche Klausel in dem vorstehend genannten Sinn auszulegen.

Der Senat geht davon aus, dass die Auslegung von Vertragsklauseln, die Schiedsvereinbarungen zum Gegenstand haben, nach belgischem Recht in vergleichbarer Weise vorzunehmen ist, wie nach deutschem Recht. Nach § 293 ZPO hat das zur Anwendung ausländischen Rechts berufene deutsche Gericht die maßgeblichen Rechtsvorschriften des anderen Staates von Amts wegen zu ermitteln. Dabei steht es in seinem pflichtgemäßen Ermessen, wie es dieser Verpflichtung nachkommen will. Es ist insbesondere nicht gehindert, die Parteien insoweit zur Mitwirkung aufzufordern und von ihnen vorgelegte Auskünfte und Stellungnahmen zu verwerten. Insoweit bedarf es nicht zwingend der Einholung eines Rechtsgutachtens, wenn die maßgeblichen Rechtsnormen und Rechtsgrundsätze auf andere Weise ermittelt werden können, insbesondere wenn sie von den Parteien dargelegt werden (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 25. Aufl., § 293 Rz. 15 ff).

So liegt der Fall auch hier. Die Antragstellerin hat den Inhalt der für die Auslegung der fraglichen Klausel heranzuziehenden Rechtsvorschriften und die bei der Auslegung nach belgischem Recht zu berücksichtigenden Grundsätze vorgetragen. Den Inhalt dieser Regelungen hat die Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt, sie wendet sich lediglich gegen das von der Antragstellerin auf dieser Grundlage vertretene Auslegungsergebnis.

Nach Artikel 1677 der belgischen Zivilprozessordnung ist eine Schiedsvereinbarung durch ein schriftliches, von den Parteien unterzeichnetes Instrument oder durch andere Dokumente, die für die Parteien verbindlich sind und ihre Absicht, ein Schiedsgericht anzurufen, widerspiegeln, zu errichten. In Rechtsprechung und Literatur in Belgien ist insoweit anerkannt, dass eine Schiedsklausel soweit wie möglich für wirksam erachtet werden soll, wenn der Wunsch der Parteien, Streitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, eindeutig festgestellt werden kann. Ist eine Schiedsklausel nicht eindeutig formuliert, richtet sich deren Auslegung nach den allgemeinen Vorschriften des belgischen Zivilgesetzbuches.

Nach Artikel 1156 soll das Gericht bei der Auslegung einer Klausel, deren Wortlaut nicht eindeutig ist, losgelöst von diesem die gemeinsame Absicht der Parteien (also deren wirklichen Willen) erforschen. Wenn eine Vertragsbestimmung mehrdeutig ist, sollte das Gericht sich eher für die Bedeutung entscheiden, die der Bestimmung Wirkung verleihen würde, als für die Bedeutung, bei der das nicht der Fall wäre (Art. 1157). Schließlich sollen mehrdeutige Begriffe so ausgelegt werden, wie es am besten passt und am ehesten mit der logischsten Bedeutung, dem Gegenstand und/oder den anderen Bestimmungen des Vertrages in Einklang zu bringen ist. Damit ist für die Frage der Wirksamkeit einer Schiedsklausel nach belgischem Recht vergleichbar deutschen Rechtsgrundsätzen zunächst zu prüfen, ob sie überhaupt wirksam vereinbart wurde und im Übrigen ausreichend klar und bestimmt ist, insbesondere die geltende Schiedsordnung und das Schiedsgericht bestimmbar sind (vgl. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., Kap. 3 Rz. 1a). Dabei ist durch Auslegung der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen, wobei der internationalen Praxis entsprechend unklare Abreden generell möglichst großzügig zugunsten der Wirksamkeit von Schiedsabreden auszulegen sind (vgl. KG, BB 2000, Beil. 8 S. 13). Nur wenn gleichwohl Zweifel verbleiben, gehen diese bei Vereinbarung einer Schiedsklausel in AGB auch nach belgischem Recht zu Lasten des Verwenders (Art. 1162 des belgischen Zivilgesetzbuches).

Unter Anwendung dieser Grundsätze war im vorliegenden Fall von der Wirksamkeit der Schiedsklausel mit dem von der Antragstellerin intendierten Inhalt auszugehen.

Dass die Klausel losgelöst von der Frage der Bestimmtheit wirksam zwischen den Parteien vereinbart wurde, steht außer Streit. Insoweit hat auch die Antragsgegnerin keine Einwände erhoben.

Die Parteien haben in Ziffer 16 der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung eindeutig zum Ausdruck gebracht, sämtliche Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis in einem Schiedsverfahren klären zu wollen. Selbst wenn sie dabei nicht den genauen Wortlaut der Klausel gewählt haben, deren Verwendung die Internationale Handelskammer in Paris empfiehlt, lässt sich vorliegend gleichwohl der Wille der Parteien feststellen, vertragliche Streitigkeiten in einem Schiedsverfahren nach den Regeln der Internationalen Handelskammer Paris zu klären. Sie haben durch die verwendete Klausel kundgetan, eventuelle Streitigkeiten nach einer bestimmten Schiedsordnung vor einem Schiedsgericht auszutragen. Wenn die gewählte Formulierung eine solche Vorgehensweise aber ausschließt, weil es die von den Parteien bezeichnete Schiedsordnung nicht gibt, ist es geboten, im Wege der Auslegung nach einer Lösung zu suchen, die zumindest dem mutmaßlichen Willen der Parteien entspricht. Mit der Formulierung „ICC“ haben sie eine im internationalen Handelsverkehr übliche Abkürzung für die Internationale Handelskammer mit Sitz in Paris (International Chamber of Commerce) gewählt. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Parteien der Schiedsklausel einen anderen als den im grenzüberschreitenden Handel üblichen Inhalt beimessen wollten. Soweit die Antragsgegnerin verschiedene Institutionen bezeichnet, die mit der Abkürzung „ICC“ gemeint sein könnten, ist dies für die Auslegung nicht von Relevanz. Sie hat insoweit schon nicht konkret dargetan, dass sie bei Abschluss der Vereinbarung tatsächlich von der Zuständigkeit einer dieser Institutionen ausgegangen ist, die schon nach ihrem eigenen Vortrag keine Schiedsordnung herausgegeben haben und schiedsgerichtliche Verfahren im eigentlichen Sinne auch nicht durchführen, sondern beschränkt ihren Vortrag auf das Aufzählen denkbarer Auslegungsmöglichkeiten, ohne darzulegen, welche Vorstellung sie bei Abschluss des Vertrages hatte bzw. was nach ihrem Willen in Kenntnis der unzutreffenden Bezeichnung hätte gelten sollen. Auch der Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes in NJW 1983, 1267 ff rechtfertigt im vorliegenden Fall keine der Antragsgegnerin günstige Bewertung der Rechtslage, da dieser Entscheidung ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Die Parteien hatten dort eine Schiedsklausel vereinbart, nach der tatsächlich zwei ständige Schiedsgerichte in Betracht kamen, was vorliegend, wie dargelegt, nicht der Fall ist.

Unschädlich ist ferner, dass die Parteien als Schiedsort Brüssel angegeben haben. Dieser Teil der Klausel lässt sich nämlich unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des internationalen Handelsverkehrs und der Interessenlage der Parteien als Regelung über den Tagungsort verstehen, zumal der Internationale Schiedsgerichtshof den Ort der Durchführung des Schiedsverfahrens vorrangig nach den Festlegungen der Parteien bestimmt (vgl. Art. 12 der Vergleichs- und Schiedsgerichtsordnung der ICC).

Nach alldem war dem Begehren der Antragstellerin auf Feststellung der Zulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens stattzugeben; der auf die gegenteilige Feststellung gerichtete Antrag der Antragsgegnerin war hingegen schon mangels Rechtsschutzbedürfnisses zurückzuweisen. Dieser von der anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin ausdrücklich gestellte Antrag konnte ausweislich seines Wortlautes und der Begründung nicht lediglich als Antrag auf Zurückweisung des Begehrens der Antragstellerin verstanden werden, sondern beinhaltet ein eigenständiges Rechtsschutzverlangen, zumal § 1032 Abs. 2 ZPO ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, die Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens feststellen zu lassen. Nach dem die Antragstellerin jedoch zuerst die Feststellung der Zulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens begehrt hat, besteht für die Antragsgegnerin kein rechtlich schützenswertes Interesse mehr, gleichzeitig genau das Gegenteil geltend zu machen. Denn bereits im Fall der rechtskräftigen Abweisung der positiven Feststellungsklage steht für die Parteien bindend fest, dass ein schiedsrichterliches Verfahren nicht zulässig ist (vgl. grundsätzlich zu der Wirkung eines die positive Feststellungsklage abweisenden Urteils: Zöller-Vollkommer, § 322 Rz. 12).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; die Festsetzung des Gegen-standswertes beruht auf § 3 ZPO (1/5 des Hauptsachestreitwertes – vgl. insoweit KG, NJW 1967, 55).