OLG Zweibrücken, Urteil vom 30.11.2007 - 2 UF 108/07
Fundstelle
openJur 2020, 21400
  • Rkr:
Tenor

I.Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Ludwigshafen am Rhein vom 23. März 2007 geändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger nachehelichen Unterhalt wie folgt zu zahlen:

a) für den Monat August 2006 298,89 Euro,

b) für den Monat September 2006 189,00 Euro,

c) ab dem Monat März 2007 monatlich 41,00 Euro.

Der ab dem Monat Dezember 2007 zu zahlende Unterhalt ist jeweils zum Ersten eines Monats zu entrichten.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III.Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10 zu tragen.

IV.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V.Die Revision wirdnichtzugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien haben am ... geheiratet und sind seit ... rechtskräftig geschieden.

Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.

Am ... musste sich der Kläger einer schweren Kopfoperation unterziehen und ist seither Frührentner. Er bezieht Einkünfte aus Rente und Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe von insgesamt rund 1 074,00 Euro monatlich.

Bis einschließlich September 2006 lebte und arbeitete die Beklagte in H. Ihre Nettoeinkünfte aus vollschichtiger Tätigkeit bei der Firma N. mit Sitz in H. beliefen sich monatlich auf 2 379,99 Euro.

Im Herbst 2006 zog die Beklagte nach L. die Nähe ihres Lebensgefährten. Seit Oktober 2006 ist sie vollschichtig bei der Firma S. mit Sitz in W. beschäftigt; ihre Nettoeinkünfte belaufen sich - wie zwischen den Parteien unstreitig - nur noch monatlich auf gerundet 1 450,00 Euro.

Die Beklagte hatte auf die Prozesskosten des Scheidungsverfahrens ab September 2006 bis einschließlich Januar 2007 monatliche Raten in Höhe von 300,00 Euro zu entrichten; im Februar 2007 leistete sie die Schlussrate in Höhe von 179,64 Euro.

Im Januar 2007 erhielt die Beklagte im Rahmen des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens Kenntnis von der Unterhaltsklage des Klägers.

Die Beklagte zahlte bis einschließlich Oktober 2006 Unterhalt an den Kläger in Höhe von monatlich 150,00 Euro.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 448,00 Euro ab August 2006 begehrt. Die monatlichen Zahlungen der Beklagten in Höhe von 150,00 Euro für den Zeitraum August bis einschließlich Oktober 2006 hat er bei seinem Klageantrag berücksichtigt.

Mit Urteil vom 23. März 2007 hat das Familiengericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Klageantrag weiter.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei unterhaltsrechtlich gehalten gewesen, von einem Umzug nach L., verbunden mit erheblich niedrigeren Einkünften, abzusehen. Zumindest habe sie sich nachhaltig darum bemühen müssen, eine Arbeitsstelle mit Einkünften auf gleichem Niveau zu finden. Daher seien ihr die früher in H. erzielten Nettoeinkünfte weiterhin fiktiv zuzurechnen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Familiengerichts als zutreffend und macht geltend, es sei ihr nicht möglich gewesen, eine Arbeitsstelle mit höheren Einkünften - als von ihr derzeit erzielt - zu finden.

II.

Das - zulässige - Rechtsmittel hat in der Sache nur geringfügigen Erfolg.

1.Grundsätzliches zu Grund und Höhe des Unterhaltsanspruchs des Klägers

Dem Kläger steht ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1572 Nr. 1 BGB - Krankheit zum Zeitpunkt der Ehescheidung - zu, nachdem er bereits ein Jahr nach der Heirat infolge einer schweren Kopfoperation erwerbsunfähig erkrankt ist und lediglich Renten wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich insgesamt rund 1 074,00 Euro bezieht.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger zu den ehelichen Lebensverhältnissen im Sinne von § 1578 Abs. 1 BGB ausreichenden Vortrag gehalten; eheprägend waren demnach einerseits die Renteneinkünfte des Klägers sowie andererseits die Nettoeinkünfte der Beklagten aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit.

1.2.Der Senat sieht den Umzug der Beklagten von H. zu ihrem Lebensgefährten in die P. und den damit verbundenen Arbeitsplatzwechsel nicht als unterhaltsbezogen leichtfertiges Verhalten an.

Der Arbeitsplatzverlust führt bei Unterhaltsberechtigten wie auch Unterhaltsverpflichteten grundsätzlich dann zur Zurechnung eines fiktiven Einkommens, wenn er durch ein verantwortungsloses, zumindest leichtfertiges Verhalten herbeigeführt worden ist. Leichtfertig handelt nach der Rechtsprechung des BGH derjenige, der die unterhaltsrechtlichen Auswirkungen seines Verhaltens kennt und sich unter Nichtbeachtung dessen, was jedem einleuchten muss (bzw. in Verantwortungslosigkeit oder Rücksichtslosigkeit) über die erkannten Folgen seines Handelns hinwegsetzt. Die Leichtfertigkeit kann sich vielfach bereits aus dem Bezug des Verhaltens zur Unterhaltspflicht ergeben. Insbesondere, wenn der Betreffende gerade wegen des Bestehens der Unterhaltspflicht handelt oder ihm die Unterhaltspflicht bei seinem Verhalten vor Augen gestanden haben muss, ist von einer fiktiven Zurechnung von Einkünften auszugehen (vgl. Mittendorf in Eschenbruch, Der Unterhaltsprozess, 4. Aufl., Rdnr. 6299 m.w.N.a.d.Rspr.).

Ein verantwortungsloses oder zumindest leichtfertiges Verhalten - gerade auch im Hinblick auf ihre Unterhaltspflicht - ist der Beklagten nicht vorzuwerfen.

Die Beklagte hat sich ausschließlich aus Gründen der persönlichen Lebensführung zu dem Umzug in die P. entschieden.

Da die Beklagte dem Kläger gegenüber als geschiedenem Ehemann nicht gesteigert unterhaltspflichtig ist, darf sie grundsätzlich frei über ihre individuelle Lebensgestaltung selbst befinden.

Darüber hinaus hat die Beklagte nahtlos eine vollschichtige Erwerbstätigkeit in ihrem neuen Lebensumfeld aufgenommen; allerdings ist es ihr nicht gelungen, einen neuen Arbeitsplatz mit vergleichbarem Einkommen zu erlangen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 9. November 2007 hat die Beklagte im Einzelnen ihre Erwerbsbemühungen - auch über das Internet - dargetan; der Senat erachtet diese Erwerbsbemühungen als ausreichend.

Des Weiteren entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein Arbeitnehmer, der bei einem beabsichtigten Arbeitsplatzwechsel weiterhin vollschichtig tätig sein möchte, wohl kaum aus freien Stücken Einkommenseinbußen in Kauf nimmt.

1.3.Die Prozesskostenhilferaten, welche die Beklagte ab dem Monat September 2006 bis einschließlich Januar 2007 in Höhe von monatlich 300,00 Euro sowie im Februar 2007 in Höhe von 179,64 Euro auf die Prozesskosten des Scheidungsverfahrens gezahlt hat, sind hier - obwohl an sich subsidiär - ausnahmsweise abzugsfähig.

Das Familiengericht hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte erst im Januar 2007 von der Unterhaltsklage des Klägers Kenntnis erhielt; zu diesem Zeitpunkt stand aber nur noch die Schlussrate für Februar 2007 in Höhe von 179,64 Euro aus, so dass die Beklagte von einem Antrag auf Herabsetzung der Raten Abstand nehmen durfte.

1.4.Die Nettoeinkünfte der Beklagten sind lediglich um die Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von 5 %, nicht aber um die Raten für den Pkw sowie weitere Fahrtkosten zu kürzen.

Der Beklagten, die selbst vorträgt, nicht bei ihrem Lebensgefährten Wohnung genommen, sondern eine eigene Wohnung in L. angemietet zu haben, wäre es nämlich anzusinnen gewesen, eine Wohnung in Nähe ihres neuen Arbeitsplatzes in W. anzumieten.

2.Im Einzelnen errechnen sich die Unterhaltsansprüche des Klägers wie folgt:

2.1.Monat August 2006 (die Beklagte zahlt noch keine Raten auf die Prozesskosten)

Die Nettoeinkünfte der Beklagten bei der Firma N. H. belaufen sich auf monatlich 2 379,99 Euro. Hiervon ist der Nettobetrag der vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers in Höhe von 15,00 Euro abzusetzen; es verbleiben zunächst 2 364,99 Euro.

2 364,99 Euro abzüglich der Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von 5 % - es sind dies 118,25 Euro - ergeben 2 246,74 Euro.

2 246,74 Euro abzüglich Anreizzehntel in Höhe von 224,67 Euro verbleiben bereinigt auf Seiten der Beklagten 2 022,07 Euro.

Bedarf des Klägers: 2 022,07 Euro + Renteneinkommen in Höhe von 1 074,00 Euro ergeben 3 096,07 Euro; die Hälfte davon beläuft sich auf 1 548,04 Euro.

Unterhaltsanspruch des Klägers: 1 548,04 Euro abzüglich 1 074,00 Euro verbleiben ungedeckt 474,04 Euro.

474,04 Euro abzüglich gezahlter 150,00 Euro verbleiben 324,04 Euro.

Der Kläger hat für diesen Monat restlich nur noch 298,89 Euro (448,89 Euro ./. gezahlter 150,00 Euro) geltend gemacht.

Hierbei hat es gemäß § 308 Abs. 1 ZPO zu bewenden.

2.2.Monat September 2006 (Die Beklagte zahlt nunmehr monatliche PKH-Raten in Höhe von 300,00 Euro).

Die um die Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen bereinigten Nettoeinkünfte der Beklagten in Höhe von 2 246,74 Euro sind um die Rate in Höhe von 300,00 Euro zu kürzen und betragen 1 946,74 Euro.

1 946,74 Euro abzüglich Anreizzehntel in Höhe von 194,67 Euro verbleiben bereinigt 1 752,06 Euro.

Bedarf des Klägers: 1 752,06 Euro + 1 074,00 Euro ergeben 2 826,06 Euro; die Hälfte davon beläuft sich auf 1 413,03 Euro.

Unterhaltsanspruch des Klägers: 1 413,03 Euro ./. 1 074,00 Euro verbleiben ungedeckt gerundet 339,00 Euro.

339,00 Euro abzüglich gezahlter 150,00 Euro ergeben 189,00 Euro.

2.3.Zeitraum Oktober 2006 bis einschließlich Januar 2007 (die Beklagte verfügt jetzt nur noch über Nettoeinkünfte in Höhe von gerundet 1 450,00 Euro).

Die Beklagte betreibt nunmehr private Altersvorsorge in Form einer Lebensversicherung.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist diese Vorsorge auf 4 % ihrer Bruttobezüge zu begrenzen; 4 % von 2 300,00 Euro betragen monatlich 92,00 Euro.

Für diesen Zeitraum ist die Beklagte bei Wahrung ihres Selbstbehalts gegenüber dem Ehegatten in Höhe von 995,00 Euro nicht als leistungsfähig anzusehen, wie folgende Berechnung zeigt:

1 450,00 Euro abzüglich der Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von 5 % - es sind dies 72,50 Euro - verbleiben zunächst 1 377,50 Euro.

1 377,50 Euro abzüglich PKH-Rate in Höhe von 300,00 Euro abzüglich Altersvorsorge in Höhe von 92,00 Euro verbleiben bereinigt lediglich 985,50 Euro.

2.4.Monat Februar 2007 (die PKH-Schlussrate beläuft sich auf 179,64 Euro):

Für diesen Monat steht dem Kläger kein Unterhaltsanspruch gegenüber der Beklagten zu, weil seine Renteneinkünfte in Höhe von 1 074,00 Euro die bereinigten Nettoeinkünfte der Beklagten übersteigen, wie folgende Berechnung zeigt:

1 377,50 Euro abzüglich PKH-Rate in Höhe von 179,64 Euro abzüglich Altersvorsorge in Höhe von 92,00 Euro ergeben 1 105,86 Euro.

1 105,86 Euro abzüglich Anreizzehntel in Höhe von 110,59 Euro verbleiben bereinigt lediglich 995,27 Euro.

2.5.Zeitraum ab März 2007

Die um die Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen bereinigten Nettoeinkünfte der Beklagten in Höhe von 1 377,50 Euro sind nur noch um den Betrag für die Altersvorsorge in Höhe von 92,00 Euro zu kürzen; es verbleiben zunächst 1 285,50 Euro.

1 285,50 Euro abzüglich Anreizzehntel in Höhe von 128,55 Euro verbleiben bereinigt auf Seiten der Beklagten 1 156,95 Euro.

Bedarf des Klägers: 1 156,95 Euro + 1 074,00 Euro ergeben 2 230,95 Euro; die Hälfte davon beläuft sich auf 1 115,48 Euro.

Unterhaltsanspruch des Klägers: 1 115,48 Euro minus 1 074,00 Euro verbleiben ungedeckt gerundet 41,00 Euro monatlich.

3.Nach derzeit noch geltendem Recht kann der Anspruch auf Krankenunterhalt im Sinne von § 1572 Nr. 1 BGB zeitlich nicht befristet werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 9 EGZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf

7 170,45 Euro

festgesetzt.

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