FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.06.2013 - 5 K 1082/09
Fundstelle
openJur 2020, 30962
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich dagegen, dass ihm nach der gesetzlichen Regelung des § 31 Satz 4 Einkommensteuergesetz (EStG) beim Abzug der Freibeträge für Kinder der hälftige Anspruch auf Kindergeld wieder hinzugerechnet wird. Zudem soll der Beklagte die Kosten dafür tragen müssen, dass er, der Kläger, während des Klageverfahrens auf den Abzug des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende verzichtet hat.

Der Kläger, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter einer juristischen Fakultät, hat zwei minderjährige Kinder. Für jedes Kind stehen dem Kläger gem. § 32 Abs. 6 EStG Freibeträge i.H.v. 2.904 € zu (1.824 € Kinderfreibetrag zzgl. 1.080 € Betreuungsfreibetrag). Das im Streitjahr für die Kinder jeweils zustehende monatliche Kindergeld i.H.v. 154 € (§ 66 Abs. 1 EStG) wurde der Kindesmutter ausgezahlt. Seit der Trennung im Jahr 2001 unterhalten der Kläger und die Kindesmutter getrennte Haushalte, in denen jeweils beide Kinder gemeldet sind. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass die Betreuung beider Kinder zeitlich hälftig in beiden Haushalten erfolgte. Der Kläger zahlt wegen seiner Betreuungsleistungen keinen Kindesunterhalt an die Kindesmutter.

Das vormalige Finanzamt ..., dessen gesetzlicher Rechtsnachfolger zum 1. Juni 2013 das nunmehr beklagte Finanzamt (FA) geworden ist, erließ am 22. Oktober 2008 den streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid. Darin wurde dem Kläger entsprechend § 31 Satz 4 EStG bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens für jedes Kind ein Freibetrag i.H.v. 2.904 € abgezogen und zugleich der hälftige Anspruch des Klägers auf das Kindergeld i.H.v. 924 € (= 154 € x 12 Monate / 2) wieder hinzugerechnet. Den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gewährte das FA nicht.

Im Einspruchsverfahren trug der Kläger zusammenfassend vor, dass er im Gegensatz zur Kindesmutter seine Kinder in seinem Haushalt allein erziehen würde, die Kinder auch bei ihm gemeldet seien und auch die Hälfte des Jahres bei ihm wohnen würden. Nach Ansicht des Klägers würde die Kindesmutter in deren Haushalt mit ihrem damaligen Partner eine Haushaltsgemeinschaft bilden, weshalb der Kindesmutter kein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende zustehen würde. Gegen die Hinzurechnung des hälftigen Kindergeldanspruchs wandte der Kläger ein, dass er das Kindergeld nicht erhalten habe und wegen seiner Betreuungsleistungen auch keinen Barunterhalt schulden würde, so dass es nichts anzurechnen gäbe. Es verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn Eltern ihre Kinder jeweils in gleichem Umfang betreuen, der eine Kindergeld bzw. Freibeträge erhalte, der andere aber nur einen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch habe, der erst vor Gericht durchgesetzt werden müsse. Nachdem das FA die Kindesmutter befragt und eine zuvor angekündigte Ortsbesichtigung der eigenen Wohnung des damaligen Partners der Kindesmutter durchgeführt hatte, monierte der Kläger u.a., die Ortsbesichtigung sei "beinahe wie ein Schildbürgerstreich" angekündigt gewesen.

Mit Einspruchsbescheid vom 14. Juli 2009 setzte das FA die Einkommensteuer aus hier nicht streitigen Gründen herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Das FA bezog sich wegen der Hinzurechnung des hälftigen Kindergeldanspruchs auf den Wortlaut des § 31 Satz 4 EStG. Den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gewährte das FA nicht, weil es die vom Kläger behauptete Haushaltsgemeinschaft der Kindesmutter mit deren damaligen Partner nicht habe ermitteln können.

Dagegen richtet sich die vorliegende Klage. Vertiefend hält es der Kläger im Hinblick auf seinen Betreuungsleistungen für absurd, dass ihm Geld als erhalten zugerechnet werde, welches er niemals erhalten habe und über dessen Verwendung er nicht entscheiden könne und er auch keine Nachweise erhalte. Er, der Kläger, kümmere sich die Hälfte des Jahres um seine Kinder, so dass die Anrechnung nicht erhaltenen Kindergeldes nicht gerecht sei und verzichte sogar auf das Kindergeld. Zudem liege ein Verstoß gegen Art 8 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vor. Hinsichtlich des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende hatte der Kläger seinen bisherigen Vortrag vertieft.

Der Kläger beantragt, dass der Einkommensteuerbescheid vom 22. Oktober 2008 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 14. Juli 2009 mit der Maßgabe geändert wird, dass bei der Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer das hälftige Kindergeld i.H.v. 924 € für jedes Kind nicht hinzugerechnet wird.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das FA bezieht sich im Wesentlichen auf seinen bisherigen Sachvortrag.

Nachdem das Gericht die Kindesmutter zum Verfahren beigeladen und der Kläger im ersten Erörterungstermin von der weiteren Geltendmachung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende Abstand genommen hatte, hat das Gericht die Beiladung der Kindesmutter wieder aufgehoben.

Dem Senat hat bei seiner Entscheidung ein Band Verwaltungsakten vorgelegen, auf dessen Inhalt vollumfänglich Bezug genommen wird.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid in Gestalt des Einspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Das FA hat unter zutreffender Anwendung des § 31 Satz 4 EStG im Rahmen der Günstigerprüfung für beide Kinder die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abgezogen und zugleich den jeweils hälftigen Kindergeldanspruch des Klägers, der auf dem sog. Halbteilungsgrundsatz als Grundprinzip des Familienleistungsausgleichs beruht (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 25. September 2008 III R 45/06, BFH/NV 2009, 556 m.w.N.), wieder hinzugerechnet. § 31 Satz 4 EStG ist anzuwenden, weil die Vorschrift insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Im Einzelnen:

1. Nach dem klaren und eindeutigen Gesetzeswortlaut ist für die Hinzurechnung in der seit dem Veranlagungszeitraum 2004 geltenden und auch vorliegend maßgeblichen Fassung des § 31 Satz 4 EStG (n.F.) allein entscheidend, ob ein Anspruch auf Kindergeld besteht. Damit hat der Gesetzgeber ausdrücklich entgegen der vorherigen Rechtslage die Einkommensteuerfestsetzung von der Kindergeldzahlung vollständig abgekoppelt. Ob Kindergeld tatsächlich gezahlt worden ist, ist seitdem ohne Bedeutung (z.B. BFH-Urteil vom 13. September 2012 V R 59/10, BStBl. II 2013, 228).

a) Nach § 31 Satz 1 EStG n.F. wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Bedarfs für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG bewirkt. Ist - wie vorliegend - der Abzug der Freibeträge für Kinder günstiger als der (hälftige) Anspruch auf Kindergeld, erhöht sich die unter Berücksichtigung des Abzugs der Freibeträge für Kinder ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den (hälftigen) Kindergeldanspruch, § 31 Satz 4 EStG. Kinderfreibetrag und Kindergeld werden dadurch zwingend miteinander kombiniert, so dass ein Wahlrecht zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag nicht mehr besteht.

b) Im Gegensatz hierzu waren bis zum Veranlagungszeitraum 2003 nach § 31 Satz 4 EStG a.F. die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt wurde; in diesem Fall war das gezahlte Kindergeld (oder vergleichbare gezahlte Leistungen) nach § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG a.F. zu verrechnen. Weil nur gezahltes Kindergeld hinzuzurechnen war, bestand im Ergebnis ein Wahlrecht. Wurde auf den Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld verzichtet wird, konnten die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG in voller Höhe geltend gemacht werden.

c) Für die Änderung des § 31 EStG durch das Steueränderungsgesetz 2003 (StÄndG 2003) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) waren Gesichtspunkte der Verfahrensvereinfachung maßgebend.

aa) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten insbesondere Änderungen der Steuerfestsetzung aufgrund einer nachträglichen Gewährung von Kindergeld vermieden werden (BT-Drucks 15/1798, S. 2 zu 4.). Die nach § 66 Abs. 3 EStG a.F. geltende Ausschlussfrist für den Kindergeldantrag (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 68/00, BFH/NV 2002, 1293 m.w.N.), wonach Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt wurde, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, war mit Wirkung ab 1.1.1998 entfallen, sodass der Kindergeldanspruch seither auch für zurückliegende Zeiträume bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer des entsprechenden Veranlagungszeitraums geltend gemacht werden konnte. Da bis zur Änderung des § 31 Satz 4 EStG durch das StÄndG 2003 bei der Einkommensteuerveranlagung unter Berücksichtigung von Freibeträgen nach § 32 Abs. 6 EStG nur das tatsächlich ausbezahlte Kindergeld hinzuzurechnen war, erforderte eine erst nach Festsetzung der Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum erfolgte Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld für diesen Veranlagungszeitraum eine Änderung der entsprechenden Einkommensteuerfestsetzung. Durch die Anknüpfung an den Kindergeldanspruch (anstelle der Kindergeldzahlung) sollten Änderungen der Einkommensteuerfestsetzung bei nachträglicher Gewährung von Kindergeld überflüssig werden. Des Weiteren sollte der in der Praxis (bei Eltern mit mehreren Kindern) fehlerträchtige Ermittlungsschritt beim Ausfüllen der Steuererklärungsvordrucke vermieden werden. Das Abstellen auf den Kindergeldanspruch anstelle der Kindergeldzahlung sollte zusätzlichen Verwaltungsaufwand in den Finanzämtern vermeiden, weil das Kindergeld - sofern die Familienkasse nicht vom Antrag des Kindergeldberechtigten abweicht - in einer Summe gezahlt wird und nicht - wie es für die steuerliche Ermittlung des Kinderfreibetrages notwendig ist - kindbezogen nachzuweisen ist (z.B. BFH-Urteil vom 19. April 2012 III R 50/08, BFH/NV 2012, 1429).

bb) Bestätigt wird der Wille des Gesetzgebers, nicht mehr - wie bisher - auf das tatsächlich gezahlte Kindergeld, sondern auf den Kindergeldanspruch abzustellen, durch die Neuregelung in § 31 Satz 7 EStG. Stellte § 31 Satz 7 EStG a.F. noch darauf ab, ob ein höheres Kindergeld nach ausländischem Recht "gezahlt” wurde, kommt es nach der Neuregelung darauf an, ob ein das inländische Kindergeld übersteigender Anspruch nach ausländischem Recht besteht (BFH-Urteil vom 13. September 2012 V R 59/10, BStBl. II 2013, 228). Die Neuregelung sollte weiter die Angaben zur Höhe des Kindergeldanspruchs in der Regel - mit Ausnahme von Sonderfällen wie z.B. Leistungen für Kinder nach ausländischem Recht - in der Steuererklärung entbehrlich machen (BT-Drucks 15/1945, S. 9 und BT-Drucks 15/1798, S. 2).

d) Nach Maßgabe vorstehender Ausführungen kommt es für die Hinzurechnung nach § 31 Satz 4 EStG n.F. allein darauf an, ob dem Kläger - was unstreitig ist - materiell-rechtlich ein hälftiger Kindergeldanspruch zusteht.

aa) Weil der Gesetzgeber - wie unter 1. c) dargelegt - mit der Neuregelung des § 31 Satz 4 EStG n.F. eine generelle Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs im Veranlagungsverfahren (Stichwort "Massengeschäft") angeordnet und damit zugleich auch nachfolgende finanzgerichtliche Verfahren bewusst von nicht steuerrechtlichen Einwirkungen freigehalten hat, ist es seitdem im Besteuerungsverfahren gerade vollkommen unerheblich, in welchem Umfang beide Eltern Betreuungsleistungen erbringen, ob eine Doppelresidenz der Kinder besteht, welchem Elternteil des Kindergeld ausgezahlt wird, wie der Kindergeldempfänger das Kindergeld verwendet, ob zivilrechtliche Unterhaltsansprüche bestehen oder nicht oder ggf. um Kindergeld zu mindern sind oder nicht. Unmaßgeblich ist insbesondere auch, ob - was der Kläger schriftsätzlich zuletzt im Klageverfahren getan hat - auf das Kindergeld verzichtet wird, weil ein Wahlrecht zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag nicht mehr existiert.

bb) Dementsprechend wurde zwischenzeitlich durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits klargestellt, dass es für § 31 Satz 4 EStG n.F. für die einkommensteuerrechtliche Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs weder auf die kindergeldrechtliche Beurteilung durch die Familienkasse (z.B. zuletzt BFH-Urteil vom 15. März 2012 III R 82/09, BStBl. 2013, 226) noch darauf ankommt, ob für ein Kind überhaupt Kindergeld (etwa wegen fehlendem Antrag oder wegen Verjährung) bezogen wurde oder, ob der Kindergeldanspruch tatsächlich durch Zahlung erfüllt worden ist (z.B. BFH-Urteil vom 13. September 2012 V R 59/10, BStBl. II 2013, 228 m.w.N. ).

2. Der Senat kann nicht erkennen, dass § 31 Satz 4 EStG n.F. gegen das GG [siehe unten 2. a)] noch gegen die EMRK [siehe unten 2. b)] verstößt, auch wenn man durchaus die derzeitige Kombination von Kindergeld und Kinderfreibetrag im Einkommensteuerrecht gewiss nicht für die beste der denkbaren Lösungen halten kann. Der (juristisch gebildete) Kläger hat jedoch bei dem Senat keinerlei Zweifel an der von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung bejahten Verfassungsmäßigkeit des § 31 Satz 4 EStG n.F. wecken können. Hierzu hätte es seitens des Klägers einer eingehenden Auseinandersetzung mit der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung und ggf. einschlägigen Fachliteratur vor allem dahingehend bedurft, welche verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte konkret bislang noch nicht berücksichtigt worden sind. Solche fehlenden Gesichtspunkte vermag der Senat im Übrigen ebenso wenig zu erkennen wie Anhaltspunkte für eine Unvereinbarkeit von § 31 Satz 4 EStG n.F. mit der EMRK.

a) § 31 Satz 4 EStG n.F. verletzt weder den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch wird der Kläger in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) beeinträchtigt. Die Vorschrift verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot der steuerlichen Freistellung des Kinderexistenzminimums (Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG) oder greift in den Schutzbereich der Familie ein.

aa) Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt oder eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Belastung rechtfertigen können (z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, BStBl 2003 II, 534 m.w.N.). Bei der gerichtlichen Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (z.B. BVerfG-Beschluss vom 29. November 1989 1 BvR 1402, 1528/87, BStBl II 1990, 479). Die mit § 31 Satz 4 EStG n.F. vom Gesetzgeber angestrebte Verwaltungsvereinfachung [siehe unter 1. c)], stellt nach Ansicht des Senats einen hinreichend nachvollziehbaren sachlichen Grund selbst dann dar, wenn im Einzelfall konkret eine Verwaltungsvereinfachung nicht festgestellt werden kann [ebenso BFH-Urteil vom 13. September 2012 V R 59/10, BStBl. II 2013, 228 unter II. 2. a) aa)].

bb)

Die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit wird nicht durch die Entscheidung des Gesetzgebers verletzt, die steuerliche Freistellung in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Betreuungsbedarfs in der Weise zu regeln, dass im laufenden Jahr Kindergeld als antragsabhängige monatliche Steuervergütung beansprucht werden kann und für den Fall, dass die gebotene steuerliche Freistellung für den gesamten Veranlagungszeitraum nicht bereits vollständig durch den Anspruch auf Kindergeld bewirkt wird, die unter Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld für den entsprechenden gesamten Veranlagungszeitraum zu erhöhen ist.

Zwar hat im Ergebnis die Anknüpfung an den Kindergeldanspruch (anstelle der Kindergeldzahlung) als Hinzurechnungsgröße bei Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG zur Folge, dass die kindbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit (vgl. BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 6. November 2011 2 BvR 1249/02, HFR 2004, 260) im Umfang des Kindergeldanspruchs ausschließlich als Steuervergütung beansprucht werden kann und sich bei der Einkommensteuerveranlagung im Ergebnis nur noch die Differenz zwischen der Steuerminderung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und Kindergeldanspruch auswirken kann. Jedoch besteht ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein Wahlrecht zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag nicht; der Senat folgt in vollem Umfang dem entsprechenden BFH-Urteil vom 13. September 2012 V R 59/10, BStBl. II 2013, 228 unter II. 2. a) aa).

Wie das BVerfG zuletzt im Beschluss 6. November 2011 (a.a.O. zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Antragsfrist nach § 66 Abs. 3 EStG a.F.) ausgeführt hat, steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, die kindbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen oder ihr stattdessen im Sozialrecht durch die Gewährung eines dafür ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen oder auch eine Entlastung im Steuerrecht und eine solche durch das Kindergeld miteinander zu kombinieren (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BStBl 1999 II, 174; vom 29. Mai 1990 1 BvL 4/86, BStBl 1990 II, 653). Nachdem der Anspruch auf Kindergeld - anders als nach § 66 Abs. 3 EStG a.F. - nicht mehr durch die Antragsfrist von sechs Monaten begrenzt ist, sondern bis zur Grenze der Festsetzungsfrist (BFH-Beschluss vom 31. Januar 2007 III B 167/06, BFH/NV 2007, 865) geltend gemacht werden kann, begegnet die Kombination von Steuervergütung in Form eines Kindergeldanspruchs und der lediglich ergänzenden Berücksichtigung einer dadurch nicht vollständig bewirkten kindbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit durch die Freibeträge in § 32 Abs. 6 EStG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

cc) Nach Ansicht des Senats ist § 31 Satz 4 EStG n.F. insbesondere auch mit dem vom BVerfG (z.B. Beschluss vom 13. Oktober 2009 2 BvL 3/05, NJW 2010, 431) aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abgeleiteten Gebots der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie zu vereinbaren. Soweit danach der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen hat, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt, verstößt § 31 Satz 4 EStG n.F. dagegen nicht.

(1) Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung vom 13. Oktober 2009 (2 BvL 3/05, a.a.O.) zwar darüber zu befinden, ob die damalige steuerrechtliche Hinzurechnung der Hälfte des gezahlten Kindergeldes auch in den Fällen verfassungsgemäß ist, in denen eine Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhalt gem. § 1612 b Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung des Gesetzes vom 2.11.2000 ganz oder teilweise unterblieben ist (sog. Mangelfälle). Das BVerfG bejahte die Verfassungsmäßigkeit und führte jedoch - vorliegend ebenfalls zutreffend - verallgemeinernd aus, dass die verfassungsrechtlich gebotene Verschonung des kindbedingten Existenzminimums dadurch bewirkt wird, dass das Einkommen des Steuerpflichtigen um die Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG vermindert wird. Der Gesetzgeber hatte sich damit im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen für eine generalisierende Regelung entschieden, mit der die existenznotwendigen Mindestaufwendungen für Kindesunterhalt bei allen Steuerpflichtigen in gleicher Weise in der steuerlichen Bemessungsgrundlage berücksichtigt werden. Eine individuelle Würdigung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und ihrer Minderung durch die zur Befriedigung der Bedürfnisse des Kindes zwangsläufig einzusetzenden Mittel fand nicht statt. Das dem Steuerpflichtigen als monatlich gezahlte Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG) zugeflossene Kindergeld war zur Vermeidung doppelter Berücksichtigung des Kindesexistenzminimums zurück zu gewähren, indem es zur tariflichen Einkommensteuer hinzugerechnet wird (§ 31 Satz 5 EStG a.F.); eigenständige Bedeutung für den Familienleistungsausgleich hatte das Kindergeld in diesem Fall nicht.

Der Senat kann nicht erkennen, dass die in § 31 Satz 4 EStG n.F. angeordnete, von der Kindergeldfestsetzung losgelöste, zwingende Hinzurechnung den vom BVerfG umrissenen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum verlassen haben könnte.

(2) Soweit das BVerfG im Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00 (HFR 2004, 1139 m.w.N.) betont hat, dass es dem Gesetzgeber grundsätzlich freisteht, die kindbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen, ihr durch Gewährung von Kindergeld Rechnung zu tragen oder beide Möglichkeiten zu kombinieren, genügt nach Ansicht des Senats § 31 Satz 4 EStG n.F. diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Dies gilt selbst dann, wenn trotz der in Abzug gebrachten Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG als Folge der versagten Kindergeldgewährung keine Entlastung in Höhe der hinzugerechneten Kindergeldansprüche eintritt; dies mag zwar eine Härte im Einzelfall darstellen, begründet aber nicht die Verfassungswidrigkeit des § 31 Satz 4 EStG n.F. (ebenso BFH-Urteil vom 20.12.2012 III R 29/12, BFH/NV 2013, 723).

b) Soweit der Kläger zuletzt noch mit Art. 8 (Schutz vor staatlichen Eingriffen in das Privat- und Familienleben) und Art 14 (Diskriminierungsverbot) EGMRK bemüht hat, kann der Senat schon nicht erkennen, dass der deutsche Hinzurechnungsmechanismus in § 31 Satz 4 EStG n.F. überhaupt diskriminierend wirkt. Nach deutschem Rechtsverständnis fehlt es an einer Ungleichbehandlung [siehe unter 2. a) aa)]. Inwieweit der EMRK ein vom deutschen Recht abweichendes Verständnis von Gleich- bzw. Ungleichbehandlung zu Grunde liegen könnte, hat der (juristisch gebildete) Kläger weder ansatzweise dargelegt noch kann dies der Senat erkennen. Der Senat sieht daher von weiteren Ausführungen mit dem vorsorglichen Hinweis ab, dass das FG nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten überhaupt ausdrücklich - geschweige denn ausgiebig - in den Entscheidungsgründen zu befassen (z.B. BFH-Beschluss vom 15. Juni 1994 II B 172/93, BFH/NV 1995, 131).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Kläger hat aber auch hinsichtlich des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende (§ 24b EStG) in entsprechender Anwendung des § 136 Abs. 2 FGO die Kosten zu tragen.

a) Die analoge Anwendung des § 136 Abs. 2 FGO ist erforderlich, weil der Kläger nicht die Klage gegen die Steuerfestsetzung zurückgenommen, sondern auf den ursprünglich mit der Klage begehrten Entlastungsbetrag für Alleinerziehende verzichtet hat. Bei dem Entlastungsbetrag für Alleinerziehende handelt es sich um einen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids (Besteuerungsgrundlage) i.S.d. § 157 Abs. 2 Abgabenordnung (AO), auf den § 136 Abs. 2 FGO nicht direkt angewendet werden kann.

b) Soweit von § 136 Abs. 2 FGO abweichend ausnahmsweise nach § 137 Satz 2 FGO Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden können, kann der Senat ein solches Verschulden des FA gerade nicht erkennen.

aa) Sind - was vorliegend unstreitig ist - Kinder zu gleichen Teilen in die Haushalte beider Eltern eingegliedert und treffen die Eltern keine Bestimmung über die Zuordnung, steht der Haushaltsfreibetrag demjenigen zu, an den das Kindergeld - vorliegend die Kindesmutter - ausgezahlt wird (§ 24b Abs. 1 Satz 3 EStG; BFH-Urteil vom 28. April 2010 III R 79/08, BFH/NV 2010, 1716). Ob - was der Kläger behauptet und die Kindesmutter bestritten hat - die Kindesmutter mit ihrem damaligen Partner eine Haushaltsgemeinschaft i.S.d. § 24b Abs. 2 EStG geführt hat, konnte das FA trotz umfassender Ermittlungsmaßnahmen i.S.d. § 88 AO gerade nicht feststellen. Jedoch handelt es sich beim Entlastungsbetrag für Alleinerziehende um eine steuermindernde Tatsache, wofür allein der Kläger und nicht das FA darlegungs- und beweispflichtig ist.

bb) Soweit der Kläger ein Verschulden des FA darin sieht, dass das FA in den Vorjahren 2005 und 2006 eine Aufklärung verweigert, die Kindesmutter nicht beigezogen und so Bestandskraft herbeigeführt habe, kann dies am fehlenden Verschulden des FA i.S.d. § 137 Satz 2 FGO bezogen auf das vorliegende Streitjahr 2007 nichts ändern. Selbst wenn der Senat diese Behauptungen des Klägers als wahr unterstellt, beträfe ein solches etwaiges Verschulden des FA weder den vorliegenden Besteuerungszeitraum noch kann etwaiges Handeln der Vorjahre darauf abfärben. Im Steuerrecht gilt der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung (§ 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG). Danach hat das FA in jedem Besteuerungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss es zum frühestmöglichen Zeitpunkt selbst dann aufgeben, wenn - woran es vorliegend gerade fehlt - der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut oder wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten haben sollte (ständige Rechtsprechung des BFH, zuletzt z.B. Urteil vom 13. Dezember 2011 II R 26/10, DStR 2012 S. 406 m.w.N.). Anderes könnte nur dann gelten, wenn das FA bezogen auf das vorliegende Streitjahr von falschen Rechtsgrundsätzen ausgegangen wäre oder keine bzw. unzureichende Sachverhaltsfeststellungen getroffen hätte. Letzteres kann der Senat aber nicht feststellen. Der Umstand, dass das FA die Ortsbesichtigung der Wohnung des damaligen Partners der Kindesmutter zuvor angekündigt hatte, stellt dabei kein unzureichendes, sondern ein recht- und zweckmäßiges Handeln dar. Auch im Besteuerungsverfahren verbietet Art. 13 Abs. 1 GG - was dem Kläger auf Grund seiner beruflichen Kenntnisse bekannt sein dürfte - ein staatliches Eindringen in Privatwohnungen ohne die Einwilligung des Wohnungsinhabers. Dass ein Ausnahmefall des Art. 13 Abs. 2 GG, d.h. eine richterliche Anordnung oder Gefahr im Verzug, vorgelegen hätte, ist weder zu erkennen noch hat dies der Kläger behauptet.

4. Die Revision war nicht zuzulassen. Der BFH hat in seiner Rechtsprechung mehrfach § 31 Satz 4 EStG n.F. für verfassungsgemäß gehalten. Neue Erkenntnisse, die eine Fortbildung des Rechts erforderlich machen könnten, sind nicht ersichtlich.

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