OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.06.2020 - 13 B 911/20.NE
Fundstelle
openJur 2020, 31737
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller lebt in T. I. -T1. im Kreis Gütersloh. Er wendet sich - räumlich beschränkt - gegen die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Regionen mit besonderem Infektionsgeschehen (Coronaregionalverordnung - CoronaRegioVO) vom 23. Juni 2020 (GV. NRW. S. 450a), geändert durch Verordnung vom 24. Juni 2020 (GV. NRW. S. 450b). Diese lautet auszugsweise wie folgt:

§ 1

Grundsätze, Geltungsbereich

(1) Aufgrund eines besonderen Infektionsgeschehens, das sich unter anderem durch eine Zahl von mehr als 50 Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100.000 Einwohner eines Kreises beziehungsweise einer kreisfreien Stadt innerhalb einer Woche auszeichnet, gelten in den nachfolgend genannten Gebieten die in den folgenden Vorschriften geregelten Abweichungen von den Regelungen der Coronaschutzverordnung vom 10. Juni 2020 (GV. NRW S. 382a).

(2) Diese Verordnung gilt bis auf Weiteres ausschließlich für das Gebiet der Kreise Gütersloh und Warendorf.

§ 2Verhaltenspflichten im öffentlichen Raum, Personengruppen

(1) Abweichend von § 1 Absatz 2 der Coronaschutzverordnung dürfen im Geltungsbereich dieser Verordnung mehrere Personen im öffentlichen Raum nur zusammentreffen, wenn es sich

1. ausschließlich um Verwandte in gerader Linie, Geschwister, Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner sowie in derselben häuslichen Gemeinschaft lebende Personen,

2. um nur zwei Personen,

3. um die Begleitung minderjähriger und unterstützungsbedürftiger Personen,

4. um zwingend notwendige Zusammenkünfte aus betreuungsrelevanten Gründen

handelt. Umgangsrechte sind uneingeschränkt zu beachten.

(2) Soweit Regelungen der Coronaschutzverordnung und der Anlage zur Coronaschutzverordnung auf die in § 1 Absatz 2 der Coronaschutzverordnung genannten Gruppen Bezug nehmen, sind dies im Geltungsbereich dieser Verordnung nur die in Absatz 1 genannten Gruppen.

§ 3

Unzulässigkeit von Angeboten, Tätigkeiten, Einrichtungen

und besonderen Zusammenkünften

Abweichend von den §§ 3 bis 15 der Coronaschutzverordnung sind im Geltungsbereich dieser Verordnung zusätzlich zu den bereits nach der Coronaschutzverordnung unzulässigen Angeboten, Tätigkeiten, Einrichtungen und besonderen Zusammenkünften unzulässig:

1. Konzerte und Aufführungen in geschlossenen Räumen von Theatern, Opern- und Konzerthäusern, Kinos und anderen öffentlichen oder privaten (Kultur-) Einrichtungen,

2. der Betrieb von Museen, Kunstausstellungen, Galerien, Schlössern, Burgen, Gedenkstätten und ähnlichen Einrichtungen, soweit er sich auf geschlossene Räume bezieht,

3. Sportangebote in geschlossenen Räumen einschließlich Fitnessstudios,

4. die Ausübung von Kontaktsportarten auch im Freien,

5. das Betreten von Sportanlagen durch Zuschauer,

6. der Betrieb von Bars und die Bewirtung an Theken in Gaststätten,

7. der Betrieb von Indoorspielplätzen,

8. der Betrieb von Hallenschwimmbädern, Saunen und vergleichbaren Wellnesseinrichtungen, auch in Verbindung mit Beherbergungsbetrieben,

9. der Betrieb von Spielhallen, Wettbüros und ähnlichen Einrichtungen,

10. das Picknicken und Grillen im öffentlichen Raum,

11. Versammlungen und Veranstaltungen, die nicht der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Daseinsfür- und -vorsorge (insbesondere politische Veranstaltungen von Parteien, Aufstellungsversammlungen zu Wahlen und Vorbereitungsversammlungen dazu, Zeugnisübergaben sowie Blutspendetermine) zu dienen bestimmt sind oder bei denen es sich nicht um Sitzungen von rechtlich vorgesehenen Gremien öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Institutionen, Gesellschaften, Gemeinschaften, Parteien oder Vereine oder um Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz handelt,

12. Feste im Sinne des § 13 Absatz 5 und 5a der Coronaschutzverordnung,

13. Reisebusreisen und sonstige Gruppenreisen mit Bussen, wenn nicht die Voraussetzungen der Sätze 2 bis 4 bis gegeben sind,

14. Tagesausflüge, Ferienfreizeiten, Stadtranderholungen und Ferienreisen für Kinder und Jugendliche, sofern die örtlich zuständige untere Gesundheitsbehörde diese nicht ausdrücklich genehmigt hat; dabei kann auch eine vorherige Testung der Teilnehmenden auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zur Bedingung gemacht werden.

Reisebusreisen und sonstige Gruppenreisen mit Bussen im Sinne von Satz 1 Nummer 13 sind unter den Maßgaben der Coronaschutzverordnung zulässig, wenn für alle Teilnehmer ein ärztliches Zeugnis vorliegt, welches bestätigt, dass keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorhanden sind. Das ärztliche Zeugnis muss sich auf eine molekularbiologische Testung auf das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 stützen, die höchstens 48 Stunden vor Antritt der Reise vorgenommen worden ist. Das ärztliche Zeugnis ist während der Reise mitzuführen.

Der Antragsteller hat am 24. Juni 2020 einen Normenkontrollantrag (13 D 110/20.NE) gestellt und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Die mit der Coronaregionalverordnung normierten Beschränkungen stellten einen Verstoß gegen sein Grundrecht auf Freizügigkeit und das Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit dar. Er werde daran gehindert, sich in der Öffentlichkeit mit Freunden, Nachbarn und Bekannten zu treffen oder gemeinsam mit diesen eine gastronomische Einrichtung aufzusuchen. Zudem sei er Mitglied eines Fitnessstudios in T. I. -T1. und könne dieses wegen der vorübergehenden Schließung nicht nutzen. Er gehe überdies davon aus, dass seine Urlaubsbuchungen in Thüringen und Österreich im Juli 2020 storniert würden, weil er nunmehr Bewohner eines "Risikogebietes" sei. Die Maßnahmen seien unverhältnismäßig. Die Verordnung sei räumlich zu weit gefasst, weil in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden Versmold, Borgholzhausen, Werther, Halle (Westf.), Steinhagen und Schloß Holte-Stukenbrock nur äußerst geringe Infektionszahlen festgestellt worden seien und dort nur wenige oder gar keine Beschäftigten der Tönnies-Betriebe mit ihren Familien lebten. Ferner sei dem seuchenrechtlichen Effektivitätsgedanken bereits durch die Allgemeinverfügung des Kreises Gütersloh hinreichend Rechnung getragen, mit der gegenüber allen auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies tätigen Personen sowie deren Mitbewohnern eine Quarantäneanordnung erlassen worden sei. Es sei auch nicht gerechtfertigt, dass in den Bundesländern Bayern und Mecklenburg-Vorpommern für alle Einwohner des Kreises Gütersloh ein Einreiseverbot ausgesprochen worden sei. Er werde durch die Maßnahmen stigmatisiert. Schließlich verletzten die Regelungen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, auch die kreisangehörigen Städte mit geringen Infektionszahlen in den Geltungsbereich der Verordnung einzubeziehen.

Der Antragsteller beantragt,

die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Regionen mit besonderem Infektionsgeschehen (Coronaregionalverordnung - CoronaRegioVO) hinsichtlich der im Kreis Gütersloh gelegenen Städte und Gemeinden Versmold, Borgholzhausen, Werther, Halle (Westfalen), Steinhagen und Schloß Holte-Stukenbrock außer Vollzug zu setzen,

hilfsweise,

die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Regionen mit besonderem Infektionsgeschehen (Coronaregionalverordnung - CoronaRegioVO) hinsichtlich der im Kreis Gütersloh gelegenen Stadt T. I. -T1. außer Vollzug zu setzen.

Wegen der Dringlichkeit einer Entscheidung hat der Senat davon abgesehen, eine Stellungnahme des Antragsgegners einzuholen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller begehrt die teilweise, nämlich räumlich auf sechs im Kreis Gütersloh (vgl. § 1 Abs. 2 CoronaRegioVO) gelegene Städte und Gemeinden beschränkte, vorläufige Außervollzugsetzung der Coronaregionalverordnung. Dabei handelt es sich entgegen der von ihm gewählten Fassung der gestellten Anträge um ein einheitliches Antragsbegehren, da der "Hilfsantrag" bereits vollständig in dem "Hauptantrag" enthalten ist.

Der so verstandene Antrag ist bereits zu einem großen Teil unzulässig (1.). Soweit der Antrag zulässig ist (2.), ist er unbegründet (3.).

1. Dem Antragsteller fehlt es bereits weitgehend an der nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderlichen Antragsbefugnis. Nach dieser Vorschrift kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zur Darlegung der Antragsbefugnis ist erforderlich, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die angegriffene Rechtsvorschrift bzw. deren Anwendung in einer eigenen Rechtsposition verletzt wird.

Vgl. dazu z. B. BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 3 BN 2.18 -, juris, Rn. 11; Senatsbeschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 28.

Auch wenn es sich bei der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und dem zugehörigen Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO um objektive Beanstandungsverfahren handelt, die für einen Erfolg in der Begründetheit eine auf der Rechtswidrigkeit der zu überprüfenden Norm beruhende Verletzung in eigenen Rechten nicht zwingend voraussetzen, handelt sich bei diesen Rechtsbehelfen nicht etwa um einen "Popularantrag". Dort, wo der Rechtsbehelfsführer von einer Norm ersichtlich nicht betroffen wird - etwa weil sich diese an einen ganz anderen Adressatenkreis wendet, dessen Lebensverhältnisse sie regelt - fehlt die Antragsbefugnis.

Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 22. Mai 2020 - 13 MN 158/20 -, juris, Rn. 8; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23. April 2020 - 1 S 1046/20 -, juris, Rn. 4; Giesberts, in: BeckOK, VwGO, 53. Edition, Stand: 01.01.2020, § 47 Rn. 37; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 47 Rn. 40.

Nach dieser Maßgabe fehlt dem Antragsteller die Antragsbefugnis, soweit er sich gegen Bestimmungen der Coronaregionalverordnung wendet, die für Lebensbereiche gelten, zu deren Tätigkeit oder Einrichtungen er erkennbar keinerlei Bezug aufgezeigt hat.

Dies gilt etwa, soweit er sich gegen die Untersagung von

- Tagesausflügen, Ferienfreizeiten, Stadtranderholungen oder Ferienreisen für Kinder- und Jugendliche (§ 3 Satz 1 Nr. 14 CoronaRegioVO),

- Indoorspielplätzen (§ 3 Satz 1 Nr. 7 CoronaRegioVO) und

- durch Schulabgangsklassen oder -jahrgänge organisierte Feste i. S. d. § 13 Abs. 5a CoronaSchVO i. V. m. § 3 Satz 1 Nr. 12 Var. 2 CoronaRegioVO

wendet.

Gleichermaßen ist nicht erkennbar, dass er im zeitlichen Geltungsbereich der Coronaregionalverordnung

- ein Fest aus einem herausragenden Anlass i. S. d. § 13 Abs. 5 CoronaSchVO i. V. m. § 3 Satz 1 Nr. 12 Var. 1 CoronaRegioVO geben oder an einem solchen teilnehmen möchte,

- eine Versammlung oder Veranstaltung nach § 3 Satz 1 Nr. 11 CoronaRegioVO abhalten oder an einer solchen teilnehmen möchte oder

- sich als Zuschauer auf eine Sportanlage begeben möchte (§ 3 Satz 1 Nr. 5 CoronaRegioVO).

Dass der Antragsteller neben den von ihm geplanten Urlauben im Juli 2020 aktuell eine Reisebusreise oder sonstige Gruppenreise mit Bussen anstrebt (§ 3 Satz 1 Nr. 13 CoronaRegioVO), ist ebenfalls nicht ansatzweise ersichtlich.

Schließlich hat er auch keine kurzfristige Betroffenheit durch den nunmehr verwehrten Zugang zu

- Konzerten und Aufführungen in geschlossenen Räumen von Theatern, Opern- und Konzerthäusern, Kinos und anderen öffentlichen oder privaten (Kultur-) Einrichtungen (§ 3 Satz 1 Nr. 1 CoronaRegioVO),

- Museen, Kunstausstellungen, Galerien, Schlössern, Burgen, Gedenkstätten und ähnlichen Einrichtungen, soweit sich der Betrieb auf geschlossene Räume bezieht (§ 3 Satz 1 Nr. 2 CoronaRegioVO),

- Hallenschwimmbädern, Saunen und vergleichbaren Wellnesseinrichtungen, auch in Verbindung mit Beherbergungsbetrieben (§ 3 Satz 1 Nr. 8 CoronaRegioVO) oder

- Spielhallen, Wettbüros und ähnlichen Einrichtungen (§ 3 Satz 1 Nr. 9 CoronaRegioVO)

behauptet.

Vgl. in diesem Zusammenhang auch Nds. OVG, Beschluss vom 22. Mai 2020 - 13 MN 158/20 -, juris, Rn. 9, 11; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23. April 2020 - 1 S 1046/20 -, juris, Rn. 9.

Dies wäre aber jedenfalls angesichts der kurzen Geltungsdauer der Coronaregionalverordnung, die bereits am 30. Juni 2020 wieder außer Kraft tritt (§ 5 CoronaRegioVO), geboten und auch möglich gewesen.

2. Der Antrag ist demgegenüber gemäß § 47 Abs. 6, Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 109a JustG NRW statthaft und auch im Übrigen zulässig, soweit der Antragsteller sich in seiner Eigenschaft als potenzieller Nachfrager gegen die in § 2 CoronaRegioVO normierten Kontaktbeschränkungen, das Grill- und Picknickverbot im öffentlichen Raum (§ 3 Satz 1 Nr. 10 CoronaRegioVO) sowie die Betriebsuntersagung für Bars und die Bewirtschaftung an Theken in Gaststätten (§ 3 Satz 1 Nr. 6 CoronaRegioVO) wendet. Gleiches gilt mit Blick auf die Untersagungsanordnung für Sportanlagen in geschlossenen Räumen einschließlich Fitnessstudios (§ 3 Satz 1 Nr. 3 CoronaRegioVO) und das Ausübungsverbot für Kontaktsportarten auch im Freien (§ 3 Satz 1 Nr. 4 CoronaRegioVO). Der Vortrag des Antragstellers lässt es zumindest als möglich erscheinen, dass diese Regelungen, soweit sie sich auf den Kreis Gütersloh beziehen, seine Grundrechte auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie - unter Berücksichtigung der abweichenden Regelungen der Coronaschutzverordnung - auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzen.

Soweit sich der Antragsteller darüber hinaus auf eine Verletzung von Art. 11 Abs. 1 GG beruft, ist darauf hinzuweisen, dass Freizügigkeit das Recht bedeutet, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Der eigenständige Schrankenvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG, der Beschränkungen nur aus besonders gewichtigen Anlässen erlaubt, indiziert, dass Art. 11 Abs. 1 GG nur Verhaltensweisen erfasst, die sich als Fortbewegung im Sinne eines Ortswechsels qualifizieren lassen und dadurch eine über die insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte körperliche Bewegungsfreiheit hinausgehende Bedeutung für die räumlich gebundene Gestaltung des alltäglichen Lebenskreises haben. Die grundgesetzlich geschützte Freizügigkeit ist mithin nicht im Sinne einer allgemeinen räumlichkörperlichen Bewegungsfreiheit zu verstehen.

Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. März 2008 - 1 BvR 1548/02 -, juris, Rn. 25, m. w. N.; siehe dazu auch OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 23. März 2020 - OVG 11 S 12/20 -, juris, Rn. 6.

Nach dieser Maßgabe ist weder nachvollziehbar vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Regelungen in der Coronaregionalverordnung den Antragsteller möglicherweise in seinem Recht auf Freizügigkeit beeinträchtigen.

3. Der danach zulässige Antrag ist unbegründet. Dies gilt im Übrigen auch, wenn man - anders als unter 1. ausgeführt - von einer weitergehenden Zulässigkeit ausgehen und dem Antragsteller wegen einer potenziellen Nachfragesituation in Bezug auf die in §§ 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 8 und 9 CoronaRegioVO benannten Kultur- und Freizeiteinrichtungen auch insoweit eine Antragsbefugnis zubilligen wollte. Die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung ist nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten (§ 47 Abs. 6 VwGO). Der Normenkontrollantrag in der Hauptsache bleibt voraussichtlich ohne Erfolg, weil sich die angegriffenen Regelungen in §§ 2, 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 8, 9, 10 CoronaRegioVO bei einer wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig erweisen (a.). Auch unter Berücksichtigung etwaig verbleibender Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung erscheint eine Außervollzugsetzung der streitgegenständlichen Normen nicht dringend geboten (b.).

Vgl. zu den Entscheidungsmaßstäben BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 - 4 VR 5.14 -, juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2019 - 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 32, und vom 26. August 2019 - 4 B 1019/19.NE -, juris, Rn. 12; Nds. OVG, Beschluss vom 17. Februar 2020 - 2 MN 379/19 -, juris, Rn. 24, m. w. N.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395.

a. Die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung - CoronaSchVO) vom 10. Juni 2020 (GV. NRW S. 382a), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (GV. NRW. S. 446) bestimmt in § 1 Abs. 2 Satz 1, dass mehrere Personen im öffentlichen Raum nur zusammentreffen dürfen, wenn es sich

- ausschließlich um Verwandte in gerader Linie, Geschwister, Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner (Nr. 1),

- ausschließlich um Personen aus maximal zwei verschiedenen häuslichen Gemeinschaften (Nr. 2),

- um die Begleitung minderjähriger und unterstützungsbedürftiger Personen (Nr. 3),

- um zwingend notwendige Zusammenkünfte aus betreuungsrelevanten Gründen (Nr. 4) oder

- in allen übrigen Fällen um eine Gruppe von höchstens zehn Personen (Nr. 5)

handelt. Überdies sind Umgangsrechte uneingeschränkt zu beachten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 CoronaSchVO). Zusammenkünfte im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4, Satz 2 Halbsatz 2 CoronaSchVO sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4, Satz 2 CoronaRegioVO auch im Kreis Gütersloh weiterhin zulässig. Abweichend von den Regelungen in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 5 CoronaSchVO sind im Übrigen aber nur noch Zusammenkünfte von in derselben häuslichen Gemeinschaft lebenden Personen (§ 2 Satz 1 Nr. 1 CoronaRegioVO) und Kleinstgruppen von zwei Personen (§ 2 Satz 1 Nr. 2 CoronaRegioVO) erlaubt. § 2 Abs. 1 Satz 1 CoronaRegioVO gilt auch bei Aktivitäten, für die nach der Coronaschutzverordnung die Kontaktbeschränkungen nach § 1 Abs. 2 CoronaSchVO gelten, § 2 Abs. 2 CoronaRegioVO. Überdies sieht § 3 CoronaRegioVO in Abweichung zu den Schutzmaßnahmen in der Coronaschutzverordnung weitreichendere Beschränkungen im Bereich der Kultur- und Freizeitaktivitäten vor.

Dies vorangestellt, erweisen sich §§ 2, 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 8, 9, 10 CoronaRegioVO voraussichtlich als rechtmäßig.

aa. Rechtsgrundlage für die vorgenannten Regelungen ist § 32 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020 (BGBl. I 587). Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können gemäß § 32 Satz 2 IfSG die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG kann die zuständige Behörde insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach Satz 2 der Regelung kann die Behörde unter den Voraussetzungen des Satz 1 unter anderem Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder Teile davon schließen.

bb. §§ 2, 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 8, 9, 10 CoronaRegioVO finden in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage.

Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris,

vgl. ferner Senatsbeschlüsse vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 46 ff., und vom 16. April 2020 - 13 B 452/20.NE -, juris, Rn. 33 ff., und - 13 B 471/20.NE -, juris, Rn. 34 ff.,

auf den er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, entschieden, dass die Verordnungsermächtigung hinsichtlich der Regelungen der Coronaschutzverordnung voraussichtlich den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt (juris, Rn. 37 ff.) und etwaige verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes jedenfalls im vorliegenden Pandemiefall nicht durchgreifen (juris, Rn. 50 ff.). Nichts anderes gilt für die Vorschriften in der Coronaregionalverordnung, die die Regelungen der Coronaschutzverordnung regional begrenzt wegen eines besonderen Infektionsgeschehens modifizieren.

cc. An der formellen Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschriften bestehen keine Bedenken. Die für den Kreis Gütersloh normierten Kontaktbeschränkungen sowie die weiteren Untersagungsanordnungen für bestimmte Kultur- und Freizeitaktivitäten erweisen sich voraussichtlich auch als materiell rechtmäßig.

Für die Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen ist es nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine übertragbare Krankheit aufgetreten ist, deren Weiterverbreitung verhindert werden soll. Das ist vorliegend der Fall, da in allen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, in Nordrhein-Westfalen und auch im Kreis Gütersloh eine Vielzahl von Infektionsfällen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 bestätigt wurden.

Vgl. Robert Koch-Institut, COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html, Stand: 28. Juni 2020, sowie Aktueller Lage-/Situationsbericht des RKI zu COVID-19, abrufbar unter: https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html?nn=13490888, Stand: 28. Juni 2020.

Die Kontaktbeschränkungen i. S. v. § 2 CoronaRegioVO sowie die in § 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 8, 9, 10 CoronaRegioVO normierten Untersagungsanordnungen für bestimmte Kultur- und Freizeitaktivitäten stellen auch Schutzmaßnahmen im Sinne von § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG dar.

Vgl. zu den Schutzmaßnahmen nach der Coronaschutzverordnung im Einzelnen z. B. die Senatsbeschlüsse vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, vom 6. Mai 2020 - 13 B 583/20.NE -, und vom 19. Mai 2020 - 13 B 557/20.NE -, sowie vom 10. Juni 2020 - 13 B 617/20.NE -, jeweils juris.

dd. Es spricht weiter Überwiegendes dafür, dass der Verordnungsgeber auf der Rechtsfolgenseite von dem ihm zukommenden Verordnungsermessen in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht hat, soweit er die Kontaktbeschränkungen und die Untersagungsanordnungen für Konzerte und Aufführungen in geschlossenen Räumen von Theatern, Opern- und Konzerthäusern, Kinos und anderen öffentlichen oder privaten (Kultur-)Einrichtungen, für Museen, Kunstausstellungen, Galerien, Schlösser, Burgen, Gedenkstätten und ähnliche Einrichtungen, soweit sie in geschlossenen Räumen betrieben werden, für Sportangebote in geschlossenen Räumen einschließlich Fitnessstudios, für die Ausübung von Kontaktsportarten auch im Freien, für Bars und die Bewirtung an Theken in Gaststätten, für Hallenschwimmbäder, Saunen und vergleichbare Wellnesseinrichtungen, auch in Verbindung mit Beherbergungsbetrieben, für Spielhallen, Wettbüros und ähnliche Einrichtungen sowie für das Picknicken und Grillen im öffentlichen Raum für den (gesamten) Kreis Gütersloh normiert hat.

(1) Unzweifelhaft können Schutzmaßnahmen nicht nur gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern (sog. "Störer") erlassen werden, sondern auch gegenüber der Allgemeinheit oder (sonstigen) Dritten (sog. "Nichtstörer"), wenn ein Tätigwerden allein gegenüber "Störern" eine effektive Gefahrenabwehr nicht gewährleistet, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris, Rn. 26, unter Hinweis auf BT-Drs. 8/2468, S. 27; Senatsbeschlüsse vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 70, sowie vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 82 ff.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 23. März 2020 - OVG 11 S 12/20 -, juris, Rn. 8; Nds. OVG, Beschluss vom 29. Mai 2020 - 13 MN 185/20 -, juris, Rn. 24.

So verhält es sich hier schon deshalb, weil aus tatsächlichen Gründen vielfach gar nicht klar ist, ob eine Person "Störer" oder "Nichtstörer" ist. Nach aktuellem Erkenntnisstand kann nämlich eine Übertragung des Virus durch eine infizierte Person schon bis zu drei Tage vor Symptombeginn oder auch bei einem asymptomatischen Verlauf der Erkrankung, den der Betroffene selbst gar nicht wahrgenommen hat, stattfinden. Es reicht mithin nicht aus, im Zusammenhang mit bevölkerungsbezogenen Maßnahmen, die darauf abzielen, infektionsrelevante soziale Kontakte zu unterbinden oder zumindest zu beschränken, allein "Störer" in die Pflicht zu nehmen.

Vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2020 - 13 B 539/20.NE -, juris, Rn. 30 f.; Rixen, Gesundheitsschutz in der Coronavirus-Krise - Die (Neu-)Regelungen des Infektionsschutzgesetzes, in: NJW 2020, 1097 (1101).

Überdies dürfte es gegenwärtig aufgrund der konkreten Situation im Kreis Gütersloh kaum möglich sein, den Personenkreis der Störer zu bestimmen. Eine solche Möglichkeit dürfte schon angesichts der Vielzahl der bei der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück beschäftigten Personen, bei denen eine Corona-Infektion festgestellt wurde,

Stand: 22. Juni 2010, 3:59 Uhr, 1.331 Infizierte, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/toenniescoronainfektionenguetersloh-105.html; Stand: 22. Juni 2020, 20:14 Uhr, mehr als 1.500 Infizierte, abrufbar unter: https://www.rnd.de/panorama/mehrals-1500-infiziertezahldercoronanachweisebeitonniesgestiegen-QUE6HVCJ5BXPQFL2DCENIVT NVY.html,

des Umstands, dass zahlreiche von ihnen verstreut im Kreisgebiet Gütersloh (und Warendorf) wohnen bzw. sich dort aufgehalten haben, sowie der unüberschaubaren Vielzahl risikobehafteter Kontaktmöglichkeiten in der Freizeit oder bei Besorgungen des täglichen Lebens ausscheiden.

(2) Auch Art und Umfang der hier in Rede stehenden Schutzmaßnahmen für den Kreis Gütersloh sind nicht erkennbar ermessensfehlerhaft. Die angegriffenen Regelungen in §§ 2, 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 8, 9, 10 CoronaRegioVO genügen voraussichtlich dem in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zum Ausdruck kommenden Gebot strikter Verhältnismäßigkeit.

Die Kontaktbeschränkungen sowie die weiteren Untersagungsanordnungen dienen dem legitimen Zweck, die Weiterverbreitung des Corona-Virus zu verhindern. Der Verordnungsgeber darf in der aktuellen Situation davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie und insbesondere das Infektionsgeschehen im Kreis Gütersloh eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründen, die ein staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigen, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung weiterhin gebieten.

Vgl. zu dieser Schutzpflicht BVerfG, Urteil vom 28. Januar 1992 - 1 BvR 1025/82 u. a. -, juris, Rn. 69, m. w. N.

Zwar hat sich das Infektionsgeschehen deutschlandweit und in Nordrhein-Westfalen in letzter Zeit verlangsamt und ist insbesondere die Anzahl der festgestellten Neuinfektionen insgesamt rückläufig, dennoch besteht die Gefahr der Verbreitung der Infektion und daran anknüpfend einer Überlastung des Gesundheitswesens mit gravierenden Folgen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung fort. Nach den maßgeblichen Feststellungen des Robert Koch-Instituts handelt es sich immer noch um eine sehr dynamische Situation. Die Gefährdung für die Bevölkerung wird deshalb nach wie vor als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen sogar als sehr hoch. Dabei variiert die Gefährdung von Region zu Region. Die Belastung für das Gesundheitswesen hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen wie Isolierung, Quarantäne und physischer Distanzierung ab. Sie ist aktuell in weiten Teilen Deutschlands gering, kann aber örtlich hoch sein.

Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Aktualisierter Stand für Deutschland, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html, Stand: 28. Juni 2020.

Speziell im Kreis Gütersloh ist, wie ausgeführt, aufgrund des Ausbruchsgeschehens in dem fleischverarbeitenden Betrieb der Firma Tönnies ein enormer Anstieg der Neuinfektionszahlen zu verzeichnen. Seit dem 16. Juni 2020 haben Beauftragte des Gesundheitsamts des Kreises Gütersloh bei den auf dem Betriebsgelände des Fleischverarbeiters tätigen Personen Testungen durchgeführt. Nachdem am 17. Juni 2020 bereits mehr als 730 Corona-Infektionen festgestellt worden sind, wurden am 18. Juni 2020 zwar Schulen und Kindertagesstätten im Kreis Gütersloh geschlossen, der Betrieb lief aber bis einschließlich Freitag (19. Juni 2020) in Teilen weiter.

Vgl. WDR, 6.400 Tönnies-Arbeiter nach Corona-Ausbruch in Quarantäne, 18. Juni 2020, abrufbar unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalenlippe/ coronainfektionentoenniesfleischverarbeiter-100. html; Tagesschau, Corona-Fälle in Fleischfabrik - Eltern und Lehrer wütend auf Tönnies, 18. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/regional/nordrheinwestfalen/coronatoenniesschulen-101.html.

Mittlerweile wurde der betroffene Betrieb vorübergehend geschlossen und für die auf dem Betriebsgelände tätigen Personen sowie deren Mitbewohner mit Allgemeinverfügung vom 20. Juni 2020 des Kreises Gütersloh eine sogenannte häusliche bzw. Arbeitsquarantäne bis zum 2. Juli 2020, 24:00 Uhr angeordnet.

Vgl. noch einmal Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Aktualisierter Stand für Deutschland, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ /N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html, Stand: 28. Juni 2020.

Wie weit sich das Virus unter der Bevölkerung des Kreises Gütersloh bis zur Anordnung der Betriebsschließung und der Quarantänemaßnahmen verbreitet hat, ist - ebenso wie die seither erfolgte Ausbreitung des Virus - unklar und bedarf der Aufklärung. Es besteht wegen der Vielzahl der in dem Betrieb tätigen positiv getesteten Personen und des Umstands, dass diese und ihre unmittelbaren Kontaktpersonen sich bis zur Anordnung der häuslichen Quarantäne im Kreisgebiet Gütersloh (und Warendorf) frei bewegt haben, jedenfalls die hinreichend konkrete Gefahr, dass das Infektionsgeschehen nicht nur auf die Beschäftigten des betroffenen Betriebs und deren Hausangehörige bzw. Mitbewohner begrenzt ist, sondern das Virus bereits auf die übrige Bevölkerung des Kreises Gütersloh übergesprungen sein kann. Für diese Annahme spricht die zeitliche Verzögerung zwischen der Entdeckung des gravierenden Ausbruchsgeschehens und der Umsetzung der Schutzmaßnahmen, in der die (potenziell) Infizierten das Virus im Rahmen ihrer Alltagsgeschäfte weitertragen konnten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die für das Personal in den Produktionsbereichen bereits am 16. Juni 2020 erlassene Quarantäne nach Angaben des zuständigen Landrats nicht von allein Betroffenen eingehalten worden ist und die Streuung der Wohnorte die Pandemiegefahr innerhalb des Kreisgebiets weiter erhöht.

Vgl. Tagesschau, Corona-Ausbruch bei Tönnies - Laschet erwägt regionalen Lockdown, 19. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/toenniescorona-109.html.

Diese Risikoeinschätzung wird inzwischen bestätigt durch die hohe Zahl positiver Tests in der Bevölkerung bei Personen ohne direkten Bezug zur Firma Tönnies.

Stand: 29. Juni 2020, 8:39 Uhr, 107 Corona-Fälle in Gütersloh ohne direkten Tönnies-Bezug, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/regional/nordrheinwestfalen/neuinfektionenguetersloh-101.html.

Angesichts dessen ist es voraussichtlich nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber die im Rahmen der Coronaschutzverordnung seit dem sogenannten Lockdown zugelassenen Lockerungen für den Kreis Gütersloh teilweise wieder zurücknimmt und nunmehr wieder die sog. zweite Stufe des Lockdowns, befristetet bis zum 30. Juni 2020, aktiviert, die durch Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen im Bereich der Kultur- und Freizeitaktivitäten geprägt ist.

Vgl. dazu die Pressemitteilung der Landesregierung vom 23. Juni 2020, Landesregierung aktiviert zweite Stufe des Lockdowns im Kreis Gütersloh und im Kreis Warendorf, abrufbar unter: https://www.land. nrw/de/pressemitteilung/landesregierungaktiviertzweitestufedeslockdownsimkreisgueterslohundim.

Dabei ist ihm wegen der Fragilität der Lage und der tatsächlichen Ungewissheiten (nach wie vor) eine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit und solange sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen.

So im Einzelnen z. B. bereits die Senatsbeschlüsse vom 29. April 2020 - 13 B 512/20.NE -, juris, Rn. 44 ff., und vom 19. Mai 2020 - 13 B 557/20.NE -, juris, Rn. 71 ff.; siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20 -, juris, Rn. 10; VerfGH Saarl., Beschluss vom 28. April 2020 - Lv 7/20 -, juris, Rn. 32.

Nach dieser Maßgabe dürften sich sowohl die in Rede stehende Beschränkung von Zusammenkünften und Ansammlungen von Personen im öffentlichen Raum (§ 2 Abs. 1 Satz 1 CoronaRegioVO) sowie bei einzelnen in der Coronaschutzverordnung benannten Aktivitäten (§ 2 Abs. 2 CoronaRegioVO), wie beispielsweise dem Besuch von gastronomischen Einrichtungen i. S. d. § 14 Abs. 1 CoronaSchVO, als auch die in § 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 8, 9, 10 CoronaRegioVO normierten Untersagungsanordnungen für bestimmte Kultur- und Freizeitaktivitäten als geeignet zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erweisen, die Ansteckungsgefahr (weiterhin) einzudämmen.

Vgl. dazu noch einmal die Pressemitteilung der Landesregierung vom 23. Juni 2020, Landesregierung aktiviert zweite Stufe des Lockdowns im Kreis Gütersloh und im Kreis Warendorf, abrufbar unter: https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/landesregierungaktiviertzweitestufedeslockdownsimkreisgueterslohundim.

Dabei ist ein Mittel bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. April 1997 - 2 BvL 45/92 -, juris, Rn. 61, m. w. N.

Dass der Verordnungsgeber die Grenzen seines Einschätzungsspielraums überschritten haben könnte, ist nicht festzustellen. Die streitgegenständlichen Regelungen beruhen im Wesentlichen auf der Grundannahme, dass sich das Coronavirus nach derzeitigen Erkenntnissen bei direkten persönlichen Kontakten über zum Beispiel Sprechen, Husten oder Niesen im Wege einer Tröpfcheninfektion besonders leicht von Mensch zu Mensch verbreitet. Bei der Übertragung spielen zudem Aerosole, bestehend aus kleinsten Tröpfchenkernen, die längere Zeit in der Umgebungsluft schweben und sich z. B. in Innenräumen anreichern und größere Distanzen überwinden können, eine Rolle. Die dadurch entstehenden Ansteckungsgefahren sind zwar noch nicht abschließend untersucht. Das Robert Koch-Institut geht unter Berücksichtigung der bisher vorliegenden Studien aber davon aus, dass SARS-CoV-2-Viren über Aerosole auch im gesellschaftlichen Umgang übertragen werden können. Schließlich sind nach gegenwärtigen Erkenntnissen auch Schmierinfektionen durch das Berühren derselben Gegenstände nicht auszuschließen, die zu neuen Infektionsketten führen können.

Vgl. Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Übertragungswege, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief. html#doc13776792bodyText1, Stand: 26. Juni 2020, und Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, Welchen Vorteil bringt Abstand halten bzw. die Beschränkung sozialer Kontakte?, Welche Rolle spielen Aerosole bei der Übertragung von SARS-CoV-2?, abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 15. Juni 2020.

Für die Tragfähigkeit dieser Einschätzung spricht neben den benannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass es in Nordrhein-Westfalen zwischenzeitlich insgesamt zu einem deutlichen Rückgang der registrierten Neuinfektionen gekommen ist.

Vgl. zur Entwicklung der Zahlen z. B. WDR, Aktuelle Daten zur Corona-Krise in NRW, abrufbar unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/coronadatennrw-100.html.

Die streitgegenständlichen Regelungen dürften auch erforderlich sein. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass sowohl wechselnde (unmittelbare) persönliche Kontakte als auch eine nicht unerhebliche Verweildauer vieler Menschen in geschlossenen Räumen die Gefahr einer schnelleren Verbreitung des Virus durch Tröpfchen- und Schmierinfektionen oder potenziell virushaltige Aerosole bergen.

Danach bestehen - unter Berücksichtigung des im Kreis Gütersloh lokalisierten Ausbruchsgeschehens - keine durchgreifenden Bedenken, wenn der Verordnungsgeber diesen (erhöhten) Risikopotenzialen durch eine Reduzierung unmittelbarer Kontakte im öffentlichen Raum (§ 2 Abs. 1 Satz 1 CoronaRegioVO) begegnet,

vgl. zur Kontaktbeschränkung im öffentlichen Raum den Senatsbeschluss vom 19. Mai 2020 - 13 B 557/20.NE -, juris,

und er weiter annimmt, dass ein Picknick- und Grillverbot im öffentlichen Raum (§ 3 Satz 1 Nr. 10 CoronaRegioVO) kontaktreduzierend wirkt. Da solche Treffen in der Regel durch ein geselliges Beisammensein geprägt sind, entfalten sie nicht nur eine besondere Sogwirkung, sondern bieten auch einen gewissen Anreiz, bewusst oder unbewusst gegen Kontaktbeschränkungen zu verstoßen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass solche Begegnungen einer geringeren sozialen Kontrolle unterliegen, als dies beispielsweise in der Gastronomie der Fall ist. Auch die behördliche Kontrolle ist erschwert, weil nicht konkret vorhersehbar ist, wann und wo wie viele Personen den öffentlichen Raum zum Picknicken und Grillen nutzen.

Vgl. so schon die Senatsbeschlüsse vom 26. Mai 2020 - 13 B 629/20.NE -, und vom 27. Mai 2020 - 13 B 529/20.NE -, beide n. v., zum Grillverbot auf öffentlichen Plätzen und Anlagen.

Angesichts dessen dürfte es folgerichtig sein, Zusammenkünfte von mehreren Personen in beispielsweise gastronomischen Einrichtungen (§ 14 Abs. 1 CoronaSchVO), bei kulturellen Veranstaltungen im Freien (§ 8 CoronaSchVO) oder in bestimmten Freizeit- und Vergnügungsstätten (§ 10 Abs. 4 und Abs. 7 CoronaSchVO) nach § 2 Abs. 2 CoronaRegioVO ebenfalls auf die in § 2 Abs. 1 Satz 1 CoronaRegioVO konkretisierten Gruppengrößen zu beschränken.

Ferner dürfte nicht zu beanstanden sein, wenn der Verordnungsgeber annimmt, dass infektionsbegünstigende Kontakte insbesondere während des Trainings in Fitnessstudios und anderen geschlossenen Räumen (vgl. § 3 Satz 1 Nr. 3 CoronaRegioVO),

vgl. zum Betriebsverbot von Fitnessstudios die Senatsbeschlüsse vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris, und vom 24. April 2020 - 13 B 520/20.NE -, jeweils juris,

sowie beim nichtkontraktfreien Sport-, Trainings- und Wettkampfbetrieb im geschlossenen Raum und im Freien (vgl. § 3 Satz 1 Nr. 4 CoronaRegioVO) entstehen, die Betriebs- und Ausübungsverbote erforderlich erscheinen lassen.

Vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juni 2020 - 13 B 617/20.NE -, juris, zum Sport-, Trainings- und Wettkampfbetrieb im Breiten- und Freizeitsport.

Es ist auch nicht ernstlich zweifelhaft, dass eine Weiterverbreitung des Virus nicht gleichermaßen effektiv allein durch die in der Anlage zur CoronaSchVO festgelegten Hygiene- und Infektionsschutzstandards vermieden werden kann,

vgl. dazu schon den Senatsbeschluss vom 23. Juni 2020 - 13 B 695/20.NE -, juris, zur Erhebung, Aufbewahrung und Weitergabe von Kundenkontaktdaten im Bereich der Gastronomie, des Friseurhandwerks und der Fitnessstudios,

sodass das von tatsächlichen Unsicherheiten geprägte Infektionsgeschehen im Kreis Gütersloh die hier in Streit stehenden weitergehenden Schutzmaßnahmen rechtfertigen dürfte.

Ebenso bestehen unter Berücksichtigung des Antragsvorbringens keine durchgreifenden Bedenken gegen die Erforderlichkeit der vorübergehenden Schließung der in § 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 6, 8 und 9 CoronaRegioVO benannten Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Die Untersagungsanordnungen beziehen sich insoweit ausschließlich auf Angebote, bei denen typischerweise mehrere Personen über längere Zeit in begrenzten geschlossenen Räumen verweilen. In Bars und an Theken von Gaststätten (Nr. 6), in Hallenschwimmbädern, Saunen und vergleichbaren Wellnesseinrichtungen (Nr. 8) sowie in Spielhallen, Wettbüros und ähnlichen Einrichtungen (Nr. 9) kommen bei pauschalierender Betrachtung wechselnde Kundenbegegnungen hinzu. Dass diese Rahmenbedingungen grundsätzlich zu einem erhöhten Risiko der Verbreitung des Virus, vor allem durch Aerosole, die sich in der Umgebungsluft anreichern, führen können, und damit Schutzmaßnahmen im benannten Sinne erforderlich erscheinen lassen, hat der Senat bereits mehrfach entschieden.

Vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. April 2020 - 13 B 452/20.NE und 13 B 471/20.NE -, jeweils juris, zum Betriebsverbot für Spielhallen, und vom 6. Mai 2020 - 13 B 583/20.NE -, juris, zum Betriebsverbot für gastronomische Einrichtungen, sowie vom 27. Mai 2020 - 13 B 616/20.NE -, juris, zum Betriebsverbot von Hallenschwimmbädern; vgl. in diesem Zusammenhang auch Senatsbeschluss vom 12. Juni 2020 - 13 B 779/20.NE -, juris, zum eingeschränkten Regelbetrieb in Schulen.

Daran hält der Senat unter Berücksichtigung des Antragsvorbringens fest. Dies gilt schon deshalb, weil Untersuchungen - wie bereits erwähnt - zeigen, dass ein hoher Anteil von Übertragungen asymptomatisch bzw. präsymptomatisch und unbemerkt erfolgt, sodass diese durch eine Verhaltensänderung des Betroffenen (wie eine Selbstquarantäne) nicht verhindert werden können.

Vgl. Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Viruslast bei und Übertragung durch asymptomatische/präsymptomatische Infizierte, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText 23, Stand: 26. Juni 2020, und Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, Welchen Vorteil bringt Abstand halten bzw. die Beschränkung sozialer Kontakte?, abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 15. Juni 2020.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber in der gegenwärtigen Situation seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat, weil er anderen Regelungsmodellen nicht den Vorzug gegeben hat. Namentlich stellt die vom Kreis Gütersloh erlassene Quarantäneanordnung gegenüber den auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies tätigen Personen sowie deren Mitbewohnern keine gleich geeignete Maßnahme dar, um dem Infektionsrisiko im Kreisgebiet zu begegnen. Mit dieser Allgemeinverfügung wird aufgrund ihres eingeschränkten Adressatenkreises nicht der - jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließenden - besonderen Verbreitungsgefahr des Virus begegnet, die daraus resultiert, dass es innerhalb des Kreisgebiets bereits weitgehend unbemerkt auf Personen, die weder auf dem Betriebsgelände tätig waren noch mit einer dort tätigen Person zusammenwohnen, übertragen worden sein kann.

Die Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen wird voraussichtlich auch nicht dadurch durchgreifend in Frage gestellt, dass in einigen Städten und Gemeinden des Kreises Gütersloh bisher nur wenige oder gar keine Neuinfektionen festgestellt worden sind.

Vgl. zu der Verteilung der bestätigen Infektionen innerhalb des Kreisgebiets Die Glocke, Mehr Personen positiv getestet, 29. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.dieglocke.de/lokalnachrichten/kreis guetersloh/Mehr-Personenpositivgetestet-5d1d17 49-5960-4f2a-848fcaf8c983c1c3-ds.

Der angesichts der noch fortbestehenden Unsicherheiten hinsichtlich des Ausmaßes der Verbreitung innerhalb der Bevölkerung des Kreises und der hohen Infektiosität des Virus dem Verordnungsgeber weiterhin zuzugestehende Beurteilungsspielraum bezieht sich auch auf die Festlegung des räumlichen Umfangs, für den die Schutzmaßnahmen gelten sollen. Dass dieser Spielraum aktuell (bereits) überschritten sein könnte, drängt sich dem Senat nicht auf, da die vom Antragsteller sinngemäß vorgeschlagene Möglichkeit, im Falle steigender Neuinfektionszahlen in den kreisangehörigen Kommunen konkrete Maßnahmen vor Ort zu ergreifen, kein ebenso effektives Mittel darstellt, wie die in der Coronaregionalverordnung vorgesehenen kreisweiten Kontaktbeschränkungen und Untersagungsanordnungen für bestimmte Kultur- und Freizeitaktivitäten.

Schließlich ist die streitgegenständliche Regelung unter Abwägung der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen auch noch angemessen. Der beabsichtigte Verordnungszweck steht derzeit nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs. Die Maßnahmen führen zwar unverkennbar zu Grundrechtseinschränkungen von erheblicher Intensität, wobei für die Betreiber der von den Untersagungsanordnungen erfassten Kultur- und Freizeitstätten in erster Linie das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und für die Nutzer dieser Einrichtungen und die von den Kontaktbeschränkungen erfassten Personen das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) betroffen ist. Diese Rechte gelten jedoch nicht unbeschränkt, sondern unterliegen einem Gesetzesvorbehalt und treten hier im Ergebnis infolge der konkreten Gefahr der Wiederausbreitung des Coronavirus gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zurück.

Insoweit ist vorrangig zu berücksichtigen, dass die Verordnung mit einer Geltungsdauer von (zunächst) nur einer Woche zeitlich sehr eng befristet ist und am 30. Juni 2020 außer Kraft tritt (§ 5 CoronaRegioVO). Die in der Coronaregionalverordnung vorgesehenen Schutzmaßnahmen gehen zudem einher mit einer deutlichen Ausweitung von Testungen der Kreisbevölkerung auf das Coronavirus, die es ermöglicht, kurzfristig abzuschätzen, ob bzw. in welchem Umfang das Infektionsgeschehen klar lokalisierbar ist. Um möglichst schnell tragfähige Ergebnisse zu erzielen, werden kostenlose Tests nicht nur in den Gütersloher Testzentren durchgeführt, sondern auch von Allgemein- und Hausärzten angeboten. So kann voraussichtlich nach relativ kurzer Zeit auf belastbarer Datengrundlage über die weitere Vorgehensweise entschieden werden.

Für die potenziellen Nutzer der von den Maßnahmen betroffenen Kultur- und Freizeiteinrichtungen werden die Beschränkungen zudem dadurch abgemildert, dass in weiten Teilen nur Angebote im geschlossenen Raum verboten werden, Aktivitäten im Freien aber weiterhin zulässig sind (vgl. z. B. § 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 8 CoronaRegioVO). Auch die gastronomischen Einrichtungen bleiben im Wesentlichen geöffnet (vgl. § 3 Satz 1 Nr. 6 CoronaRegioVO). Sportliche Aktivitäten im Freien sind jedenfalls weiterhin mit der Familie oder einzelnen Freunden möglich. In der Summe ist damit eine Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben weiterhin möglich.

Im Übrigen ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Kontaktbeschränkungen sich nicht auf Treffen in der häuslichen Umgebung beziehen und Zusammenkünfte im familiären Umfeld (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 CoronaRegioVO) weiterhin möglich sind. Auch sind Ausnahmen für die Begleitung minderjähriger und unterstützungsbedürftiger Personen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 CoronaRegioVO) und aus betreuungsrelevanten Gründen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 CoronaRegioVO) vorgesehen. Umgangsrechte sind uneingeschränkt zu beachten, § 2 Abs. 1 Satz 2 CoronaRegioVO. Ferner wurden auch die in § 1 Abs. 3 Halbsatz 2 CoronaSchVO vorgesehenen Ausnahmen für z. B. unvermeidliche Ansammlungen bei der bestimmungsgemäßen Verwendung zulässiger Einrichtungen oder zwingende berufliche Zusammenkünfte nicht eingeschränkt. Dass außerhalb der in § 2 Abs. 1 CoronaRegioVO und § 1 Abs. 3 Satz 2 CoronaSchVO benannten Konstellationen grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten ist (§ 2 Abs. 1 CoronaSchVO), beschränkt die individuelle Bewegungsfreiheit nicht übermäßig. Das Verlassen der eigenen Wohnung bzw. das Betreten des öffentlichen Raums ist grundsätzlich gestattet. So sind etwa Aktivitäten im Freien oder in gastronomischen Einrichtungen mit Familienangehörigen oder einzelnen Freunden möglich. Damit bleiben neben der im häuslichen Bereich weiterhin möglichen Pflege sozialer oder persönlicher Kontakte auch Kontaktmöglichkeiten in der Öffentlichkeit gewahrt.

Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die Coronaregionalverordnung Ursache einer Stigmatisierung der im Kreis Gütersloh wohnenden Bevölkerung ist. Die von anderen Bundesländern für ihren jeweiligen regionalen Zuständigkeitsbereich eingeführten Quarantäneregelungen und Beherbergungsverbote knüpfen nicht an die Coronaregionalverordnung an, sondern stellen darauf ab, dass die Zahl der Neuinfektionen in dem Heimatkreis der Reisenden in den vergangenen sieben Tagen vor der Anfahrt pro 100.000 Einwohner höher als 50 war.

Vgl. dazu z. B. Tagesschau, Urlauber aus Hotspots - Sechs Bundesländer machen dich, 25. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/ bundeslaendercoronaauflagenguetersloh-101.html.

(3) Die vom Antragsteller darüber hinaus geltend gemachte Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes lässt sich ebenfalls nicht feststellen.

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierende Regelungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen sind.

St. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. März 2015 - 1 BvR 2880/11 -, juris, Rn. 38 f., m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 8 C 6.15 -, juris, Rn. 76.

Davon ausgehend stellt es keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar, wenn wegen der in der kreisangehörigen Stadt Rheda-Wiedenbrück festgestellten Masseninfektion mit dem Coronavirus für das gesamte Kreisgebiet strengere Kontaktbeschränkungen und weitgehendere Einschränkungen für bestimmte Kultur- und Freizeitaktivitäten gelten als für andere Regionen Nordrhein-Westfalens. Die Ungleichbehandlung dürfte sachlich gerechtfertigt und angemessen sein. Sie knüpft an die unterschiedlichen Erkenntnislagen über die regionale Verbreitung des Virus innerhalb der Bevölkerung an. Es dürfte unter Berücksichtigung der bestehenden Unsicherheiten und der hohen Infektiosität des Virus nicht zu beanstanden sein, wenn der Verordnungsgeber örtlich begrenzt, kurzfristig (strengere) Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des (potenziellen) Infektionsgeschehens ergreift, um Zeit für notwendige Aufklärungsmaßnahmen - etwa zur Durchführung von Massentests innerhalb der Bevölkerung - zu gewinnen, um anschließend auf belastbarer Grundlage über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden.

2. Der Erlass einer normbezogenen einstweiligen Anordnung erscheint auch unter Berücksichtigung etwaig verbleibender Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung der in §§ 2, 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 8, 9, 10 CoronaRegioVO normierten Kontaktbeschränkungen und Schutzmaßnahmen im Bereich der Kultur- und Freizeitaktivitäten nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Die mit dem weiteren Vollzug der Regelungen einhergehenden Beschränkungen sind angesichts ihrer sehr kurzen Geltungsdauer sowie der dargelegten Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags, insbesondere unter Beachtung der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommenen Abwägung der betroffenen Rechtsgüter, zumutbar. Hinzu kommt, dass die Regelungen vom Land fortwährend zu überprüfen und gegebenenfalls auch bereits vor Ablauf ihrer Geltungsdauer aufzuheben sind, wenn eine zwischenzeitlich gewonnene Datenlage ergibt, dass ein Eintrag des Virus in die übrige Bevölkerung des Kreises Gütersloh nicht oder nicht in dem befürchteten Umfang und Ausmaß stattgefunden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Da die angegriffene Regelung mit Ablauf des 30. Juni 2020 außer Kraft tritt, zielt der Antrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des Auffangstreitwerts für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).