LAG Köln, Beschluss vom 08.06.2020 - 9 Ta 57/20
Fundstelle
openJur 2020, 31808
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 Ca 2098/19

Der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen steht in einem Sicnon-Fall nicht entgegen, dass die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers sowohl in einem vorab geführten Statusverfahren als auch in einem weiteren Rechtsstreit der Parteien vor den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit verneint worden ist.

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen bejahenden Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 19.12.2019 - 1 Ca 2098/19 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

Gründe

I.

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Veranstaltungsbereich und bietet maßgefertigte Dienstleistungen mit Hard- und Softwarelösungen für Events, Meetings, Workshops und Trainings an. Sie beschäftigt nach Darlegung des Klägers mehr als zehn Arbeitnehmer.

Der Kläger war für die Beklagte in der Zeit vom 06.09.2017 bis zum 20.03.2018 als sog. Freelancer tätig. Er erhielt für seine Einsätze aufgrund mündlicher Vereinbarung eine pauschale Vergütung in Höhe von 250,00 € netto pro Tag, wenn für die jeweilige Veranstaltung mindestens zwei Mitarbeiter von der Beklagten eingesetzt wurden und in Höhe von 300,00 € netto pro Tag, wenn er den Einsatz alleine ausführte. Hinzu kam eine Reisevergütung für weiter entfernte Veranstaltungen in Höhe von jeweils 100,00 € netto. Für seine Einsätze reichte der Kläger bei der Beklagten Rechnungen ein, in denen die Umsatzsteuer ausgewiesen war.

Mit einem E-Mail-Schreiben vom 21.03.2018 stornierte die Beklagte zuvor mit dem Kläger vereinbarte Aufträge. Mündlich teilte sie ihm mit, dass man die weitere Zusammenarbeit beenden werde.

Seine vor dem Arbeitsgericht Siegburg erhobene Klage, mit welcher der Kläger die Feststellungen begehrte, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestehe und dass dieses Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 21.03.2018 aufgelöst werde, wies das Arbeitsgericht mit Urteil vom 14.08.2019 als unbegründet ab. Seine dagegen gerichtete Berufung wies das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 12.03.2020 zurück. Der Kläger beabsichtigt, gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde einzulegen.

Die Beklagte ihrerseits nimmt gegen den Kläger vor dem Landgericht Köln auf Unterlassung der Veröffentlichung einer Installations- und Bedienungsanleitung in Anspruch. Mit einem am 09.01.2019 verkündeten Beschluss erklärte das Landgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig, da es sich nicht um eine Streitigkeit aus einem Arbeitsverhältnis handele. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies das das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 16.05.2019 zurück.

Mit Schreiben vom 07.10.2019, das dem Kläger am 22.10.2019 zuging, sprach die Beklagte "allein aus Vorsichtsgründen, unter vollständiger Aufrechterhaltung ihrer Rechtsauffassung, dass nämlich eine freie Mitarbeit vorgelegen hat, und wegen unabsehbarer weiterer Verfahrensdauer ... die ordentliche Kündigung eines etwaigen, nach ihrer Auffassung jedoch ausdrücklich nicht bestehenden Arbeitsverhältnisses aus dringenden betrieblichen Gründen" aus.

Gegen diese Kündigung richtet sich die vorliegende, am 25.10.2019 bei dem Arbeitsgericht Siegburg eingereichte Klage, mit welcher der Kläger ua. die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis mangels sozialer Rechtfertigung durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde und weiterhin ungekündigt fortbesteht.

Auf die Rechtswegrüge der Beklagten hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg für den Kündigungsschutzantrag mit Beschluss vom 19.12.2019 für zulässig erklärt und dies damit begründet, dass es sich hierbei um einen sog. Sicnon-Antrag handele, der nur dann begründet sein könne, wenn die rechtlichen Beziehungen der Parteien als Arbeitsverhältnis anzusehen seien. In einem solchen Sicnon-Fall eröffne die bloße Rechtsansicht des Klägers, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen.

Der Beschluss ist der Beklagten am 14.02.2020 zugestellt worden. Mit ihrer am 28.01.2020 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen und dem Landesarbeitsgericht mit Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts vom 05.03.2020 vorgelegten sofortigen Beschwerde beruft sich die Beklagte im Wesentlichen darauf, dass das Nichtvorliegen eines Arbeitsverhältnisses sowohl durch das Oberlandesgericht Köln als auch durch das Landesarbeitsgericht Köln festgestellt worden sei. Angesichts dessen bestehe kein Raum mehr für die Annahme eines Sicnon-Falles.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist unbegründet. Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags für zulässig erklärt. Denn nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses.

1.) Zwar ist das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien streitig. Insoweit bedarf es jedoch für die Frage der Rechtswegzuständigkeit keiner näheren Aufklärung.

a) Denn der Kläger macht mit seinem Kündigungsschutzantrag die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung vom 07.10.2019 sowie den Fortbestand des seiner Auffassung nach weiter bestehenden Arbeitsverhältnisses geltend. Es handelt sich damit um einen Sicnon-Fall, bei dem der Vortrag des Klägers, er sei Arbeitnehmer, ausreicht, um den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zu eröffnen (BAG, Beschluss vom 26. Oktober 2012 - 10 AZB 60/12 -, Rn. 19 - 21, juris). Die für die Rechtswegzuständigkeit maßgeblichen Tatsachen sind bei einer solchen Fallgestaltung gleichzeitig Voraussetzung für die Begründetheit der Klage und in diesem Sinne doppelrelevant: Beantragt ein Kläger die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden sei, sondern fortbestehe, setzt dies voraus, dass zwischen den Parteien überhaupt ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Wird zudem die Kündigungsschutzklage, wie hier, ausschließlich mit der Sozialwidrigkeit nach dem Kündigungsschutzgesetz begründet, muss der Kläger ebenfalls Arbeitnehmer sein, damit dieses Gesetz Anwendung findet (näher zu dieser Sicnon-Fallgestaltung BAG, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 5 AZB 16/00 -, Rn. 14, juris; Schwab/Weth, 5. Aufl. 2018, § 2 ArbGG, Rn. 235).

b) Dass in Sicnon-Fällen die Rechtsansicht des Klägers als wahr zu unterstellen ist, führt zu einer beschleunigten endgültigen Erledigung des Rechtsstreits und wird den Interessen der Parteien regelmäßig am ehesten gerecht. Der Kläger erreicht die Prüfung der Berechtigung seiner Klage vor dem angerufenen Gericht auf seine bloße Rechtsansicht hin und riskiert damit die Abweisung seiner Klage als unbegründet. Bestreitet die Beklagte zu Recht das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, erlangt sie ein klageabweisendes Sachurteil, das der materiellen Rechtskraft fähig ist. Stellt sie das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zu Unrecht in Abrede, erleidet sie keinen Nachteil, wenn das Gericht zugleich die Zulässigkeit und die Begründetheit der Klage bejaht. In allen Fällen bleibt gewährleistet, dass die Richtigkeit der bestrittenen Tatsachen gerichtlich festgestellt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 - VIII ZB 42/08 -, BGHZ 183, 49-59, Rn. 14).

2.) Der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass Landgericht und Oberlandesgericht Köln in einem anderen Rechtsstreit der Parteien den Rechtsweg zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit der Begründung bejaht haben, zwischen den Parteien habe kein Arbeitsverhältnis bestanden. Denn bezüglich der Frage, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht oder nicht, entfalten die Beschlüsse keine materielle Rechtskraft. Ihre Bindungswirkung beschränkt sich allein auf die Rechtswegfrage. Das würde auch im umgekehrten Fall gelten: Hätten Landgericht und Oberlandesgericht Köln ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bejaht und den Rechtsstreit in die Arbeitsgerichtsbarkeit verwiesen, wäre das Arbeitsgericht nicht daran gehindert, etwa auf Grund einer anderen Rechtsauffassung oder wegen neuen, bewiesenen Sachvortrags, gleichwohl das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu verneinen (vgl. BAG, Beschluss vom 24. April 1996 - 5 AZB 25/95 -, BAGE 83, 40-52, Rn. 37).

3.) Auch die durch das Landesarbeitsgericht bestätigte Abweisung der Statusklage schließt die Eröffnung des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht aus. Denn die in den Sicnon-Fällen begründete Rechtswegzuständigkeit besteht unabhängig davon, ob zwischen den Parteien tatsächlich ein Arbeitsverhältnis besteht oder nicht. Die sich im Hinblick auf den Vorprozess stellende Frage ist demgemäß nur, ob der im vorliegenden Verfahren angekündigte Antrag, wie die Beklagte meint, wegen (partieller) Streitgegenstandsidentität gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig ist, oder ob er unbegründet ist, weil die vom Landesarbeitsgericht abgelehnte Qualifikation der Rechtsbeziehungen als Arbeitsverhältnis als Vorfrage des hier vorliegenden Rechtsstreits präjudiziell und bindend ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - I ZR 269/00 -, Rn. 22, juris; Zöller/Vollkommer, 33. Aufl. 2020, Vorbemerkungen zu § 322 ZPO, Rn. 17; Weißenfels, Streitgegenstand in arbeitsgerichtlichen Bestandsstreitigkeiten, BB 1996, 1326, 1329). Für beide Entscheidungen wäre jedenfalls das Arbeitsgericht Siegburg zuständig.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.

IV.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.