VG Mainz, Urteil vom 20.01.2016 - 3 K 509/15.MZ
Fundstelle
openJur 2020, 23541
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Er ist seit 2. Dezember 2011 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L.

Am Abend des 22. Juni 2014 wurde der Kläger einer Verkehrskontrolle unterzogen. Ausweislich des Einsatzberichtes fielen den Polizeibeamten beim Kläger während der Kontrolle eine starke Nervosität sowie gerötete und wässrige Augen, ein Oberlidzittern sowie ein starkes Zittern der Hände und des Körpers auf. Auf entsprechende Nachfrage gab der Kläger an, noch nie Kontakt zu Betäubungsmitteln gehabt zu haben. Aufgrund dieser Ausfallerscheinungen führten die Polizeibeamten auf freiwilliger Basis einen Mahsantest durch, der zu einer positiven Reaktion auf Tetrahydrocannabinol (THC) führte. Hierzu machte der Kläger keine Angaben. Ihm wurde anschließend in der Polizeidienststelle eine Blutprobe entnommen.

Die Untersuchung der Blutprobe durch das Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin M. ergab einen THC-Wert von 2,0 ng/mL Serum und einen THC-Carbonsäure-Wert von 20 ng/mL Serum. In einer ergänzenden Stellungnahme ist ausgeführt, die festgestellten Cannabinoidkonzentrationen wiesen auf eine engfristigere Cannabisaufnahme hin. Es komme ein Cannabiseinfluss zum Blutentnahmezeitpunkt in Betracht.

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis gab der Kläger an, er habe am Tag der Verkehrskontrolle bei einem Umzug geholfen und dort an einem Joint gezogen. Hierbei habe es sich um den erstmaligen Konsum von Cannabis gehandelt. Er sei Allergiker, was der Grund für die geröteten Augen sein könne. Außerdem sei er zum Kontrollzeitpunkt sehr ermüdet gewesen. Das Zittern sei auf seine Aufregung bei der Kontrolle zurückzuführen. Die THC-Carbonsäure-Konzentration sei zum Beleg eines gelegentlichen Konsums nicht geeignet.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2014 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen B einschließlich AM und L sowie die unter die Klassen A1 und A fallenden Berechtigungen und forderte ihn zur unverzüglichen Abgabe des Führerscheins auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei aufgrund gelegentlichen Konsums von Cannabis ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs, weshalb ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen sei. Soweit er einen einmaligen Konsum geltend mache, sei dies als Schutzbehauptung zu betrachten.

Mit seinem am 17. Oktober 2014 erhobenen Widerspruch vertiefte der Kläger sein bisheriges Vorbringen und trug ergänzend vor: Er habe sich explizit auf einen einmaligen Konsum berufen. Eine Bewertung der polizeilichen Kontrollsituation habe nicht stattgefunden, insbesondere sei man nicht darauf eingegangen, dass er Allergiker und verständlicherweise bei der Kontrolle aufgeregt gewesen sei. Die festgestellten Werte ließen keinen Rückschluss auf einen gelegentlichen Cannabiskonsum zu. Außerdem bestätigten durchgeführte Urinscreenings, dass keine Cannabinoide nachweisbar seien. Dies zeige, dass er nach seiner einmaligen Verfehlung kein Cannabis mehr konsumiert habe.

Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 24. März 2015 im Wesentlichen aus den Gründen des angefochtenen Bescheids zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ergänzend ausgeführt, aus dem Erklärungsverhalten des Klägers während des gesamten Verfahren könne der Rückschluss auf gelegentlichen Cannabiskonsum gezogen werden.

Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 2. April 2015 hat der Kläger am 30. April 2015 Klage erhoben, mit der er sein bisheriges Vorbringen vertieft und ergänzt. Dass er sich bei der Polizei auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen habe, könne ihm nicht angelastet werden.

Er beantragt,

den Bescheid vom 6. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids 24. März 2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen und verweist darauf, dass der Kläger zu seinem Cannabiskonsum widersprüchliche Angaben gemacht habe. Ungeachtet der im Jahr 2015 veröffentlichten Empfehlung der Grenzwertkommission sei bei einem THC-Wert von 2,0 ng/mL Serum von einem fehlenden Trennungsvermögen auszugehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in den Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Fahrerlaubnisentziehungsbescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage für die in Ziffer 1 des Bescheids enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV). Danach ist dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er sich zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Das gilt insbesondere dann, wenn u.a. Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Nach Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV (im Folgenden: Anlage 4 FeV) wird die Eignung bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes grundsätzlich verneint. Lediglich im Hinblick auf die Einnahme von Cannabis wird differenziert: Während die lediglich einmalige (experimentelle) Einnahme von Cannabis die Fahreignung nicht in Frage stellt, führt demgegenüber der regelmäßige (täglich oder nahezu tägliche) Konsum zur Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 FeV). Der gelegentliche Konsum von Cannabis schließt hingegen nur dann die Fahreignung nicht aus, wenn eine Trennung von Konsum und Fahren vorgenommen wird, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen zu verzeichnen ist und keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 FeV).

Hiervon ausgehend hat der Beklagte zu Recht einen die Fahreignung ausschließenden Betäubungsmittelkonsum angenommen, denn der Kläger konsumiert auch zur Überzeugung der Kammer bei fehlendem Trennungsvermögen gelegentlich Cannabis.

Gelegentlicher Konsum liegt vor, wenn er über den lediglich einmaligen, experimentellen Gebrauch hinaus geht und noch nicht das Stadium des regelmäßigen Konsums erreicht hat (OVG RP, Beschluss vom 9. März 2006 - 10 E 10099/06.OVG -). Das ist bereits bei zweimaliger Einnahme von Cannabis in selbständigen Konsumakten gegeben, soweit diese einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 3 C 3/13 -, DAR 2014, 711 = juris Rn. 20 f.). Von einem solchen Fall ist hier auszugehen. Hierbei kann offenbleiben, ob bereits der ausweislich des toxikologischen Befundberichts des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin M. festgestellte THC-Carbonsäure-Wert von 20 ng/mL Serum den gelegentlichen Konsum indiziert. Die notwendige Überzeugung für eine gelegentliche Cannabisaufnahme nach einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss kann nämlich auch aus einer Zusammenschau der den bisher maßgeblichen Grenzwert deutlich übersteigenden THC-Carbonsäure-Konzentration und der Einlassung des Fahrerlaubnisinhabers zum Konsummuster gewonnen werden. Vor dem Hintergrund, dass die Kombination von erstmaligem Cannabiskonsum mit anschließender Verkehrsteilnahme unter Einwirkung des erstmals konsumierten Rauschmittels und der Feststellung dieses Umstandes bei einer polizeilichen Kontrolle unter Berücksichtigung der relativ geringen polizeilichen Kontrolldichte insgesamt deutlich für einen nur sehr selten anzunehmenden Fall spricht, bedarf es nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, der sich die Kammer anschließt, nach einer Teilnahme am Straßenverkehr unter verkehrsrechtlich relevantem Cannabiseinfluss - wie er hier, wie noch auszuführen sein wird, mit einem THC-Wert von 2,0 ng/mL gegeben ist - der ausdrücklichen Berufung des Fahrerlaubnisinhabers auf einen Erstkonsum und der substantiierten und glaubhaften Darlegung der Einzelumstände dieses Konsums, um nicht von einem jedenfalls gelegentlichen Cannabiskonsum ausgehen zu können (OVG RP, Beschlüsse vom 16. Juli 2012 - 10 B 10669/12.OVG -, vom 22. Februar 2012 - 10 D 11493/11.OVG - und vom 2. März 2011- 10 B 11400/10.OVG -, NJW 2011, 1985 = juris Rn. 6 f.; ebenso BayVGH, Beschluss vom 4. März 2013, a.a.O. = juris Rn. 31; VGH BW, Urteil vom 21. Februar 2007 - 10 S 2302/06 -, ZfS 2007, 295 = juris Rn. 15). Das bedeutet, dass etwa die Tatsache eines Schweigens zur Frage der Häufigkeit des Konsums, der lapidaren Behauptung einmaligen Konsums sowie der offensichtlich falschen Darstellung von Konsumverhalten die Annahme einer nicht nur einmaligen Cannabisaufnahme rechtfertigen kann. Gleiches gilt auch, wenn der Fahrerlaubnisinhaber im Verfahren unterschiedliche Angaben zur Frage des Konsums überhaupt bzw. zu den Umständen des Konsums macht.

Den so dargestellten Anforderungen an das Erklärungsverhalten des Fahrerlaubnisinhabers steht auch nicht entgegen, dass die "Gelegentlichkeit" der Cannabiseinnahme eine der Tatbestandsvoraussetzungen für die - regelmäßige - Fahrungeeignetheit nach Maßgabe der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 FeV und den Erlass einer hierauf gestützten Fahrerlaubnisentziehung ist und es deshalb der Fahrerlaubnisbehörde obliegt, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass ein nicht lediglich einmaliger Cannabiskonsum vorliegt. Das schließt es nämlich nicht aus, bestimmten Tatsachen mit Blick auf das Konsummuster indizielle Bedeutung beizumessen und hieraus berechtigterweise den Schluss auf eine mehr als nur einmalige Cannabisaufnahme ziehen zu können (OVG RP, Beschluss vom 2. März 2011, a.a.O. = juris Rn. 9).

Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Unter Berücksichtigung des Erklärungsverhaltens des Klägers ist die Annahme einer mehr als nur einmaligen - und damit gelegentlichen - Cannabisaufnahme gerechtfertigt. Der Kläger hat bereits widersprüchliche Angaben zum Konsum von Betäubungsmitteln überhaupt gemacht. Ausweislich des Einsatzberichts der Polizei - der als öffentliche Urkunde i.S.v. § 415 Abs. 1, § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der in ihm bezeugten Tatsachen begründet (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11. März 2004 - 11 LA 380/03 -, NVwZ 2004, 1381 = juris Rn. 4 f.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/, ZPO, 68. Auflage 2010, § 418 Rn. 5) - gab der Kläger anlässlich der Verkehrskontrolle am 22. Juni 2014 auf die Frage der kontrollierenden Polizeibeamten nach Belehrung zunächst an, noch nie Kontakt zu Betäubungsmitteln gehabt zu haben. Nachdem ein freiwillig durchgeführter Drogensuchtest (Mahsantest) positiv reagierte, machte der Kläger nach erneuter Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht zu einem etwaigen Drogenkonsum keine Angaben mehr. Hingegen räumte er im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis ein, am Kontrolltag an einem Joint gezogen und diesen mitgeraucht zu haben.

Soweit der Kläger geltend macht, sein Aussageverhalten lasse keine Rückschlüsse auf einen gelegentlichen Konsum von Cannabis zu, weil der Beklagte aus dem Umstand, dass er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe bzw. dass sein Aussageverhalten vor der Polizei vor einem drohenden Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren zu werten sei, gehindert sei, entsprechende Rückschlüsse zu ziehen, vermag er hiermit nicht durchzudringen. Insoweit übersieht er, dass das (strafprozessuale) Aussageverweigerungsrecht eines Beschuldigten (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) allein Ausfluss des aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs. 3 GG abgeleiteten Grundsatzes ist, dass sich niemand in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren selbst belasten muss ("nemo tenetur se ipsum accusare", vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a. -, BVerfGE 133, 168 = juris Rn. 66), mit der Folge, dass in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren keine nachteiligen Schlüsse aus einem Schweigen des Beschuldigten gezogen werden dürfen. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren, welches im Gegensatz zum Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren keinen Repressivcharakter hat, sondern der präventiven Gefahrenabwehr dient. In derartigen Verfahren ist die Behörde regelmäßig nicht gehindert, aus der Wahrnehmung strafprozessualer Aussageverweigerungsrechte gleichwohl Rückschlüsse auf ein verkehrsrechtlich relevantes Verhalten - und hierzu gehört die Frage Fahr(un)eignung eines Fahrerlaubnisinhabers - zu ziehen (vgl. OVG NW, Beschluss vom 9. Oktober 2014 - 16 B 709/14 -, juris Rn. 9, BayVGH, Beschluss vom 17. Juni 2009 -, 11 CS 09.833 -, juris Rn. 11; VGH BW, Beschluss vom 16. Mai 2007 - 10 S 608/07 -, ESVGH 57, 248 = juris Rn. 3 f.).

Hinzu kommt ferner, dass aber auch die Angaben des Klägers zu den konkreten Umständen des nunmehr eingeräumten Konsums Unstimmigkeiten aufweisen. Während der Kläger im Rahmen der Anhörung zunächst angab, er habe am Kontrolltag während eines Umzugs, bei dem er geholfen habe, an dem Joint gezogen, trug er hingegen im gerichtlichen Verfahren vor, der Cannabiskonsum habe im Anschluss an den Umzug stattgefunden.

Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz lässt diese Erklärungsverhalten des Klägers zusammen mit der bei ihm festgestellten THC-Carbonsäure-Konzentration von 20 ng/mL Serum - die um das doppelte über dem bislang zum Nachweis des gelegentlichen Konsums angenommenen Grenzwert von 10 ng/mL liegt - den berechtigten Schluss auf eine mehr als nur einmalige Cannabisaufnahme zu.

Der Kläger kann auch nicht zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen. An dem - für eine fortbestehende Fahrerlaubniseignung erforderlichen - Trennungsvermögen fehlt es, wenn der Betroffene unter verkehrsrechtlich relevantem Drogeneinfluss ein Fahrzeug führt. Bereits bei einer Verkehrsteilnahme mit einer THC-Konzentration im Blut von über 2 ng/mL ist nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (vgl. Beschlüsse vom 29. Januar 2010 - 10 B 11226/09.OVG -, juris Rn. 12, und vom 7. Dezember 2007 - 10 B 11164/07.OVG -; Urteil vom 13. Januar 2004 - 7 A 10206/03.OVG -, DAR 2004, 413 = juris Rn. 24) unabhängig von konkreten Ausfallerscheinungen davon auszugehen, dass der Betroffene unter verkehrssicherheitsrelevantem Drogeneinfluss ein Fahrzeug geführt hat. Bei einer Cannabiskonzentration in dieser Höhe ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen anzunehmen, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen erhöht, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben. Bei der Hälfte der Konsumenten mit dieser Cannabiskonzentration kam es zu Beeinträchtigungen der Verkehrstüchtigkeit in der Form von Antriebssteigerungen, erhöhter Risikobereitschaft sowie Herabsetzung der Sehschärfe mit verzögerten Reaktionen. Bei dem Kläger ergab die toxikologische Untersuchung einen THC-Wert von 2 ng/mL Serum bei der Verkehrsteilnahme am 22. Juni 2014. Dementsprechend führte der Gutachter in dem toxikologischen Befundbericht vom 12. August 2014 nachvollziehbar aus, dass die im Serum festgestellten Cannabinoidkonzentrationen auf eine engfristigere Cannabisaufnahme hinwiesen und ein aktueller Cannabiseinfluss zum Blutentnahmezeitpunkt in Betracht komme. Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch die Feststellungen in dem polizeilichen Einsatzbericht, denen zufolge beim Kläger typischerweise bei Drogenkonsum auftretende Ausfallerscheinungen wie Zittern oder gerötete und wässrige Augen und überdies eine starke Nervosität festgestellt wurden.

Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegen halten, ihm sei bekannt, dass in polizeilichen Einsatzberichten stereotyp die vorgenannten Auffälligkeiten enthalten seien. Sollte er damit letztlich den Wahrheitsgehalt dieser Feststellungen in Zweifel ziehen wollen, übersieht er damit wegen den sich aus §§ 415, 418 ZPO ergebenden Rechtswirkungen eines polizeilichen Einsatzberichts als öffentlicher Urkunde der an sich mögliche Gegenbeweis (§ 418 Abs. 2 ZPO) nur geführt ist, wenn das Gegenteil zur vollen Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststeht. Diesen Gegenbeweis hat der Kläger nicht erbracht; er hat letztlich nicht einmal selbst substantiiert die im Einsatzbericht aufgeführten Auffälligkeiten in Abrede gestellt. Soweit er des Weiteren versucht, die Auffälligkeiten mit Nervosität sowie einer Allergie zu erklären, verfängt dies ebenfalls nicht; vielmehr sind seine diesbezüglichen Angaben als Schutzbehauptungen zu werten. Hierfür spricht bereits, dass sich der Kläger bei der Verkehrskontrolle mit keinem Wort auf die nunmehr vorgebrachten Erklärungen zu den Auffälligkeiten berufen hat, obgleich der Verdacht des Konsums von Betäubungsmitteln im Raum stand.

Selbst wenn man zu seinen Gunsten konstatiert, dass der Umstand, in eine Polizeikontrolle zu geraten, zur Nervosität führen kann, erklärt dies nicht die im einzelnen festgestellten Erscheinungsmerkmale wie das Oberlidzittern. Hinzukommt, dass seine Angaben - etwa hinsichtlich der behaupteten allergischen Reaktion der Augen - unsubstantiiert sind; so hat der Antragsteller über die bloße Behauptung, Allergiker zu sein, keinerlei weitere Angaben zu der Art der Allergie gemacht, geschweige denn deren Vorliegen belegt.

Eine andere rechtliche Beurteilung hinsichtlich des fehlenden Trennungsvermögens ist schließlich auch nicht im Hinblick auf die jüngste Empfehlung der Grenzwertkommission angezeigt. Die Grenzwertkommission - bei der um eine fachübergreifende Arbeitsgruppe von Verkehrs- und Rechtsmedizinern sowie forensisch und toxikologisch tätigen Chemikern handelt, die die Bunderegierung berät (vgl. Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 2. Auflage 2010, § 3 Fn. 190) hat im September 2015 empfohlen, erst ab einem Grenzwert von 3,0 ng/mL Serum von einem Verstoß gegen das Trennungsgebot auszugehen und hierzu ausgeführt:

"Eine Leistungseinbuße ließ sich in experimentellen Studien frühestens ab 2 ng THC/ml Serum nachweisen (Ramaekers et al. 2006), ein erhöhtes Unfallrisiko ab einer THC - Konzentration im Serum von 4 ng/ml (Laumon et al. 2005, Drummer et al. 2004, Longo et al. 2000, Ramaekers et al. 2009). Diese Ergebnisse sollten bei der Festlegung eines Wertes, bei dem Fehlen des Trennungsvermögens angenommen wird, berücksichtigt werden. Pharmakokinetische Studien zeigen, dass bei Konzentrationen ab 2 ng THC/ml Serum - sofern ein einmaliges/gelegentliches (z.B. nicht häufiger als einmal in der Woche) Konsummuster vorliegt - davon auszugehen ist, dass der letzte Konsum innerhalb weniger Stunden vor der Blutentnahme stattgefunden hat (Toennes et al. 2015, Huestis et al. 1992). ...

In wissenschaftlichen Untersuchungen unter Einbeziehung chronischer Cannabiskonsumenten hat sich gezeigt, dass erhöhte THC - Konzentrationen im Serum auch noch einige Tage nach dem letzten Konsum feststellbar sein können (Grenzwertkommission, 2011), also zu einem Zeitpunkt, an dem sicher keine akute Beeinflussung der Leistungsfähigkeit mehr vorliegt. ...

Die Grenzwertkommission empfiehlt daher auf der Grundlage dieser Ausführungen bei Feststellungen einer THC - Konzentration von 3,0 ng/ml oder mehr im Blutserum bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Personen eine Trennung von Konsum und Fahren im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anl. 4 zur FeV zu verneinen. ... Eine neue Bewertung des analytischen Grenzwertes von THC (1,0 ng/ml) gemäß der Empfehlung der Grenzwertkommission zur Anlage des § 24a Abs. 2 StVG ist nicht veranlasst." (vgl. Blutalkohol 52 (2015, S. 322 f.)

Ungeachtet dessen, dass die behördliche und gerichtliche Praxis aller Gerichtszweige und Instanzen in der Vergangenheit den Empfehlungen der Grenzwertkommission gefolgt sind (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. November 2015 - 6 L 3751/15 -, juris Rn. 11), sieht sich die Kammer in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen nicht veranlasst, von dem in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz und der Rechtsprechung der Kammer (vgl. zuletzt Beschluss vom 4. Mai 2015 - 3 L 443/15.MZ) zur Annahme eines fehlenden Trennungsvermögens zugrunde gelegten Wert von 2 ng/mL Serum nach oben hin abzuweichen. Dies ergibt sich aus folgendem:

Zum einen stellt die Grenzwertkommission in ihren Ausführungen ausschließlich auf den Aspekt der Leistungseinbuße bzw. der Leistungsfähigkeit ab. Dieser Gesichtspunkt ist bisher auch bereits in der obergerichtlichen Rechtsprechung berücksichtigt worden, allerdings im Hinblick auf den zu Grunde gelegten Gefährdungsmaßstab gerade nicht als relevant erachtet worden, so dass die aktuellen Ausführungen der Grenzwertkommission den für das Gefahrenabwehrrecht gültigen (analytischen) "Risikogrenzwert" von 1 ng/mL THC nicht in Frage stellen (vgl. VG Münster, Beschluss vom 2. Dezember 2015 - 10 L 139/15 -, S. 5 BA unter Bezugnahme auf VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. November 2015 - 14 L 3652/15 -, juris Rn. 37). Letztlich sieht auch die Grenzwertkommission selbst eine Neubewertung des analytischen Grenzwerts von 1 ng/mL Serum ausdrücklich nicht als veranlasst (vgl. Blutalkohol 52 (2015), a.a.O.).

Zum anderen weist die Empfehlung der Grenzwertkommission zur Begründung des Grenzwertes von 3 ng/mL darauf hin, dass ihr wissenschaftliche Untersuchungen unter Einbeziehung chronischer Cannabiskonsumenten zugrunde gelegen hätten, in denen sich gezeigt habe, dass erhöhte THC-Konzentrationen im Serum auch noch einige Tage nach dem letzten Konsum feststellbar sein könnten, also zu einem Zeitpunkt, an dem sicher keine akute Beeinflussung der Leistungsfähigkeit mehr vorgelegen habe. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass Untersuchungsergebnisse, die unter Einbeziehung chronischer, d.h. regelmäßiger Konsumenten, zustande gekommen sind, nur eine eingeschränkte Aussagekraft in Bezug auf die hier bedeutsame Personengruppe der gelegentlich Cannabis Konsumierenden haben kann. In Anbetracht dessen, dass die Auswirkungen von Cannabis bei den einzelnen Drogenkonsumenten höchst unterschiedlich sind (vgl. die Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. Dr. U. vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im Verfahren 7 A 10206/03.OVG [Urteil vom 13. Januar 2014, S. 8 UA]), spricht zur Überzeugung der Kammer einiges dafür, dass die die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Erscheinungen bei regelmäßigen Cannabiskonsumenten anders ausfallen als etwa bei Personen, die lediglich gelegentlich Cannabis konsumieren. Die Grenzwertkommission konstatiert selbst, dass bei regelmäßigen Konsumenten zu beobachten war, dass sich THC im Körper angereichert hat und über viel Tage hinweg langsam an das Blut abgegeben wird (vgl. Blutalkohol 52, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund stellt die vom Gutachter in dem vorbezeichneten Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (a.a.O.) getroffene Aussage, dass jedenfalls bei einer THC-Konzentration von 2,0 ng/mL Serum bei etwa 50 % der Cannabiskonsumenten Beeinträchtigungen festgestellt werden könnten, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit hätten, auch weiterhin eine sachverständige Grundlage dar, die es rechtfertigt, bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Verkehrsteilnehmern einen THC-Wert von 2 ng/mL Serum als Anhaltspunkt für das Führen eines Kraftfahrzeugs unter verkehrsrelevantem Cannabiseinfluss anzunehmen.

Schließlich kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Empfehlung der Grenzwertkommission im Wesentlichen wissenschaftliche Studien zugrunde lagen, die in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung - die zum Teil ein fehlendes Trennungsvermögen bereits ab einem THC-Wert von 1,0 ng/mL Serum annimmt (vgl. etwa OVG NW, Urteil vom 1. August 2014 - 16 A 2806/13 -, juris Rn. 31 m.w.N.). - berücksichtigt wurde. Soweit hingegen in der Empfehlung angeführte Studie von Toennes et al. aus dem Jahr 2015 (Wie relevant ist die Beweismittelverlusts bei Verzug der Blutentnahme? Schlussfolgerungen aus der Auswertung von Blutuntersuchungsergebnissen, Arch. Kriminol. 235, 73 ff.) ausgeführt ist, dass bei Konzentrationen ab 2 ng/ml THC davon auszugehen sei, dass der letzte Konsum innerhalb weniger Stunden vor der Blutentnahme stattgefunden habe, betrifft diese Aussage indes Fragen der Abbaugeschwindigkeit und nicht die des Gefährdungsmaßstabes oder des Grenzwertes (vgl. VG Münster, a.a.O. S. 5 BA, VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. November 2015, a.a.O. = Rn. 39).

Ist somit nach dem Vorgesagten auch weiterhin ab einem THC-Wert von 2,0 ng/mL Serum von einem fehlenden Trennungsvermögen auszugehen, hat dies zur Folge, dass der Kläger als gelegentlicher Konsument von Cannabis gemäß Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 FeV als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs anzusehen ist mit der Folge, dass ihm die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen war.

Auch die in Ziffer 2 des Bescheids enthaltene Aufforderung, den Führerschein unverzüglich bei der Führerscheinstelle des Beklagten abzugeben, ist rechtmäßig. Sie findet ihre Grundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Da dem Kläger die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen wurde, hat er als gesetzliche Folge den ihm erteilten Führerschein unverzüglich der Fahrerlaubnisbehörde auszuhändigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Frage, ob für die Annahme eines fehlenden Trennungsvermögens i.S.v. Ziffer 9.2.2. der Anlage 4 FeV aufgrund der Empfehlung der Grenzwertkommission nunmehr ein THC-Wert von 3,0 ng/mL Serum zugrunde zu legen ist.

Beschluss der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 20. Januar 2016

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dabei fallen die gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV mitgezogenen Fahrerlaubnisklassen AM und L nicht streitwerterhöhend ins Gewicht).