OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12
Fundstelle
openJur 2020, 29714
  • Rkr:

Alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige ohne persönliche gefahrerhöhende Merkmale haben derzeit im Falle einer Abschiebung in die Provinz Laghman nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dort alsbald Opfer eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG zu werden.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylVfG.

Der nach eigenen Angaben im Jahr 1990 in der Provinz Laghman/Afghanistan geborene Kläger reiste nach seinen Schilderungen am 03. Juni 2009 aus Belgien kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Am 18. Juni 2009 wurde der Kläger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu seinem Asylbegehren angehört. Zur Begründung gab er an: Er habe in P./Pakistan eine Koranschule besucht. Seine beiden Halbbrüder seien Taliban und Lehrer an dieser Schule. Nach einigen Jahren an dieser Schule sei er aufgefordert worden, sich dem Jihad anzuschließen, um gegen die amerikanischen Militärs zu kämpfen. Er sei aufgefordert worden, an Trainingskursen teilzunehmen, welche auch die Ausbildung an der Waffe und zu Selbstmordattentaten zum Inhalt hatten. Dies habe er nicht gewollt und habe mit Unterstützung seiner Tante aus Afghanistan ausreisen können. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er, dass die Taliban ihn töten könnten.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 12. Februar 2010 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Flüchtlingsanerkennung i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde er nach Afghanistan abgeschoben. Der Kläger könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger könne weder Asyl noch Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG beanspruchen, da er ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht habe. Er habe vielmehr ausgeführt, dass er Afghanistan unverfolgt verlassen habe. Auch nationale und europarechtliche Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor. Für keine der Provinzen in Afghanistan läge ein Gefährdungsgrad für Zivilpersonen vor, der die Feststellung einer erheblichen individuellen Gefahr allein aufgrund einer Rückkehr in das Herkunftsgebiet und die Anwesenheit dort rechtfertige. Im Übrigen sei es dem Kläger auch zuzumuten auf das Gebiet der Hauptstadt Kabul auszuweichen.

Am 25. Februar 2010 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Er hat ausgeführt, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohen würde. Ferner sei davon auszugehen, dass in seiner Heimatprovinz Laghman eine allgegenwärtige Gefahr bestehe, die jederzeit und nahezu überall in einen lebensbedrohlichen Schaden umschlagen könne. Der Kläger könne sich auch nicht in Kabul niederlassen, da er über keine beruflichen Qualifikationen verfüge und in Kabul keine unterstützungsbereiten Strukturen vorfinde. Er habe seit seinem 13. Lebensjahr für fünf oder sechs Jahre die Koranschule in P./Pakistan besucht. Er hat ferner vorgetragen, dass er sich nunmehr dem Christentum zugewandt habe und sich am 11. September 2011 in C-Stadt habe taufen lassen.

Der Kläger hat beantragt,

ihn unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Februar 2010 als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen, weiter hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 19. Dezember 2011 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG lägen nicht vor, da der Kläger bereits nach eigenen Angaben auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Dem Kläger drohe im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung. Dies gelte auch für den von ihm vorgetragenen Übertritt zum Christentum. Der Kläger habe auch nach seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung einen Glaubenswechsel zum Christentum nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 oder Abs. 3 AufenthG lägen nicht vor. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Es könne offen bleiben, ob in der Heimatprovinz des Klägers ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche. Trotz der äußerst schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan sei dem Kläger jedenfalls eine Rückkehr nach Kabul zumutbar. Auch die Voraussetzungen für das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG seien nicht gegeben.

Mit der vom Senat auf das Vorliegen des unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beschränkt zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, dass ihm in seiner Heimatregion eine Verfolgung durch die Taliban drohe. In den anderen Regionen von Afghanistan habe er keine Existenzgrundlage. Er verfüge über keine Ausbildung. Er habe als landwirtschaftlicher Helfer und als Viehhirte für seine Tante gearbeitet.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 19. Dezember 2011 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Februar 2010 zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes für den Kläger nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt zur Begründung vor, dass die Ausführungen des Klägers in der Berufungsbegründung sich im Wesentlichen auf das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezögen. Insoweit sei die Berufung jedoch nicht zugelassen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist gemäß § 77 AsylVfG das Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 02. September 2008 (AsylVfG, BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), und das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (AufenthG, BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 06. September 2013 (BGBl. I S. 3556). Unionsrechtlich findet die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337 S. 9) - RL 2011/95/EU - Anwendung (vgl. Art. 39 Abs.1, Art. 41 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU).

Kann ein Schutzsuchender kein Bleiberecht auf der Grundlage von Art. 16a GG oder § 3 AsylVfG finden, ist subsidiärer Schutz nach § 4 AsylVfG zu prüfen. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylVfG bezeichnete ernsthafte Schaden droht. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG fasst die bisher in Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 enthaltenen Abschiebungsverbote zusammen, mit denen bereits Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt worden war (vgl. Begründung in BT-Drs. 17/13063, S. 25).

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG). In diesem Rahmen sind gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend anzuwenden.

§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Vorläuferregelungen des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG grundsätzlich einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urt. v. 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris; BayVGH, Urt. v. 20.01.2012 - 13a B 11.30427 -, juris). Der Kläger hat im Berufungsverfahren sein Begehren ausdrücklich auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG beschränkt, so dass gemäß § 129 VwGO die gerichtliche Prüfung auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift beschränkt ist.

Nach §§ 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG in der zum 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Fassung gilt als ernsthafter Schaden auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt jedenfalls dann vor, wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und anderen organisierten Gruppen stattfinden (vgl. EuGH, Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - "Diakité"). Nach dieser autonomen unionsrechtlichen Definition des Begriffs des "innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes" in Art. 15 c RL 2011/95/EU, der dem entsprechenden Begriff in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG zugrunde liegt, ist es dabei nicht erforderlich, dass die Konfliktparteien unter verantwortlicher Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen können. Für das Vorliegen eines solchen Konfliktes ist es ferner auch nicht von Bedeutung, ob dieser ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - "Diakité"; anders die frühere Rspr. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.: BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, juris).

Aufgrund eines derartigen Konflikts muss für den Schutzsuchenden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit bestehen. Hierbei ist zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Schutzsuchenden so verdichtet hat, dass sie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - "Diakité"). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c RL 2011/95/EU umsetzenden - Abschiebungsverbotes können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt. In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C. 5.12 -, juris unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07 - "Elgafaji"). Für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG Schutz gewähren soll. Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2013, a. a. O.).

Normalerweise hat ein bewaffneter Konflikt nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sein werden. Allerdings kann der bewaffnete Konflikt ein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land/die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dies bleibt allerdings außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind (vgl. EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07 - "Elgafaji"; Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - "Diakité"). Eine Individualisierung kann sich auch aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen (EuGH, Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - "Diakité"). Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ("real risk") gegeben sein muss. Hierzu soll entsprechend der Feststellung einer Gruppenverfolgung eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung erforderlich sein, wobei neben völkerrechtswidrigen auch andere nicht zielgerichtete Gewaltakte zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris und Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 11.10 und 10 C 13.10 -, juris). Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011 - bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 bzw. 1:1000 verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.

Gemessen an diesen Maßstäben ist der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer auf seine Heimatprovinz Laghman beschränkten individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt. Auf einer Fläche von 3.977 km² leben in der Provinz Laghman rund 431.000 Einwohner (zitiert nach Afghanistan Statistical Yearbook 2013-2014, veröffentlicht unter cso.gov.af/Content/files/Population(3).pdf). Die Provinz Laghman grenzt unmittelbar östlich an die Hauptstadt Kabul an. Die Provinz ist mit einem Bevölkerungsanteil von 75 % mehrheitlich von der Volksgruppe der Paschtunen, welcher auch der Kläger angehört, bewohnt (zitiert nach de.wikipedia.org/wiki/Laghman). Obwohl der Kläger nach seinen Angaben die letzten fünf oder sechs Jahre vor seiner Ausreise in P./Pakistan gelebt hat, um dort eine Koranschule zu besuchen, ist nicht davon auszugehen, dass er sich schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von seiner Heimatregion gelöst hat und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Die Provinz Laghman ist somit weiterhin als Anknüpfungspunkt der Gefahrenprognose in Bezug auf den Kläger anzusehen.

Hinsichtlich der vorgenannten Voraussetzungen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Afghanistan und das dortige Ausgesetztsein einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ergibt sich nach den vorliegenden Erkenntnisquellen folgendes Bild:

Nach den letzten Lageberichten des Auswärtigen Amtes (vom 09. Februar 2011, vom 10. Januar 2012, vom 04. Juni 2013 und vom 31. März 2014), ist die Sicherheitslage in Afghanistan regional weiter sehr unterschiedlich. Neben medienwirksamen Anschlägen auf militärische wie zivile internationale Akteure (insbesondere in Kabul) verüben Aufständische vermehrt Anschläge gegen die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte. Im Zuge der Übernahme der Sicherheitsverantwortung in ganz Afghanistan stehen die ANSF (Afghan National Security Forces) in der ersten Reihe und sind, auch aufgrund ihrer im Vergleich zu ISAF/NATO Kräften qualitativ weniger hochwertigen Ausrüstung und Ausbildung, primäres Ziel der Aufständischen. Aufgrund ihrer besonderen Machtstellung gehören auch Provinz- und Distriktgouverneure zu den herausgehobenen Personen, auf die immer wieder Anschläge verübt werden. Auch gegen Mitarbeiter des afghanischen öffentlichen Dienstes wie Angehörige von Ministerien oder nachgeordneten Behörden werden aufgrund ihrer Tätigkeit für den afghanischen Staat Anschläge verübt. Hohe Opferzahlen erleidet auch die afghanische Zivilbevölkerung, insbesondere wird sie bei Anschlägen mittels improvisierter Sprengsätze (IEDs) in Mitleidenschaft gezogen.

Im Jahre 2013 gab es nach den Berichten der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) in ganz Afghanistan insgesamt 8.615 zivile Opfer, darunter 2.959 Todesfälle, wovon die meisten Opfer bei Anschlägen ums Leben kamen, die den Aufständischen zugerechnet werden (UNAMA, Annual Report 2013 vom Februar 2014). Die größte Bedrohung für die Bevölkerung geht weiterhin von der bewaffneten Aufstandsbewegung, deren Intensität und regionale Ausbreitung seit 2006 zugenommen hat, aus. 74 % der zivilen Opfer werden von Aufständischen verursacht. 34 % der Opfer rühren von Anschlägen aufgrund von improvisierten Sprengeinrichtungen (IED), 27 % von Auseinandersetzungen zwischen Regierungskräften und Aufständischen, 15 % von Selbstmordattentaten und 14 % von gezielten Tötungen her. Die weiteren Opfer rühren z. B. von militärischen Lufteinsätzen und Explosionen von Blindgängern her. Hierbei ist nach den Angaben der UN ein Anstieg der Zahl der Opfer von funkgesteuerten Sprengeinrichtungen und der Opfer bei Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen festzustellen. Eine Übersicht über die Opferzahlen in den verschiedenen Regionen/Provinzen Afghanistans findet sich für das Jahr 2013 nur bei den Opfern von IEDs und den Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und den Aufständischen. Von den 2.890 Opfern von IEDs stammten 288 Opfer aus der östlichen Region Afghanistans, wozu neben der Heimatprovinz des Klägers Laghman auch die Provinzen Nangarhar (Einwohnerzahl 1,462 Mio.), Kunar (Einwohnerzahl 436.000) und Nuristan (Einwohnerzahl 143.000, jeweils zitiert nach cso.gov.af/Content/files/Population(3).pdf) zählen. Bei den 2.327 Opfern von Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen kamen 726 Opfer aus der östlichen Region, wobei hier 339 Opfer aus der Provinz Kunar und 261 Opfer aus der Provinz Nangarhar stammten.

Nach dem Midyear Report der UNAMA vom Juli 2014 sind die Opferzahlen des innerstaatlichen Konflikts im ersten Halbjahr 2014 im Vergleich zum ersten Halbjahr des Vorjahres um 17 % angestiegen. So sind im ersten Halbjahr 2014 4.853 Opfer (1.564 Tote und 3.289 Verletzte) zu verzeichnen gewesen, während es im ersten Halbjahr 2013 3.919 Opfer (1.342 Tote und 2.577 Verletzte) waren. Wiederum waren 74 % Opfer von Gewalt, welche von Aufständischen ausging. 39 % der Opfer rührten von Auseinandersetzungen zwischen Regierungseinheiten und Aufständischen her, 30 % aufgrund des Einsatzes von IEDs. Bei den Opferzahlen in den Provinzen hat es im ersten Halbjahr 2014 gegenüber dem ersten Halbjahr 2013 keine größeren Verschiebungen gegeben. Im ersten Halbjahr 2014 wurden 1.463 Menschen Opfer von IEDs (463 Tote und 1.000 Verletzte), was einen Anstieg von 7 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutet. 181 Opfer kamen aus den östlichen Regionen, wobei keine genauen Zahlen für einzelne Provinzen vorliegen. Weiterhin sind die Provinzen Kandarhar und Helmand am stärksten von Sprengstoffanschlägen betroffen. Dem folgen die Provinzen Khost, Nangarhar (Ostregion) und Ghazni. Von den 1.901 Opfern (Tote und Verletzte) der Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen im ersten Halbjahr 2014 stammten 335 aus der Provinz Helmand, 183 aus Faryab, 177 aus Kunar und 158 aus Nangarhar. Insgesamt kamen 414 Opfer aus der östlichen Region, so dass 79 Opfer aus den Provinzen Laghman und Nuristan stammen.

Nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Update vom 30.09.2013) seien die Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen 2012 bei sehr hoch bleibendem Gewaltlevel um 25 % zurückgegangen. Dies habe aber ausgereicht, die zahlenmäßig durch den Rückzug bereits stark reduzierten internationalen Sicherheitskräfte weiterhin herauszufordern. Im Frühjahr 2013 sei es dann erneut zur Trendwende gekommen. Die Anschläge der regierungsfeindlichen Gruppierungen seien im Vergleich zum Vorjahr wieder um 47 % angestiegen und könnten leicht das Niveau von 2011 oder 2009 erreichen. Die Herausforderungen für die Zukunft seien jedoch groß, da sich einerseits schwer zugängliche und umkämpfte Gebiete entlang der Grenze zu Pakistan darunter befänden und andererseits die Unterstützung der ISAF mit der Verringerung der Präsenz in Afghanistan stetig sinke.

Nach dem Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages von Januar 2014 (nachfolgend: Fortschrittsbericht 2014) besteht in den Bevölkerungszentren und entlang der bedeutsamen Verkehrsinfrastruktur eine "ausreichend kontrollierbare Sicherheitslage"; in den südlichen und östlichen ländlich geprägten Gebieten und Distrikten herrscht hingegen eine "überwiegend nicht" oder sogar eine "nicht kontrollierbare Sicherheitslage" (vgl. Fortschrittsbericht 2014, Seite 10). Der Fortschrittsbericht der Bundesregierung weist für die Provinz Laghman nicht die höchste Bedrohungsstufe "hoch" (wie z. B. für die Provinzen Kunar und den Norden der Provinz Helmand), sondern nur die zweithöchste Bedrohungsstufe "erheblich" aus.

Die Sicherheitslage hat z. T. auch Auswirkungen auf das Gesundheitssystem in Afghanistan. Die medizinische Versorgung ist trotz erkennbarer Verbesserungen (die Anzahl der Gesundheitseinrichtungen hat sich seit 2002 vervierfacht) landesweit aufgrund ungenügender Verfügbarkeit von Medikamenten, Ausstattung der Kliniken, Ärzten und Ärztinnen sowie mangels gut qualifizierten Assistenzpersonals (v. a. Hebammen) immer noch häufig unzureichend. Lediglich in größeren Städten kann man eine bessere medizinische Versorgung vorfinden. Auch in Kabul entspricht die medizinische Versorgung nicht immer europäischem Standard. Afghanische Staatsangehörige mit guten Kontakten zum ausländischen Militär oder Botschaften können sich unter Umständen auch in Militärkrankenhäusern der ausländischen Truppen behandeln lassen. Die Militärkrankenhäuser können Zivilisten (jeglicher Staatsangehörigkeit) allerdings nur in beschränktem Maße aufnehmen, da Betten für Mitglieder der internationalen Streitkräfte vorgehalten werden müssen.

Gesundheitseinrichtungen und mobile Programme mussten ihre Aktivitäten in manchen Regionen aufgrund von Kämpfen und Unsicherheit auf den Straßen einstellen. Auch das Einstellen von qualifiziertem Personal, welches bereit ist, unter diesen Umständen zu arbeiten, wurde zunehmend schwieriger. Die Unsicherheit, die Entfernungen im Land, der Transport und die Kosten sind die Haupteinschränkungen der Möglichkeiten der Bevölkerung beim Zugang und Erreichen wesentlicher Gesundheitsleistungen. Diese Beschränkungen spielen eine besondere Rolle für Frauen und Kinder. Zwar haben die Angriffe auch in Kabul zugenommen, jedoch gaben Ärzte an, die in Regierungsspitälern arbeiteten, dass sie selbst von der allgemeinen Steigerung der Gewalt nicht betroffen sind. Die Ärzte sind aber noch immer den gleichen Engpässen ausgesetzt wie in der Vergangenheit. Die Anzahl nicht funktionierender Gesundheitseinrichtungen im Jahr 2012 ist im Gegensatz zu 2011 um 40 % gestiegen. In den südlichen Provinzen haben aufgrund des andauernden Konfliktes 50 bis 60 % der Bevölkerung Schwierigkeiten bzw. keinen Zugang zu notwendiger grundlegender Gesundheitsversorgung. Es können jedoch insgesamt deutliche Fortschritte verzeichnet werden. Rund 85 % der Bevölkerung lebt in Bezirken mit Anbietern von Gesundheitsvorsorge, die grundlegende Gesundheitsleistungen anbieten (vgl. zum Vorgehenden: D-A-CH Kooperation Asylwesen Deutschland-Österreich-Schweiz, Basisinformationen Afghanistan vom 09. Dezember 2013).

Auch wenn sich aus den vorstehenden Quellen ergibt, dass die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle seit dem Jahr 2012 gestiegen ist, lässt sich - das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in Afghanistan bzw. der Provinz Laghman unterstellt - nicht feststellen, dass in der Provinz Laghman die willkürliche Gewalt aufgrund dieses Konfliktes ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung von Leib und Leben ausgesetzt zu sein. Wie oben bereits ausgeführt, liegen für die einzelnen Provinzen keine genauen Angaben zu Opferzahlen aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vor. Detailliertere Angaben zu den einzelnen Provinzen hatte (nur) bis zum 1. Quartal des Jahres 2013 das Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) gemacht. Zum einen wird dort auf Angriffe abgestellt, die von Regierungsgegnern ausgeführt wurden (AOG - Armed Opposition Groups - Initiated Attacks). Inwieweit es bei diesen Anschlägen zu Toten und Verletzten gekommen ist, ergibt sich aus den von ANSO gefertigten Berichten nicht. Landesweit wurden von UNAMA im Jahr 2010 7.160, im Jahr 2011 7.839 und im Jahr 2012 7.589 Tote und Verletzte festgestellt (UNAMA, Annual Report 2013, S. 3). Demgegenüber betrug die Zahl der Angriffe nach ANSO im Jahr 2010 12.252, im Jahr 2011 14.034 und im Jahr 2012 10.468 (Quarterly Data Report Q.4 2012). Hieraus ergibt sich, dass nicht jeder von ANSO gezählte Anschlag zu Toten und Verletzten geführt hat und deshalb für die Beurteilung des Gefährdungsgrades im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG nur bedingt herangezogen werden kann. Insoweit kann auch die Zahl der von ANSO erfassten 380 Vorfälle in der Provinz Laghman im Jahr 2012 nur eingeschränkt für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogen werden. Hinzu kommt, dass ANSO in seinen bis Anfang 2013 erschienenen vierteljährlichen Berichten die Angriffsintensität in den Provinzen mit Gefährdungsstufen beurteilt hat. Trotz eines im 1. Quartal 2013 zu verzeichnenden Anstiegs der Anschläge hat ANSO die Provinz Laghman (anders als die unmittelbar an Pakistan angrenzenden Provinzen der östlichen Region Nuristan, Kunar und Nangarhar) nicht in die höchste Gefährdungsstufe eingeordnet.

Die Nichtregierungsorganisation iMMAP, auf deren Erhebungen die Beklagte im Schriftsatz vom 22. Juli 2014 hingewiesen hat, hat für die einzelnen Provinzen in Afghanistan eine tabellarische Übersicht von sicherheitsrelevanten Vorfällen in den Jahren 2008 bis 2013 veröffentlicht (immap.org/maps/files/maps/1263.pdf; für die Provinz Laghman immap.org/maps/files/maps/1292.pdf). Wie sich aus der Legende zu den Karten ergibt, sind in dieser Übersicht nicht nur die Vorfälle erfasst, welche von dem in Afghanistan bestehenden bewaffneten Konflikt herrühren, sondern es werden auch Opfer von allgemeiner Kriminalität oder Unglücksfällen berücksichtigt, die nicht im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt stehen (z. B. aufgrund von Unfällen, Drogenkriminalität, Familienfehden, Suizid). Selbst wenn man, ungeachtet des umfassend verstandenen Begriffs der Sicherheitsvorfälle, wie ihn iMMAP seinen Erhebungen zugrunde legt, alle 323 Sicherheitsvorfälle in der Provinz Laghman im Jahr 2013, bei denen es zu Toten oder Verletzten kam, berücksichtigt, liegt das Risiko bezogen auf die Einwohnerzahl von 431.000 auch nach den Statistiken von iMMAP bei 1:1334 und damit unter der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Auch wenn man die Tendenz, die sich aus dem Midyear Report der UNAMA für das erste Halbjahr 2014 ergibt, auf die Zahlen von iMMAP für das Jahr 2013 überträgt und einen Anstieg der Zahlen um 17 % für das gesamte Jahr 2014 prognostiziert, würde dies bei einer angenommenen Zahl von 378 Vorfällen im Jahr 2014 erneut nur ein Risiko im Promillebereich (1:1140) ergeben.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht bei einer auf ganz Afghanistan bezogenen Betrachtung. Setzt man die Bevölkerungszahl von Afghanistan von 27,5 Millionen (26 Millionen in städtischen und ländlichen Siedlungsgebieten sowie 1,5 Millionen als Nomaden lebende Personen) in Relation zu den für ganz Afghanistan von iMMAP gezählten 15.527 Sicherheitsvorfällen im Jahr 2013 ergibt sich gleichfalls nur ein Risiko von 1: 1771. Auch wenn man hier einen Anstieg um 17 % bezogen auf die Gesamtzahl der Vorfälle in ganz Afghanistan annimmt und für das gesamte Jahr 2014 eine Zahl von 18.166 Sicherheitsvorfällen prognostiziert, würde dies ein Risiko von 1:1514 und damit ebenfalls nur ein Risiko im Promillebereich ergeben.

Auch bei einer Gesamtbetrachtung aller Gesichtspunkte der dortigen Sicherheitslage kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Konflikt in Afghanistan insgesamt und in der Provinz Laghman im Besonderen keine so hohe Gefahrendichte willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung erreicht, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region jederzeit mit einer nicht mehr zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ausgesetzt ist. Dies gilt angesichts des festgestellten Risikos auch unter Einbeziehung der in der Provinz Laghman und im gesamten Land nicht immer ausreichenden medizinischen Versorgungslage, bei der nur eingeschränkt gewährleistet sein dürfte, dass den Opfern nach schweren körperlichen Verletzungen keine dauerhaften Verletzungsfolgen mit Invalidität verbleiben (im Ergebnis mittlerweile einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung: HessVGH, Urt. v. 30.01.2014 - 8 A 119/12.A -, juris; BayVGH, Urt. v. 30.01.2014 - 13a B 13.30279 -, juris; BayVGH, Urt. v. 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, juris; SächsOVG, Urt. v. 10.10.2013 - A 1 A 474/09 -, juris, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Gefahrerhöhende Umstände, die den Kläger wegen individueller Merkmale einem besonderen Sicherheitsrisiko i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG aussetzen könnten, sind nicht ersichtlich. Zwar hat der Sachverständige Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 03. September 2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof anhand von Beispielen dargelegt, dass die Taliban auch noch im Jahr 2012 in Kabul aktiv waren und "nicht selten" junge Männer zwangsrekrutiert haben. Konkrete Zahlen konnte der Sachverständige aber nicht ermitteln. In den wenigen Fällen, in denen ihm bekannte, nach Kabul abgeschobene oder als sog. Binnenflüchtlinge von Taliban "behelligte" Männer zwangsrekrutiert werden sollten, hatten diese nach Darstellung des Sachverständigen jeweils Gelegenheit, sich den befürchteten Zwangsmaßnahmen zu entziehen. Von der Tötung junger Männer durch die Taliban im Zusammenhang mit geplanten Zwangsrekrutierungen haben der Sachverständige und seine Kontaktpersonen nur gerüchteweise Kenntnis erlangt. Diese nicht näher nachprüfbaren Mutmaßungen geben angesichts des oben dargelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs keinen hinreichenden Anlass, mit der Gefahr einer Zwangsrekrutierung mit tödlichen oder anderen schwerwiegenden Folgen zu rechnen (so auch HessVGH, Urt. v. 30.01.2014, a. a. O.). Weitere gefahrerhöhende Momente wie eine gefährdungsauslösende (glaubhaft gemachte) Religions- oder Volkszugehörigkeit liegen nicht vor. Auch hat der Kläger nicht geltend macht, dass er einen Beruf ausübt, der eine besondere (räumliche) Nähe zu zivilen oder militärischen Einrichtungen der ISAF, ausländischen Nichtregierungsorganisationen oder der afghanischen Regierung mit sich bringt, was im Hinblick auf die geänderte Taktik der Aufständischen bei der Begehung von Sprengstoffattentaten ein gefahrerhöhendes Moment darstellen könnte (z.B. Tätigkeit als Dolmetscher, Ärzte, Verwaltungsbedienstete, vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 06.08.2013).

Bei Rückkehrern können im Einzelfall auch gefahrerhöhende persönliche Umstände in diesem Sinn vorliegen, wenn sie als Angehörige der Zivilbevölkerung nach ihrer Wiedereinreise in Afghanistan, die regelmäßig über den Flughafen Kabul erfolgt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.03.2014, S. 21), besonders gefährliche Provinzen oder Distrikte nur über besonders von Anschlägen betroffene Hauptverkehrsstraßen erreichen können und zu Versorgungszwecken auch weiterhin benutzen müssen. Hierfür bestehen im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte, da die Provinz Laghman unmittelbar an die als relativ sicher geltende Hauptstadt Kabul angrenzt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.