OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.12.2012 - 3 M 597/12
Fundstelle
openJur 2020, 29410
  • Rkr:

1. Eine Ausnahme von der Regelvermutung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist nur dann anzuerkennen, wenn das Vermögen des Betäubungsmittelkonsumenten, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt ist.

2. Allein aus dem Umstand, dass der Konsument kein Kraftfahrzeug geführt hat, kann eine besondere Steuerungsfähigkeit nicht abgeleitet werden.

Gründe

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die mit Schriftsatz vom 16. Juli 2012 vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, greifen nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 17. April 2012 abgelehnt. Der Antragsgegner hat in nicht zu beanstandender Weise aus der gelegentlichen Einnahme von Cannabis und dem zusätzlichen Gebrauch von Alkohol am 14. November 2010 auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen und ihm deshalb zu Recht gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i. V. m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahrerlaubnis entzogen.

Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, diese zu entziehen. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. In Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV wird ausgeführt, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes nicht besteht. Sonderbestimmungen gelten im Fall von Cannabiskonsum, bei dem - im Vergleich zum Konsum sonstiger (harter) Drogen privilegierend - zu differenzieren ist. Während die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis grundsätzlich nicht besteht (Nr. 9.2.1 Anlage 4 zur FeV), steht der nur gelegentliche Konsum dieses Rauschmittels der Fahreignung nach der normativen Wertung in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nur dann entgegen, wenn der Betroffene zwischen Konsum und Fahren nicht trennen kann, zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt oder eine Störung der Persönlichkeit oder ein Kontrollverlust bestehen. Unter gelegentlichem Cannabiskonsum im Sinne von Nr. 9.2 Anlage 4 zur FeV ist dabei ein solcher zu verstehen, der hinter dem regelmäßigen zurück bleibt, also nicht täglich oder nahezu täglich erfolgt ist, aber häufiger als einmal stattgefunden hat (BayVGH, Beschl. v. 02.04.2009 - 11 CS 09.372 -, zit. nach juris).

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Voraussetzungen der Nr. 9.2.2 Anlage 4 zur FeV im vorliegenden Fall erfüllt sind, weil neben dem vom Antragsteller selbst eingeräumten gelegentlichen Konsum von Cannabis ein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol vorliegt.

Die vom Antragsteller mit der Beschwerde erhobenen Einwände geben keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners wiederherzustellen; insbesondere verlangt Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV entgegen der Auffassung des Antragstellers keinen "gleichzeitigen Parallelkonsum von Alkohol und Cannabis". Vielmehr ist der Tatbestand der Nr. 9.2.2 bei wörtlicher Auslegung als erfüllt anzusehen, weil dort lediglich auf den "zusätzlichen Gebrauch von Alkohol" abgestellt wird. Nach dem Befundbericht über die Untersuchung auf Ethanolkonzentration des Instituts für Rechtsmedizin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg vom 17. November 2010 (Bl. 246 der Beiakte A) und dem toxikologisch-chemischen Befundbericht des Universitätsklinikums Magdeburg vom 10. Dezember 2010 (Bl. 248 der Beiakte A) wurde in der am 14. November 2010 entnommenen Blutprobe des Antragstellers jedenfalls unzweifelhaft eine Konzentration von Cannabis und (zusätzlich) Alkohol festgestellt, so dass der Antragsgegner zu Recht vom Vorliegen der Voraussetzungen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ausgegangen ist.

Im Übrigen hat der Antragsteller in seiner Beschwerdeschrift selbst nicht behauptet, dass er nicht am 14. November 2010, sondern an einem anderen, näher bezeichneten Tag Cannabis konsumiert hat. Er schlussfolgert vielmehr aus den Feststellungen wissenschaftlicher Untersuchungen von Daldrup, die er ebenfalls nicht näher benennt, dass der Cannabiskonsum auch an einem anderen Tag oder in einer anderen Woche erfolgt sein könne. Die mit dem Vortrag des Antragstellers verbundene Verlagerung der Nachweispflicht einer zeitgleichen Einnahme von Cannabis und Alkohol auf den Antragsgegner wird der Bedeutung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV indes nicht gerecht. Grund für die Aufnahme des Parallelkonsums von Cannabis und Alkohol in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist die wissenschaftliche Erkenntnis, dass der gleichzeitige Konsum von Cannabis und Alkohol zu einer Potenzierung der Wirkungen beider Stoffe führt (u.a. psychotische Störungen oder Beeinträchtigungen des Herz-Kreislaufs) und solche Cannabiskonsumenten für den Straßenverkehr eine besondere Gefahr darstellen (vgl. unter Bezugnahme auf Geschwinde, Rauschdrogen, 5. Aufl., Rn. 120 und 168; Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Nr. 3.12.1: VGH BW, Beschl. v. 10.02.2006 - 10 S 133/06 -, zit. nach juris, m. w. N.). Dies hat zur Folge, dass der Konsument selbst durch einen schlüssigen Sachvortrag den Nachweis zu erbringen hat, dass der im Blut nachgewiesene Konsum von Cannabis zu einem früheren, nicht berücksichtigungsfähigen Zeitpunkt erfolgt ist und damit ausnahmsweise nicht zu einer Potenzierung der berauschenden Wirkungen beider Stoffe geführt hat. Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdeschrift nicht. Der schlichte Hinweis des Antragstellers, ein handwerkliches Anleitungsbuch, wie das Handbuch Geschwinde, sei nicht geeignet, eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu begründen, vermag die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen; insbesondere hat der Antragsteller keine anderslautenden wissenschaftlichen Studien aufgezeigt, die die Ergebnisse des Handbuchs mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen.

Dass es nach dem Vortrag des Antragstellers am 14. November 2010 nicht zu einer Sachbeschädigung gekommen ist, ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich, weil dieser Einwand den Konsum von Cannabis und Alkohol ebenfalls nicht entkräftet.

Soweit der Antragsteller vorträgt, es fehle an dem notwendigen Verkehrsbezug, weil er am 14. November 2010 kein Fahrzeug geführt habe, kann er damit ebenfalls nicht gehört werden. Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, bedarf es für den Verlust der Fahreignung nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nicht einer tatsächlichen Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr. Vielmehr ist eine Ausnahme von der Regelvermutung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nur dann anzuerkennen, wenn das Vermögen des Betäubungsmittelkonsumenten, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt ist (BayVGH, Urt. v. 24.10.2012 - 11 B 12.1523 -, zit. nach juris). Es obliegt insoweit dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. v. 22.07.2004 - 4 B 37/04 -, zit. nach juris). Dies ist hier nicht erfolgt. Der Antragsteller hat zwar darauf verwiesen, dass er am 14. November 2010 kein Kraftfahrzeug geführt habe. Hieraus allein kann aber nicht eine besondere Steuerungsfähigkeit abgeleitet werden; denn die Fahrten des Antragstellers unter der Wirkung des berauschenden Mittels Tetrahydrocannabinol (THC) am 12. Februar 2005 und 12. Dezember 2008, die unstreitig einen unmittelbaren Bezug zum Straßenverkehr haben, belegen gerade das mangelnde Trennungsvermögen des Antragstellers zwischen Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs unter einer Konzentration des Drogenwirkstoffs THC, die zu einer Beeinträchtigung der verkehrsrelevanten Leistungsfähigkeit führt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG und erfolgt in Anlehnung an Nr. 46.1 und Nr. 1.5 Satz 1 des sog. Streitwertkatalogs 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

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