VG Freiburg, Beschluss vom 04.07.2018 - A 5 K 3911/18
Fundstelle
openJur 2020, 34006
  • Rkr:

Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Abschiebungsandrohung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Behörde in einem Bescheid ausdrücklich bestimmt hat, dass die Ausreisefrist erst nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu laufen beginnt. Das gilt auch in den Fällen, in denen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 37 Abs 1 AsylG die Unwirksamkeit des BAMF-Bescheids zur Folge hätte (wie hier VG Berlin, Beschl. v. 24.05.2018 6 L 132.18A , juris; a. A. VG Berlin, Beschl. v. 12.06.2018 23 L 287.18A , juris).

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylG durch den Berichterstatter als Einzelrichter.

1. Der auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von dem Antragsteller erhobenen Klage - A 5 K 3910/18 - gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 25.05.2018 gerichtete Antrag ist bereits unzulässig, weil dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis für eine solche gerichtliche Anordnung bzw. Feststellung fehlt. Denn nach der insoweit eindeutigen Regelung im "Tenor" des genannten Bescheids des Bundesamts läuft die dem Antragsteller zur Ausreise gesetzte Frist - wie in den in § 38 Abs. 1 AsylG geregelten Fällen - erst 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ab. Damit steht fest, dass eine Abschiebung des Antragstellers in keinem Fall früher als 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens bzw. nach Bestandskraft des Bundesamtsbescheids vom 25.05.2018 in Betracht kommen kann (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Somit muss der Antragsteller auch ohne Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes nicht befürchten, aufgrund dieses Bescheids vorzeitig abgeschoben zu werden. Dass die dem Antragsteller im Bescheid des Bundesamts vom 25.05.2018 gesetzte Ausreisefrist voraussichtlich gegen das Gesetz (§ 36 Abs. 1 AsylG) verstößt, ändert nichts an der zu seinen Gunsten getroffenen Regelung in dem genannten Bescheid.

2. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Klage des Antragstellers tatsächlich aufschiebende Wirkung hat oder nicht. Denn der angegriffene Bescheid ist in jedem Fall nur mit dem konkreten (Regelungs-)Inhalt (sofort) vollziehbar, den ihm die Behörde ausdrücklich gegeben hat. Nach diesem Regelungsinhalt ist aber, wie gesagt, eine Abschiebung des Antragstellers vor unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens unzulässig. Die (anstelle des Bundesamts) für die Prüfung einer Abschiebung des Antragstellers zuständige Ausländerbehörde, das Regierungspräsidium Karlsruhe, wird anhand der ausdrücklichen konkreten Regelung im Bescheid des Bundesamts vom 25.05.2018 sofort erkennen, dass auf der Grundlage dieses Bescheids eine Abschiebung keinesfalls vor bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens in Betracht kommen kann (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

3. Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass das Bundesamt oder vor allen Dingen das für aufenthaltsbeendende Maßnahmen zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe der Auffassung wären, der Antragsteller könnte vor Ablauf der ihm ausdrücklich gesetzten Ausreisefrist abgeschoben werden, gibt es auch keinen hinreichenden Anlass für eine Umdeutung des gestellten Eilantrags in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO mit Ziel der vorläufigen (vorbeugenden) Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (die diese übrigens, da hier kein Fall des § 38 Abs. 1 oder der §§ 73, 73b oder 73c AsylG vorliegt, gemäß § 75 Abs. 1 AsylG gar nicht hätte).

4. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ändert sich an der Unzulässigkeit seines (Eil-)Antrags nichts dadurch, dass die Antragsgegnerin durch (voraussichtlich rechtswidrige) Setzung einer Ausreisefrist, die erst nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu laufen beginnt, die möglichen Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 AsylG umgeht. § 37 Abs. 1 AsylG bestimmt, dass die Entscheidung des Bundesamts über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG des Asylantrags und die Abschiebungsandrohung unwirksam werden, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung entspricht (Satz 1). Das Bundesamt hat das Asylverfahren (dann) fortzuführen (Satz 2).

Nach dieser Vorschrift (§ 37 Abs. 1 AsylG) ist die Unwirksamkeit der vorausgegangenen Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag lediglich die Rechtsfolge einer stattgebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die (auf § 35 AsylG beruhende) Abschiebungsandrohung. Die Anwendung des § 37 Abs. 1 AsylG hat demnach eine stattgebende Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, das heißt dessen Statthaftigkeit, Zulässigkeit und Begründetheit, zur Voraussetzung. Die Regelung in § 37 Abs. 1 AsylG erschöpft sich in dieser Rechtsfolge infolge einer stattgebenden Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO, sie statuiert selbst kein eigenständiges subjektives Recht auf eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO und sie schafft auch nicht die Voraussetzungen für eine solche (statthafte, zulässige und begründete) Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO, wenn diese ansonsten nicht gegeben sind. § 37 Abs. 1 AsylG betrifft und verändert nicht den Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, das wesensmäßig allein darauf gerichtet ist, den Betroffenen vor einer Beeinträchtigung seiner Rechtsposition durch einen belastenden Verwaltungsakt (hier die Abschiebungsandrohung) zu schützen, nicht jedoch darauf, seine Rechtsposition zu erweitern (in diesem Sinne u. a. auch VG Cottbus, Beschl. v. 04.05.2018 - VG 5 L 259/18.A -, juris, m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschl. v. 15.05.2018 - 29 L 1025/18.A -, juris, m.w.N.; VG Berlin, Beschl. v. 24.05.2018 - 6 K 132.18A -, juris, m.w.N., insbesondere mit dem zutreffenden Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 02.02.1988, NVwZ 1988, 720, zur früheren Regelung in § 10 Abs. 3 und 4 AsylVfG i.d.F. vom 16.07.1982).

Der Gegenauffassung, die in Fällen wie dem vorliegenden ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO bejaht, weil dem Betroffenen sonst durch eine rechtswidrige Entscheidung des Bundesamts die ggf. für ihn günstigen Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 AsylG abgeschnitten würden (vgl. hierzu - außer den vom Antragsteller genannten unveröffentlichten Entscheidungen - u. a. VG Magdeburg, Beschl. v. 03.01.2018 - 1 B 651/17 -, juris, m.w.N.; VG Berlin, Beschl. v. 12.06.2018 - 23 L 287/18A -, juris, m.w.N.), kann nicht gefolgt werden. Denn sie verkennt das im vorstehenden Absatz beschriebene Verhältnis zwischen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO und der Rechtsfolge in § 37 Abs. 1 AsylG.

Außerdem führt die Gegenauffassung zu einer unzulässigen Ausweitung der Rechtsschutzgewährung nach § 80 Abs. 5 VwGO. Diese ist nach den hier einschlägigen Vorschriften in § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35 und § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ausdrücklich begrenzt auf die vom Bundesamt erlassene Abschiebungsandrohung und erstreckt sich nicht etwa auf die gesamte im Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu treffende Entscheidung des Bundesamts, insbesondere nicht (allenfalls inzidenter) auf den Ausspruch über die Unzulässigkeit des Asylantrags. Das belegt die fehlende Kongruenz des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO und der Regelung in § 37 Abs. 1 AsylG, nach der die Unwirksamkeit neben der Abschiebungsandrohung des Bundesamts auch die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig umfasst. Würde man der Argumentation der Gegenauffassung folgen, wonach dem Asylantragsteller über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO das Recht zustehen soll, durch eine stattgebende Entscheidung in diesem Verfahren die Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 AsylG herbeizuführen und so die Durchführung eines nationalen Asylverfahrens zu erreichen, dann müsste man selbst in einem Fall, in dem das Bundesamt (wohl gleichfalls contra legem) ganz vom Erlass einer Abschiebungsandrohung (nach § 35 AsylG) absähe, einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenfalls für zulässig halten, obwohl gemäß § 36 Abs. 3 AsylG ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ausdrücklich nur gegen die Abschiebungsandrohung zulässig ist. Dass der Gesetzgeber mit der zugegebenermaßen "rechtlich nicht durchdachten" (so VG Freiburg, Urt. v. 17.03.2017 - A 5 K 853/16 -, juris; Broscheit, ZAR 2017, 447 <449>) bzw. "gesetzestechnisch verunglückten" (so VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.02.2018 - A 4 S 169/18 -, juris) Vorschrift des § 37 Abs. 1 AsylG keine originäre subjektive Rechtsposition des Asylantragstellers auf Durchführung eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO kreieren wollte, wird ferner auch belegt durch die Überlegung, dass die Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 AsylG ausdrücklich nur durch eine stattgebende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ausgelöst wird, nicht aber durch eine ebenfalls denkbare behördliche Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO, die in ihren Wirkungen vergleichbar wäre mit dem Setzen einer erst nach unanfechtbarem Abschluss beginnenden Ausreisefrist.

Im Übrigen ist es auch in sonstigen Verwaltungsverfahren allgemein anerkannt, dass das Rechtsschutzbedürfnis für die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs entfällt, wenn die Behörde eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass sie den Verwaltungsakt vor seiner Bestandskraft nicht vollziehen werde, oder wenn sie - wie hier - auf andere Weise bewirkt, dass der Verwaltungsakt nicht vollzogen werden kann (vgl. statt Vieler Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, Teil II-VwGO, § 80 Rn. 133). Ob eine solche Haltung der Behörde mit dem materiellen Recht in Einklang steht oder nicht, ist im Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfnis des (dadurch begünstigten) Antragstellers regelmäßig ohne Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Verfahren nach dem Asylgesetz nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).