LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22.06.2017 - L 6 KR 2/16
Fundstelle
openJur 2020, 27127
  • Rkr:

Eine Erstattung nach § 1 AAG kommt nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber keinen Lohn an den Arbeitnehmer fortgezahlt hat.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind weder im Klageverfahren noch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Aufrechnung von Ansprüchen aus dem Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (Aufwendungsausgleichsgesetz - AAG) mit rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der L. D. GmbH, die mehrere Arbeitnehmer beschäftigte. Auf einen Insolvenzantrag vom 31. Januar 2013 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts H. vom 13. März 2013 das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Am 13. Februar 2013 beantragte die L. D. GmbH bei der Beklagten als zuständige Einzugsstelle die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen. Unter dem 18. Februar 2013 errechnete die Beklagte für den Arbeitnehmer B. Ansprüche in Höhe von (726,60 EUR sowie weiteren 678,16 EUR und damit insgesamt i. H. v.) 1.404,76 EUR. Gleichzeitig erklärte sie die Aufrechnung gem. § 6 Abs. 2 AAG mit den fälligen und rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen.

Der Kläger wies darauf hin, dass die erklärte Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 130 Abs. 1 Nr. 2 Insolvenzordnung unzulässig sei, da die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt worden sei. Die Beklagte habe Kenntnis von der Insolvenz gehabt, da sie bereits per Fax vom 11. Februar 2013 von dem laufenden Insolvenzantrag in Kenntnis gesetzt worden sei. Daher fordere er sie zur Zahlung des ausstehenden Betrages auf.

Mangels Zahlung hat der Kläger am 27. Mai 2013 Klage am Sozialgericht Duisburg erhoben und seinen bisherigen Vortrag vertieft.

Das Sozialgericht Duisburg hat das Verfahren mit Beschluss vom 17. Juni 2013 an das Sozialgericht Halle verwiesen. Mit Urteil vom 12. November 2015 hat dieses die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Zahlungsanspruch des Klägers sei gem. § 6 Abs. 2 AAG erloschen. Die Aufrechnung sei auch nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung unwirksam. Die Beklagte habe hier mit fälligen Sozialversicherungsbeiträgen aufgerechnet, die sie nicht für eine unzulässige Handlung erworben habe. Eine Aufrechnung sehe § 6 AAG ausdrücklich vor.

Gegen das ihm am 18. Dezember 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Januar 2016 Berufung am Landessozialgericht eingelegt und seinen bisherigen Vortrag wiederholt. Er betont, die Beklagte habe die Aufrechnung nach Kenntnis des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärt. Er hat eine Insolvenzgeldbescheinigung der Bundesagentur für Arbeit vom 10. April 2013 vorgelegt, wonach dem Arbeitnehmer B. für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Januar 2013 insgesamt Ansprüche in Höhe von 1406,15 EUR brutto zustehen. Er hat auf Nachfrage des Senats betont, die Bundesagentur für Arbeit habe hier für den genannten Arbeitnehmer Lohnfortzahlung für die Insolvenzschuldnerin geleistet und bei ihm als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet. Auch dies hat er mit weiteren Unterlagen belegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. November 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn handelnd in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der L. D. GmbH einen Betrag i. H. v. 1.404,76 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13. März 2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrem bisherigen Vorbringen fest und betont, es sei offenbar keine Entgeltfortzahlung für die streitigen Zeiträume und den genannten Arbeitnehmer geleistet worden. Damit bestehe auch kein Anspruch auf Erstattung.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Kläger mit Schriftsatz vom 23. Februar 2017 sowie 19. Mai 2017 und Beklagte mit Schreiben vom 8. Oktober 2016).

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Hierüber konnte der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere war kein Widerspruchsverfahren durchzuführen, da die Klage als (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthaft ist. Die Beklagte musste über den Anspruch auf Aufwendungsausgleich und seine Erfüllung nicht durch Verwaltungsakt entscheiden und hat dies auch nicht getan. Weder die Mitteilungen über die Höhe der erstattungsfähigen Aufwendungen noch die gleichzeitig erfolgten Erklärungen der Aufrechnung sind Verwaltungsakte i.S. von § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 2016 - B 1 KR 38/15 R, SozR 4-7912 § 96 Nr. 1, Rn. 10; weiter BSG, Urteil vom 31. Mai 2016 - B 1 KR 17/15 R, SozR 4-7862 § 11 Nr. 1).

Zuständig sind gem. § 51 Nr. 8 SGG die Sozialgerichte, da der Kläger lediglich einen Anspruch nach dem AAG geltend macht und keinen anfechtungsrechtlichen Rückgewährsanspruch i. S. der Insolvenzordnung (vgl. BSG, a.a.O.; BGH, Urteil vom 4. August 2005, IX ZR 117/04, juris).

Die Klage ist unbegründet. Gemäß § 1 AAG "erstatten" die Krankenkassen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen das an Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen "fortgezahlte" Arbeitsentgelt und die darauf entfallenden Beiträge. Da der Arbeitgeber (Gemeinschuldner) auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers und gemäß den übersandten Unterlagen zur Überzeugung des Senates bis heute keine Lohnfortzahlung an den Arbeitnehmer vorgenommen (und auch die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt) hat, scheidet eine Erstattung aus (vergleiche Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz und Aufwendungsausgleichsgesetz, 7. Aufl. 2012, § 1 AAG, Rn. 23; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, Entgeltfortzahlungsgesetz, § 10 LFZG, Rn. 38; siehe auch BSG, Urteil vom 31. Mai 2016 - B 1 KR 38/15 R, SozR 4-7912 § 96 Nr. 1, Rn. 25). Ob er gegebenenfalls zur Zahlung an die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet ist, ist insoweit unerheblich. Maßgeblich ist die tatsächliche Zahlung.

Unerheblich ist ebenfalls, dass die Beteiligten bis zu einem Hinweis des Senats darüber gestritten haben, ob die Forderung durch eine Aufrechnung erloschen ist. Die Rechtsgrundlagen hat der Senat eigenständig zu prüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Arbeitgeber sind in Streitigkeiten über die Erstattung von Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung nach dem AAG Leistungsempfänger i.S. von § 183 SGG. Dies gilt auch bei einer Klage des Insolvenzverwalters, weil er lediglich das Recht des Gemeinschuldners ausübt, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen (BSG, Urteil vom 31. Mai 2016 - B 1 KR 38/15 R, SozR 4-7912 § 96 Nr. 1, Rn. 40). Insoweit war das Urteil des Sozialgerichts in der Kostenentscheidung zu korrigieren.

Angesichts der klaren Gesetzesbestimmung bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen.

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