OLG Koblenz, Urteil vom 29.05.2008 - 7 UF 812/07
Fundstelle
openJur 2020, 20617
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Idar-Oberstein vom 08.11.2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Idar-Oberstein zurückverwiesen.

Gerichtskosten werden für die Berufungsinstanz nicht erhoben. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Familiengericht vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Scheidung der am 28.01.1988 geschlossenen Ehe der Parteien. Der Antragsteller ist Amerikaner und Angehöriger der US-Army, die Antragsgegnerin ist Deutsche und seit Anfang 2002 als Zivilangestellte bei der US-Army tätig. Aus der Ehe sind zwei, im Juni 1988 und im September 1991 geborene Kinder hervorgegangen. Bei Zustellung des Scheidungsantrags am 07.12.2005 war der Antragsteller in den Irak abkommandiert, hatte aber ebenso wie die Antragsgegnerin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Inzwischen lebt der Antragsteller in den USA.

Im Verhandlungstermin vom 20.09.2006 vor dem Familiengericht überreichte die Antragsgegnerin einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf Zahlung von Ehegattenunterhalt und Kindesunterhalt für die jüngste Tochter. Hierauf vertagte das Familiengericht die Verhandlung mit dem Hinweis, neuer Termin werde nach Entscheidungsreife der Folgesache Unterhalt bestimmt.

Ohne Förderung der Folgesachen wurde für den 08.11.2007 neuer Termin anberaumt und die Ehe der Parteien gegen den Widerspruch der Antragsgegnerin unter Abtrennung der Folgesachen Kindesunterhalt und Ehegattenunterhalt durch Urteil vom gleichen Tag geschieden. Hierbei ging das Familiengericht davon aus, dass die Parteien in der Ehezeit keine Rentenanwartschaften erworben hätten, weshalb im Tenor der Ausspruch erfolgte, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung begehrt die Antragsgegnerin Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur Wiederherstellung des Scheidungsverbunds. Sie macht geltend, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abtrennung der Folgesachen vom Scheidungsverbund nicht vorlägen. Zudem sei die Entscheidung zum Versorgungsausgleich falsch, weil beide Parteien in der Ehe Versorgungsanwartschaften erworben hätten, die allerdings nicht öffentlich-rechtlich ausgeglichen werden könnten, sondern vor einem amerikanischen Gericht geklärt werden müssten.

Der Antragsteller verweist darauf, dass die Folgesachen zum Unterhalt nur im Prozesskostenhilfeverfahren anhängig seien und die Antragstellerin versuche, das Verfahren zu verzögern.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Erklärungen der Parteien anlässlich der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstanden und hat in der Sache einen vorläufigen Erfolg.

Zu Recht hat das Familiengericht allerdings seine internationale Zuständigkeit angenommen, weil beide Parteien bei Zustellung des Scheidungsantrags ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Dies folgt aus Art. 3 Abs. 1 der EG Verordnung Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa), der als supranationale Regelung auch für Nicht-EU-Ausländer gilt (vgl. Rausch in Handbuch Fachanwalt Familienrecht, 6. Aufl., 15. Kap., Rdn. 39). Die Anwendbarkeit deutschen Rechts beruht auf Art. 17 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 14 I Nr. 2 EGBGB.

Das Urteil vom 08.11.2007 kann aber keinen Bestand haben, weil es unter Verstoß gegen die zwingenden Vorschriften des Entscheidungsverbundes ergangen ist. Gibt das Familiengericht dem Scheidungsantrag vor der Entscheidung über eine Folgesache statt, ohne dass die Voraussetzungen des § 628 ZPO vorliegen, handelt es sich um ein unzulässiges Teilurteil, das nach § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO der Aufhebung unterliegt (Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 628 ZPO Rdn. 14 m.w.N. und Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 628 Rdn. 14 m.w.N.). Die Abtrennung schafft eine selbständige Beschwer.

Zwar hat die Antragsgegnerin, die lediglich Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht begehrt, keinen Sachantrag im Sinne des § 520 Abs. 3 Nr. 1a ZPO gestellt. Jedoch ist davon auszugehen, dass der auf einen Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts gestützte Antrag als Rechtsmittelziel die Weiterverfolgung des in der Vorinstanz gestellten Sachantrags enthält (allgem. Ansicht; vgl. Zöller/Philippi, a.a.O., § 520, Rdn. 28 m.w.N.). In erster Instanz hatte die Antragsgegnerin einer Scheidung vor Klärung der Folgesachen widersprochen. Das ist als Rechtsmittelziel ausreichend, zumal die Verletzung der §§ 623, 628 ZPO auch dann gerügt werden kann, wenn die Partei in der Vorinstanz mit der Vorabscheidung einverstanden war (BGH, FamRZ 1991, 687; Zöller/Philippi, a.a.O., § 628, Rdn. 13).

Zur Herbeiführung des Scheidungsverbunds reicht es aus, dass die Anträge auf Zahlung von Ehegatten- und Kindesunterhalt bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz anhängig gemacht worden sind; das Gesetz verlangt weder eine Rechtshängigkeit noch eine schlüssige Begründung (vgl. Zöller/Philippi, a.a.O., § 628, Rdn. 28; Sedemund-Treiber, a.a.O., § 623, Rdn. 10; OLG Koblenz - 13. Zivilsenat -, FamRZ 2004, 551 u.a.m.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Allerdings hat die Antragsgegnerin nicht die Folgesachenanträge als solche anhängig gemacht, sondern nur einen Prozesskostenhilfeantrag und ausdrücklich angekündigt, erst "nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe" die Verurteilung des Antragstellers zur Unterhaltszahlung beantragen zu wollen; hierzu ist es bisher nicht gekommen. Ob bereits dies zur Herstellung des Scheidungsverbundes ausreicht, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. BVerfG, NJW-RR 2002, 793). Überwiegend wird angenommen, dass bereits ein Prozesskostenhilfeantrag zur Herstellung des Scheidungsverbundes führt (so OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 971; Schleswig-Holsteinisches OLG, SchlHA 1995, 157; Johanssen/Henrich/Sedemund-Treiber, a.a.O., § 623 ZPO, Rdn. 10; Musielak/Borth, ZPO, 5. Aufl, § 623, Rdn. 27; Schwab/Maurer/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 5. Aufl., Rdn. 301; Rahm/Künkel, Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, III A 157). Nach anderer Ansicht muss der Folgesachenantrag als solcher anhängig gemacht sein (OLG Naumburg, FamRZ 2001, 168; Zöller/Philippi, a.a.O., § 623, Rdn. 23c). Der BGH hat sich zu dieser Frage, soweit ersichtlich, bisher nicht geäußert.

Der Senat schließt sich der überwiegenden Ansicht an. Grundgedanke des § 623 ZPO ist es, dass zugleich mit der Scheidung die wichtigsten Scheidungsfolgen geregelt werden, um den Ehegatten vor Augen zu führen, welche Auswirkungen ihre Scheidung haben wird und zugleich den sozial schwächeren Ehegatten zu schützen (Zöller/Philippi, a.a.O., § 623, Rdn. 2 m.w.N.). Dem ist nur dadurch gerecht zu werden, dass bereits die Anhängigkeit eines Prozesskostenhilfegesuchs zur Herbeiführung des Verbundes ausreicht. Denn hierdurch kommt für alle Beteiligten ebenso klar zum Ausdruck, dass eine Entscheidung in der Folgesache begehrt wird, als wenn diese bereits als solche anhängig gemacht wäre, und gerade der sozial Schwächere ist zur Durchsetzung seiner Rechtsschutzziele auf die vorherige Gewährung von Prozesskostenhilfe angewiesen.

Somit hätte das Familiengericht die Ehe nur unter den Voraussetzungen des § 628 ZPO ohne Regelung der Unterhaltsansprüche vorab scheiden dürfen. Hinsichtlich dieser Voraussetzungen besteht weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum, weshalb ihr Vorliegen in vollem Umfang der Überprüfung im Berufungsrechtszug unterliegt (Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, a.a.O., § 628, Rdn. 15).

Nach der hier allein in Betracht kommenden Alternative 4 des § 628 ZPO kann das Gericht dem Scheidungsantrag vor der Entscheidung über eine Folgesache stattgeben, soweit die gleichzeitige Entscheidung über die Folgesache den Scheidungsausspruch so außergewöhnlich verzögern würde, dass der Aufschub auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte darstellen würde. Diese Voraussetzungen sind entgegen der Annahme des Familiengerichts nicht gegeben.

Eine außergewöhnliche Verzögerung wird in der Regel angenommen bei einer Verfahrensdauer von über zwei Jahren (vgl. Sedemund-Treiber, a.a.O., § 628 ZPO Rdn. 6 m.w.N.), die hier überschritten ist (Zustellung des Scheidungsantrags: 07.12.2005). Diese Verzögerung ist auch bedingt durch die Folgesachen Ehegatten- und Kindesunterhalt, nachdem diese seit dem Verhandlungstermin vom 26.09.2006 nicht mehr gefördert wurden.

Jedoch sind keine Gründe ersichtlich, weshalb ein Aufschub der Scheidung bis zur Erledigung dieser Folgesachen für den Antragsteller eine unzumutbare Härte darstellen sollte. Die außergewöhnliche Dauer ist insoweit nicht ausreichend (KG FamRZ 2001, 928, 929). Vielmehr ist eine Abwägung des Interesses des Antragstellers an einer frühen Scheidung und des Interesses der Antragsgegnerin an einer gleichzeitigen Regelung der abzutrennenden Folgesachen erforderlich (Sedemund-Treiber, a.a.O., Rdn. 7). Ein besonderes Interesse an einer vorzeitigen Scheidung ist von dem Antragsteller nicht dargetan und auch ansonsten nicht ersichtlich. Insbesondere die Tatsache, dass die Folgesachen erst zehn Monate nach Rechtshängigkeit der Scheidung geltend gemacht wurden, ist hierfür nicht ausreichend. Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, die Antragsgegnerin verzögere dadurch eine Erledigung der Folgesachen, dass sie alle Vergleichsangebote ablehne, hätte es an ihm gelegen, eine gerichtliche Klärung der Angelegenheit durch Abgabe einer - bisher nicht erfolgten - Stellungnahme zum Prozesskostenhilfeantrag zu fördern. Auch die Tatsache, dass die Parteien schon seit September 2004 getrennt leben und der Antragsteller sich einer anderen Partnerin zugewandt hat, rechtfertigt für sich allein nicht eine vorzeitige Scheidung.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil haben beide Parteien in der Ehe Versorgungsanrechte erworben, deren Höhe bisher nicht aufgeklärt ist. Daher erweist sich die Entscheidung des Familiengerichts auch insoweit als fehlerhaft. Im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin erst seit Anfang 2002 eine Erwerbstätigkeit ausübt und im Übrigen nur Kindererziehungszeiten angefallen sind, während der Antragsteller über die gesamte Ehezeit für die amerikanische Armee tätig war, geht der Senat davon aus, dass der Antragsteller in der Ehe die werthöheren Anwartschaften erworben hat. Diese können nicht öffentlich-rechtlich ausgeglichen werden (vgl. hierzu Staudinger/Mankowski, Neubearbeitung 2004, EGBGB Art. 17, Rdn. 313; AG Landstuhl, NJW-RR 1995, 329 und Beschluss vom 19.06.1997 - 1 F 10/92 - sowie AG Charlottenburg, Urteil vom 29.08.1983 - 174 F 12847/80 - , die beiden letzteren zitiert nach juris). Hierüber haben die Parteien im Termin vom 10.04.2008 vor dem Senat eine Vereinbarung getroffen (die vom vorbehaltenen Widerruf des Antragstellers nicht erfasst ist), über deren Genehmigung nach § 1587o Abs. 2 S. 3 und 4 BGB im Rahmen der Endentscheidung - zur Vermeidung von Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Ausgleichs im Ausland möglichst im Tenor - mit zu befinden ist.

Der Ausspruch über die Gerichtskosten der Berufungsinstanz beruht auf § 21 GKG. Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens ist derzeit noch nicht möglich, weil die Grundlagen hierfür erst durch die abschließende Entscheidung des Familiengerichts geschaffen werden.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 12.000,00 € festgesetzt.

Die Zulassung der Revision beruht darauf, dass der BGH sich bisher nicht mit der Frage befasst hat, ob die Anhängigkeit einer Folgesache im Prozesskostenhilfeverfahren den Scheidungsverbund herbeiführt (§ 543 Abs. 2 ZPO).