OLG Koblenz, Beschluss vom 18.04.2017 - 1 OWi 4 SsBs 27/17
Fundstelle
openJur 2020, 20654
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts - Bußgeldrichterin - Trier vom 16. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen; diese haben Bestand.

2. Die weiterreichende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Trier zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen ausweislich des in das schriftliche Urteil aufgenommenen Tenors

"wegen der rechtskräftig im Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums ...[Z] vom 06.09.2016 AZ: 500.02476789.5 festgestellten fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße in Höhe von 440 €"

verurteilt und ihm für die Dauer von zwei Monaten untersagt, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Zudem hat es eine Abgabefrist nach § 25 Abs. 2a StVG bestimmt. Nach dem in der Hauptverhandlung verkündeten Urteilsausspruch (Bl. 70 d.A.) ist der Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 320 € verurteilt worden; zudem wurde ihm unter Einräumung einer Abgabefrist für die Dauer von einem Monat untersagt, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Eine Einspruchsbeschränkung des Betroffenen, durch welche der dem Urteil zugrunde liegende - vom 28. April 2016 stammende und das Aktenzeichen 06.66.006092.9 führende (Bl. 25 d.A.) - Bußgeldbescheid der Stadtverwaltung ...[Y] in Teilrechtskraft hätte erwachsen können, ist den Akten nicht zu entnehmen. In den schriftlichen Urteilsgründen führt das Amtsgericht aus, dass es von einer vorsätzlich begangenen Ordnungswidrigkeit ausgeht (UA S. 15), eine verdoppelte Regelgeldbuße in Höhe von 320 € sowie ein einmonatiges Regelfahrverbot festgesetzt hat (ebd.).

Zum Tatgeschehen stellt das Urteil fest (UA S. 2), dass der Betroffene am 29. Januar 2016 in ...[Y] im Bereich einer durch Zeichen 310 ("Ortseingangsschild") der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO gekennzeichneten geschlossenen Ortschaft eine öffentliche Straße mit einer Geschwindigkeit von 88 km/h befuhr. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde - wie das Amtsgericht in den Urteilsgründen mitteilt - mittels eines Messgerätes Vitronic Poliscan speed M1 HP mit der Softwareversion 3.7.4 gemessen und unter Abzug einer Toleranz von 3 km/h berechnet.

Der Betroffene hat gegen das Urteil "sofortige Beschwerde" eingelegt. Er erhebt Verfahrensbeanstandungen sowie die näher ausgeführte Sachrüge. Darin wendet er sich insbesondere gegen die Annahme, die Geschwindigkeitsüberschreitung sei mittels eines standardisierten Messverfahrens festgestellt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf eine Verwerfung des Rechtsmittels unter Berichtigung des Urteilstenors angetragen.

II.

Das Rechtsmittel des Betroffenen ist als Rechtsbeschwerde im Sinne von § 79 OWiG auszulegen (§ 300 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG). Als solche ist es statthaft (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG), wurde fristgerecht eingelegt (§ 341 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) sowie frist- und formgerecht begründet (§ 345 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). In der Sache erzielt es einen vorläufigen Teilerfolg.

1. Ein durchgreifender, zur Aufhebung nötigender Rechtsfehler ergibt sich nicht bereits aus der Tenorierung des angefochtenen Urteils.

Allerdings ist der in das schriftliche Urteil aufgenommene Tenor fehlerhaft; er entstammt offenbar - wie bereits durch die angeführte Teilrechtskraft eines anderweitigen Bußgeldbescheides ersichtlich - einem anderen Verfahren und wurde irrtümlich in das Urteil aufgenommen. Der Einzelrichter des Senats geht übereinstimmend mit der Generalstaatsanwaltschaft davon aus, dass der Betroffene tatsächlich wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 320 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt wurde. Eine solche Verurteilung lässt sich dem in der Hauptverhandlung vom 16. Januar 2017 verkündeten Urteilstenor (Bl. 69 f. d.A.) und übereinstimmend hiermit den Gründen des schriftlichen Urteils - sowohl hinsichtlich des Schuldspruches einschließlich der Schuldform (UA S. 15 unter IV.) als auch hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches (UA S. 15 unter V.) - entnehmen. Da somit eine offensichtliche Unrichtigkeit in Form eines Fassungsversehens vorliegt, wäre der Urteilstenor im Wege schlichter Klarstellung nach § 354 Abs. 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zu korrigieren gewesen (vgl. Gericke, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 354 Rdn. 20), ohne dass das Urteil in seinem Bestand berührt worden wäre.

2. Die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Sie sind bereits unzulässig, da sie den Darlegungsanforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nicht genügen.

Hinsichtlich der Beanstandung einer Verletzung des Beweisantragsrechts oder der gerichtlichen Aufklärungspflicht fehlt es - wie bereits in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. März 2017 zutreffend ausgeführt - an der insoweit unabdingbaren (vgl. Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 4. Aufl., § 77 Rdn. 52; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 244 Rdn. 81 ff.) Vorlage oder zumindest vollständigen inhaltlichen Wiedergabe der von dem Betroffenen angebrachten Beweisanträge und der hierauf ergangenen Entscheidungen des erkennenden Gerichts. Dass der Betroffene das Beweisbegehren in der Rechtsbeschwerdebegründung schlagwortartig mitteilt und im Übrigen auf seine lediglich bei den Akten befindlichen Beweisanträge und das Sitzungsprotokoll Bezug nimmt, wird den Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Da sich die maßgeblichen Verfahrenstatsachen unmittelbar aus der Rechtsmittelbegründung ergeben müssen, reicht ein Verweis auf Aktenbestandteile zur Darstellung des einer Verfahrensrüge zugrunde liegenden Sachverhaltes nicht aus (Gericke a.a.O. § 344 Rdn. 39; Wiedner, in: BeckOK StPO, Ed. 27, § 344 Rdn. 41 f., jeweils m.w.Nachw.).

Unzulässig sind damit auch die von dem Betroffenen erhobenen Rügen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Rechtes auf ein faires Verfahren; denn sie werden auf dieselben, aus der Rechtsbeschwerdebegründung nur lückenhaft hervorgehenden Verfahrensvorgänge gestützt. Soweit sich das Amtsgericht in den Urteilsgründen mit dem Antrag des Betroffenen auf Vernehmung der Zeugen ... [A] und ... [B] und auf Einholung eines Sachverständigengutachtens näher befasst hat, wird der Beweisantrag dort gleichfalls nur auszugsweise wiedergegeben (UA S. 2 f.).

3. Der Schuldspruch des Urteils hält im Hinblick auf die subjektive Tatseite sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Demgegenüber sind die objektiven Tatfeststellungen fehlerfrei getroffen und können bestehen bleiben.

a) Die von dem Betroffenen begangene Geschwindigkeitsübertretung ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht ohne Rechtsfehler festgestellt worden; die diesbezüglichen Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Beweiswürdigung gehen fehl. Insbesondere ist die Annahme des Amtsgerichts, dass die Geschwindigkeitsmessung mittels eines standardisierten Messverfahrens durchgeführt worden sei, nicht zu beanstanden.

aa) Eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät PoliScan Speed des Herstellers Vitronic ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung als standardisiertes Messverfahren anerkannt (vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 30. April 2015 - IV-3 RBs 15/15 et.al., und vom 13. Juli 2015 - IV-1 RBs 200/14; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Juli 2015 - 2 (6) SsBs 368/15 [jeweils juris]; NStZ-RR 2014, 352; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - 2 Ss-OWi 1041/14 [juris] = DAR 2015, 149). Um ein derartiges Verfahren handelt es sich, wenn die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. BGHSt 39, 291; 43, 277, 283 f.). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, entscheidet sich durch die amtliche Zulassung des Gerätesystems und der Messmethode (BGHSt 39, 291, 297). Erteilt wird sie durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), nachdem das Messverfahren geprüft und das Gerätesystem in Testreihen auch unter atypischen Szenarien auf seine Zuverlässigkeit und Störungsresistenz untersucht worden ist (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; s. näher die PTB-Anforderungen für Messgeräte im öffentlichen Verkehr - Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte [PTB-A 12.01] vom Oktober 2015, abrufbar unter https://www.ptb.de/cms/ptb/fachabteilungen/abt1/fb-13/ag-131/archiv-der-ptb-anforderu ngen.html).

Das Messgerät PoliScan Speed des Herstellers Vitronic besitzt eine derartige Zulassung. Ihm wurde von der PTB erstmals am 23. Juli 2006 die innerstaatliche Bauartzulassung zur Eichung erteilt. Der bei der vorliegenden Geschwindigkeitsmessung verwendete Gerätetyp PoliScan M1 HP erhielt am 21. Februar 2011 die Bauartzulassung (PTB-Zulassungszeichen 18.11/10.02); die aktuell geltende 3. Neufassung dieser Zulassung vom 30. Dezember 2014 umfasst die verwendete Messgerätesoftware in der Version 3.7.4. Wie seitens der PTB in Stellungnahmen vom 16. Dezember 2016 und 12. Januar 2017 bestätigt (abrufbar unter http://dx.doi.org/10.7795/520.20161209A und http://dx.doi.org/10.7795/520.20161209B), besitzt die Zulassung unveränderte Gültigkeit. Das Gerät messe wie vorgesehen, halte bei Verwendung gemäß Gebrauchsanweisung insbesondere die Verkehrsfehlergrenzen ein und lasse unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erwarten.

bb) Der Tatrichter kann bei ordnungsgemäßer, den Zulassungsbedingungen entsprechender Verwendung eines derartigen Gerätes die Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung grundsätzlich auf das Messergebnis stützen. Er kann sich in den Urteilsgründen darauf beschränken, das verwendete Messverfahren und die in Abzug gebrachte Messtoleranz mitzuteilen. Dagegen ist er nicht gehalten, sich mit der Messmethode, insbesondere mit ihrer Funktionsweise und der Frage der Richtigkeit der Messung näher zu befassen. Denn durch die Zulassung des Gerätes ist mittels eines Behördengutachtens als antizipiertes Sachverständigengutachten erklärt, dass es unter den in der Zulassung vorgegebenen Bedingungen zuverlässige Ergebnisse erwarten lässt (std.Rspr. seit BGHSt 39, 291, 297; s. etwa BGHSt 43, 277; OLG Köln NZV 2003, 100, 101; NZV 2013, 459; OLG Stuttgart NZV 2008, 43; OLG Hamm NZV 2002, 282).

Erst wenn sich konkrete Tatsachen ergeben, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit des Messergebnisses zu wecken, kann Anlass bestehen, die Messung einer weiterreichenden Überprüfung zu unterziehen. Solche Fragen werden überwiegend Unregelmäßigkeiten bei der konkret durchgeführten Messung zum Gegenstand haben wie etwa ein von den Vorgaben der Zulassung abweichender Messaufbau, sich aus der Bedienungsanleitung ergebende Handhabungsfehler oder eine Störung des konkreten Messgerätes. Mit der Messtechnik als solcher muss sich der Tatrichter nur auseinandersetzen, wenn ausnahmsweise Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese strukturell angelegte, bei der Zulassung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigte Fehler ergebnisrelevanter Art aufweist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2015 - IV-1 RBs 200/14 [juris, Rdn.15]; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - 2 Ss-OWi 1041/14 [juris, Rdn. 21]).

Ob derartige Besonderheiten anzunehmen sind und der Tatrichter ihnen hinreichend gerecht geworden ist, unterliegt im Rechtsbeschwerdeverfahren auf die Sachrüge nur beschränkter Überprüfung. Beurteilt werden kann nur, was der Tatrichter zu den Messumständen im Urteil ausführt. Weiterreichende Zweifel an der Richtigkeit der Messung, deren tatsächliche Grundlagen in den Urteilsfeststellungen keinen Niederschlag gefunden haben, können im Rechtsbeschwerdeverfahren dagegen nicht berücksichtigt werden (BGHSt 39, 291).

cc) Nach diesem Maßstab von Vornherein unbeachtlich sind solche Ausführungen der Rechtsbeschwerde, mit denen sich der Betroffene im Rahmen der Sachrüge auf solche tatsächlichen Umstände stützt, die das Amtsgericht nicht aufgegriffen und seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat. So verhält es sich mit einer von dem Betroffenen behaupteten, nicht näher konkretisierten Stellungnahme des Messgerätherstellers, in der dieser eingeräumt haben soll, dass es zu Messabweichungen oberhalb der Verkehrsfehlergrenze kommen könne, Messwerte nachträglich geändert werden können, und daher nicht von einem standardisierten Messverfahren auszugehen sei (Rechtsbeschwerdebegründung S. 2 f.). Solche Äußerungen sind durch das Amtsgericht nicht festgestellt worden; sie finden sich lediglich - zudem nur in Teilen - in einer im angefochtenen Urteil zusammengefassten Entscheidung eines anderweitigen Amtsgerichts in einem anderweitigen Verfahren (Amtsgericht Mannheim, Beschluss vom 29. November 2016 - 21 OWi 509 Js 35740/15 [juris]). Weder der Tatrichter noch das Rechtsbeschwerdegericht ist jedoch gehalten, Bedenken zu dem Messverfahren nachzugehen, nur weil sie in einer anderweitigen Entscheidung auf nicht näher überprüfbarer Tatsachengrundlage geäußert werden.

dd) Demgegenüber hat das Amtsgericht die vorbezeichnete Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim sowie ein im dortigen Verfahren erstattetes, von dem Betroffenen vorgelegtes und in das angefochtene Urteil aufgenommenes Sachverständigengutachten zum Anlass genommen, sich mit den in dem Gutachten erhobenen Einwänden gegen die Messmethode auseinanderzusetzen. Ob es hierzu trotz fehlender konkreter Anhaltspunkte für eine Fehlmessung gehalten war, kann offen bleiben. Denn das Amtsgericht ist jedenfalls zutreffend zu dem Schluss gekommen, dass die Einordnung der Messmethode als standardisiertes Verfahren nicht in Frage steht.

(1) Tatsächlicher Ausgangspunkt für die gegen das Messverfahren erhobenen Bedenken ist der in der Bauartzulassung (S. 10) unter den Betriebsbedingungen bezeichnete "Messbereich" von 50 m bis 20 m, welcher definiert ist als der "Bereich (in Fahrtrichtung), in dem Rohdaten zur Geschwindigkeitsmessung beitragen". Im Abschnitt "Bauartbeschreibung" ist unter dem Gliederungspunkt "Software Messwertbildung" (S. 5) zudem ausgeführt, dass "außerhalb des Messbereich detektierte Objektpunkte (...) bei der Messwertbildung nicht berücksichtigt [werden]". In dem von der Verteidigung vorgelegten Sachverständigengutachten wird im Wesentlichen vorgebracht, dass das Gerät auch Objektpunkte außerhalb der in der Bauartzulassung als Messbereich bezeichneten Entfernung zwischen 20 und 50 m erfasse und als Rohdaten in den Messvorgang einfließen lasse. Hiermit werde - so die Schlussfolgerung des Sachverständigen - gegen die Zulassungsanforderungen verstoßen und damit das Messergebnis verfälscht.

(2) Die PTB hat in einer im Urteil wiedergegebenen Stellungnahme vom 1. November 2016 die Ausführungen in dem Sachverständigengutachten als unhaltbar zurückgewiesen und ausgeführt, dass der Messalgorithmus des Gerätes den Zulassungsvorgaben vollständig entspreche. Sie hat sich zudem veranlasst gesehen, in öffentlich einsehbaren Stellungnahmen vom 16. Dezember 2016 und 12. Januar 2017 (a.a.O.) die Behandlung und Auswirkungen von Messdaten näher zu erläutern, deren Ortskoordinaten außerhalb des Messbereichs liegen. Hieraus ergibt sich Folgendes:

Die Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes PoliScan Speed besteht vereinfacht dargestellt darin, dass die zu überwachende Fahrbahn mittels eines pulsierenden Laserstrahls abgetastet wird, vorbeifahrende Fahrzeuge die Pulse reflektieren und sich aus den reflektierten Punkten ein räumliches und zeitliches Bild der Verkehrssituation erzeugen lässt. Von der Messgerätesoftware werden nahe beieinander liegende Messpunkte mit gleicher Richtung und Geschwindigkeit zu dreidimensionalen Modellobjekten zusammengefasst, welche die tatsächlichen Fahrzeuge repräsentieren und in ihrer Bewegung verfolgt werden. Der in der Bauartzulassung bezeichnete Messbereich von 20 bis 50 m bezieht sich auf die Position eines derartigen Modellobjektes; er bezeichnet den Bereich, innerhalb dessen seine Geschwindigkeit bestimmt werden soll.

Wie die PTB näher dargetan hat, weicht das von dem Messgerät erzeugte, quaderförmige Modellobjekt regelmäßig von der unregelmäßigeren Konturierung des tatsächlichen Fahrzeuges ab. Messpunkte, die sich auf der tatsächlichen Fahrzeugkontur befinden, können daher außerhalb des Modellobjektes liegen. Befindet sich das Modellobjekt im Messbereich, kann es vorkommen, dass solche Punkte noch oder schon außerhalb dieses Bereichs liegen. Die Zulassungsbestimmungen seien hierdurch nicht verletzt; die darin enthaltenen Ausführungen zu Objektpunkten seien nicht als Vorgabe oder Anforderung zu verstehen. Die PTB hat in ihren Stellungnahmen vom 16. Dezember 2016 und 12. Januar 2017 (a.a.O.) insoweit erläutert, dass auch dann,

"wenn weitere Messpunkte in die Bildung des geeichten Messwertes einfließen, die sich außerhalb des Messbereichs von 50 m bis 20 m befinden, so bleibt die Richtigkeit des Gerätes unverändert gewährleistet. Diese zusätzlichen Punkte sind als Einzelmesswerte genauso verlässlich wie diejenigen, die innerhalb des Messbereiches liegen. Im Gegenteil, durch diese zusätzlichen Punkte wird die Messung eher noch verstärkt, weil mehr Datenpunkte zur Bestimmung der Geschwindigkeit zur Verfügung stehen. Dass das Messgerät nur den begrenzten Messbereich berücksichtigt, hat vor allem praktische Gründe, zum Beispiel dass die Messung rechtzeitig vor dem Gerät enden muss und ausgewertet werden kann, um ggf. noch das Messfoto schießen zu können."

"Solange sich dieses Modellobjekt im Messbereich befindet, dürfen Rohmessdaten unabhängig von ihren Ortskoordinaten für die Bildung des geeichten Messwertes berücksichtigt werden. Die PTB hat sich anhand des Quellcodes der Messgerätesoftware überzeugt, dass diese Funktionalität korrekt implementiert ist. (...) Die weit überwiegende Mehrzahl der Messdaten mit Ortskoordinaten außerhalb des Messbereichs entspricht in typischen Messsituationen Positionen des Modellobjektes außerhalb des Messbereichs und wird daher nicht für die Bildung des geeichten Messwertes herangezogen. Jedoch kann es je nach konkret vorliegender Fahrzeugkontur und Verkehrssituation vorkommen, das einzelne Messdaten für die Bildung des geeichten Messwertes berücksichtigt werden, deren Ortskoordinate (meist nur knapp) außerhalb des Messbereichs liegt. Solange sich dabei das Modellobjekt im Messbereich befindet, ist dies zulässig."

(3) Hiernach besteht kein Anlass, von einer nicht zulassungskonformen und damit in seiner Zuverlässigkeit unüberprüften Betriebsweise des Messgerätes auszugehen.

Nach den Ausführungen der PTB kann zunächst kein Zweifel darüber bestehen, dass die Richtigkeit des Messergebnisses durch die Einbeziehung "messbereichsfremder" Messdaten nicht beeinträchtigt wird. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Geschwindigkeitsberechnung eines zusammenhängenden Objektes nicht davon abhängt, ob über das von der Messsoftware generierte Modellobjekt hinaus weitere, sich tatsächlich mitbewegende Objektpunkte in die Bildung des Geschwindigkeitswertes einfließen. Auch liegt in formaler Hinsicht kein Verstoß gegen die Zulassungsbedingungen vor. Zwar ist die Zulassung hinsichtlich der Funktionsweise des Messgerätes insoweit missverständlich formuliert, als sie Objektpunkte außerhalb des Messbereichs von der Messwertbildung schlechterdings auszuschließen scheint. Die PTB hat jedoch klargestellt, dass es sich um eine vereinfache Darstellung handelt. Die Ausführungen der Zulassungsbehörde lassen sich dahingehend verstehen, dass es systemimmanent zur geringfügigen Einbeziehung von Ortspunkten außerhalb des Messbereiches kommen kann, diese Funktionsweise bereits bei Erteilung der Zulassung bekannt war und berücksichtigt wurde.

Sind aber keine Anhaltspunkte für eine Funktionsweise des Messgerätes ersichtlich, die Fehlmessungen besorgen lässt, gegen die Zulassungsanforderungen verstößt oder bei der Zulassung nicht berücksichtigt wurde, steht die Einordnung der zugelassenen Messmethode als standardisiertes Verfahren nicht in Frage.

ee) Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich auch kein Anhalt, dass die im Einzelfall erfolgte Geschwindigkeitsermittlung nicht ordnungsgemäß durchgeführt und von Fehlern im konkreten Messvorgang beeinflusst gewesen sein könnte.

b) Auf keiner tragfähigen Grundlage beruht demgegenüber der Ausspruch einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsübertretung.

Zur Annahme einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsübertretung bedarf es positiver Feststellungen, dass der Betroffene sowohl Kenntnis von der Geschwindigkeitsbegrenzung hatte als auch die hierauf bezogene Übertretung zumindest billigend in Kauf genommen hat ("doppelter Vorsatz"; stRspr., vgl. Senat, Beschluss vom 23. März 2017 - 1 OWi 4 SsBs 11/17; OLG Koblenz [2. StrS], Beschluss vom 24. September 2010 - 2 SsBs 108/10; OLG Frankfurt NStZ-RR 2016, 385, 387; OLG Bamberg, Beschluss vom 24. März 2015 - 3 Ss OWi 294/15 [juris]). Hieran fehlt es vorliegend. Dass dem Betroffenen die Geschwindigkeitsbegrenzung bekannt war, ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Das Amtsgericht stellt insoweit fest (UA S. 2):

"Die Messstelle befindet sich innerhalb geschlossener Ortschaften, gekennzeichnet durch das Verkehrszeichen 310, was der ortskundige Betroffene bei Beobachtung der erforderlichen und ihm auch zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen können und müssen."

Dem Betroffenen wird hiermit lediglich eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und damit ein nur fahrlässiger Verkehrsverstoß angelastet; dass er die Geschwindigkeitsbegrenzung - wie für die Annahme von Vorsatz erforderlich - tatsächlich erkannt hat, hat das Amtsgericht gerade nicht festgestellt. Hieran ändert nichts, dass an anderer Stelle der Urteilsgründe die Ortskundigkeit des Betroffenen betont wird (UA S. 15). Nach den weiteren Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigkeit (ebd.) soll der Betroffene die erlaubte Geschwindigkeit zwar mit bedingtem Vorsatz überschritten haben; die diesbezüglichen Ausführungen beziehen sich jedoch allein auf die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit und sind angesichts der - wie ausdrücklich festgestellt - nur fahrlässigen Fehlwahrnehmung der Geschwindigkeitsbegrenzung jedoch ohne Grundlage.

Das Rechtsbeschwerdegericht vermag grundsätzlich keine Umbewertung der getroffenen Feststellungen vorzunehmen. Zwar sprechen wesentliche Indizien für eine Kenntnis des Betroffenen von dem innerörtlichen Bereich und der damit verbundenen Geschwindigkeitsbegrenzung. So kann bereits grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass aufgestellte Verkehrsschilder von Verkehrsteilnehmern auch wahrgenommen werden (BGHSt 43, 241, 250 f.); hinzu tritt die festgestellte Ortskenntnis des Betroffenen und möglicherweise auch eine Umgebungssituation, die einen innerörtlichen Bereich nahelegt. Eine bereits nach den Urteilsdarlegungen eindeutige Sachlage, die ohne tatrichterlichen Würdigungsakt bereits nach § 79 Abs. 6 OWiG die Feststellung von Vorsatz erlaubt (so etwa OLG Bamberg DAR 2014, 37), liegt indes nicht vor. Da eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung weiterhin in Betracht kommt, wenn nicht nahe liegt, scheidet auch eine Durchentscheidung auf eine fahrlässig begangene Tat aus.

c) Das Urteil unterliegt damit gemäß § 353 Abs. 1 und 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG der Aufhebung und Zurückverweisung zu erneuter tatrichterlicher Entscheidung. Hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zum objektiven Tathergang, denn diese sind fehlerfrei getroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Aufrechterhalten bleiben insbesondere die Feststellungen zum Tatort, der Tatzeit, der Beschilderung und der gemessenen Geschwindigkeit, soweit sie Eingang in das Urteil gefunden haben. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.

III.

Der Tatrichter wird im neuen Verfahrensdurchgang im Wesentlichen die Schuldform neu zu bestimmen und zu begründen haben. Der Einzelrichter des Senats weist hierzu vorsorglich auf folgendes hin:

Die Annahme des Amtsgerichtes, der Betroffene habe - eine Kenntnis von der Geschwindigkeitsbegrenzung vorausgesetzt - die zulässige Höchstgeschwindigkeit mit zumindest bedingtem Vorsatz überschritten, wäre im Ergebnis nicht zu beanstanden gewesen. Bei besonders massiven, "qualifizierten" Geschwindigkeitsüberschreitungen, bei denen im Normalfall ausscheidet, dass sie dem Verkehrsteilnehmer verborgen bleiben, kann allein aus ihrem objektiven Ausmaß auf eine vorsätzliche Tatbegehung geschlossen werden. Im außerörtlichen Bereich liegt die Grenze hierfür bei einer absoluten Überschreitung um 40 km/h (vgl. Senat a.a.O.; OLG Koblenz [2. StrS] NStZ 2000, 58; Beschluss vom 2. Oktober 2009 - 2 SsBs 100/09 [juris, Rdn. 27]), innerorts bei einer solchen um 30 km/h (Senat, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 1 Ss 207/02; OLG Koblenz [2. StrS], Beschlüsse vom 17. Januar 2014 - 2 SsBs 80/13 und vom 26. Juni 2015 - 2 OWi 3 SsBs 32/15 [juris]). Anzunehmen ist Vorsatz zudem bei einer relativen Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit um mindestens 50 % (vgl. KG NZV 2005, 596; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 249; OLG Celle NZV 2011, 618 [ab 45 %]; OLG Brandenburg VRS 127 [2014], 41). Diese Voraussetzungen liegen bei einer Überschreitung der innerorts geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) um 38 km/h in markanter Weise vor.

Die Ausführungen der Rechtsbeschwerde, dass sich aufgrund von Weiterentwicklungen in der Automobilindustrie zumindest bei Nutzung von Fahrzeugen der Oberklasse aus dem Umfang des Verstoßes keine Rückschlüsse auf einen etwaigen Vorsatz des Fahrzeugführers mehr ziehen ließen, gehen fehl. Welches möglicherweise besonders vibrationsarme Kraftfahrzeug der Betroffene gefahren hat, ist unerheblich. Denn der Grundsatz, dass sich ab einer absolut oder relativ bestimmten Überschreitung der dem Kraftfahrer bekannten Geschwindigkeitsgrenze ein bedingter Vorsatz vermuten lässt, beansprucht auch bei Kraftfahrzeugen neuerer und hochwertiger Bauart Gültigkeit. Zum einen ist auch bei derartigen Fahrzeugen eine erhöhte Geschwindigkeit zumindest durch die relative Steigerung des Motorgeräusches und der Fahrzeugbewegung ohne weiteres wahrnehmbar. Die Annahme, eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung werde dem Betroffenen in der Regel nicht verborgen bleiben, beruht zum anderen darauf, dass allein die optischen Eindrücke, insbesondere der schnellere Umgebungswechsel, der regelmäßig hohe Geschwindigkeitsunterschied zu sonstigen Verkehrsteilnehmern und die hierdurch bedingte Verkürzung von Reaktionszeiten eine solche Kenntnis vermitteln. Dies gilt in besonderer Weise für den durch engere Bebauung und Straßenführung gekennzeichneten innerörtlichen Bereich. Der von der Rechtsbeschwerde erstrebten weiteren Beweisaufnahme zu der Frage bedurfte es daher nicht.

Auch die Rechtsfolgenbestimmung wäre bei Unterstellung einer Vorsatztat rechtsfehlerfrei gewesen.