AG Magdeburg, Beschluss vom 07.11.2012 - 340 IN 527/12 (381)
Fundstelle
openJur 2020, 25970
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird unter Aufhebung aller vorläufigen Sicherungsmaßnahmen - mangels Masse - abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

3. Der Gegenstandswert wird auf 17.480,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2012 stellte das Finanzamt B. über das Vermögen der seit dem 13. Januar 2011 in M. und vormals in B. geschäftsansässigen Antragsgegnerin Insolvenzantrag. Die beigefügte Aufstellung ergibt Steuerrückstände und Rückstände für steuerliche Nebenleistungen in Höhe von 17.474,16 Euro, die trotz einer vereinbarten Ratenzahlung seit Mai 2012 nicht mehr bedient würden.

Mit Verfügung vom 25. Juni 2012 forderte das Gericht den geschäftsführenden Gesellschafter der Antragsgegnerin unter der neuen Geschäftsanschrift zur Auskunft auf. Eine Auskunft erteilte der Geschäftsführer jedoch nicht. Mit Beschluss vom 11. Juli 2012 beauftragte das Gericht einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens u.a. zu der Frage, ob ein Eröffnungsgrund vorliege.

Mit Zwischenbericht vom 30. August 2012 teilte der Sachverständige mit, dass ihm eine Kontaktaufnahme zum Geschäftsführer der Antragsgegnerin nicht möglich sei. Unter der Geschäftsanschrift der Antragsgegnerin befinde sich ein seit längerer Zeit leerstehendes und unbewohnbares Haus mit einem neuwertigen Briefkasten. Der Ehemann der vormaligen geschäftsführenden Gesellschafterin habe dem Sachverständigen aber mitgeteilt, dass es zum Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsanteile durch den jetzigen Geschäftsführer weder einen operativen Geschäftsbetrieb noch nennenswerte Vermögensgegenstände in der Gesellschaft gegeben habe.

Mit Zwischenbericht vom 26. September 2012 teilte der Sachverständige mit, dass ihm Erkenntnisse zur aktuellen Anschrift des Geschäftsführers der Antragsgegnerin nicht vorlägen.

Mit letztem Zwischenbericht vom 23. Oktober 2012 teilte der Sachverständige mit, dass ihm die vormalige geschäftsführende Gesellschafterin einen Fragenkatalog per E-Mail beantwortet habe, sich aber anhand der erteilten Auskünfte die Vermögensverhältnisse der Antragsgegnerin nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilen ließen.

Schließlich teilte das für ... R. zuständige Einwohnermeldeamt mit Schreiben vom 01. November 2012 mit, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin dort seit 23. Dezember 2011 von Amts wegen abgemeldet sei.

II.

Die Abweisung des Eröffnungsantrags vom 19. Juni 2012 - und nicht nur eine Zurückweisung - beruht auf § 26 Abs. 1 InsO.

Die durchgeführten Ermittlungen haben ergeben, dass der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Der Sachverständige hat im letzten Bericht zwar mitgeteilt, dass er die Vermögensverhältnisse der Antragsgegnerin nicht mit der notwendigen Sicherheit beurteilen könne.

Gleichwohl gelangt das Gericht zur Überzeugung, dass Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17 InsO vorliegt, die zur Abweisung mangels Masse nach § 26 InsO führt.

Nach § 26 Abs. 1 InsO ist der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuweisen, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Nach dem Wortlaut der Vorschrift handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, die naturgemäß Unsicherheiten beinhaltet.  Ausreichend für eine Abweisung mangels Masse ist deshalb ein Sachverhalt, wonach eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die Masse nicht ausreichend wird, um die Verfahrenskosten zu decken. Das setzt aber eine Ermittlung des Sachverhalts im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 5 InsO) durch das Gericht voraus (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. November 2011, Az. 11 W 142/01 - zitiert nach juris). Ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit ist hierfür ausreichend (AG Göttingen, Az. 74 IN 84/01 - zitiert nach juris).

Das Gericht hat nach dem Grundsatz der Amtsermittlung aus § 5 InsO Ermittlungen angestellt.

Der vom Gericht beauftragte Sachverständige hat u.a. die Auskunft des Ehemannes der früheren geschäftsführenden Gesellschafterin eingeholt, wonach die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsanteile durch den jetzigen Geschäftsführer im Januar 2011 über nennenswerte Vermögenswerte nicht verfügt habe. Das lässt - auch ohne überprüfbare Unterlagen - ohne weiteres und nach allgemeiner Lebenserfahrung darauf schließen, dass die Gesellschaft zum jetzigen Zeitpunkt nicht über eingerichtete Gewerberäume mit werthaltiger Inneneinrichtung oder ähnlichen Wertgegenständen verfügt. Dieser Schluss bestätigt sich in der Feststellung des Sachverständigen, dass sich unter der Geschäftsanschrift der Antragsgegnerin lediglich ein leerstehendes und unbewohnbares Haus befindet.

Weiterhin hat der Sachverständige ermitteln können, dass zum Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsanteile durch den geschäftsführenden Gesellschafter eine operative Tätigkeit der Antragsgegnerin nicht stattgefunden habe. Erkenntnisse über jetzige operative Tätigkeiten seien dem Sachverständigen ebenfalls nicht bekannt geworden. Das beides spricht dafür, dass die Antragsgegnerin seither und insbesondere in letzter Zeit keinen Umsatz erwirtschaften und etwaige Vermögenswerte schaffen konnte.

Andererseits ist von Verbindlichkeiten in nicht bekannter Höhe auszugehen. Die frühere geschäftsführende Gesellschafterin der Antragsgegnerin hat dem Sachverständigen einen Fragenkatalog per E-Mail beantwortet und hierbei u.a. angegeben, dass zum 13. Januar 2011 zwar keine weiteren, aber immerhin Verbindlichkeiten gegenüber Vermietern bestanden hätten. Über die Höhe dieser Verbindlichkeiten wird nichts mitgeteilt. Der jetzige Geschäftsführer soll sie weiter bedient haben. Ob das der Fall ist, ist dagegen offen.

Bereits diese Tatsachen ergeben einen starken Anhalt für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17 InsO.

Neben den vorgenannten Tatsachen müssen aber in die Beurteilung für das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes auch die Angaben der Antragstellerin einbezogen werden. Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss  vom 13. April 2006 (Az. IX ZB 118/04 - zitiert nach juris) hervorgehoben, dass der Amtsermittlungsgrundsatz gebiete, auch den Sachvortrag der Antrag stellenden Gläubigerin in die Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit vorliege, einzubeziehen. Dieser dürfe nicht ausgeblendet werden. Aus diesen und weiteren Tatsachen könne sich nämlich ein starkes Beweisanzeichen dafür ergeben, welches auf Zahlungsunfähigkeit hindeute.

Die Angaben der Antragstellerin erhärten die vorgenannte Annahme der Zahlungsunfähigkeit. Ausgehend davon, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin beginnend ab Januar 2005 Gewerbe-, Umsatz- und Körperschaftssteuer sowie den Solidaritätszuschlag nebst Nebenleistungen in Höhe von 17.474,16 Euro schuldet, Anhaltspunkte für das Erzielen eines Umsatzes und von Einnahmen aber gänzlich fehlen, ist unter Würdigung aller Umstände davon auszugehen, dass zum jetzigen Zeitpunkt der Beurteilung Zahlungsunfähigkeit vorliegt.

Die Voraussetzung von § 26 Abs. 1 InsO ist damit erfüllt, so dass der Antrag mangels Masse abzuweisen war.

Das Gericht schließt sich nicht der in der Rechtsprechung vertretene Ansicht an, dass ein zulässiger Antrag unbegründet - und ein Antrag deshalb zurückzuweisen - sei, wenn sich das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes nicht sicher beurteilen lasse. Zwar mag es für die Gesellschaft günstig sein, wenn ein gegen sie gerichteter Fremdantrag lediglich zurückgewiesen wird, wenn der Geschäftsführer unbekannten Aufenthalts ist, Geschäftsunterlagen fehlen und deshalb die Möglichkeit besteht, dass es noch Vermögen gibt (LG Erfurt, Beschluss vom 22. Januar 2001, Az. 7a T 195/00 - zitiert nach juris). Die ermittelten Umstände sprechen in dem vorliegenden Fall aber nach praktischer Erfahrung für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit. Es ist nach allgemeiner Lebenserfahrung auch nicht mehr ernsthaft damit zu rechnen, dass nach der bislang vergangenen Zeit und den wenigen Ermittlungsansätzen noch ein der Antragsgegnerin gehörendes Vermögen ermittelt und der Antragsgegnerin in rechtlich einwandfreier Weise zugeordnet werden kann, so dass sich aufgrund dieser Erkenntnis dann die Vermögenslage sicher beurteilen lassen wird.

Eine vorherige Anhörung der Antragsgegnerin war entbehrlich (§ 10 InsO). Der Geschäftsführer ist unbekannten Aufenthalts. Die Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts sind außerdem erschöpft.

Sicherungsmaßnahmen nach §§ 21, 22 InsO sind damit nicht mehr erforderlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 4 InsO, 91 Abs. 1 ZPO. Es erscheint insbesondere unbillig, im vorliegenden Fall einen Antragsteller mit Verfahrenskosten zu belasten. Der Insolvenzantrag war schließlich zulässig und im Ergebnis auch begründet.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf §§ 58 Abs. 1, 2, 63 Abs. 2 GKG.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte