AG Weißenfels, Urteil vom 18.05.2011 - 1 C 626/10
Fundstelle
openJur 2020, 28788
  • Rkr:
Tenor

1.) Die Klage wird abgewiesen.

2.) Die Kosten des Verfahrens werden der klagenden Partei auferlegt.

3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Es wird der Klägerseite jedoch nachgelassen, die Kostenvollstreckung der Beklagtenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500,00 € einstweilen abzuwenden, sofern nicht die Beklagtenseite vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Streitwert wird auf 1.863,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die klagende Partei begehrt die Zahlung eines Reisepreises aus fremdem Recht.

Die Klägerseite vermittelt für verschiedene Reiseveranstalter Kreuzfahrten, unter anderem für die Streitverkündete. Der vom Reisenden zu entrichtende Reisepreis liegt dabei unterhalb des Katalogpreises des jeweiligen Reiseveranstalters. Die Klägerin, welche in ihrer Korrespondenz darauf hinweist nicht Veranstalter der jeweiligen Reise zu sein, nimmt dabei die Zahlungen des Reisenden aus dessen Abrede mit dem Reiseveranstalter entgegen.

Der Beklagte schloss in der beschriebenen Weise einen Vertrag mit der Streitverkündeten, worüber am 26.11.2009 eine Reisebestätigung erstellt wurde. Die vorgesehene Reise sollte am 17.08.2010 in Moskau mit der Fluganreise, dem Transfer zum Einschiffungsort und der Einschiffung beginnen. Sie sollte dann über mehrere Zwischenstationen nach St. Petersburg führen, von wo aus am 29.08.2010 die Rückreise per Flugzeug erfolgen sollte. Mit Schreiben vom 12.08.2010 (in Kopie als Blatt 17 bei der Akte) erklärte der Beklagte die Kündigung und berief sich zur Begründung auf die anhaltenden Wald- und Torfbrände in der Umgebung von Moskau und im Reisegebiet. Klägerseits wurde daraufhin eine Stornorechnung über 1.863,00 € erstellt, woraufhin der Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Zahlung in Höhe von 392,00 € leistete und weitere Zahlungen ablehnte.

Die klagende Partei trägt vor, dass die Kreuzfahrt wie geplant durchgeführt worden sei und keiner der daran teilnehmenden Reisenden über irgendwelche Luftbelastungen geklagt habe. Daraus folge, dass keine Gefährdung gegeben gewesen sei. Die klagende Partei beantragt

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.863,00 € nebst 11,75 % Zinsen seit dem 13.09.2010 sowie außergerichtliche Mahnkosten von 192,90 € zu zahlen, abzüglich am 01.12.2010 geleisteter 392,00 €.

Der Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

Er trägt detailliert zu Warnungen in den Medien und der umfänglichen Berichterstattung über zahlreiche Opfer und die Gefährdungen durch Hitze und Rauchgasentwicklung vor. Er trägt weiter vor, dass noch am 19.08.2010 - nach dem vorgesehenen Reisebeginn - ein Reisehinweis des auswärtigen Amtes bestanden habe, wonach aufgrund der mit den verheerenden Wald- und Torfbränden einhergehenden Belastungen insbesondere Reisende mit Atemwegserkrankungen (Asthma, Bronchitis etc.) sowie Kinder die betroffenen Regionen möglichst meiden sollten. Dies habe für ihn besondere Bedeutung gehabt, da er aufgrund einer Herzleistungsminderung bei Coronarer Herzkrankheit mit Bypass-Operation und Hypertonie als schwerbehindert bei einem Grad der Behinderung von 50 % eingestuft sei. Aus diesem Grunde sei er zur Kündigung berechtigt gewesen.

Die Klägerseite, welche zunächst das Bestehen von Herz- und Kreislaufbeschwerden des Beklagten als Grundlage seiner Einstufung als schwerbehindert mit Nichtwissen bestritten hatte, vertritt nunmehr die Auffassung, dass der Beklagte sich in Ansehung seiner diesbezüglich in der Kündigung nicht enthaltenen Ausführungen hierzu hierauf nicht berufen könne.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die klagende Partei hat der Reiseveranstalterin den Streit verkündet, diese ist nicht beigetreten.

Gründe

Die Klage ist zulässig.

Unstreitig ist die klagende Partei nicht Reiseveranstalterin im Sinne des Gesetzes, sondern Vermittlerin eines Reisevertrags gemäß § 651 a Abs. 1 BGB. Aufgrund des unbestrittenen klägerseitigen Vortrags zur Ausgestaltung des Innenverhältnisses der klagenden Partei zur Streitverkündeten und insbesondere der darin vorgesehenen Vereinnahmung des durch den Reisenden zu entrichtenden Entgelts nach Zahlung eines Festbetrages durch die klagende Partei an die Streitverkündete ist auch vom Vorliegen eines eigenen rechtlichen Interesses an der Zahlung des Reisepreises durch den Beklagten und damit von einer zulässigen Prozessstandschaft auszugehen.

Die Klage ist indes unbegründet, nachdem der Beklagte eine durchgreifende Kündigung gemäß § 651 j Abs. 1 BGB erklärt hat.

Die ausgedehnten Wald- und Torfbrände, die im August 2010 die Region Moskau und weite Teile Russlands heimsuchten sind als Naturkatastrophe und damit höhere Gewalt im Sinne des § 651 j Abs. 1 BGB einzustufen, mithin als ein nicht auf das Verhalten der Vertragsparteien zurückzuführendes, nicht vorhersehbares und auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis (siehe hierzu Sprau in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., Rn. 3 zu § 651 j m.w.N.). Dieses Ereignis war auch geeignet, die Reise im Sinne des § 651 j Abs. 1 BGB erheblich zu erschweren, gefährden und beeinträchtigen. Abzustellen ist insoweit auf eine objektive Betrachtungsweise zum Zeitpunkt der Kündigung (Sprau a.a.O. m.w.N.), weshalb es auf die klägerseits vorgetragene tatsächlich erfolgte Durchführung der Reiseveranstaltung ohne Monierungen seitens weiterer Reisender nicht ankommt.

Zum Zeitpunkt der Kündigung - dem 12.08.2010 - war bereits über einen längeren Zeitraum hinweg in den Medien über die seit Wochen in Russland wütenden, großflächigen Brände berichtet worden. Es bestand eine offizielle Reisewarnung des auswärtigen Amtes, in welcher insbesondere Reisenden mit Atemwegserkrankungen von nicht unbedingt erforderlichen Reisen in die betroffenen Regionen abgeraten wurde. Die Reise sollte nach dem unbestrittenen Vortrag der beklagten Partei jedenfalls bis einschließlich zum 6. Tage durch Gebiete führen, welche unmittelbar von den Wald- und Torfbränden betroffen waren. Die Art der hierdurch hervorgerufenen Gefahren, Gesundheitsgefährdungen und Gefährdungen des Zwecks der Erholungsreise war auch für einen objektiven Betrachter in der Lage des Beklagten zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung geeignet, eine erhebliche Erschwerung, Gefährdung und Beeinträchtigung der Reise im Sinne des § 651 j Abs. 1 BGB anzunehmen. Die beklagte Partei trägt insoweit unwidersprochen umfänglich zur Berichterstattung in den Medien vor, hat darüber hinaus Satellitenfotos der betroffenen Regionen in Ablichtung zur Akte gereicht. Auch ist - infolge der umfänglichen Berichterstattung - allgemein bekannt, dass die Brände ausgedehnte Verwüstungen, zahlreiche Opfer und erheblichste gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Hitze und Rauchgas ausgelöst haben. Selbst wenn - wie dies die klagende Partei vorträgt - die Reiseveranstaltung tatsächlich ohne nennenswerte Beeinträchtigung durchgeführt werden konnte, wäre dies doch zum Zeitpunkt der hier erfolgten Kündigung nicht vorhersehbar, sondern sogar außerordentlich unwahrscheinlich gewesen.

Infolge der durchgreifenden Kündigung gemäß § 651 j Abs. 1 BGB ist der Anspruch der Streitverkündeten auf Entrichtung des Reisepreises entfallen, § 651 j Abs, 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 651 e Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Zu bereits erbrachten Reiseleistungen im Sinne des Satzes 2 der letztgenannten Norm trägt die klagende Partei nichts vor. Allerdings dürften solche vorliegend auch kaum in Betracht gekommen sein, nachdem die Kündigung vor Reiseantritt erfolgte und insoweit lediglich Leistungen aus dem Reisevertrag zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden in Betracht kommen, nicht etwa Leistungen des Erstgenannten im Verhältnis zu Dritten (siehe Sprau a.a.O., Rn. 5 zu § 651 e BGB m.w.N.).

Aus der Regelung zu "pauschalierter Entschädigung" wie etwa abgedruckt auf der Reisebestätigung vom 26.11.2009 (Blatt 15 der Akte) kann die klagende Partei auch unbeschadet der Frage einer wirksamen Einbeziehung keine Rechte herleiten. Insoweit handelt es sich um eine Regelung gemäß § 651 i Abs. 3 BGB, mithin eine solche für den Fall der Ausübung des in der genannten Bestimmung geregelten Rücktrittrechts. Auf die Kündigung gemäß § 651 j BGB - von dessen Regelungen gemäß § 651 j BGB nicht zu Lasten des Reisenden abgewichen werden kann - sind solche Regelungen nicht anwendbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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