LG Magdeburg, Urteil vom 12.05.2015 - 11 O 194/15
Fundstelle
openJur 2020, 27029
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Forderung vorläufig vollstreckbar.

Zugleich wird beschlossen: Der Streitwert wird auf 30.796 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Kläger verlangen die Rückzahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung.

Dem liegt folgender Hergang zugrunde.

Am 24.2.2010 unterzeichnete der Kläger bei der Beklagten einen schriftlichen Darlehensvertrag in Höhe von 210.000 €, zwecks Finanzierung eines Mehrfamilienhauses. Der Zinssatz war bis zum 16.2.2020 festgeschrieben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darlehensurkunde (Anlage K 1 ) Bezug genommen.

Am selben Tag unterzeichnete der Kläger folgende Widerrufsbelehrung:

"Sie können ihre Vertragserklärung innerhalb von 2 Wochen (einem Monat) ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, e-mail) widerrufen. Der Lauf der Frist beginnt einen Tag nachdem Ihnen

- ein Exemplar dieser Widerrufbelehrung und

- die Vertragsurkunde, Ihr schriftlicher Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder Ihres Vertragsantrages zur Verfügung gestellt wurden. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.

Der Widerruf ist zu richten an... ( es folgen Adresse, Faxnummer, e-mail und eine Homepage).

Im Weiteren wird der Kläger durch einen Verweis auf eine Fußnote darauf hingewiesen, dass die Widerrufsfrist dann einen Monat beträgt, wenn die Widerrufsbelehrung erst nach Vertragsschluss in Textform dem Kunden mitgeteilt wird.

Die Vertragsunterlagen sind dem Kläger unstreitig ausgehändigt worden, der Vertrag wurde vollzogen, sodann im Jahre 2014 aufgelöst und mit Schreiben der Beklagten vom 7.8.2014 abgerechnet. Darin stellte die Beklagte eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 30.796,45 € ein, die der Kläger auch zahlte. Berechnung und Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung sind unstreitig.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.11.2014 erklärte der Kläger "nochmals" wie er ausführt, einen Widerruf (Anlage K 3, Blatt 12 d.A.).

Der Kläger behauptet, er habe den Vertrag widerrufen. Es habe ihm ein gesetzliches Widerrufsrecht nach den §§ 355, 360 BGB zugestanden. Er meint deshalb, die Vorfälligkeitsentschädigung rechtsgrundlos bezahlt zu haben.

Er sei nicht entsprechend der Musterbelehrung nach der Info-VO zum BGB über sein Widerrufsrecht belehrt worden. Die Widerrufsbelehrung erwecke den Eindruck, dass der Inhalt der Belehrung rechtlich unbeachtlich sei. Im Einzelnen beanstandet er im Einzelnen benannte Formulierungen, die auslegungsfähig und deshalb unklar seien und weitere im Zusammenhang mit der Belehrung erteilte Zusatzinformationen, die keinen konkreten Bezug auf sein Vertragsverhältnis haben. weshalb auch insoweit eine undeutliche Belehrung vorliege. Wegen der Einzelheiten wird auf sein Vorbringen Bezug genommen.

Die Beklagte müsse sich fehlerhafte Formulierungen anrechnen lassen und dürfe sich deshalb nicht auf Bestandsschutz berufen, weshalb der Vertrag frei widerruflich sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 30.796,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.8.2014 zu bezahlen,

ferner an ihn weitere 1.474,89 € zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf irreführenden Vortrag. Der Kläger habe das ihm zustehende Sonderkündigungsrecht bei gebundenen Zinssätzen ausgeübt (§ 490 Abs. 2 BGB). Dementsprechend sei der Vertrag abgerechnet worden. Im Übrigen habe die Widerrufsbelehrung den gesetzlichen Vorgaben entsprochen. Der Kläger verhalte sich treuwidrig und rechtmissbräuchlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist unbegründet.

a) Der Kläger hat am 17.11.2014 kein Widerrufsrecht nach § 355 BGB a.F. mehr ausüben können. Sein Begehren verstößt auch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Das sogenannte "ewige Widerrufsrecht" des § 355 Abs. 4 Satz 3 a. F. BGB ( bzw § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB i.d.F bis 10.6.2010) hat kein allgemeines Reuerecht begründet, sondern nur verbraucherschützende Funktion entfaltet. Es hat sicherstellen wollen, dass einerseits die in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallenden Unternehmen ihren Geschäftsbetrieb an den rechtspolitischen Gestaltungszielen des Gesetzgebers auch tatsächlich ausrichten und andererseits die Verbraucher auf diese Weise flächendeckend einen wirksame Schutzmöglichkeit erhalten, die sie davor bewahrt, wenn sie sich übereilt auf schwierig zu durchschauende Vertragsgegenstände einlassen. Dem sollte eine in Textform deutlich gestaltete Widerrufsbelehrung dienen, um die aus dem Selbstbestimmungsgedanken fließende Vertragsabschlussfreiheit für die Dauer einer klar definierten Widerspruchsfrist zu erhalten.

b) Der Kläger muss sich im vorliegenden Fall widersprüchliches und sachfremdes Verhalten entgegenhalten lassen. Denn seine erst nach Abrechnung des Vertrages vorgetragene Behauptung, die Widerrufsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß, ist mit der Tatsache, dass er innerhalb der in der Belehrung genannten Frist zunächst die Entscheidung getroffen hat, den Vertrag gelten zu lassen und über mehrere Jahre zu vollziehen, objektiv unvereinbar. Das hat die Beklagte aufgrund des jahrelangen Vollzugs des Vertrages und der schließlich erfolgten Abrechnung bewiesen. Diesem, durch die im Übrigen unstreitige Abrechnungserklärung der Beklagten und die erteilte Löschungsbewilligung für das Grundbuch (Anlage B 2 ) substantiiert vorgetragenen Hergang ist der Kläger in tatsächlicher Hinsicht auch gar nicht im Einzelnen entgegengetreten (§ 138 Abs. 3 BGB). Sein Vortrag beschränkt sich vielmehr darauf, den Vorgang nur anders zu interpretieren. Auch unter Berücksichtigung der typischerweise gegebenen strukturellen Unterlegenheit des Verbrauchers, liegt damit weder ein schutzwürdiges Eigeninteresse und auch kein Belang des Verbraucherschutzes mehr vor, weil eine Kritik an der Widerrufsbelehrung in dieser Fallkonstellation nicht dafür verwendet wird, die in strukturellen Unterlegenheitssituationen typischerweise gefährdete Selbstbestimmung zu verteidigen, sondern die Selbstbestimmung selbst zu einem sinn- und wertfreien Formalismus herabzuwürdigen. Das ist inakzeptabel. Inhaltskontrollen von Widerrufsbelehrungen greifen, wie jede andere Vertragskontrolle auch, in die Privatautonomie ein. Der Vertrag ist das maßgebliche Instrument, mit den die Parteien selbst bestimmen, wie sie ihre Verhältnisse zu anderen beim Vertragsabschluss, während der Laufzeit des Vertrages und bei der Beendigung des Vertrages frei und eigenverantwortlich in einen angemessenen Ausgleich bringen (BVerfGE 114,73, bei juris Rn 61 m.w.N). Die Auslegung eines förmlichen Gesetzes, das die allgemeine Handlungsfreiheit beschränkt, hat deshalb zu beachten, dass nicht ohne hinreichenden sachlichen Grund die verfassungsrechtlich gewährleistete Handlungsfreiheit durch das Auslegungsergebnis eingeschränkt wird. Denn zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören nicht nur die vom Normgeber gesetzten verfassungsmäßigen Vorschriften, sondern auch deren Auslegung durch den Richter (BVerGE 74, 129 bei juris Rn 63; BVerfGE 113, 88 bei juris Rn 36 m.w.N.).

Im Einzelnen:

aa) Es ist eine Sache, Finanzdienstleistungsunternehmen mit der scharfen gesetzlichen Regelung eines "ewigen Widerrufsrechts" dazu zu bewegen, ihren Geschäftsbetrieb umzugestalten, um in einem gesamten Geltungsbereich eines Gesetzes rechtspolitische Zielvorstellungen des Gesetzgebers umzusetzen und textförmliche Widerrufsbelehrungen zu erteilen, die den gebotenen Verbraucherschutz sichern.

bb) Es ist aber eine andere Sache, Jahre später zu einem x-beliebigen Zeitpunkt eine Undeutlichkeit oder eine Unklarheit einer Belehrung zu behaupten, um hieraus Rechte abzuleiten, die offensichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Regelungsziel des Gesetzgebers stehen, den Verbraucherschutz zu sichern. Insoweit kommt es zwar maßgeblich auf einen überindividuellen- generalisierenden Prüfungsmaßstab an, der ein abstrahierte, von den Besonderheiten des Einzelfalls losgelöste typisierte Betrachtung verlangt (vgl. etwa BGH NJW 2012, 2107, Rn 10; BGH MDR 2014, 851, bei juris Rn 13 m.w.N), die maßgeblich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abstellt (BGH NJW 2010, 2041; MDR 2014, 851 bei juris Rn 13).

cc) Gerade aber die vom Kläger anhand eines abstrakten Maßstabs vorgetragenen "Verständnisprobleme" haben aber keinerlei Bezug zu einer Entscheidungssituation, eines Verbrauchers sondern sind offenkundig (§ 291 ZPO) unzutreffend. Denn der Vortrag des Klägers ist denklogisch nicht ohne die inzident geführte Behauptung möglich, dass dem durchschnittlichen Verbraucher des Jahres 2010, nicht geläufig gewesen sei, das 2 Wochen Widerrufsfrist ( in der seinerzeitigen Gesetzesfassung die bis 10.6.2010 gegolten hat) nicht bedeutet "mehrere Jahre".

c) Die vorgelegte Widerrufsbelehrung hat jedenfalls den Vorgaben des § 355 BGB a.F. 360 BGB a.F entsprochen und die Handlungsfähigkeit des Klägers nicht beeinträchtigt, weil er ihr, wie vorgeschrieben, entnehmen konnte, innerhalb welcher Frist, er sich in welcher Form und wohin wenden musste und welche Erklärung ausgereicht hat, einen Widerruf herbeizuführen und wann die Frist anläuft. Die Undeutlichkeit die sich daraus ergibt, dass eine transparente Fristberechnung fehlt, beruht darauf, dass das Gesetz ( § 360 Abs. 1 Nr. 4 BGB a.F, 355 Abs. 2 a.F. ) sich darauf beschränkt hat, die Mitteilung des fristauslösenden Ereignisses zu verlangen (vgl. BGH NJW 2010, 3503, bei juris Rn 26). Daran hat sich die Beklagte unter Verwendung der im Gesetz benannten Begriffe gehalten und den Fristanlauf auf § 187 Abs. 1 BGB abgestellt. Das ist unbedenklich (BGH v. 20.11.2012, II ZR 264/10 bei juris Rn 6).

d) Soweit der Kläger weitere Undeutlichkeiten wegen überflüssiger Zusätze geltend gemacht hat, die seine Vertragskonstellation gar nicht berühren, können diese gleichfalls dahinstehen. Das förmliche Gesetz hat individuelle Zusatzinformationen nicht verboten ( ausdrücklich geregelt in §§ 360 Abs. 3 Satz 3, Abs. 1 Satz 1 BGB a.F BGB).

Im Übrigen ist das "ewige Widerrufsrecht" der damals geltenden Bestimmungen mit Ablauf des 12.6.2014 außer Kraft getreten (G. v. 20.9.2013, BGBl. Teil I 3642), weshalb selbst dann, wenn der Belehrung ein sonstiger Deutlichkeitsmangel anhaften würde, ein überindividuell-generalisierendes Interesse an der Durchsetzung der Norm entfallen wäre. Der gesamte Regelungskomplex ist nämlich mit Wirkung vom 13.6.2014 in den §§ 355 ff, 356 b BGB, Art 247 EGBGB neugeordnet worden und hat die Belehrungsanforderungen an den Anlauf der Widerrufsfrist abermals umgestaltet, weil sie mit den Pflichtangaben des § 492 Abs. 2 und 6 BGB (vgl. § 356 b Abs 1 -3 BGB) und den nunmehr als Muster eingeführten Standardinformationen für Verbraucherkredite (Anlagen 4 -7), die wiederum mit einer kaum noch zu übersehenden Vielzahl von Gestaltungshinweisen verknüpft worden sind, versehen wurden. § 494 Abs. 7 BGB a.F. hat im Vertragsabschlusszeitpunkt im Übrigen auch noch nicht gegolten.

Da diese Regelungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht in Kraft waren, kann der Kläger hieraus erst Recht nichts herleiten, zumal sich die Regelungstechnik grundlegend verändert und für die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt nicht vorhersehbar gewesen ist. Die nunmehr nach § 356 b BGB verlagerte Gesetzesfassung regelt nur noch, unter welchen Voraussetzungen die Widerrufsfrist anläuft bzw. nicht anläuft und ist ihrerseits nicht präzise auf § 494 Abs. 2 BGB abgestimmt, der wiederum Formmängel - auch solche der Widerrufsbelehrung ( § 494 Abs. 1 i.V.m. Art 247 EGBGB §§ 6 und 9), ab dem Zeitpunkt der Darlehensauszahlung für unbeachtlich erklärt und als Rechtsfolge sodann nur noch eine Korrektur bei den Zinsen vorsieht (§ 494 Abs.2 Satz 2 BGB). Ob ein ewiges Widerrufsrecht überhaupt fortbesteht (so Palandt-Grüneberg, BGB, 74. Aufl. § 356b Rn 1) ist, soweit ersichtlich, unentschieden.

e) Unbesehen dessen besteht für das Gericht kein vernünftiger Zweifel, dass Klagen wie sie hier vorgelegt wurde, den bereits im antiken römischen Recht angelegten und sodann ab dem 13. Jahrhundert rezipierten fundamentalen Grundsatz des "pacta sunt servanda" (Verträge sind einzuhalten) beeinträchtigen. Dieser ist allerdings auch im geltenden Recht unverzichtbar (vgl. statt aller bei Palandt-Ellenberger, Einf v. § 145 Rn 4a m.w.N.), weshalb das Widerrufsrecht auch nur als Ausnahme zu diesem Grundsatz gestaltet ist. Denn der Verbraucherschutz bezweckt nicht, die Verlässlichkeit des Rechts- und Geschäftsverkehrs in Frage zu stellen.

Der Einwand der Beklagten, dass das Anliegen des Klägers zudem auch gegen Treu und Glauben verstößt (§ 242 BGB) greift deshalb durch.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.