OLG Naumburg, Urteil vom 12.01.2010 - 9 U 50/09
Fundstelle
openJur 2020, 25591
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 26. Februar 2009 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Halle - Einzelrichterin - abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 7.998,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01. Mai 2008 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert: 7.998,48 EUR

Gründe

A.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 3, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

B.

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die Klägerin hat aus dem Vertrag vom 18. Dezember 1989 einen Anspruch auf Freistellung auch im Hinblick auf die Niederschlagswassergebühren für das Jahr 2006. Niederschlagswasser fällt unter den Begriff des Abwassers im Sinne der genannten vertraglichen Regelung.

1. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der am 18. Dezember 1989 zwischen dem Rat der Stadt H. - N. der G. Chemie II. WK geschlossene Vertrag im Wege der Rechtsnachfolge jetzt zwischen den Parteien gilt.

2. Nach § 535 Abs. 1 Satz 3 BGB hat der Vermieter die auf der Mietsache ruhenden Lasten zu tragen. Zu diesen Lasten zählen auch die Betriebs- oder Nebenkosten. Der Vermieter kann diese Kosten im Mietvertrag auf den Mieter abwälzen. Mit Rücksicht auf die gesetzliche Regel des § 535 Abs. 1 Satz 3 BGB müssen Klauseln, durch die bestimmte Lasten auf den Mieter abgewälzt werden, grundsätzlich eng ausgelegt werden. Außerdem müssten die abgewälzten Lasten im Vertrag möglichst eindeutig bezeichnet werden, so dass in Zweifelsfällen wieder von der Regel des § 535 Abs. 1 Satz 3 BGB auszugehen ist (Senatsurteil vom 18. Oktober 2005, Az.: 9 U 8/05, zitiert nach JURIS Rn. 3).

3. Auch unter Berücksichtigung dieses strengen Maßstabes haben die Parteien hier eine solche Vereinbarung getroffen.

Die Auslegung des Vertrages ergibt, dass der Beklagte verpflichtet ist, auch festgesetzte Niederschlagswassergebühren zu tragen. Er hat insofern die Beklagte von Ansprüchen frei zu stellen.

a) In § 3 des genannten Vertrages heißt es wörtlich:

"Er verpflichtet sich, die hierfür erforderlichen Baumaßnahmen, Instandhaltung, Instandsetzung, Müllabfuhr, Energie, Wasser- und Abwasserkosten sowie den Versicherungsschutz mit eigenen Mitteln zu finanzieren." (vgl. Bd. I, Bl. 4 d. A.)

b) Die Vertragsauslegung hat in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarung und den diesem zu entnehmenden objektiven Parteiwillen zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 2007, 976).

Sie hat sich danach zu richten, was als Wille für denjenigen erkennbar geworden ist, für den die Erklärung bestimmt war, es kommt daher darauf an, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung verstehen durfte (BGH vom 12. März 1992, Az.: IV ZR 141/91, zitiert nach JURIS Rn. 9 m. w. N.). Maßgeblich für die Auslegung ist in erster Linie der Inhalt der auszulegenden Urkunde. Die Partei muss die in der Urkunde enthaltene Erklärung so gegen sich gelten lassen, wie sie bei Berücksichtigung der für sie erkennbaren Umstände objektiv zu verstehen ist (BGH a. a. O.).

cc) Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet Abwasser, dass durch häuslichen, gewerblichen und industriellen Gebrauch verunreinigte abfließende Wasser (Schmutzwasser) auch das geringer verschmutzte Niederschlagswasser aus dem Bereich von Ansiedlungen oder befestigten Flächen (vgl. Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21. völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. I, S. 129 Stichwort "Abwasser").

Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in der ehemaligen DDR ein anderer Sprachgebrauch bestand. Statt dessen wird dieser Bedeutungsinhalt des Wortes 'Abwasser' durch die Anordnung über die Allgemeinen Bedingungen über den Anschluss von Grundstücken an und für die Einleitung von Abwasser in die öffentlichen Abwasseranlagen - Abwassereinleitungsbedingung - vom 20. Juli 1978 in der Fassung der Anordnung vom 15. Januar 1979 zur Änderung der Wasserversorgungs- und Abwasserleitungsbedingung (DDR Gesetzblatt I Nr. 6 S. 60) gestützt. In § 2 dieser Abwassereinleitungsbedingung heißt es:

"Abwasser i. S. dieser Anordnung ist durch häusliche, gewerbliche, industrielle oder anderweitige Nutzung in seinen Beschaffenheitsparametern verändertes Wasser sowie abfließendes Niederschlagswasser aus dem Bereich von Ansiedlungen, Betriebsflächen und Industriebetrieben und anderen Betrieben. Regelungen über Abwasser sind auch auf das in öffentlichen Abwasseranlagen geleitete Grund- und Oberflächenwasser anzuwenden." (vgl. Bd. I, Bl. 88 d. A.)

Es kann offen bleiben, ob unter dem Begriff "Kanalgebrauch" nur ein Verbrauch zu fassen ist, der mengenmäßig durch Zähler erfasst werden kann, wie dies der Senat in seiner Entscheidung vom 18. Oktober 2005 (Az.: 9 U 8/05, zitiert nach JURIS Rn. 5 [= OLGR 2006, 249]) ausgesprochen hat. Im vorliegenden Fall wurde im Vertrag nicht der Begriff "Kanalverbrauch", sondern der Begriff "Abwasser" gewählt. Zu Abwasser gehört sowohl das durch Nutzung verschmutzte Wasser wie auch das im Kanalsystem abfließende Niederschlagswasser. Insofern ist die vom Landgericht herangezogene Rechtsprechung des Senates für den vorliegenden Fall nicht ergiebig.

dd) Schließlich ergibt hier auch eine Auslegung anhand der Gesamtumstände keine andere Deutung der Vertragsklausel.

α) Aus den §§ 133, 157 BGB ergibt sich das Verbot einer ausschließlich am Wortlaut orientierten Interpretation. Auch ein klarer und eindeutiger Wortlaut einer Erklärung bildet keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände, und zwar weder bei der einfachen Auslegung noch bei der ergänzenden Auslegung eines lückenhaften Rechtsgeschäfts. Die Feststellung, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, lässt sich erst durch eine alle Umstände berücksichtigende Auslegung treffen (Urteil des 12. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 19. Dezember 2001, Az.: XII ZR 281/99, zitiert nach JURIS Rn. 19 [= NJW 2002, 1260 ff.]).

β) Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Gebühren für Niederschlagswasser erhoben wurden. Gebühren fielen ausschließlich für Brauchwasser an.

Aus diesem Umstand lässt sich jedoch kein anderes Verständnis des Wortes Abwasser herleiten. Es begründet auch kein Vertrauenstatbestand in dem Sinne, dass nur Kosten, die unter dem Begriff "Abwasserkosten" fallen und zum damaligen Zeitpunkt erhoben wurden, auch unter die vertragliche Regelung fallen. Der Beklagte musste davon ausgehen, dass er etwa bei einer Erhöhung der Gebühren für Brauchwasser diese würde tragen müssen. Auch eine Veränderung der Berechnung entband ihn nicht von seiner Pflicht zur Kostentragung. Insofern ist die Erstreckung der Gebührenerhebung auf Niederschlagswasser als Erhöhung der Abwasserkosten zu verstehen.

Der Beklagte ist daher nach dem Vertrag verpflichtet, auch die Niederschlagswassergebühren zu tragen.

4. Ein Verstoß gegen § 305c BGB liegt nicht vor.

a) Nach Art. 232 §§ 2 bzw. 3 EGBGB ist § 305c BGB heute auch auf den vor dem 3. Oktober 1990 geschlossenen Vertag anwendbar.

b) Die zitierte Regelung in § 3 des Vertrages stellt keine überraschende oder mehrdeutige Klausel im Sinne des § 305c BGB dar.

Wie bereits dargelegt führt die Auslegung des Begriffs "Abwasserkosten" hier zu einem eindeutigen Ergebnis.

Die Übernahme der Kosten für Abwasser wird nach den Erfahrungen des Senats auch bei Mietverträge häufig vereinbart und ist daher nicht überraschend.

Die Gestaltung des Vertrages in § 3 und § 4 ermöglicht dem Vertragspartner ohne weiteres die Übersicht über die übernommenen Kosten.

5. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erstmals die Geltung der Satzung, die Gültigkeit des darauf beruhenden Gebührenbescheids vom 9. 11. 2007 und damit die Forderung gegen die Klägerin in Frage gestellt. Die Satzung sei zum Zeitpunkt des Bescheides bereits aufgehoben gewesen. Dieser neue Vortrag ist in der Berufungsinstanz nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zuzulassen.

a) Nach dieser Vorschrift sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Unter Angriffs- und Verteidigungsmitteln versteht man alle zur Begründung des Sachantrags oder zur Verteidigung dagegen vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Behauptungen, Einwendungen, Bestreiten, Einreden und Beweisanträge (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 531, Rn. 21).

b) Das Bestreiten der Geltung der Satzung und der Gültigkeit des Bescheides ist ein solches Verteidigungsmittel.

c) Die Behauptung des Beklagten ist nicht unstreitig geblieben. Die Klägerin hat in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 15. 12. 2009 auf der Gültigkeit des Bescheides beharrt und dies durch Tatsachen unterlegt.

d) Der Beklagte hat nicht vorgetragen, warum er seine Einwände gegen die Geltung der Satzung und des darauf beruhenden Bescheides nicht bereits früher vortragen konnte.

6. Im Verhältnis zur Klägerin ist es ohne Bedeutung, ob diese Niederschlagswassergebühren bereits bezahlt hat oder nicht.

Aus dem zitierten Vertrag folgt die Verpflichtung der Beklagten gegenüber der Klägerin, die Abwasserkosten zu tragen. Dass die Klägerin im Außenverhältnis zur Zahlung des hier im Streit stehenden Betrages aufgrund des Abwassergebührenbescheides vom 09. November 2007 verpflichtet ist, steht aus den genannten Gründen fest. Der Anspruch auf Freistellung von dieser Verpflichtung hängt nicht davon ab, ob die Klägerin ihrerseits bereits gezahlt hat oder nicht. Denn die direkte Zahlung an den Gläubiger der Abwassergebühren diente nur der Abkürzung des Leistungsweges.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist hier § 556 BGB nicht anwendbar; die Vorschrift gilt nur für Wohnraum. § 578 BGB ordnet eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift nicht an.

5. Der - zu bejahende - vertragliche Anspruch der Klägerin wird schließlich vom Streitgegenstand dieses Rechtsstreits umfasst.

a) Nach der heute herrschenden prozessrechtlichen Auffassung vom Streitgegenstand im Zivilprozess, der sich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen hat, wird mit der Klage nicht ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch geltend gemacht; vielmehr ist Gegenstand des Rechtsstreits der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung aufgefasste eigenständige prozessuale Anspruch. Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH vom 19. 12. 1991, IX ZR 96/91, zitiert nach juris Rn. 14 [= BGHZ 117, 1ff. m.w.N.).

b) Danach ist hier die rechtliche Einordnung des Anspruchs als vertraglicher Anspruch oder Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag für die Bestimmung des Streitgegenstandes irrelevant. Der Streitgegenstand bestimmt sich ausschließlich durch Klagantrag und vorgetragenen Lebenssachverhalt.

6. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 BGB.

C.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Eine Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO war gemäß §§ 713 ZPO i. V. m. 26 Nr. 8 EGZPO nicht auszusprechen, da die Beschwer des Beklagten 20.000,00 EUR nicht übersteigt.

2. Die Entscheidung über die Höhe des Gebührenstreitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf den §§ 39 Abs. 1, 47, 63 GKG, 3 ZPO.

3. Der nichtnachgelassene Schriftsatz de2 Beklagten vom 21. Dezember 2009 ist gemäß § 296a ZPO inhaltlich nicht zu berücksichtigen, soweit er tatsächliche Behauptungen enthält. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, da die Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

4. Die Revision war nicht zuzulassen.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor; denn diese Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Beurteilung des Einzelfalles gebietet auch nicht, die Revision zur Fortbildung des Rechtes zuzulassen, weil die vorliegende Entscheidung nicht von der obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht.