FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.01.2015 - 6 K 1315/13
Fundstelle
openJur 2020, 31059
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

Streitig sind das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung und der Werbungskostenabzug des Klägers für Familienheimfahrten.

Die Kläger sind ein zusammen zur Einkommensteuer veranlagtes Ehepaar, die ihren Wohnsitz in S. haben. Der Kläger übt eine nichtselbständige Tätigkeit als Gleisbauer bei der DB AG aus. Im Streitjahr unternahm er insgesamt 66 Fahrten von seinem Wohnsitz zu Gleisbaustellen, die ihm sein Arbeitgeber ersetzte bzw. im Rahmen von kostenlosen Dienstfahrten mit der DB ermöglichte.

Nachdem der Beklagte die Einkommensteuererklärung 2012 der Kläger zunächst antragsgemäß mit Einkommensteuerbescheid vom 08. Oktober 2013 festgesetzt hatte, machten die Kläger nach fristgerecht erhobenem Einspruch im Einspruchsverfahren unter - erstmaliger - Vorlage der Aufstellung Bl. 15 f der Einkommensteuerakten Werbungskosten für die aus der Aufstellung ersichtlichen "Heimfahrten" des Klägers geltend.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 19. November 2013, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, zurück.

Hiergegen haben die Kläger am 16. Dezember 2013 Klage erhoben und tragen zur Begründung vor, der Beklagte habe bei der Veranlagung der Kläger entgegen der feststehenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) die pauschalierten Aufwendungen des Klägers für die Wege "vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstands und zurück (Familienheimfahrten)" entgegen der Bestimmung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht berücksichtigt. Aus der mit dem Einspruch  vorgelegten Auflistung ergebe sich, dass der Kläger im Veranlagungszeitraum insgesamt 66 Familienheimfahrten zu insgesamt jeweils "1.167" Kilometern sowie die dazugehörigen Rückfahrten, nach Berechnung des Klägers insgesamt "20.114" Kilometer "im Rahmen der doppelten Haushaltsführung" zurückgelegt habe. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen sei eine Entfernungspauschale von 0,30 € für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen dem Ort des eigenen Hausstandes und dem Beschäftigungsort anzusetzen. Die Kläger verweisen insoweit "auch für Mitarbeiter der DB, die diese Familienheimfahrten nicht selbst bezahlen müssen", auf die Entscheidung des BFH vom 18. April 2013 (AZ VI R 29/12). Der Kläger habe die auf den Blättern 15 und 16 der Einkommensteuer-Akten angegebenen Einsatzorte regelmäßig am ersten Tag der Kalenderwoche, in der Regel einem Montag durch — kostenlose — Anreise mit Fernzügen der Deutschen Bahn aufgesucht. Der Arbeitseinsatz habe dann "in der Regel" bis zum letzten Werktag der jeweiligen Kalenderwoche, üblicherweise einem Freitag gedauert. Während dieser Montagetätigkeit habe der Kläger  am Einsatzort regelmäßig in einem Hotel übernachtet, welches vom Arbeitgeber bezahlt worden sei - ausgenommen die Kosten der Verpflegung oder sonstigen Lebensführung (die allerdings vorliegend auch nicht geltend gemacht werden). Dies möge belegen, dass dem Kläger erhebliche zusätzliche Kosten durch die doppelte Haushaltsführung entstanden seien.

Die Kläger beantragen fast wörtlich,den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 vom ... und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung des Finanzamtes S. vom .... aufzuheben und die Einkommenssteuer für das Jahr 2012 unter Berücksichtigung von insgesamt 66 Familienheimfahrten zu insgesamt ... Kilometer nach einem zu versteuernden Einkommen von ...€ auf ... € und den Solidaritätszuschlag auf ... € festzusetzen.

Die Beklagte beantragtdie Klage abzuweisenund verweist zur Begründung auf seinen Einspruchsbescheid. Danach liege keine doppelte Haushaltsführung des Klägers vor.

Eine doppelte Haushaltsführung setze voraus, dass der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt sei und auch am Beschäftigungsort wohne. Das sei typischerweise dann der Fall, wenn sich der Arbeitnehmer am Ort einer Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG eine Unterkunft nehme. Beschäftigungsort i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sei der Ort der regelmäßigen, d. h. langfristig und dauerhaft angelegten Arbeitsstätte. Der Bezug einer Unterkunft an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG unterscheide sich von der Begründung eines Zweitwohnsitzes am Ort der regelmäßigen Arbeitsstätte bereits durch die nur vorübergehende räumliche Bindung.

Der Berichterstatter hat am 17. November 2014 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll vom 17. November 2014 Bezug genommen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Gründe

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Einkünfte sind bei nichtselbständiger Arbeit der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG). Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG).

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und 5 EStG (2012) tritt bei Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte und bei Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung, anstelle des Abzugs der tatsächlichen Kosten eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale, während bei sonstigen dienstlich veranlassten Fahrten nur entweder die tatsächlichen Kosten in der nachgewiesenen Höhe oder - bei entsprechendem Nachweis der Kilometerlaufleistung - die pauschalen Kilometersätze als Werbungskosten geltend gemacht werden können.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist für die Fahrten des Klägers von seinem Wohnsitz zu den jeweiligen Einsatzorten/ Gleisbaustellen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG keine Entfernungspauschale anzusetzen. Denn der Kläger hatte bei seiner Tätigkeit als Gleisbauer im Streitjahr keine regelmäßige Arbeitsstätte inne. Vielmehr hat er eine sog. Einsatzwechseltätigkeit ausgeübt, bei der die jeweiligen Einsatzstellen - wie sich auch aus der eigenen Übersicht des Klägers auf Bl. 15 f der Einkommensteuerakten ergibt - gerade nicht auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegt gewesen sind.

Regelmäßige Arbeitsstätte ist jede ortsgebundene dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die fortwährend und immer wieder, also nachhaltig aufgesucht wird. Dies ist regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb (vgl. BFH-Urteile vom 4. April 2008 VI R 85/04, BStBl II 2008, 887; vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFH/NV 2008, 1923; vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07, BStBl II 2009, 475). Kennzeichnend für die regelmäßige Arbeitsstätte ist,  dass sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten z. B. durch Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und durch die Wohnsitznahme hinwirken kann. Für die Annahme einer Einsatzwechseltätigkeit ist demgegenüber maßgebend, dass der Arbeitnehmer in der individuellen Situation davon ausgehen muss, dass er seine berufliche Tätigkeit an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten ausüben wird. Maßgeblich ist hier, dass sich der Arbeitnehmer dem ständigen Wechsel der Tätigkeitsstätte auf Grund des Weisungsrechts des Arbeitgebers nicht entziehen kann (vgl. BFH-Urteil vom 20. November 1987, BStBl 1988 II, 443; vgl. BFH-Urteile in BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; vom 11. Mai 2005 VI R 34/04, BFHE 209, 527, BStBl II 2005, 793). So liegt der Fall hier.

Im Streitfall ist auch nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG keine Entfernungspauschale anzusetzen. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind Aufwendungen für eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten abzugsfähig. Der Kläger hat aber weder schlüssig vorgetragen geschweige denn nachgewiesen, die geltend gemachten Fahrten im Rahmen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung unternommen zu haben. Eine doppelte Haushaltsführung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Beschäftigungsort i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG ist  der Ort der regelmäßigen, d. h. langfristig und dauerhaft angelegten Arbeitsstätte (vgl. auch BFH in BFHE 175, 553, 559, BStBl II 1995, 137, 140).

Im Streitfall ist das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger nach dem oben Gesagten bei seiner Tätigkeit als Gleisbauer im Streitjahr keine regelmäßige Arbeitsstätte innehatte. So der BFH in Abkehr von seiner vorherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 11. Mai 2005 - VI R 7/02 entschieden, dass durch den Bezug einer Unterkunft an einer nur vorübergehenden beruflichen Tätigkeitsstätte keine doppelte Haushaltsführung i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG begründet werden kann (BFH-Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782).

Darüber hinaus fehlt es im Streitfall aber auch an der weiteren Voraussetzung der Wohnsitznahme i. S. des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG. Diese liegt typischerweise dann vor, wenn sich der Arbeitnehmer am Ort einer Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG eine Unterkunft nimmt. Das bedeutet, dass eine zweite Wohnung vorgehalten und unterhalten werden muss. Ein eigener Hausstand wird dann unterhalten, wenn der Arbeitnehmer eine Wohnung besitzt, deren Einrichtung seinen Lebensbedürfnissen entspricht und in der hauswirtschaftliches Leben herrscht. Dient die Wohnung am Beschäftigungsort dagegen dem Arbeitnehmer im Wesentlichen nur als Schlafstätte, ist davon auszugehen, dass dort regelmäßig weder der Haupthausstand noch der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen liegt (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 2013 VI R 46/12, BStBl II 2013, 627). Nach der Rechtsprechung des BFH erfüllen deshalb gelegentliche Pensions- oder Hotelübernachtungen nicht die Voraussetzungen einer Wohnsitznahme (vgl. BFH-Urteile vom 08. Oktober 2014, VI R 95/13, DStR 2014, 2559; vom 05. August 2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074; vom 22. April 1998 XI R 59/97, BFH/NV 1998, 1216). Denn es fehlt an der erforderlichen, auf eine gewisse Dauer angelegten ständigen Nutzungsmöglichkeit (vgl. auch BFH-Urteil vom 9. Juni 1988 VI R 85/85, BFHE 154, 59, BStBl II 1988, 990). Hierzu hat der Kläger bereits weder schlüssig vorgetragen geschweige denn nachgewiesen, dass er - wie behauptet - die auf den Blättern 15 und 16 der Einkommensteuer-Akten  angegebenen Einsatzorte "regelmäßig" am ersten Tag der Kalenderwoche, in der Regel einem Montag aufgesucht und dann "in der Regel" bis zum letzten Werktag am Einsatzort in einem Hotel übernachtet habe. Die von ihm selbst vorgelegte Aufstellung belegt solche regelmäßigen Abwesenheiten unter der gesamten Woche - von wenigen Ausnahmen abgesehen - jedenfalls nicht, unbeschadet des Umstandes, dass auch die Hotelaufenthalte bislang nicht belegt sind. Selbst für den Fall des Nachweises der Hotelaufenthalte an den jeweiligen Einsatzorten wären aber - unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze - auch die Mindestvoraussetzungen für ein "Wohnen" an den jeweiligen Einsatzorten nicht erfüllt, da die Hotelaufenthalte jeweils nur vorübergehend angelegt waren und den Charakter einer Schlafstätte hatten.

Das von den Klägern zitierte Urteil des BFH vom 16. Januar 2013 - VI R 46/12 -, BFHE 240, 241, BStBl II 2013, 627 führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn im dort entschiedenen Fall ging es nur um die Frage, ob ein Hauptwohnsitz weiter am Heimatort des Klägers im Elternhaus begründet werden kann, während der dortige Kläger am Ort seiner ständigen Beschäftigung einen zweiten Wohnsitz begründet hatte.

Auch das weitere von den Klägern zitierte Urteil des BFH vom 18. April 2014 kann das Klagevorbringen nicht stützen. Denn es behandelt nur die Frage, ob der Kläger für die im Rahmen der doppelten Haushaltsführung geltend gemachten Familienheimfahrten tatsächlich Aufwendungen getragen haben muss. Im dort entschiedenen Fall ergibt sich aus der Entscheidung der Vorinstanz (vgl. FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Dezember 2011, 1 K 1228/09), dass der dortige Kläger an seinem Beschäftigungsort eine Wohnung angemietet hatte, so dass die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung dort - anders als im hier zu entscheidenden Fall - unproblematisch vorgelegen haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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