AG Haldensleben, Urteil vom 26.09.2016 - 3 Cs 224/15 (182 Js 32201/14)
Fundstelle
openJur 2020, 28497
  • Rkr:

Ein Hausfriedensbruch kann durch eine Notstandslage gerechtfertigt sein, wenn Umweltaktivisten in eine Tierzuchtanlage eindringen, um Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu dokumentieren.

Tenor

Die Angeklagten werden freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeklagten werden der Landekasse auferlegt.

Gründe

I.

Den Angeklagten wurde mit Strafbefehlen vom 05.05.2016 jeweils folgendes zur Last gelegt:

Am 29.06.2013 sollen die Angeklagten F und M sich gemeinschaftlich auf das umfriedete Firmengelände der Firma V Tierzuchtanlagen GmbH & Co. Handels- Kommanditgesellschaft begeben haben und dort die Stallanlagen der Viehzucht der Geschädigten ohne den Willen der Berechtigten betreten haben.

Am 11.07.2013 sollen sich die Angeklagten M und F gemeinschaftlich auf das umfriedete Firmengelände der Firma V Tierzuchtanlagen GmbH & Co. Handels- Kommanditgesellschaft begeben haben und dort die Stallanlagen der Viehzucht der Geschädigten ohne den Willen der Berechtigten betreten haben.

II.

Nach der durchgeführten Hauptverhandlung ist davon auszugehen, dass sich die Anklagevorwürfe in objektiver Hinsicht bestätigt haben. Daneben hat das Gericht folgende Feststellungen getroffen:

Bei den Angeklagten handelt es sich um Mitglieder der Tierschutzorganisation A (Animal Rights Watch e.V.). Sie engagieren sich seit mehreren Jahren aktiv für den Tierschutz. In der Vergangenheit brachten die Angeklagten über die Tierschutzorganisation mehrere Verstöße gegen das Tierschutzgesetzt zur Anzeige. Sie sammelten in der Vergangenheit jedoch die Erfahrung, dass ihre Anzeigen in Bezug auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von den zuständigen Behörden nicht ernst genommen werden, wenn diese Anzeigen nicht mit Bildmaterial untermauert sind. Den Angeklagten war außerdem bekannt, dass trotz der zum 31.12.2012 auslaufenden Übergangsvorschriften der Tierschutznutztierhaltungsverordnung viele Betriebe die neuen tierschutzrechtlichen Vorschriften nicht einhalten.

Im Jahr 2013 erhielt dann der Angeklagte F den konkreten Hinweis, dass in der Anlage der Geschädigten Verstöße gegen die Tierschutznutztierhaltungsverordnung vorliegen sollen, insbesondere dass die Kastenstände nach wie vor viel zu klein sein sollen und die "neuen" Regelungen der Tierschutznutztierhaltungsverordnung nicht umgesetzt wurden. Der Angeklagte F setzte die Angeklagten M und F darüber in Kenntnis. In dem "sichereren" Wissen aus vorherigen Fällen, dass eine Anzeige bei der entsprechenden Behörde ohne Beweise zu keinerlei Erfolg führen würde, entschlossen sich die Angeklagten F und M am 29.06.2013 in die Anlage der Geschädigten einzusteigen und die dortigen Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung bildlich festzuhalten, um Beweismaterial für eine zu fertigende Strafanzeige zu sammeln. Sie zogen sich neue und desinfizierte Einwegkleidung an, legten Mundschutz, Schuhüberzieher und Handschuhe an und desinfizierten sich sowie die mitgeführte Kamera. Sodann betraten sie die Anlage der Geschädigten ohne dabei Eigentum der Geschädigten zu beschädigen, um dort Filmaufnahmen zu fertigen. Die Angeklagten F und M fanden entsprechend des Hinweises diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung vor und dokumentierten diese filmerisch. Da sie an dem Tag nicht sämtliche Missstände filmisch festhalten konnten, entschlossen sich die Angeklagten M und F, die Angeklagte F war zwischenzeitlich durch den Angeklagten M über die konkreten Missstände informiert worden, ein weiteres Mal die Anlage der Geschädigten am 11.07.2013 zu betreten. Die Angeklagten F und M zogen wiederum desinfizierte Einwegkleidung an und desinfizierten die Kamera. In der Folge fertigten sie weitere Fotoaufnahmen von der Anlage der Geschädigten. An den beiden Tagen stellten die Angeklagten u.a. fest, dass die Kastenstände in der Anlage der Geschädigten zu schmal sind. Auch stellten sie fest, dass Eber in Kastenställen gehalten werden. Beschäftigungsmaterial fehlte bei den Tieren ebenso. Des Weiteren dokumentierten die Angeklagten, dass die Betonspalten im Fußboden deutlich zu groß waren und die Eber keinen Blickkontakt zu Schweinen hatten.

In der Folgezeit wurde das Bildmaterial aufgearbeitet. Die Angeklagten, die in dem Willen handelten, die Missstände in der Anlage der Geschädigten abzustellen, zogen sodann die Öffentlichkeit bei und veranlassten, dass der A am 07.11.2013 Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg gegen die Geschädigte stellte.

In der Folgezeit wurde ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber der Anlage eingeleitet, welches gemäß § 170 Abs. 2 StPO durch die ermittelnde Staatsanwältin mit der Begründung eingestellt wurde, das Verstöße gegen das Tierschutzgesetz nicht festgestellt werden konnten. Die Sache wurde zur Weiterverfolgung der Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung an die Verwaltungsbehörde abgegeben.

Bei der unangekündigten Teamkontrolle der Verwaltungsbehörde bei der Geschädigten anlässlich der von A mit Schreiben vom 07.11.2013 erstatteten Anzeige wurden folgende Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung festgestellt:

- Breite der Kastenstände zu gering;- Beschäftigungsmaterial in Kastenständen fehlt;- Beschäftigungsmaterial in Abferkelkörben fehlt;- im Bereich der Mast-, Besamung-, Jungsauenaufzucht Breite der Spalten zu groß;- 2 Eber kein Sichtkontakt;- Lichtintensität keine 80 Lux;- Mastgruppenhaltung zum Teil überbelegt;- in Mastgruppenhaltung eine Tränke für mehr als 12 Tiere.

Auch bei der Nachkontrolle am 10.02.2014 wurden Verstöße festgestellt. So befand sich u.a. in Stall 5 ein Mastläufer, der schwer verletzt war.

Die dokumentierten Verstöße wurden bei vorherigen Kontrollen durch die zuständigen Behörden, die auch im Jahr 2013 stattfanden, nicht festgestellt bzw. nicht verfolgt. In einem Schreiben an das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt infolge der Anzeige der A kam das Landesverwaltungsamt u.a. zu dem Schluss, dass durch den Landkreis in den letzten Jahren durchgeführte Kontrollen nicht unerhebliche tierschutzwidrige Zustände gedeckt haben bzw. nicht entsprechend bewertet und deren Abstellung nicht gefordert wurden.

III.

Die Angeklagten waren aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Die Tat vom 29.06.2013 ist allerdings entgegen der Auffassung der Angeklagten nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt. Denn nach Auffassung des Gerichts handelten die Angeklagten insoweit in Unkenntnis einer konkreten Notstandlage. Die Angeklagten hatten nur einen unspezifischen Hinweis, dass es Missstände in der Anlage der Geschädigten geben würde. Die Angeklagten vermochten den Hinweis, der sie zum Handeln bewegte, nicht genau zu spezifizieren. Insbesondere wurden keine Angaben dazu getätigt, von wem der Hinweis stammte und wie die Person Kenntnis von den Umständen erlangte. Konkrete Anhaltspunkte für eine Notstandslage lagen mithin nicht vor, so dass es an dem subjektiven Rechtfertigungselement fehlt.

Allerdings haben die Angeklagten einen Erfolg herbeigeführt, den die Rechtsordnung als nicht strafbar ansieht. Denn die übrigen Voraussetzungen des Notstandes gemäß § 34 StGB lagen vor.

Insbesondere lag eine Notstandslage vor. Es bestand eine gegenwärtige Gefahr für notstandsfähige Rechtgüter. Nach Auffassung des Gerichts ist jedes beliebige Rechtsgut, dass durch die Rechtsordnung geschützt ist, Notstandfähig. Da der Tierschutz mittlerweile als Staatschutzziel Eingang in die Verfassung gefunden hat und in dem Tierschutzgesetz sowie der Tierschutznutztierhaltungsverordnung konkrete Regelungen bzgl. des Tierschutzes getroffen worden sind, ist das Wohl der Tiere nach Auffassung des Gerichts ein notstandsfähiges Rechtsgut.

Es bestand auch eine gegenwärtige Gefahr. Eine Schädigung aufgrund der gegebenen Umstände war nicht nur wahrscheinlich, sondern konkret auch eingetreten. In der Anlage der Geschädigten befanden sich über 63000 Nutztiere. Wie bereits in den Feststellungen dargelegt waren die Kastenstände zu gering. Es lagen auch objektiv weitere Verstöße gegen die Tierschutznutztierverordnung vor. Die Geschädigte hat die Änderungen in der Tierschutznutztierverordnung, welche nach einer Übergangszeit zum 01.01.2013 verbindlich wurden, nicht eingehalten.

Die Angeklagten haben nach Auffassung des Gerichts auch die erforderliche Notstandshandlung vorgenommen. Der Einstieg, das Filmen, die Strafanzeige und die Veröffentlichung des Bildmaterials waren die geeigneten Mittel um die Missstände abzustellen. Denn nunmehr ist ein Verwaltungsverfahren gegen die Betreiber der Anlage eingeleitet worden. Den Geschädigten wurde aufgegeben, die Verstöße abzustellen, was nach Kenntnis des Gerichts geschehen ist.

Nach Auffassung des Gerichts wurde vorliegend auch das mildeste Mittel gewählt. Ein weniger einschneidendes Anwendungsmittel stand nach Auffassung des Gerichts nicht zur Verfügung. Das Betreten der Anlage diente nach Auffassung des Gerichts dazu, die dortigen Zustände zu filmen, um dann mit Hilfe des Videomaterials Strafanzeige gegen den Betreiber der Anlage erstatten zu können. Außerdem sollten die Aufnahmen veröffentlicht werden, um die Verbraucher über die Zustände in Schweinezuchtanlagen zu informieren und zusätzlich Druck auf die Behörden auszuüben, tatsächlich tätig zu werden. Nach den bisherigen Erfahrungen der Angeklagten haben sich Strafanzeigen ins Blaue hinein nicht bewährt. Nur wenn handfestes Recherchematerial vorliegt, so die Erfahrung der Angeklagten, werden die entsprechenden Behörden tätig. Dass vorliegend eine Anzeige bei der zuständigen Behörde nicht erfolgsversprechend gewesen wäre, zeigt sich auch daran, dass bei vorherigen Kontrollen der zuständigen Behörde die Missstände nicht moniert wurden. Selbiges trat bei anderen Schweinemastanlagen auf. Es ist zwar grundsätzlich primär staatliche Hilfe in Anspruch und das Recht nicht selbst in die Hand zu nehmen. Da aus Sicht der Angeklagten aufgrund der vorliegenden Umstände, die auch objektivierbar sind, nicht davon auszugehen war, dass mit Hilfe der staatlichen Stellen ein Erfolg herbeizuführen war, war die Dokumentation der Zustände in der Anlage in diesem Ausnahmefall das mildeste Mittel. Zumal sich die Angeklagten entsprechend vorbereitet haben: Sie haben Einwegkleidung benutzt, Mundschutz getragen und ihre Kameras desinfiziert, so dass sie keine Keime in die Ställe getragen haben.

Die Interessenabwägung ergibt vorliegend auch, dass die Notstandshandlung das beeinträchtigte Interesse überwogen hat. Das Interesse der betroffenen Tiere an ihrer Unversehrtheit und an ihrem Recht auf ein Leben ohne Bedrängnis entsprechend den geltenden Regeln der Tierschutznutztierhaltungsverordnung überwiegt das Interesse der Betreiber der Anlage an seinem Hausrecht vorliegend. Die Angeklagten haben weder Privatbereiche betreten noch fremdes Eigentum zerstört.

Liegen die übrigen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB vor, bleibt die Tat zwar rechtswidrig. Es ist allerdings so, dass das Handlungsunrecht entfällt. Es verbleibt nur das Unrecht des Versuchs. Im vorliegenden Fall des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 Abs. 1 StGB ist der Versuch allerdings nicht strafbar, so dass die Angeklagten bezüglich der Tat vom 29.06.2013 straffrei sind.

Hinsichtlich der Tat vom 11.07.2013 geht das Gericht davon aus, dass diese vorliegend gemäß § 34 StGB gerechtfertigt war. Denn die Angeklagten M und F hatten aufgrund der vorherigen Begehung am 29.06.2013 bereits Kenntnis davon, dass vielfache Verstöße vorliegen. Das subjektive Rechtfertigungselement war mithin gegeben. Der zweite Einstieg war auch deshalb erforderlich, weil bei dem ersten Verstoß die Missstände nicht komplett dokumentiert werden konnten und weiteres Filmmaterial erforderlich war, um die Missstände beweissicher zu machen.

Jedenfalls aber handelten die Angeklagten ohne Schuld. Das tatbestandliche Verhalten ist den Angeklagten nicht vorwerfbar. In ihrer konkreten Situation mit ihren Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten, Irrtümern und Voraussetzungen hätten sie die rechtswidrige Handlung persönlich nicht vermeiden können.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.

Zitate0
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte