OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.10.2011 - 3 M 315/11
Fundstelle
openJur 2020, 29154
  • Rkr:

Weigert sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis bei bestehenden Zweifeln an seiner Fahreignung sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV den - regelmäßig dann auch gebotenen - Schluss ziehen, dass dieser angesichts der aufgetretenen und nicht ausgeräumten Bedenken tatsächlich zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Voraussetzung in diesem Fall ist aber stets, dass die vorangegangene Anordnung ihrerseits formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war. Aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 11 Abs. 6 FeV folgt, dass schon in der Gutachtensanordnung die Konkretisierung des Untersuchungsthemas zu erfolgen hat. Hat die Entscheidung, was Gegenstand der Begutachtung sein soll, bereits im Rahmen der an den Betroffenen gerichteten Anordnung zu fallen, folgt hieraus auch, dass die zuständige Behörde dem Betroffenen die jeweilige Fragestellung des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV in der Anordnung mitzuteilen hat.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt sich, dass abweichend von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Bescheids des Antragsgegners vom 6. April 2011 vor einer endgültigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheids verschont zu bleiben, dem öffentlichen Interesse an seiner sofortigen Vollziehung vorgeht. Denn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen derzeit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Aberkennung des Rechts von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

Die Rechtmäßigkeit der Aberkennung des Rechts des Antragstellers, von der am 29. November 2006 erworbenen tschechischen Fahrerlaubnis auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, beurteilt sich nach § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StVG und § 46 Abs. 1 und 5 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Wenn es sich wie hier um eine ausländische Fahrerlaubnis handelt, hat die Entziehung die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis; bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland (§ 46 Abs. 6 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die lediglich Bedenken an der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen, so finden gemäß §§ 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Das bedeutet im Fall von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik, wie sie hier in Streit steht, dass die Fahrerlaubnisbehörde dem Betreffenden gemäß § 13 FeV aufgeben kann, entweder ein ärztliches Gutachten zur Klärung der Frage einer bei ihm etwa bestehenden Alkoholabhängigkeit oder aber ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung eines bei ihm etwa bestehenden Alkoholmissbrauchs beizubringen. Weigert sich der Betreffende, sich einer derartigen Untersuchung zu unterziehen oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV den - regelmäßig dann auch gebotenen - Schluss ziehen, dass dieser angesichts der aufgetretenen und nicht ausgeräumten Bedenken tatsächlich zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Voraussetzung in diesem Fall ist aber stets, dass die vorangegangene Anordnung ihrerseits formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2005 - 3 C 21.04 -, NJW 2005, 3440; VGH Mannheim, Beschl. v. 30.06.2011 - 10 S 2785/10 -, juris).

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass beim Antragsteller hinreichende Zweifel an seiner Kraftfahreignung bestehen und daher ein Grund für die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung besteht, da er nach den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Stendal (nicht Schönebeck, wie das Verwaltungsgericht ausführt) vom 12. Februar 2009 am 24. Juli 2008 mit einer Blutalkoholkonzentration von (mindestens) 1,72 Promille ein Fahrzeug im Verkehr geführt hat (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Im Weiteren stehen der Anwendung der Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung keine Rechtsvorschriften der Europäischen Union entgegen.Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in der Entscheidung vom 2. Dezember 2010 ("Scheffler", Az. C-334/09, NJW 2011, 587) seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach als Voraussetzung dafür, dass die dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes des Inhabers eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins durch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG erteilte Befugnis zur Anwendung seiner innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber dieses Führerscheins ausgeübt werden kann, Anhaltspunkte dafür bestehen müssen, die Fahreignung des Inhabers dieses Führerscheins aufgrund von Umständen in Zweifel zu ziehen, die im Zusammenhang mit einem Verhalten des Betroffenen nach dem Erwerb seines Führerscheins in einem anderen Mitgliedstaat stehen, das seine Fahreignung in Frage stellt. Ein solcher Fall liegt hier vor, da die streitgegenständliche tschechische Fahrerlaubnis dem Antragsteller bereits am 29. November 2006 ausgestellt wurde. Der Antragsteller hat zwar das angeforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht innerhalb der vom Antragsgegner gesetzten Frist vorgelegt. Gleichwohl ist der Schluss auf die Nichteignung nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht zulässig. Die Gutachtensanordnung vom 9. September 2010 (Beiakte A Bl. 252) kann nicht als rechtmäßig angesehen werden kann, da sie nicht den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV genügt. Danach legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (Satz 1). Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an der Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (Satz 2). Aus dem Sinn und Zweck der Regelung folgt, dass schon in der Gutachtensanordnung die Konkretisierung des Untersuchungsthemas zu erfolgen hat, denn die Fragestellung ist nach dem Willen des Verordnungsgebers "in der Anordnung" festzulegen und hat zudem die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Damit wird der zuständigen Behörde die Pflicht auferlegt, bereits in der Anordnung der Gutachtensbeibringung festzulegen, welche konkreten Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zu untersuchen sind. Wird hingegen in der Gutachtensanforderung lediglich das Ziel genannt, die Fahreignung des Betroffenen zu klären, erschöpft sie sich in der Wiederholung des Gesetzestextes und lässt nicht erkennen, dass die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt worden sind. Hat die Entscheidung, was Gegenstand der Begutachtung sein soll, aber bereits im Rahmen der an den Betroffenen gerichteten Anordnung zu fallen, folgt hieraus auch, dass die zuständige Behörde dem Betroffenen die jeweilige Fragestellung des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV in der Anordnung mitzuteilen hat (HessVGH, Beschl. v. 26.05.2011 - 2 B 550/11 -, juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 20.04.2010 - 10 S 319/10 -, NJW 2010, 3256; BayVGH, Beschl. v. 15.05.2008 - 11 CS 08.616 -, juris; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, Rdnr. 19 zu § 11 FeV; Geiger, SVR 2008, 405). Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 6 FeV, der eine Mitteilungspflicht der Fahrerlaubnisbehörde erst gegenüber der untersuchenden Stelle in § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV aufführt, jedoch aus Sinn und Zweck der Regelung. Erst die Offenlegung gegenüber dem Betroffenen führt zu einer verbindlichen Fragestellung, an die sich der Gutachter zu halten hat. Vor allem ist die Mitteilung der Fragestellung im Hinblick auf die schwerwiegenden Rechtsfolgen des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV bei einer Verweigerung der Begutachtung geboten, zumal die Anordnung im Hinblick auf § 44a VwGO nicht selbstständig anfechtbar ist. Nur die Mitteilung der konkreten Fragestellung versetzt den Betroffenen in die Lage, sich innerhalb der nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV gesetzten Frist ein Urteil darüber zu bilden, ob die Aufforderung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist, oder ob er sich ihr verweigern darf, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis unter Berufung auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV wegen Nichteignung entzieht bzw. eine Aberkennung nach § 46 FeV ausspricht. Nur bei genauer Kenntnis der Fragestellung kann sich der Betroffene auch darüber schlüssig werden, ob er sich - unbeschadet der Rechtmäßigkeit der Anordnung - der Untersuchung seiner Persönlichkeit und ggf. den körperlichen Eingriffen aussetzen will, die mit der Eignungsbegutachtung einhergehen können. Schließlich ist die Mitteilung der Fragestellung an den Betroffenen geboten, um diesem die Prüfung zu ermöglichen, ob sich die Begutachtungsstelle an die Fragestellung der Behörde hält und ob die ihm und dem Gutachter mitgeteilten Fragen identisch sind (vgl. BayVGH, Beschl. v. 28.09.2006 - 11 CS 06.732 -, juris).

Wäre es den Fahrerlaubnisbehörden gestattet, die konkret zu klärenden Fragen z. B. erst dann festzulegen, wenn sich der Betroffene mit der Begutachtung einverstanden erklärt hat und die Akten gemäß § 11 Absatz 6 Satz 4 FeV an den Sachverständigen oder die Begutachtungsstelle übersandt werden, so würde auch das dem Betroffenen gemäß § 11 Absatz 6 Satz 2 2. Hs. FeV zustehende Recht auf Akteneinsicht nicht ausreichen, um ihm noch vor der Entscheidung darüber, ob er der Begutachtungsaufforderung Folge leistet, eine Unterrichtung über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme und ihre Auswirkungen auf seine Person zu ermöglichen (vgl. Geiger, a. a. O.).

Gemessen an diesen Maßstäben genügt das Schreiben des Antragsgegners an den Antragsteller vom 9. September 2010 nicht den formellen Anforderungen einer rechtmäßigen Gutachtensanordnung. Es teilt dem Antragsteller zwar den Sachverhalt mit, der Eignungszweifel begründet, wobei es der Senat offen lassen, ob - wie der Antragsteller meint -, bereits die fehlerhafte Bezeichnung des Datums der Trunkenheitsfahrt zur formellen Rechtswidrigkeit der Gutachtensordnung führt. Die Anordnung des Antragsgegners enthält jedenfalls keine konkrete, am dargelegten Sachverhalt orientierte Fragestellung. Im Weiteren ist aus den Verfahrensakten nicht erkennbar, dass der Antragsgegner vor bzw. zeitgleich mit der Gutachtensanordnung eine Fragestellung im Sinne des § 11 Abs. 6 FeV bestimmt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert war für das Beschwerdeverfahren und das erstinstanzliche Verfahren nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 3 GKG auf 6.250,- € festzusetzen. Streitgegenständlich sind hier die Fahrerlaubnisklassen B, BE, C und CE. In Anlehnung an den Streitwertkatalog bestimmt sich bei Verfahren wegen der Entziehung der Fahrerlaubnis für mehrere Klassen bzw. der Aberkennung des Rechts zum Gebrauchmachen einer solchen Fahrerlaubnis der Streitwert grundsätzlich nach der jeweils höchsten Klasse, sofern nicht im Einzelfall eine Klasse gegenüber der Klasse B eine eigenständige Bedeutung hat (vgl. BayVGH, Beschl. v. 23.11.2010 - 11 CS 10.2550 -, juris zum Verhältnis der Fahrerlaubnisklassen B und C; VGH Mannheim, Beschl. v. 13.12.2007 - 10 S 1272/07 - NZV 2008, 320 m. w. N.). Insoweit war für die hier eigenständig zu betrachtende Klasse B(E) der Auffangstreitwert und für die Klasse C(E) das 1,5fache des Auffangstreitwertes festzusetzen. Die sogenannte Anhängerklasse E war nicht jeweils gesondert zu berücksichtigen. Dieser Wert für das Hauptsacheverfahren in Höhe von 12.500,- € war im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, zu halbieren.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).