AG Ludwigshafen am Rhein, Urteil vom 19.07.2017 - 2h C 117/17
Fundstelle
openJur 2020, 20951
  • Rkr:
Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.154,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 404,60 € seit 3.02.2017 und aus weiteren 750 € seit 4.05.2017 sowie Kosten in Höhe von 201,71 € zu zahlen.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien waren Wohnungsnachbarn in dem Anwesen (...). Am Sonntag, 5.11.2015 hatte der Beklagte zum wiederholten Mal in seiner Wohnung Musik sehr laut aufgedreht. Der Kläger klopfte an der Tür, wobei der weitere Nachbar A. hinzukam, die Tür wurde von einer unbekannten Person geöffnet, die sodann die Wohnung verließ. Es kam im weiteren Verlauf zu einer Auseinandersetzung zwischen den Parteien sowie dem Nachbarn A., das nähere ist streitig. Laut Vermerk der Polizeiinspektion Ludwigshafen 1 vom 16.11.2015 gab der Beklagte nach Eintreffen der Polizei "sinngemäß an, dass er die Tür geöffnet habe. Plötzlich habe ihn (...) [der Kläger] festgehalten und Herr A. ihn dabei ins Gesicht geschlagen. Er habe sich losreißen können und habe Herrn B. mit der Hand von sich gestoßen." Gegen den Kläger wurde daraufhin das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft 5587 Js 5310/16 geführt, in dem ihm Anwaltskosten in Höhe von 404,60 € entstanden. Mit Anwaltsschreiben vom 23.01.2017 forderte er den Beklagten zur Zahlung von 1.154,60 € bis 2.02.2017 auf.

Der Kläger trägt vor,als er der unbekannten Person, die wohl R. heiße, gefolgt sei, habe er seine Ehefrau schreien hören, diese habe ihm dann mitgeteilt, der Beklagte habe den Nachbarn A. geschlagen. Der Kläger habe versucht, die Konfliktsituation zu entschärfen. Der Beklagte habe zu ihm gesagt "was willst du denn, du Depp", ohne Vorwarnung zum Schlag ausgeholt und versucht, ihn mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Der Kläger sei ausgewichen und an der Schulter getroffen worden. Er habe keine sichtbaren Verletzungsfolgen gehabt, es habe aber 2-3 Tage wehgetan. Für den Schlag und die Ehrverletzung stelle sich der Kläger ein Schmerzensgeld von 750 € vor. Die Angaben des Beklagten, der Kläger habe ihn gemeinschaftlich mit A. angegriffen, sei vollkommen aus der Luft gegriffen gewesen, der Beklagte habe die Anwaltskosten zu ersetzen. Der Kläger verlangt weiter Ersatz einer anwaltlichen 1,3-Geschäftsgebühr nebst Postpauschale und Mehrwertsteuer aus Gegenstandswert 1.154,60 € und beantragt:

1) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger materiellen Schadensersatz in Höhe von 404,60 € nebst 5 % Zinsen über Basiszinssatz seit 02.02.2017 zu bezahlen.

2) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird. Es wird ferner beantragt, das Schmerzensgeld mit Zinsen auszusprechen, und zwar mit Zinsen in Höhe von 5 % über Basiszinssatz seit Klageerhebung.

3) Der Beklagte wird verurteilt, die außergerichtlichen Kosten des Unterzeichners in Höhe von 201,71 € zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat sich nach Zustellung der Klage im schriftlichen Vorverfahren am 25.03.2017 erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2017 geäußert und geltend gemacht, er habe den Kläger nicht geschlagen, er habe lediglich von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht. Er habe auch nicht bei der Polizei gesagt, der Kläger hätte ihn geschlagen; der Vermerk in der Ermittlungsakte "stimmt fast", er habe gesagt, dass sie plötzlich vor der Tür standen und er von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht habe indem er sie weggestoßen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die Klage hat weitestgehend Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig, auch soweit sich die Ansprüche auf eine Ehrverletzung - unwahre Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache sowie Beleidigung - stützen. Gemäß §§ 1 Abs. 1 Nr. 2 LSchlG (Landesgesetz zur Ausführung des § 15a des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung - Landesschlichtungsgesetz - Rheinland-Pfalz), 15a Abs. 1 Nr. 3 EGZPO ist zwar in Streitigkeiten über eine Klage wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, die Erhebung einer Klage erst zulässig, wenn vor einer Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen, was hier nicht der Fall war. In Rheinland-Pfalz unterliegen Zahlungsansprüche jedoch nicht der obligatorischen Streitschlichtung. Soweit das Gericht bislang gegenteilige Hinweise erteilt hat, ist diese Rechtsauffassung nicht aufrechtzuerhalten.

Grundsätzlich sind schlichtungsbedürftige Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre auch solche auf Schadensersatz in Geld, wie der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 8.07.2008 - VI ZR 221/07 - (NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12 m.w.N.) für § 10 des nordrhein-westfälische Gütestellen- und Schlichtungsgesetz - in der anzuwendenden bis 31.12.2007 geltenden Fassung - ausgeführt hat. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.02.2016 - V ZR 96/15 - (NJW-RR 2016, 823) unterliegen dagegen in Rheinland-Pfalz Zahlungsansprüche nicht der obligatorischen Streitschlichtung für Nachbarrechtsstreitigkeiten nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 LSchlG. Zur Begründung wurde ausgeführt, diese Einschränkung finde zwar im Wortlaut der Vorschrift keinen ausdrücklichen Niederschlag, ergebe sich aber aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 LSchlG entspreche wörtlich den Bestimmungen des hessischen und des nordrhein-westfälischen Landesrechts, welche der Senat aufgrund der jeweiligen Entstehungsgeschichte eng in dem Sinne auslege, dass ein Schlichtungsversuch in beiden Bundesländern für eine auf Zahlung gerichtete Klage auch dann nicht vorgeschrieben sei, wenn der Anspruch aus dem Nachbarrecht hergeleitet werde. In Hessen und Nordrhein-Westfalen habe der Gesetzgeber zunächst von der Ermächtigung des § 15a EGZPO umfassend Gebrauch gemacht, das Erfordernis einer obligatorischen Streitschlichtung für vermögensrechtliche Ansprüche (§ 15a Abs. 1 Nr. 1 EGZPO) jedoch später wieder aufgehoben. Dem habe in beiden Bundesländern die Erwägung zu Grunde gelegen, dass sich die obligatorische Streitschlichtung für vermögensrechtliche Ansprüche nicht bewährt habe, weil das Mahnverfahren nach § 15a Abs. 2 EGZPO schlichtungsfrei bleiben musste und sich der an sich vorgeschriebene Schlichtungsversuch deshalb durch Geltendmachung des Zahlungsanspruchs im Mahnverfahren vermeiden ließ. Der Gesetzgeber habe in beiden Ländern als Konsequenz hieraus Geldforderungen schlechthin, auch bei einer nachbarrechtlichen Grundlage, schlichtungsfrei stellen wollen. Die Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 1 Nr. 1 LSchlG RP sei zwar anders verlaufen als die der parallelen Vorschriften der Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen, ein abweichendes Verständnis der wortgleichen Normen folge daraus nicht. Der Gesetzgeber des Landes Rheinland-Pfalz habe von der Ermächtigung in § 15a EGZPO, als Voraussetzung für bestimmte Klagen einen Schlichtungsversuch vorzuschreiben, zunächst keinen Gebrauch gemacht. Er habe vielmehr die Erfahrungen der anderen Bundesländer, die Evaluation der dort erlassenen Schlichtungsgesetze und die Bewertung dieser Regelungen in dem Abschlussbericht einer damit befassten Bund-Länder-Arbeitsgruppe durch die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 28./29. Juni 2007 abgewartet. Mit dem am 1. Dezember 2008 in Kraft getretenen Landesschlichtungsgesetz habe er in Rheinland-Pfalz eine obligatorische Streitschlichtung von vornherein nur für die Sachgebiete einführen wollen, in denen sie sich nach den Erfahrungen der anderen Bundesländer bewährt habe, nicht dagegen in denen, in denen sie keine Entlastungseffekte ausgelöst habe. Aus den bisherigen Erfahrungen der Bundesländer, die Schlichtungsgesetze erlassen hätten, und den vorliegenden "Begleituntersuchungen" lasse sich die Schlussfolgerung ableiten, dass eine Umsetzung des § 15a EGZPO in Rheinland-Pfalz insbesondere in den Bereichen der Nachbarrechtsstreitigkeiten und der Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre erfolgversprechend erscheine. In dem allgemeinen Teil der Begründung des Entwurfs werde dieser Hinweis aufgegriffen und hinzugefügt, bezogen auf die unterschiedlichen Streitgegenstände ergebe sich, dass die Vergleichsquote bei den Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre am höchsten sei, gefolgt von den Nachbarrechtsstreitigkeiten. Hingegen liege die Vergleichsquote bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten wesentlich niedriger. In der abschließenden Lesung im Landtag hat der Berichterstatter als Ergebnis der Beratung des federführenden Rechtsausschusses des Landtags mitgeteilt, dass der obligatorische Schlichtungsversuch nach Maßgabe von § 15a EGZPO in Rheinland-Pfalz für Nachbarstreitigkeiten und für Ehrverletzungsstreitigkeiten eingeführt werden soll, bei denen er sich nach den Erfahrungen der Länder, die ihn früher eingeführt hatten, bewährt habe. Die nahezu wörtliche Übereinstimmung mit den Vorschriften in Hessen und Nordrhein-Westfalen sei danach nicht zufällig, sondern gewollt. Der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber habe die Erfahrungen dieser und anderer Bundesländer aufgreifen und das neue Schlichtungsgesetz von vorherein wie diese Bundesländer gestalten. Dass es angesichts der beschränkten Einführung des obligatorischen Schlichtungsversuchs der Ausnahmeregelung für das Mahnverfahren in § 1 Abs. 2 Nr. 5 LSchlG nicht bedurft hätte und auf eine solchen Tatbestand auch hätte verzichtet werden können, ohne mit den bundesrechtlichen Vorgaben in Konflikt zu geraten, sei dem Gesetzgeber ganz offensichtlich entgangen, es sei ein Redaktionsversehen.

Obwohl der Bundesgerichtshof seine Entscheidung ausdrücklich auf die Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 LSchlG für Streitigkeiten wegen nachbarrechtlicher Ansprüche beschränkt hat, gelten diese Ausführungen ohne weiteres in gleicher Weise für das Schlichtungserfordernis für Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 LSchlG. Auch insoweit folgt aus der Entstehungsgeschichte der Norm, dass Zahlungsansprüche in Rheinland-Pfalz überhaupt nicht einem Schlichtungserfordernis unterfallen sollen. Die Entscheidung BGH NJW-RR 2008, 1662 steht dem nicht entgegen, insbesondere da nach der im Zeitpunkt der dortigen Klageerhebung bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung des § 10 des nordrhein-westfälischen Gütestellen- und Schlichtungsgesetzes ein Schlichtungserfordernis auch für vermögensrechtliche Streitigkeiten vor dem Amtsgericht über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von 600 Euro nicht übersteigt, vorgesehen war. Erst mit Aufhebung dieses Schlichtungserfordernisses in der ab 1.01.2008 geltenden Fassung des Gesetzes kam eine Auslegung dahingehend in Betracht, dass Zahlungsansprüche auch in Nachbarschaftssachen oder Ehrverletzungen nicht mehr schlichtungsbedürftig seien. Der Bundesgerichtshof musste auch nicht der Frage nachgehen, ob durch diese Gesetzesänderung eine mangels Schlichtung unzulässig erhobene Klage zulässig geworden sei, da dort ein Schlichtungsverfahren tatsächlich wirksam durchgeführt worden war.

2. Die Klage ist auch in der Sache begründet.

Der Beklagte hat sich binnen der ihm gesetzten Klageerwiderungsfrist nicht geäußert. Das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ist gemäß § 296 Abs. 1, Abs. 2 ZPO als verspätet zurückzuweisen, da es zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen würde und die Verspätung nicht genügend entschuldigt ist. Hätte der Beklagte sich rechtzeitig geäußert, hätten bereits in dem Termin am 28.06.2017 die klägerseits benannten Zeugen vernommen werden können; bei Zulassung des verspäteten Vorbringens wäre nun ein weiterer Termin zur Beweisaufnahme erforderlich. Damit ist der Klagevortrag nicht wirksam bestritten worden. Der Kläger ist auch nicht zu weiterem Beweis dafür gehalten, dass der Beklagte ihn wider besseren Wissens einer Körperverletzung beschuldigt habe; der Beklagte hat sich insoweit schon nicht nachvollziehbar zu dem polizeilichen Bericht in der Ermittlungsakte geäußert, gegen dessen Richtigkeit danach keine Bedenken bestehen.

Der Beklagte schuldet daher Ersatz für den durch die falsche Verdächtigung entstandenen Schaden (§§ 823 Abs. 2 BGB, 164 StGB) in Form der Rechtsanwaltskosten, welche der Kläger in dem Ermittlungsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtswahrnehmung für erforderlich halten durfte. Des weiteren hat der Beklagte Schmerzensgeld für die vorsätzliche Körperverletzung und weitere Ehrverletzung ("Depp") zu zahlen. Der Höhe nach ist unter Berücksichtigung der geringen Verletzungsfolgen einerseits, der vorsätzlichen Tatbegehung andererseits ein Betrag von 750 € angemessen und ausreichend. Des weiteren umfaßt der Schadensersatzanspruch Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288, 291 BGB, insoweit ist die Klage geringfügig abzuweisen, soweit im Klageantrag zu 1) Zinsen bereits vor Ablauf der mit Anwaltsschreiben vom 23.01.2017 gesetzten Zahlungsfrist verlangt werden.

3. Die Entscheidung über Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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