OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.01.2008 - 8 WF 172/07
Fundstelle
openJur 2012, 66881
  • Rkr:

1. Wird im Anwaltsprozess gem. § 121 Abs. 1 ZPO der Partei ein zu ihrer Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet, so hat auch die PKH-Partei einen Anspruch darauf, einen an ihrem Wohnort ansässigen Rechtsanwalt beigeordnet zu bekommen. 2. Erfolgt die Beiordnung ohne Beschränkung, sind die Terminsreisekosten grundsätzlich zu erstatten. 3. Gleichwohl bedeutet die uneingeschränkte Beiordnung keine generelle Feststellung der Erforderlichkeit von Reisekosten des beigeordneten Rechtsanwalts. Deren Notwendigkeit ist vielmehr gem. § 46 Abs. 1 RVG im Vergütungsfestsetzungsverfahren des § 55 RVG zu überprüfen und kann bei der gebotenen ex ante-Betrachtung dazu führen, dass nur die Kosten eines fiktiven Unterbevollmächtigten zu erstatten sind, sofern von vornherein absehbar war, dass diese niedriger sind als die Reisekosten des beigeordneten Rechtsanwalts.

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss der Familienrichterin des Amtsgerichts Nürtingen - Familiengericht - vom 05. Dezember 2007, Az. 14 F 785/06,abgeändert:Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Nürtingen vom 25. Juli 2007, Az. 14 F 785/06, dahinabgeändert,dass zusätzlich zu den festgesetzten 1.443,87 Euro weitere 486,67 Euro, damit insgesamt 1.930,54 Euro als Vergütung gegen die Staatskasse festgesetzt werden.2. Die Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde sind gebührenfrei. Kosten werden in beiden Verfahren nicht erstattet.

Gründe

I.

Im Hauptsacheverfahren wegen des Aufenthaltsbestimmungsrechts bezüglich der gemeinsamen Tochter der Parteien und einstweiliger Anordnung wurde dem Antragsgegner durch Beschluss vom 25. September 2006 Prozesskostenhilfe ohne Zahlungspflichten und unter Beiordnung des Beschwerdeführers, der seinen Kanzleisitz am Wohnort des Antragsgegners in ... hat, ohne Beschränkungen bewilligt. Es fanden zwei Verhandlungstermine vor dem Familiengericht Nürtingen am 25. September 2006 und am 3. April 2007 statt, die vom Antragsgegner zusammen mit dem Beschwerdeführer wahrgenommen wurden. Über die einstweilige Anordnung wurde am 25. September 2006 entschieden und über das Aufenthaltsbestimmungsrecht mit Beschluss vom 4. April 2007, durch den die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben wurden. Im Termin vom 3. April 2007 wurde zugleich eine Umgangsregelung die zwischen den Parteien vereinbart.

Auf die Anträge des Beschwerdeführers vom 10. Oktober 2006 bezüglich des einstweiligen Anordnungsverfahrens (630,46 Euro) und vom 2. Juli 2007 bezüglich des Hauptsacheverfahrens (1.300,08 Euro) wurden mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 25. Juli 2007 lediglich 1.443,87 Euro in Ansatz gebracht. Statt der geltend gemachten Reisekosten und Tagegelder für die Wahrnehmung der beiden Gerichtstermine durch den Beschwerdeführer in Höhe von insgesamt 822 EUR (2 x 411 EUR) zuzüglich Mehrwertsteuer wurden die Kosten eines fiktiven Unterbevollmächtigten nebst eines 10%-igen Zuschlages (435,62 Euro + 43,56 Euro) berücksichtigt.

Die gegen den Festsetzungsbeschluss gerichtete Erinnerung des Beschwerdeführers hat die Familienrichterin durch Beschluss vom 05. Dezember 2007 zurückgewiesen mit der Begründung, dass der Beiordnungsbeschluss einen Anspruch auf Terminsreisekosten gegen die Staatskasse ausschließe, auch wenn er keine ausdrückliche Beschränkung enthalte.

Gegen die ihm am 10. Dezember 2007 zugestellte Entscheidung hat der Beschwerdeführer am 12./17. Dezember 2007 Beschwerde eingelegt mit dem Ziel der Festsetzung seiner weiteren Auslagen (Fahrtkosten) von 486,67 EUR.

Die Richterin hat nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.II.

Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG zulässig und in der Sache auch begründet.

Dem auf Grund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beigeordneten Beschwerdeführer steht ein Anspruch auf Festsetzung der Reisekosten und Tagegelder für die beiden von ihm wahrgenommenen Gerichtstermine in der beantragten Höhe zu.

a) Gem. § 121 Abs. 1 ZPO wird im Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet. Dabei hat auch die PKH-Partei einen Anspruch darauf, einen an ihrem Wohnort ansässigen Rechtsanwalt beigeordnet zu bekommen (Fischer in Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 121 Rdnr. 18 m. w. N.; OLG Hamm NJOZ 2005, 767).

Der Beiordnungsbeschluss vom 25. September 2006 enthält in Bezug auf die fehlende Ansässigkeit des Beschwerdeführers am Gerichtsort keine Beschränkung. Der Vergütungsanspruch bestimmt sich aber gem. § 48 Abs. 1 RVG nach dem Umfang der Beiordnung im Beiordnungsbeschluss, der bindend für das nachfolgende Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 55 RVG ist und nicht umgedeutet werden kann (von Eicken/Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, § 46 RVG Rdnr. 30d m. w. N.; KG Berlin JurBüro 2005, 264). Sofern der Beiordnungsbeschluss keine entsprechende Beschränkung enthält, sind die Reisekosten deshalb grundsätzlich zu erstatten (von Eicken/Müller-Rabe, a. a. O.; Fischer, a. a. O.; OLG Rostock FamRZ 2001, 510; OLG Koblenz AGS 2002, 67; OLG München MDR 2002, 543; KG Berlin MDR 2004, 474; OLG Oldenburg AGS 2005, 212; BGH NJW 2004, 2749). Der Entscheidung des BGH vom 10. Oktober 2006 (NJW 2006, 3783) kann nichts anderes entnommen werden, denn in dieser geht es um das Beiordnungsverfahren, nicht aber um das sich anschließende Festsetzungsverfahren, in dem gerade die Bindung an den Beiordnungsbeschluss - auch bezüglich einer nicht angeordneten Beschränkung - besteht.

Durch die Neuregelung des Anwaltsvergütungsrechts ist die früher verbreitete Auffassung (u. a.: Brandenburgisches OLG FamRZ 2000, 1385; OLG Sachsen-Anhalt OLGR Naumburg 2002, 310) überholt, wonach sich aus § 121 Abs. 3 ergebe, dass ein beim Prozessgericht nicht zugelassener Rechtsanwalt keine höheren Kosten verlangen könne als ein beim Prozessgericht zugelassener Anwalt. Deswegen könne jener, auch wenn er nicht damit einverstanden sei, nur zu den Bedingungen eines zugelassenen Rechtsanwalts beigeordnet werden (Philippi in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 121 Rdnr. 13 m. w. N.; OLG Nürnberg NJW 2005, 687; OLG Hamm AGS 2005, 71 und NJW 2005, 1724; OLG Köln MDR 2005, 1130; OLG Düsseldorf AGS 2005, 513; OLG Oldenburg NJW 2006, 851; OLG Braunschweig FamRZ 2006, 800).

Danach kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Terminsreisekosten, die gem. § 46 Abs. 1 RVG grundsätzlich als notwendige Auslagen anzusehen sind (von Eicken/Müller-Rabe, a. a. O., § 46 Rdnr. 23; Philippi, a. a. O., § 121 Rdnr. 13 und 40; Fischer, a. a. O., § 121 Rdnr. 18; je m. w. N.), im Hinblick auf die Vorschrift des § 121 Abs. 3 ZPO und unter entsprechender Umdeutung des Beiordnungsbeschlusses nicht festzusetzen sind.

b) Gleichwohl bedeutet die uneingeschränkte Beiordnung keine generelle Feststellung der Erforderlichkeit von Reisekosten des beigeordneten Rechtsanwaltes. Deren Notwendigkeit ist vielmehr gem. § 46 Abs. 1 RVG im Vergütungsfestsetzungsverfahren des § 55 RVG zu überprüfen (Philippi, a. a. O., § 121 Rdnr. 41; Fischer, a. a. O.; KG RPfleger 2005, 200; OLG Hamm NJOZ 2005, 767; OLG Stuttgart FamRZ 2005, 2007; von Eicken/Müller-Rabe, a. a. O., § 46 RVG Rdnr. 30d zum Meinungsstreits; entgegen OLG Karlsruhe NJW 2005, 2718: zugelassene Rechtsbeschwerde anhängig gem. Fischer, a. a. O., § 121 Fußnote 171).

Dabei ist der allgemeine Kostengrundsatz zu berücksichtigen, dass jede Partei und daher auch jeder für sie tätige Anwalt die Kosten und damit auch die Auslagen möglichst niedrig halten müssen (OLG Hamm, a. a. O.; Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl. 2007, § 46 RVG Rdnr. 13 und 14 m. w. N.).

Zu Recht hat deshalb die Vorinstanz eine Vergleichsrechnung dahin vorgenommen, ob nicht die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten zur Terminswahrnehmung kostengünstiger gewesen wäre. Hierbei war jedoch von einer ex ante-Betrachtung auszugehen, denn maßgebend ist der Entstehungs- und nicht der spätere Festsetzungszeitpunkt (Hartmann, a. a. O., Rdnr. 13).

Insoweit musste aber der Beschwerdeführer nicht von vornherein damit rechnen, dass die Wahrnehmung zweier Gerichtstermine erforderlich werden würde, da über die einstweilige Anordnung gem. §§ 620, 620a Abs. 1 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden werden konnte.

Die Wahrnehmung des ersten Termins verursachte einschließlich Mehrwertsteuer Kosten von 476,76 Euro, während für den Unterbevollmächtigten fiktiv 479,18 Euro (einschließlich des 10%-igen Zuschlags) in Ansatz gebracht wurden. Danach durfte der Beschwerdeführer davon ausgehen, dass die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten nicht kostengünstiger sein würde als die Wahrnehmung des Termins durch ihn selbst und die dadurch verursachten Reisekosten. Dass ein weiterer Termin erforderlich werden würde, war für ihn nicht vorhersehbar.

Er kann deshalb im nachhinein nicht auf die Erstattung lediglich der Kosten eines fiktiven Unterbevollmächtigten beschränkt werden.

c) Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers war deshalb der weitere Betrag von 486,67 Euro zur Zahlung aus der Staatskasse festzusetzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.