LG Bamberg, Beschluss vom 26.06.2019 - 21 Qs 25/19
Fundstelle
openJur 2020, 51004
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, Zentralstelle Cybercrime Bayern, vom 12.06.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 07.06.2019, Az. 1 Gs 1685/19, aufgehoben.

2. Gegen den Beschuldigten wird basierend auf dem Haftbefehl des Amtsgerichts Bamberg vom 21.12.2018, Az. 1 Gs 2768/18, anliegender Europäischer Haftbefehl ausgestellt.

Gründe

I.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, Zentralstelle Cybercrime Bayern, hat mit Verfügung vom 28.05.2019 den Erlass eines Europäischen Haftbefehls beim Amtsgericht -Ermittlungsrichter - Bamberg beantragt. Zur Begründung führte sie aus, dass nach den Urteilen des EuGH vom 27.05.2019 in den verbundenen Rechtssachen C-508/18 und C-82/19 sowie in der Rechtssache C-509/18 eine Ausstellung von Europäischen Haftbefehlen durch die Staatsanwaltschaft nicht mehr möglich sei. Vielmehr sei nunmehr in europarechtskonformer Auslegung das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Bamberg gemäß § 77 IRG i.V.m. §§ 131 Abs. 1, 162 Abs. 1 StPO zuständig (vgl. Bl. 3, 5 f. d.A.).

Mit Beschluss vom 07.06.2019 hat das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Bamberg den Antrag wegen sachlicher Unzuständigkeit abgelehnt (vgl. Bl. 7 f. d.A.). Der Europäische Haftbefehl sei 21 Qs 25/19 - Seite 2 als Rechtshilfeersuchen einzuordnen, mit welchem die Festnahme und Auslieferung der betreffenden Person begehrt werde. Hierfür enthalte § 74 IRG i.V.m. der Zuständigkeitsvereinbarung 2004 und § 78 Nr. 1 BayZustV eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Alternativ regele § 36 Abs. 2 Satz 1 StPO eine sachliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde des nationalen Haftbefehls. Eine europarechtskonforme Auslegung dieser eindeutigen Zuständigkeitsnormen käme nach geltendem Recht nicht in Betracht.

Hiergegen wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, Zentralstelle Cybercrime Bayern, mit Verfügung vom 12.06.2019. Wegen der Einzelheiten wird im Übrigen auf den angefochtenen Beschluss (vgl. Bl. 7 f. d.A.) sowie die Beschwerdeschrift nebst Begründung verwiesen (vgl. Bl. 10 f. d.A.).

Das Amtsgericht Bamberg hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt (vgl. Bl. 12 d.A.).

ii. Die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, Zentralstelle Cybercrime Bayern, ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig und in der Sache auch begründet, da der Ermittlungsrichter nach europarechtskonformer Auslegung gemäß § 77 IRG i.V.m. §§ 131 Abs. 1, 162 Abs. 1 StPO für den Erlass des Europäischen Haftbefehls sachlich zuständig ist.

1. Bei einem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt (vgl. Legaldefinition in Art. 1 Abs. 1 RB-EuHB). Er ersetzt das Auslieferungsersuchen im Falle der Festnahme und ist zugleich mit einer Ausschreibung des Gesuchten im Schengener Informationssystem II verbunden, sofern nicht die Ausschreibung zur Festnahme zwecks Auslieferung nach dem Schengener Durchführungsabkommen gleich als Europäischer Haftbefehl gemäß § 83a Abs. 2 IRG gilt (vgl. OLG Celle, NStZ 2010, 534; OLG Stuttgart, NJW 2004, 3437 (3438)). Ein in Deutschland ausgestellter Europäischer Haftbefehl ist daher als ein auf nationaler Haftgrundlage beruhendes Fahndungsinstrument, verbunden mit dem Ersuchen um Auslieferung im Falle einer Festnahme zu qualifizieren (vgl. OLG Celle, NStZ 2010, 534; Heger/Wolter in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), Rechtshilferecht in Strafsachen, Art. 1 RB-EuHB Rn. 638, Dannecker/Müller in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 39 Rn. 169; v. Heintschel-Heinegg in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 37 Rn. 24; BeckOK, StPO, 33. Auflage, Art. 1 RB-EuHB Rn. 7) und weist daher eine gewisse Doppelnatur auf.

Die Zuständigkeit für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls richtet sich nach den einschlägigen Vorschriften der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 6 Abs. 1 RB-EuHB). Im Hinblick auf ausgehende Ersuchen um Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union enthalten die nationalen Vorschriften in §§ 78 ff. IRG keine Regelung, sodass gemäß §§ 78 Abs. 1 i.V.m. 77 Abs. 1 IRG die Vorschriften der StPO entsprechend Anwendung finden. Anknüpfend an die Rechtsnatur des (ausgehenden) Europäischen Haftbefehls (auch) als Fahndungsinstrument ist daher auf § 131 Abs. 1 StPO als Anordnungskompetenz für die Ausschreibung zur Festnahme zurückzugreifen.

Bereits vor der neuen Rechtsprechung des EuGH diente § 131 StPO als Grundlage für die Ausstellung der Europäischen Haftbefehle (vgl. OLG Celle, NStZ 2010, 534; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 131 Rn. 1; MüKo, StPO, 1. Auflage, § 131 Rn. 1; Dannecker/Müller in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 39 Rn. 170; Schomburg/Lagodny/Gless/Hacker, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, Vor § 68 Rn. 25b; Meyer/Hüttmann, ZStW 2016, 394, (401 ff.)). Danach können der Richter oder die Staatsanwaltschaft die Ausschreibung zur Festnahme veranlassen.

Aufgrund der neuen Rechtsprechung des EuGH vom 27.05.2019 in den verbundenen Rechtssachen C-508/18 und C-82/19 sowie in der Rechtssache C-509/18, wonach der Begriff der "ausstellenden Behörde" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 RB-EuGH einschränkend als weisungsunabhängige Behörde zu verstehen sei, muss § 131 Abs. 1 StPO europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass die Ausschreibung zur Festnahme (ausschließlich) durch einen Richter erfolgen kann. Die Staatsanwaltschaften kommen demgegenüber nicht als "ausstellende Behörde" in Betracht, da sie gemäß §§ 146, 147 GVG der (abstrakten) Gefahr ausgesetzt sind, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen zu werden (vgl. EuGH, Urteil vom 27.05.2019, verbundene Rechtssachen C-508/18 und C-82/19 Rn. 73 ff.; EuGH, Urteil vom 27.05.2019, Rechtssache C-509/18 Rn. 51 ff.).

Der für die Ausstellung des Europäischen Haftbefehls nach § 131 Abs. 1 StPO zuständige Richter bestimmt sich sodann im Einzelnen nach § 162 StPO, da Fahndungsmaßnahmen der Förderung des Strafverfahrens dienen und damit eine Untersuchungshandlung i.S.v. § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO darstellen. Zuständig ist daher vor Anklageerhebung gemäß § 162 Abs. 1 StPO das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Bamberg.

3. Die Ausstellung des Europäischen Haftbefehls durch das Amtsgericht - Ermittlungsrichter -widerspricht vorliegend nicht den Zuständigkeitsregelungen im Bereich der Rechtshilfe gemäß § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. Nr. 1 der Zuständigkeitsvereinbarung 2004 i.V.m. § 78 Nr. 1 BayZustV, da diese nicht einschlägig sind. Gemäß § 78 Nr. 1 BayZustV entscheidet die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft über ausgehende Ersuchen um Auslieferung aus dem Ausland und damit zusammenhängende Ersuchen, wenn diesen ein Europäischer Haftbefehl zugrunde liegt. Die Norm setzt daher schon dem Wortlaut nach ("zugrunde liegt") das Bestehen eines Europäischen Haftbefehls voraus. Damit trifft § 78 Nr. 1 BayZustV im Wesentlichen eine Regelung für die Weiterleitung des Europäischen Haftbefehls an das Bundeskriminalamt zur Einstellung in die Fahndungssysteme, nicht jedoch bezüglich der vorgelagerten Ausstellung des Europäischen Haftbefehls.

Basierend auf der Einordnung des Europäischen Haftbefehls als Fahndungsinstrument scheidet auch § 36 Abs. 2 StPO als Rechtsgrundlage aus.