LG Hamburg, Urteil vom 19.09.2019 - 326 O 156/18
Fundstelle
openJur 2020, 31447
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger verlangt Herausgabe eines Kraftfahrzeuges aus Eigentümer-Besitzerverhältnis.

Das streitgegenständliche Fahrzeug, ein Mercedes V-Klasse Bus stand ursprünglich im Eigentum der Beklagten, einer H. Autovermietung. Es war am 4.7.2018 in der D. Filiale der Beklagten von zwei Herren S. und H. angemietet und einige Tage später von diesen als gestohlen gemeldet worden.

Der Kläger, auf der Suche nach einem neuen Auto, entdeckte am 5.7.2018 auf der Plattform mobile.de ein Inserat über den Mercedes zum Angebotspreis von 43.750,00 Euro (Anlage K4). Der Kläger nahm sofort telefonischen Kontakt zum Anbieter, einem A. L. aus D1, auf. L. teilte dem Kläger mit, sich beruflich in Holland zu befinden und bat um eine Besichtigung bzw. Übergabe in NL-T.. Nach entsprechender Verabredung traf der Kläger, begleitet von seinem Schwiegervater, A. L. am Vormittag des 7.7.2018 dort auf einem Parkplatz. Da das Auto in sehr gutem Zustand war und eine Probefahrt keine Mängel gezeigt hatte, entschloss sich der Kläger zum Kauf. Der Verkäufer L. übergab dem Kläger Fahrzeugschein und -brief (Anlagen K1 und K2). Bei diesen handelte es sich um gefälschte Originalpapiere, die einem Diebstahl von ca. 15.000 Blanko-Zulassungsdokumenten aus einer D1er Verkehrsbehörde entstammten. Weiter übergab L. einen Wagenschlüssel. Er teilte dem Kläger mit, der zweite Schlüssel befinde sich noch bei seiner Frau in D1. Der Kläger könne den Schlüssel auf der Heimfahrt dort abholen; die Kontaktdaten der Ehefrau wollte er dem Kläger per Handy übersenden. Für den anfallenden Umweg gewährte L. dem Kläger einen Preisnachlass von 500 Euro, so dass der Kläger sodann 43.250,00 Euro in bar bezahlte. Wegen des schriftlichen Kaufvertrages wird auf Anlage K1 Bezug genommen.

Nachdem der Kauf abgeschlossen war, meldete L. sich nicht mehr beim Kläger, übermittelte keine Adressdaten der Frau und war nicht mehr erreichbar. Der Kläger wandte sich an die Polizei, welche das Fahrzeug sicherstellte und es auf Beschluss der Staatsanwaltschaft an die Beklagte herausgab.

Der Kläger meint, er habe das Fahrzeug gutgläubig erworben und begehrt Herausgabe von der Beklagten. Er behauptet, weder ihm noch seinem Schwiegervater hätten sich Verdachtsmomente aufgedrängt, die misstrauisch machten. Der Kontakt mit L. sei bis zum Kauf zuverlässig gewesen. Für die Übergabe in Holland habe er einen nachvollziehbaren Grund geliefert. Auf Nachfrage zu dem geringen Kaufpreis habe der Verkäufer plausibel angegeben, dringend Geld für eine Immobilienrenovierung zu benötigen. Schließlich habe der Kläger die Fahrzeug-Ident-Nr. im Wagen mit der in den Fahrzeugpapieren verglichen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, das Kraftfahrzeug Mercedes-Benz V 250 (BlueTec) d lang 4 Matic 7 G-Tronik, Farbe grau metallic, Fahrzeugidentifizierungsnummer WDF... , amtliches Kennzeichen... , an den Kläger herauszugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte weist einen gutgläubigen Erwerb des Klägers zurück. Beim Kläger habe mindestens grob fahrlässige Unkenntnis in Bezug auf die Nicht-Eigentümerstellung des L. vorgelegen. Den Kläger hätten schon angesichts der Übergabe nur eines Schlüssels Nachforschungsobliegenheiten getroffen. Beim Kauf des Fahrzeuges habe es diverse Auffälligkeiten gegeben – offensichtliche Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil I, deutlich zu günstiger Kaufpreis für das fast neue Fahrzeug, welches per September 2018 einen Marktwert von 66.025,00 Euro gehabt habe, Unstimmigkeiten beim Wohnort des Verkäufers, keine Garantieunterlagen, einjähriges TÜV-Intervall – welche den Kläger zu genaueren Nachforschungen, mindestens zur Identität des Verkäufers, hätten veranlassen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger persönlich angehört worden ist, vom 7.8.2019 Bezug genommen.

Das Gericht hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft D. zum Az.... beigezogen und auszugsweise in Kopie zur Akte genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe des Fahrzeuges nicht zu.

Nach § 985 BGB kann der Eigentümer von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen. Der Kläger ist indessen nicht Eigentümer des streitgegenständlichen Mercedes Vito geworden. Er hat ihn nicht gutgläubig vom Nichtberechtigten A. L. erworben. Gemäß § 932 BGB wird der Erwerber durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zur Zeit des Erwerbs nicht in gutem Glauben ist. Nach Abs. 2 ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.

Vorliegend war dem Kläger nicht bekannt, dass der Wagen nicht dem Veräußerer A. L. gehörte. Dass ihm dies unerkannt geblieben ist, beruhte allerdings auf grober Fahrlässigkeit des Klägers beim Kauf, so dass er als bösgläubig im Sinne des § 932 Abs. 2 BGB anzusehen ist.

Nach langjähriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn beim Erwerb einer Sache die erforderliche Sorgfalt nach den ganzen Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden und wenn unbeachtet geblieben sei, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen (BGHZ 10, 14).

Vorliegend hat der Kläger bekundet, er habe ja den Fahrzeugbrief übergeben bekommen, dessen Identifizierungsnummer mit derjenigen des Fahrzeugs übereinstimmte; daher habe er an der Eigentümerstellung des L. keine Zweifel gehabt. Dies genügt indessen nicht.

Wird beim Kauf eines gebrauchten Kraftfahrzeuges vom Nichteigentümer der Kraftfahrzeugbrief mit vorgelegt, so rechtfertigt das allein noch nicht die Feststellung, der Erwerber sei gutgläubig. Mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, nach der in der Regel grob fahrlässig handelt, wer sich beim Gebrauchtwagenkauf nicht den Kraftfahrzeugbrief übergeben lässt, sind nur die Mindestanforderungen für den gutgläubigen Erwerb bestimmt. Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefes ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1963 – VIII ZR 210/62 = WM 1963, 1186; Urteil vom 23. Mai 1966 – VIII ZR 60/64 –, Rn. 9, juris).

Beim vorliegenden Kauf des Mercedes Vito gab es verschiedene geradezu klassische Verdachtsmomente, die den Erwerber zu einer näheren Prüfungs- und Erkundigungspflicht im Hinblick auf das Eigentum des Veräußerers veranlassen mussten. Zu solchen Verdachtsmomente, die Nachforschungsobliegenheiten des Erwerbers auslösen, zählen nach der Rechtsprechung z.B. Person und Auftreten des Veräußerers, die außergewöhnlichen Umstände des Kaufs oder die Konditionen des Kaufvertrags, z.B. ein auffallend niedriger Preis oder der Erwerb hochwertiger Investitionsgüter, die erst seit relativ kurzer Zeit in Gebrauch sind (vgl. zusammenfassend Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 932 BGB, Rn. 26-28 m.w.N.). Im hiesigen Fall waren alle diese Umstände gegeben:

Das Fahrzeug, welches einen Neupreis von über 80.000 Euro hatte und laut der mobile.de-Annonce, dem Kaufvertrag sowie den gefälschten Zulassungsbescheinigungen erst fünf Monate alt sein sollte, wurde für den eklatant zu günstigen Preis von 43.750,00 Euro angeboten. Gemäß der von der Beklagten zur Akte gereichten „Gebrauchtfahrzeugbewertung nach DAT-System“ betrug der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges noch im September 2018 über 66.000 Euro; der Kläger hat das Fahrzeug mithin für weniger als zwei Drittel des regulären Preises erworben. Bei einer behaupteten Unfallfreiheit des Wagens musste bereits dieser Preis den Kläger misstrauisch machen, unabhängig von irgendwelchen Erklärungen des Verkäufers. Weiteres klassisches Verdachtsmoment war der Übergabeort in Holland. Ein betrügerischer Verkauf im Ausland erschwert immer die schnelle Verfolgbarkeit. Hinzu kamen Unstimmigkeiten in Bezug auf den angeblichen Wohnort des Verkäufers. Dieser sollte laut Internetannonce und eigener Mitteilung in D1 sein, Fahrzeugpapiere und Kaufvertrag wiesen hingegen einen Wohnort in W. aus – passend zum Kennzeichen des Wagens. Größtes Verdachtsmoment war schließlich der fehlende Zweit- (und Dritt-) Schlüssel. Spätestens dieser Umstand hätte den Kläger aufmerksam machen müssen. Selbst wenn man die Erklärung des Verkäufers L. – der Schlüssel sei noch bei seiner Frau in D1 – noch nachvollziehen kann, so ist es endgültig nicht mehr nachvollziehbar, warum der Kläger nicht auf einer sofortigen Nennung der Kontaktdaten der Frau bestanden hat, um diese zumindest anzurufen und die Möglichkeit einer sofortige Abholbarkeit der Schlüssel zu prüfen. Insgesamt ist es nicht erklärlich, warum der Verkäufer eines derart hochpreisigen, fast neuen Fahrzeuges, der seinen Käufer von sehr weit her hat anreisen lassen, nicht zumindest alle Fahrzeugschlüssel zur Verfügung hält. Die fehlenden Schlüssel sprechen klar gegen eine Eigentümerstellung des Verkäufers.

Ergänzend hierzu gab es verschiedene weitere Verdachtsmomente, die nicht einzeln, aber zusammengenommen den Kläger zu größerer Vorsicht veranlassen mussten.

TÜV Plakette, Kaufvertrag und Fahrzeugschein weisen als nächsten Hauptuntersuchungstermin Januar 2019 aus, ein für einen quasi-Neuwagen aus 2018 zu frühen Termin.

Der Kaufvertrag, Anlage K1, macht hinsichtlich des vom Verkäufer bereits ausgefüllten Teils stutzig. Das Schriftbild passt nicht recht zum Eigentum eines sehr hochpreisigen Oberklassefahrzeuges – es zeigt zittrige Druckbuchstaben mit innerhalb eines Wortes wechselnder Groß- und Kleinschreibung; die Unterschrift „A..L“ erinnert an die eines Grundschülers, nicht aber die eines gutsituierten Erwachsenen. Hinzu kommt der vom Kläger geschilderte leicht osteuropäische Sprachklang. Das Gericht verkennt nicht, dass jedes dieser Kriterien für sich genommen nicht auffällig wäre, in ihrer Gesamtheit mit den Auffälligkeiten des viel zu günstigen Preises, des Übergabeortes im Ausland und den fehlenden Schlüsseln den Kläger aber zu mehr Aufmerksamkeit und genauerer Prüfung veranlassen musste.

Diesen Nachforschungsobliegenheiten ist der Kläger nicht im gebotenen Maße nachgekommen. Er hat sich auf die flüchtige Einsichtnahme in die Wagenpapiere und die Prüfung der Fahrzeug-Ident-Nummer beschränkt. Weitere naheliegende Prüfungen hat er unterlassen. So hat sich der Kläger kein Ausweispapier des A. L. zeigen lassen, um dessen Identität zu prüfen. Er hat sich auch weder Kaufunterlagen des Verkäufers, noch Garantieunterlagen oder auch nur das Bordbuch des Fahrzeuges aushändigen bzw. zeigen lassen. Schließlich hat er eine auch nur etwas genauere Betrachtung des Fahrzeugscheins nicht vorgenommen; sonst wäre ihm sofort ins Auge gesprungen, dass dessen Rückseite die Stadt D1 als Ausstellerin zeigt, unmittelbar daneben aber Siegel und Wappen der Stadt W. platziert sind.

Der Kläger ist im Ergebnis der ihm angesichts der oben genannten handgreiflichen Anhaltspunkte für Zweifel am Eigentum des L. obliegenden Nachforschungspflicht nicht hinreichend nachgekommen.

Die persönliche Anhörung des Klägers hat dem Gericht den klaren Eindruck vermittelt, dass der – akademisch gebildete und wirtschaftlich solide im Leben stehende – Kläger über den guten und günstigen Kauf so aufgeregt war, dass er die angesichts aller Umstände angezeigte Skepsis vollkommen außen vor ließ. Damit kann er sich auf eine Gutgläubigkeit beim Erwerb des Mercedes Vito nicht berufen. Eigentümerin ist nach wie vor die Beklagte, die in Folge dessen keine Herausgabe des Fahrzeuges schuldet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.