LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.06.2019 - 3 Sa 32/19
Fundstelle
openJur 2020, 19553
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 19.09.2018 - 5 Ca 1428/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen, personenbedingten Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.

Die 1960 geborene Klägerin ist seit dem 01.10.2010 bei dem beklagten Land als Fachärztin für Psychiatrie und leitende Ärztin der psychiatrischen Abteilung im Justizvollzugskrankenhaus (JVK) der Justizvollzugsanstalt (JVA) beschäftigt. Die Klägerin ist in die Entgeltgruppe Ä 3 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte (TV-Ärzte) eingruppiert. Die monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 8.723,02 EUR.

Am 16.03.2017 meldete sich die Klägerin telefonisch krank. Am 03.04.2017 erschien sie nicht zur Arbeit und meldete sich nicht bei ihrem Arbeitgeber. Der Versuch einer telefonischen Kontaktaufnahme durch die JVA blieb zunächst erfolglos. Mit Schreiben vom 03.04.2017, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 63-65 d. A. Bezug genommen wird, wurde die Klägerin durch den Anstaltsleiter, Herrn P. zu ihrem Fehlen und der Nichtvorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit ab dem 16.03.2017 angehört.

Mit Schreiben vom 28.04.2017 ordnete der Anstaltsleiter eine amtsärztliche Untersuchung der Klägerin an, nachdem ihm bekannt geworden war, dass sich die Klägerin in der Zeit vom 04.04. bis zum 10.04.2017 in stationärer Behandlung auf der psychiatrischen Abteilung des Klinikums M. in T. befunden hatte. Das Schreiben enthält folgende Beschreibung des Untersuchungsauftrags:

"Ich bitte um Begutachtung von Fr. Dr. A. zur Fragestellung, ob sie als Fachärztin für Psychiatrie in der Lage ist, weiterhin ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit auszuüben, vor dem Hintergrund des hier untergebrachten Klientels (Gewaltstraftäter mit zum Teil lebenslangen Freiheitsstrafen, Gefangene mit Suchtproblematiken etc. pp.)."

Hinsichtlich des weiteren Inhaltes des Schreibens wird auf Bl. 68, 69 d. A. Bezug genommen.

Mit weiterem Schreiben vom 14.06.2017 erweiterte der Anstaltsleiter den Auftrag an das Gesundheitsamt. Das Schreiben hat u. a. folgenden Wortlaut:

"... mit Schreiben vom 28. April 2017 habe ich um eine amtsärztliche Untersuchung der hiesigen Beschäftigten Frau Dr. A. ersucht. Ein Untersuchungstermin konnte bis dato in der Person von Frau A. liegende Gründe nicht durchgeführt werden. Frau Dr. A. hat in einem Telefonat am 12.06.2017 gegenüber dem hiesigen Anwaltsleiter P. angegeben, dass sie unter einer "schweren Depression" gelitten habe. Es sei auch richtig, dass ein Polizeieinsatz zur Aufnahme in der Psychiatrie in T. geführt habe. Insoweit darf ich auf den anlagebenannten Vermerk vom 12.06.2017 Bezug nehmen.Ausgehend dieser neuen Faktenlage erweitere ich den bestehenden Untersuchungsauftrag dahingehend, ob Frau Dr. A. im Falle einer allgemein festgestellten Arbeitsfähigkeit in der Lage ist, die Aufgaben einer leitenden Ärztin auf der psychiatrischen Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses wahrzunehmen."

Hinsichtlich des weiteren Inhalts dieses Schreibens wird auf Bl. 70, 71 d. A. Bezug genommen.

In der Folgezeit sagte die Klägerin in den Monaten Mai und Juni 2017 zahlreiche zunächst zwischen dem Gesundheitsamt und ihr vereinbarte Untersuchungstermine jeweils kurzfristig ab.

In einem Telefonat am 12.06.2017 mit dem Leiter der JVA, Herrn P., erklärte die Klägerin, dass sie unter einer "schweren Depression" gelitten habe. Sie habe sich nicht gemeldet, da sie nur "rumgesessen habe, ohne irgendetwas machen zu können". Es sei richtig, dass ein Polizeieinsatz zur Aufnahme in der Psychiatrie in T. geführt habe. Die Polizei sei von ihrer Mutter, die sich Sorgen um sie gemacht habe, informiert worden. Jetzt gehe es ihr wieder besser, sie leide momentan allerdings unter einem Bandscheibenvorfall, weshalb sie die Termine beim Gesundheitsamt abgesagt habe.

Am 06.07.2017 wurde die Klägerin schriftlich zu einer beabsichtigten Abmahnung wegen der Absage von zahlreichen Untersuchungsterminen beim Gesundheitsamt angehört; hinsichtlich des weiteren Inhalts dieses Schreibens wird auf Bl. 105-106 d. A. Bezug genommen.

Am 24.07.2017 fand die Untersuchung beim Gesundheitsamt T. statt.

Mit Schreiben vom 28.07.2017, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 108 d. A. Bezug genommen wird, informierte die Amtsärztin, Frau Dr. med. Patricia A., Fachärztin für Psychiatrie, den Anstaltsleiter über den stattgefundenen Untersuchungstermin und teilte mit, dass die Klägerin ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit keinesfalls erbringen kann. Am 11.08.2017 fand ein Telefonat zwischen dem Leiter der JVA und der Klägerin statt. Über dieses Telefonat fertigte der Anstaltsleiter einen Vermerk, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 110-111 d. A. Bezug genommen wird. In diesem Telefonat bot die Klägerin ihre Arbeitskraft an und äußerte den Wunsch, ihre Tätigkeit am darauffolgenden Montag wieder aufzunehmen. In seinem Telefonvermerk hielt der Anstaltsleiter u. a. folgendes fest:

"Im Zuge des Gesprächs fiel mir Frau Dr. A. durch eine sehr auffällig verwaschene bzw. lallende Aussprache auf. Ich fragte Frau Dr. A. daher, ob sie etwas "eingenommen" habe. Dies verneinte sie sofort und sagte, sie sei gerade erst aufgestanden. Ich beharrte aber darauf, dass nach meiner Wahrnehmung eine deutlich auffällige Aussprache vorliege. Daraufhin sagte Frau Dr. A., das müsse auf die Antidepressiva zurückzuführen sein, die sie eingenommen habe."

Wegen der verspätet abgegebenen Erklärung über die Entbindung der Schweigepflicht durch die Klägerin wurde das fachpsychiatrische Gutachten des Gesundheitsamtes T. erst am 13.09.2017 erstellt und ging am 15.09.2017 dem Leiter der JVA zu. Im Gutachten heißt es u. a.:

"[...] Diagnosen:Polytoxikomanie mit Alkoholabusus und Benzodiazepinkonsum ICD-10 F 19.2 Angst und depressive Störung, gemischt ICD-10 F 41.2 Akzentuierte Persönlichkeit mit narzisstischen und dependenten Anteilen, der Übergang zur Persönlichkeitsstörung ist möglich. [...]

Zusammenfassende Beurteilung:Bei Frau Dr. A. besteht eine gesicherte Suchterkrankung, die sie jedoch ebenso verleugnet, wie das selbstschädigende ihres sonstigen Verhaltens. Lediglich die Angsterkrankung und die depressive Symptomatik erkennt sie an. [...] Auch gegenüber der beruflichen Situation, die hier aus mehreren Gründen auch als psychische Belastung zu sehen ist, besteht keine professionelle Distanz. Frau Dr. A. befindet sich in ihrer Funktion als leitende Ärztin ihrer Abteilung in einer besonderen Macht- und Verantwortungsposition, da sie allein die Entscheidung trifft, welcher ihrer Insassen (den vergleichsweise angenehmeren) Patientenstatus erlangt und von ihr behandelt wird, bzw. in den üblichen Haftbedingungen verbleibt. Dies war ihr bewusst, sie beschrieb die alleinige Verantwortung der Leitungsposition selbst im Vgl. zur früheren Oberarztposition der vorigen Arbeitsstelle als stärkere Belastung, der sie sich eigentlich nicht gewachsen fühle.[...] Ebenso wie den therapeutischen Hilfebedarf leugnet sie die Existenz einer Suchterkrankung, wodurch sich die Gesamtprognose erheblich verschlechtert. Sowohl gegenüber der ärztlichen, als auch gegenüber der psychologischen Untersucherin hatte sie die Formulierung gewählt:"Ich möchte keine Therapie wahrnehmen, ich möchte mir nicht in die eigene Seele blicken lassen".[...] Aus hiesiger Sicht ist ohne eine baldige spezifische und adäquate Therapie die in der ärztlichen Berufsordnung geforderte Zuverlässigkeit zu bezweifeln.

Zielfragen zur Arbeitsfähigkeit:Aus hiesiger Sicht ist Frau Dr. A. aus mehreren Gründen in ihrer jetzigen Position nicht mehr einsetzbar:

1. Die manifeste Suchterkrankung schließt die ärztliche Tätigkeit generell aus, da die Zuverlässigkeit nicht gegeben ist. (§ 3 Abs. 1.3 der BÄO). Erst nach erfolgreicher Therapie wäre grundsätzlich die Arbeitsfähigkeit wieder anzunehmen. Derzeitig sind jedoch Krankheitseinsicht und Therapiewille nicht gegeben, somit ist keine Besserung zu erwarten.

2. Die besondere Verantwortung als allein verantwortliche Leiterin einer forensischen Einrichtung kann von der Probandin nicht ausgefüllt werden. [...]"

Hinsichtlich des weiteren Gutachtens wird auf Bl. 45-58 d. A. Bezug genommen.

Drüber hinaus wurde am 26.07.2017 ein Bericht über eine psychologische Zusatzuntersuchung durch die Diplompsychologin Frau Marianne A. erstellt; die zusammenfassende Stellungnahme hat folgenden Wortlaut:

"Bei Frau Dr. A. liegt nach meiner Einschätzung eine Angst- und Panikstörung vor [...]. Ich halte eine stationäre psychosomatische und psychotherapeutische Behandlung für dringend indiziert, auch wenn die Prognose bei ihrer ablehnenden Haltung nicht sehr positiv ist."

Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Berichts wird auf Bl. 59, 60 d. A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 18.09.2017 erhielt die Klägerin eine Abschrift des Gutachtens zur Kenntnis und gleichzeitig eine Einladung zu einer persönlichen Erörterung des Gutachtens. In dem am 29.09.2017 stattgefundenen Personalgespräch bestritt die Klägerin die seitens der Amtsärztin gestellte Diagnose und verneinte einen Behandlungsbedarf.

Mit Schreiben vom 11.10.2017 hörte der Anstaltsleiter den Personalrat sowie den Gleichstellungsbeauftragten zur beabsichtigten Kündigung an; insoweit wird auf Bl. 127-129 d. A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 26.10.2017 stimmte der Personalrat der beabsichtigten Kündigung zu; insoweit wird auf Bl. 136 d. A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 06.11.2017, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 137 - 138 d. A. Bezug genommen wird, kündigte der Leiter der JVA sodann das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich mit Wirkung zum 31.03.2018.

Mit ihrer Klageschrift legte die Klägerin ein ärztliches Attest des Internisten, Herrn Dr. med. K., vom 09.11.2017 vorgelegt, mit dem ihr bescheinigt wird, dass sie seit dem 07.10.17 wieder arbeitsfähig gewesen sei; insoweit wird auf Bl. 12 d. A. Bezug genommen. Gegen Herrn Dr. med. K. war ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankenthal (Az. 5101 Js 30567/17) u.a. wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) anhängig, das zwischenzeitlich eigestellt worden ist.

Im Kalenderjahr 2017 zahlte das beklagte Land an die Klägerin an Entgeltfortzahlung 32.472,15 EUR sowie während der Freistellung bis zur Entscheidung über die Arbeitsfähigkeit bzw. während der Kündigungsfrist 33.271,24 EUR, also insgesamt 65.743,39 EUR, sowie schließlich bis März 2018 weitere 26.169,06 EUR.

Die Klägerin hat vorgetragen,

sie sei bereits seit dem 07.10.2017 arbeitsfähig, was sich aus dem ärztlichen Attest ihres Internisten ergebe. Sie sei auch zuverlässig und für ihre Tätigkeit als Leiterin der psychiatrischen Abteilung geeignet. Das amtsärztliche Gutachten sei falsch, die gestellten Diagnosen träfen sämtlich nicht zu. Sie leide nicht an einer "manifesten Suchtproblematik". Im Gutachten sei bereits das falsche Datum der Untersuchung genannt. Sie habe der Amtsärztin auch nicht gesagt, seit 2014 unter Panikattacken zu leiden. Ebenso wenig habe sie angegeben, seit Jahren unter Schlafstörungen zu leiden, vielmehr sei dies erst seit einigen Monaten der Fall. Ihre Kurzsichtigkeit habe sie durch Kontaktlinsen, nicht durch eine Brille korrigiert. Sie habe nur in 1987 Panikattacken gehabt, nicht aber danach. Ihre Angabe gegenüber der Amtsärztin, sie trinke drei Bier pro Tag, beziehe sich ausschließlich auf die Abende. Der Befund sei nicht typisch für eine Alkoholabhängigkeit. Am Tag der Untersuchung, auf dem Weg zum Labor, habe sie, die Klägerin, eine Tablette Temazepam, ein Benzodiazepin, eingenommen und dies auch der Amtsärztin ausdrücklich mitgeteilt. Sie sei nicht Benzodiazepin abhängig. Es bestehe kein Behandlungsbedarf. Im Personalgespräch am 29.09.2017 habe sie, die Klägerin, dem Anstaltsleiter mitgeteilt, dass die Depressionen behandelt worden und sie nun medikamentös eingestellt sei(en). Erhebliche Störungen im Betriebsablauf seien zu bestreiten, denn die Vertretung sei geregelt.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 06.11.2017, zugegangen am 09.11.2017, nicht aufgelöst wird.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat vorgetragen,

aufgrund des eindeutigen Gutachtens der Amtsärztin des Gesundheitsamtes T. müsse von einer manifesten Suchtproblematik ausgegangen werden. Diese schließe eine weitere ärztliche Tätigkeit aus. Das Gutachten sei in allen Punkten zutreffend. Die Klägerin sei demzufolge mangels Zuverlässigkeit für die von ihr zuletzt ausgeübte Tätigkeit ungeeignet. Aufgrund des Leugnens und des Abstreitens bestehe auch eine negative Prognose. Die Klägerin habe auf eine ausdrückliche Nachfrage seitens der Amtsärztin die Einnahme von Benzodiazepin verneint. Sie habe lediglich angegeben, Venlafaxin und Pregabalin eingenommen zu haben. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei entbehrlich gewesen. Der Klägerin fehle insgesamt die gesundheitliche Eignung für die Tätigkeit als Psychiaterin. Insofern müsse sich das beklagte Land als Arbeitgeber auf § 3 BÄO berufen. Die Klägerin stelle ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar im Hinblick auf § 3 Abs. 1, 2 der Dienstvereinbarung "Substanzbezogene Störungen am Arbeitsplatz (Alkohol, Medikamente, Drogen)" vom 01.07.2012, hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 130 ff. d. A. Bezug genommen wird. Auch die Interessenabwägung müsse zu Lasten der Klägerin ausfallen.

Das Arbeitsgericht hat im erstinstanzlichen Rechtszug Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Frau Dr. Patricia A. vom Gesundheitsamt T.. Hinsichtlich des Inhalts des Beweisbeschlusses wird auf Bl. 236 d. A. Bezug genommen, hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Sitzungsniederschrift vom 04.07.2018 (Bl. 235-244 d. A.).

Das Arbeitsgericht Trier hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 19.09.2018 - 5 Ca 1428/17 - abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 272-287 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 07.01.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch am 23.01.2019 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 07.03.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, sie leide nicht an einer Polytoxikonamie, ihr fehle keineswegs die zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit erforderliche gesundheitliche Eignung. Die von der Gutachtenerstellerin und Zeugin angenommenen Diagnosen beruhten auf unzutreffender Tatsachengrundlage und seien falsch. Die gebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens sei versäumt worden. Allerdings habe die Zeugin auch bekundet, dass sich ihre Schlussfolgerung nur auf den Zeitpunkt der Untersuchung beziehe; die Zeugin habe ergänzt "es kann heute auch ganz anders sein". Es treffe nicht zu, dass sich die Prognose in dem Personalgespräch vom 29.09.2017 bestätigt habe. Vielmehr habe sie, die Klägerin, deutlich gemacht, dass die in dem Gutachten gestellte Diagnose falsch sei. Deshalb bestehe kein Behandlungsbedarf. Zudem habe sie erläutert, dass die Depressionen behandelt worden und sie medikamentös eingestellt worden sei. Sie, die Klägerin, habe die Einnahme eines Benzodiazepins nicht verschwiegen. Auch müsse berücksichtigt werden, dass Temazepam zu den kurz wirksamen Benzodiazepinen gehöre, dass es schnell resorbiert und verstoffwechselt werde. Der Nachweis von Benzodiazepin stehe dem Vorbringen der Klägerin nicht entgegen. Sie, die Klägerin, sei als Fachärztin für Psychiatrie qualifiziert, das Gutachten und die Angaben der Zeugin medizinisch zu bewerten. Sie habe wiederholt ihre Arbeitskraft angeboten; die Wiederaufnahme der Arbeit sei von dem Leiter der JVA durch das ausgesprochene Beschäftigungsverbot vereitelt worden. Auch bestätige das bereits mit der Klageschrift vorgelegte ärztliche Attest vom 09.11.2017, dass sie, die Klägerin, seit dem 07.10.2017, also bereits vor Ausspruch der Kündigung, wieder arbeitsfähig gewesen sei. Eine negative Prognose sei auch dann zu verneinen, wenn, was nicht der Fall sei, eine Alkoholabhängigkeit gegeben sei. Denn dann gehöre es zur Krankheit, dass der Abhängige annehme, er könne die Sucht willentlich beherrschen. Eine negative Prognose setze dann voraus, dass dem Erkrankten klar gemacht worden sei, dass er sich einer Entziehungskur unterziehen müsse und er eine derartige Maßnahme ablehne. Derartiges sei vorliegend nicht geschehen.

Eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen sei nicht gegeben, sie, die Klägerin, stelle auch kein Sicherheitsrisiko in einem Betrieb des Strafvollzugs dar. Entstandene Entgeltfortzahlungskosten stellten für das beklagte Land keine nicht hinnehmbare Belastung dar. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements sei nicht entbehrlich gewesen. Ihr, der Klägerin, sei derartiges nicht angeboten worden.

Schließlich müsse die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin enden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 07.03.2019 (Bl. 314-320 d. A.) nebst Anlage (Bl. 321 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 19.09.2018, AZ: 5 Ca 1428/17, abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 06.11.2017, zugegangen am 09.11.2017, nicht aufgelöst worden ist.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Das beklagte Land verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, dem amtsärztlichen Gutachten komme gegenüber privatärztlichem Attest ein höherer Beweiswert zu. Die Anhörung der Amtsärztin stehe der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gleich. Das Vorbringen der Klägerin zeige nicht auf, was sich an dem zutreffend festgestellten Krankheitsbefund bis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung geändert haben könnte und aus welchem Grund. Vielmehr leugnen sie die von der Amtsärztin diagnostizierte doppelte Suchterkrankung. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass ausweislich des Schreibens der Bezirkskliniken Schwaben vom 12.02.2018 (Bl. 189 d. A.) sich die Klägerin dort bereits seit dem 09.02.2018 bis auf weiteres wiederum in einer stationären Behandlung befunden habe. Auch dies spreche dagegen, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin zwischen ihrer Untersuchung am 24.07.2017 und dem Zugang der Kündigung vom 06.11.2017 gebessert habe. Auch seien Anhaltspunkte für eine ärztliche Behandlung nicht ersichtlich. Im Übrigen habe die Klägerin tatsächlich die Einnahme eines Benzodiazepins verschwiegen. Auch ließen sich dem Vorbringen der Klägerin keine vernünftigen Anhaltspunkte dafür entnehmen, wie, wenn nicht bei Vorliegen der beiden attestierten Abhängigkeiten, sich die von der Amtsärztin bei der Untersuchung festgestellten vermehrten Erythrozyten und vor allem die erhöhten Leberenzymwerte erklären ließen. Der Selbsteinschätzung der Klägerin komme im Vergleich zu der medizinischen Bewertung durch die Amtsärztin nur wenig Gewicht zu, weil sie selbst Partei des Verfahrens sei. Dass die Klägerin wiederholt ihre Arbeitskraft angeboten habe, habe ebenso wenig Aussagegehalt. Nichts Anderes erfolge aus dem Attest des Herrn Dr. K. vom 07.10.2017. Dabei handele es sich nicht um einen Facharzt für Psychiatrie, sondern um einen Internisten. Gegenüber der Amtsärztin sei seitens der Praxis Dr. K. mitgeteilt worden (s. Bl. 47 d. A.), es lägen dort keine Befundberichte in Bezug auf die Klägerin vor. Daraus resultiere die begründete Frage, wie zuverlässig ein derartiges Attest sein könne, wenn es von einer Praxis ausgestellt werde, in der für den fraglichen Zeitraum und auch nicht bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem ein früheres Attest ausgestellt worden sei (17.06.2017), keine Befunde vorlägen. Durch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Herrn Dr. K. werde dessen vorgelegtes Attest nicht überzeugender. Insbesondere spreche auch der Umstand, dass die Klägerin sich ab dem 09.02.2018 erneut in einer stationären Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik befunden habe (s. Bl. 189 d. A.) gegen die von ihr behauptete Arbeitsfähigkeit.

Die negative Prognose folge schon daraus, dass die Klägerin eine Entziehungskur abgelehnt habe, weil sie nachdrücklich eine Suchterkrankung in Abrede stelle. Auch habe sie gegenüber der hinzugezogenen Dip.-Psychologin ausdrücklich ausgeführt: "Ich will keinen in meine Seele gucken lassen." (s. Bl. 57, 60 d. A.). Damit habe sie in aller Deutlichkeit eine entsprechende Behandlung abgelehnt. Zudem sei die Klägerin als einzige Fachärztin für die psychiatrische Abteilung zuständig. Ein anderer Facharzt sei nicht vorhanden und habe die Klägerin innerhalb der JVA nicht ersetzen können, sodass während ihrer Krankheitszeiten externe Vertreter den Dienst hätten übernehmen müssen. Dies sei für die psychiatrische Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses auf Dauer nicht tragbar. In Folge der Suchterkrankung dürfe die Klägerin aber nicht im Justizvollzugskrankenhaus tätig werden, um dort gerade häufig selbst unter einer Sucht leidende Patienten zu behandeln. Insofern fehle ihr schon wegen ihrer eigenen gesundheitlichen Problematik die notwendige emotionale Distanz zu dem Patienten.

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei vorliegend weder zielführend, noch sonst sinnvoll und folglich entbehrlich gewesen, weil die Klägerin stets eine Suchterkrankung kategorisch in Abrede gestellt habe. Die Einsicht, unter einer Suchterkrankung zu leiden, sei aber Grundvoraussetzung für eine nur freiwillig mögliche Therapie.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des beklagten Landes im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 11.04.2019 (Bl. 334-341 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 17.06.2019 ein "psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten in freier Form" von Herrn Dr. Dirk O., W., zur Gerichtsakte gereicht, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 349 ff. d. A. Bezug genommen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 17.06.2019.

Gründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist zwar form- und fristgerecht eingelegt worden; allerdings genügt die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderun-gen, so dass die Berufung bereits unzulässig ist.

Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Um-stände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Begründung der Berufung auch im Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anwendbar.

Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die Rege-lung des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungskläger die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dadurch soll bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt werden. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den Streitfall zugeschnitten sein. Eine schlüssige Begründung kann zwar nicht verlangt werden. Jedoch muss sich die Berufungsbegründung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 23.11.2017 - 8 AZR 458/16; 26.04.2017- 10 AZR 275/16; 27.12.2016 - 2 AZR 613/14; 19.02.2013 - 9 AZR 543/11; 16.05.2012 - 4 AZR 245/10 -; 18.05.2011 - 4 AZR 552/09 -; BAG 15.03.2011 - 9 AZR 813/09 - Rn. 11, m. w. N., AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 44; BGH 22.01.2019 - XI ZB 9/18; LAG Rheinl.-Pfalz 25.09.2017 - 3 Sa 249/17, Beck RS 2017, 144194; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts, 15. Auflage 2019, Kap. 15, Rn. 720 ff.). Erforderlich ist die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger weshalb bekämpft (BGH 22.01.2019 - XI ZB 9/18; 07.06.2018/I ZB 57/17, NJW 2018, 2894; 11.10.2016/XI ZB 32/15 NJW-RR 2017, 365).

Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin nicht. Denn sie besteht lediglich aus einer zusammenfassenden Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens. Eine Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung findet nicht statt, außer dass deutlich wird, dass die Klägerin in allen Einzelpunkten mit dieser nicht einverstanden ist. Insofern wird die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht formelhaft gerügt und lediglich das erstinstanzliche Vorbringen zusammengefasst wiederholt bzw. darauf verwiesen.

Folglich ist die Berufung bereits unzulässig.

II.

Unbeschadet dessen erweist sich die Berufung der Klägerin auch als unbegründet.

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis, als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche ordentliche, personenbedingte Kündigung des beklagten Landes das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.03.2018 beendet hat, also rechtswirksam, weil sozial gerechtfertigt i. S. d. § 1 KSchG ist.

Folglich war die Berufung der Klägerin voll umfänglich zurückzuweisen.

Die ordentliche Kündigung vom 06.11.2017 ist durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt und deshalb i. S. v. § 1 Abs. 2, Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.

Die Kündigung wegen Suchterkrankungen (Alkohol, Drogen) ist nach den für die krankheitsbedingte Kündigung entwickelten Grundsätzen zu beurteilen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich z. B. der Alkoholsüchtige in einem Stadium befindet, in dem der Trunksucht ein medizinischer Krankheitswert zukommt (s. BAG 20.12.2012 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 31).

Nach der Rechtsprechung des BAG (07.11.2002 EzA § KSchG Krankheit Nr. 50; 19.04.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53; 08.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54) ist eine krankheitsbedingte Kündigung im Rahmen einer dreistufigen Überprüfung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn aufgrund

- objektiver Umstände (insbes. bisheriger Fehlzeiten) bei einer lang anhaltenden Erkrankung mit einer weiteren Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit bzw. bei häufigeren Kurzerkrankungen auch weiterhin (Wiederholungsgefahr) mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten gerechnet werden muss (negative Gesundheitsprognose):

- die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers führen (erhebliche betriebliche Auswirkungen haben) und

- sich im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt (s. DLW Dörner, Handbuch des Arbeitsrechts, 15. Aufl. 2019, Kap. 4), Rdrn. 2121 ff.).

Zu beachten ist des Weiteren das das gesamte Kündigungsrecht beherrschende Verhältnismäßigkeitsprinzip: Auch eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden kann (z. B. durch Qualifikation des Arbeitnehmers zur Bedienung neu angeschaffter Maschinen: LAG Hamburg. 03.04.2009 - 6 Sa 47/08. AuR 2009. 319), d. h. wenn die Kündigung zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (BAG 10.06.2010 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 25).

Auch bei personenbedingten Kündigungen ist also unter Anwendung des Ultima-Ratio-Prinzips nach milderen Mitteln zur Erreichung künftiger Vertragstreue zu suchen; hierfür kommen sowohl eine Abmahnung bei steuerbarem Verhalten als auch eine Versetzungsmöglichkeit in Betracht.

Voraussetzung für die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung ist zunächst eine begründete Gesundheitsprognose. Denn eine Kündigung stelle keine Sanktion für vergangenheitsbezogenes Fehlverhalten dar, sondern ist nur ein Instrument, um betriebswirtschaftlich unvertretbaren Besetzungen von Arbeitsplätzen für die Zukunft zu begegnen. Dafür muss der Arbeitnehmer Fehlzeiten infolge Krankheit in voraussichtlich so großem Umfang aufweisen, dass diese zu erheblichen und deshalb dem Arbeitgeber letztlich nicht mehr zumutbaren betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Störungen führen würden. Beide Komponenten (Prognose krankheitsbedingter Fehlzeiten und die Prognose erheblicher betrieblicher und /oder wirtschaftlicher Belastungen) bilden den Kündigungsgrund (BAG 25.11.1982 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10).

Eine negative Gesundheitsprognose liegt dann vor, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (BAG 25.11.1982 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10) aufgrund objektiver Tatsachen damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft seinem Arbeitsplatz krankheitsbedingt in erheblichem Umfang (aufgrund häufiger Kurzerkrankungen oder aufgrund einer lang anhaltenden Erkrankung) fernbleiben wird (s. BAG 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015, 931).

Für diese Prognose spielen die bisherigen, objektiv feststellbaren Krankheitszeiten keine unmittelbare, allerdings eine mittelbare Rolle. Insoweit können auch vergangenheitsbezogene Fehlzeiten eine negative Gesundheitsprognose begründen.

Eine danach begründete negative Gesundheitsprognose des Arbeitgebers kann der Arbeitnehmer dadurch entkräften, dass er darlegt, aufgrund welcher Umstände (etwa eine bevorstehende Operation, der fortgeschrittene Heilungsprozess, ggf. die Entdeckung eines neuartigen Heilmittels) mit seiner alsbaldigen Genesung und der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist (BAG 06.09.1989 NZA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26: LAG Schleswig-Holstein 11.03.2008 NZA-RR 2008, 518) oder inwieweit eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht, die keine Fehlzeiten erwarten lässt (s. BAG 19.04.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53). Dem wird er allerdings kaum nachkommen könne, wenn er selbst seinen Gesundheitszustand und die weitere gesundheitliche Entwicklung negativ einschätzt (unklar LAG München 29.11.2007).

Nach der Rechtsprechung des BAG (10.11.2005 - 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655: 08.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54; 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015, 931) ist die krankheitsbedingte Kündigung wie auch die personenbedingte Kündigung im Übrigen nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich im Einzelfall nach Maßgabe einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aufgrund der prognostizierten Belastung eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt, so dass die prognostizierten betrieblichen Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht (mehr) hinzunehmen sind.

Diese Interessenabwägung muss also insbes. alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigen. Sie muss vollständig sein, sie darf keine Widersprüche aufweisen.

Welche Umstände gegeneinander jeweils abzuwägen sind, richtet sich u. a. nach der Art des Kündigungsgrundes. Es ist daher nicht möglich, einen Katalog von wesentlichen Umständen aufzustellen, der in jedem Einzelfall der Interessenabwägung zugrunde zu legen ist (BAG 15.01.1970, 04.11.1981 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 9; 08.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54; 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60 = NZA 2015, 931).

Von maßgeblicher Bedeutung sind allerdings auch bei der personenbedingten Kündigung jedenfalls die Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, das Ausmaß der Unterhaltsverpflichtungen sowie die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers (BAG 20.01.2000 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47; 08.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54; 20.11.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 60).

Zugunsten des Arbeitgebers sind insbes. die betrieblichen Beeinträchtigungen, die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten und die Kosten für eine Personalreserve zu berücksichtigen (BAG 16.02.1989 - 2 AZR 299/88, NZA 1989, 923; 29.07.1993 - 2 AZR 155/93, NZA 1994, 67).

Ob die finanzielle Belastung des Arbeitgebers - insbes. durch die nach der negativen Gesundheitsprognose in Zukunft aufzuwendenden Entgeltfortzahlungskosten - dem Arbeitgeber noch zumutbar sind, hängt insbes. von der Dauer des ungestörten Bestandes des Arbeitsverhältnisses ab.

Je länger das Arbeitsverhältnis ungestört i. S. d. Nichtvorliegens krankheitsbedingter Fehlzeiten bestanden hat, desto mehr Rücksichtnahme ist vom Arbeitgeber zu erwarten (ABG 15.02.1984 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15; 08.11.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54) und desto eher sind dem Arbeitgeber die nunmehr durch Fehlzeiten entstehenden betrieblichen Belastungen zuzumuten.

Im Rahmen der Interessenabwägung ist ferner zu prüfen, ob dem Arbeitgeber (weitere) Maßnahmen zur Überbrückung von Fehlzeiten des erkrankten Arbeitnehmers zumutbar sind oder nicht.

Die Möglichkeit der Einstellung von Aushilfskräften ist bei Kurzerkrankungen gegenüber lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeitszeiten jedoch eingeschränkt (BAG 23.06.1983 EzA § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 12). Wesentlich ist in diesem Zusammenhang im Übrigen, in welchem Umfang der Arbeitgeber eine betriebliche Personalreserve vorbehält.

Je größer diese Personalreserve ist, umso weniger weitere Überbrückungsmaßnahmen sind dem Arbeitgeber allerdings zuzumuten (BAG 16.02.1989 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25; 06.09.1989 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 27).

Für krankheitsbedingte Kündigung ergibt sich folgende abgestufte Darlegungs- und Beweislast, die aus der in § 138 Abs. 2 ZPO angeordneten Wechselwirkung des gegenseitigen Parteivortrags folgt (BAG 06.09.1989 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26, 27):

Zunächst muss der Arbeitgeber neben den krankheitsbedingten Fehlzeiten die Tatsachen darlegen, aus denen sich ergeben soll, dass der Arbeitnehmer noch auf nicht absehbare Zeit krank ist oder mit häufigeren Kurzerkrankungen in erheblichem Umfang gerechnet werden muss und durch diese zu erwartende Nichtbesetzung des Arbeitsplatzes betriebliche Störungen bzw. wirtschaftliche Belastungen eintreten, die für den Arbeitgeber unzumutbar sind.

Dabei kann sich der Arbeitgeber wegen der erforderlichen Prognose zunächst darauf beschränken, Art und Dauer der bisherigen Erkrankungen anzugeben, sofern ihm Tatsachen, die eine genaue Gesundheitsprognose zulassen, unbekannt sind.

Zu berücksichtigen ist, dass der vergangenheitsbezogenen lang andauernden Erkrankung eine gewisse Indizwirkung für die Zukunft zukommt.

Andererseits kann aus der Dauer der Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit noch nicht unmittelbar auf die Dauer der Fehlzeiten in der Zukunft geschlossen werden.

Daraufhin hat der Arbeitnehmer darzulegen, weshalb mit seiner alsbaldigen Genesung bzw. warum in Zukunft mit weniger häufigen Erkrankungen zu rechnen ist (z. B. aufgrund einer durchgeführten oder bevorstehenden Operation, eines fortgeschrittenen Heilungsprozesses, vgl. LAG Schleswig-Holstein 14.10.2002 ARST 2003, 190 LS; LAG Schleswig-Holstein 11.03.2008 NZA-RR 2008, 518). Bei häufigen Kurzerkrankungen ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei ihnen gerade regelmäßig eine alsbaldige Genesung eintritt.

Stehen die in der Vergangenheit angefallenen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers, ihre jeweilige Dauer und ihre Ursache fest, so hat der Tatrichter nach § 286 ZPO zu entscheiden, ob die Umstände die Annahme entsprechender Ausfälle in Zukunft rechtfertigen. Maßgeblich ist die objektive Sachlage z. Z. des Zugangs der Kündigung.

Für die Tatsachen, aus denen sich die erheblichen und unzumutbaren betrieblichen Störungen bzw. Belastungen ergeben sollen, ist der Arbeitgeber in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig, da insoweit von ihm die notwendige volle Sachkenntnis erwartet werden kann.

Zu beachten ist, dass der Arbeitgeber z. B. die aufgetretenen Störungen nach Ort, Datum, Verlauf und Auswirkungen konkret schildern muss. Schlagewortartige Umschreibungen, wie "es traten Produktionsstörungen auf" genügen nicht.

Soweit Entgeltfortzahlungskosten als erhebliche betriebliche (wirtschaftliche) Belastungen i. S. d. Kündigungsschutzrechts anerkannt werden, muss dies der Arbeitgeber in vollem Umfang darlegen und beweisen hinsichtlich Art, Umfang und Dauer der Entgeltfortzahlungskosten sowie deren Prognose, d. h. des Auftretens entsprechender Belastungen in der Zukunft.

Ist im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt, diese durch mildere Mittel - etwa eine Versetzung - nicht abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (BAG 20.12.2012 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 31 = NZA-RR 2013, 627; 20.03.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 58 = NZA 2014, 602).

Aus den Besonderheiten z. B. der Alkoholabhängigkeit kann sich jedoch die Notwendigkeit ergeben, an die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Alkoholabhängigkeit geringere Anforderungen zu stellen (BAG 09.04.1987 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 18; vgl. auch BAG 17.06.1999 EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 4 "hohe Rückfallgefahr nach einer zunächst erfolgreichen Entziehungskur"; BAG 20.12.2012 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 31 = NZA-RR 2013, 627, LAG Berlin-Brandenburg. 12.08.2014 LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 28; abl. Fleck/Körtel BB 1995, 722; vgl. auch Raab RdA 2000, 147 ff.; Lepke Kündigung bei Krankheit Rn. 232 ff.; Künzl/Sinner NZA-RR 2013, 561 ff.).

Dabei wird die Prognose wesentlich davon bestimmt, in welchem Stadium der Sucht sich der Arbeitnehmer befindet, in welcher Weise sich frühere Therapien auf den Zustand des Arbeitnehmers ausgewirkt haben, ob er vor Ausspruch der Kündigung therapiebereit war und ob eine solche Therapie aus medizinischer Sicht eine gewisse Erfolgsaussicht hat. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. d. R. vor Ausspruch einer Kündigung die Chance zu einer Entziehungskur geben (BAG 17.06.1999 EzA § 1KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 4; LAG Hamm 21.09.2007 - 7 Sa 916/07, AuR 2008, 75 LS; ArbG Rosenheim 15.02.2011 - 4 Ca 224/10, AuR 2011, 502 LS; s. Nicolai SAE 2000, 98 ff.); eine Entziehungskur ist insoweit nicht gleichzusetzen mit einer Entgiftung, selbst wenn sie mehrmals erfolgen sollte. Sie ist auch nicht schon durch eine sechsmalige Teilnahme an Einzel- oder Gruppengesprächen der ambulanten Selbsthilfe abgeschlossen (LAG Hamm 21.09.2007 - 7 Sa 916/07, AuR 2008, 75 LS). Andererseits ist eine negative Prognose jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn bei häufigen Fehlzeiten aufgrund einer Alkoholsucht zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund mehrerer fehlgeschlagener Entzugstherapien auch weiterhin mit einer Rückfallgefahr zu rechnen ist (LAG Schleswig-Holstein 24.07.2001 - 3 Sa 317/01; LAG Köln 17.05.2010 NZA-RR 2010, 518). Umgekehrt führt aber ein Rückfall nicht automatisch zu einer negativen Prognose (LAG Berlin-Brandenburg 17.08.2009 LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 24; 05.09.2012 - 15 Sa 911/12, AuR 2013, 97 LS; s. a. BAG 20.12.2012 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 31 = NZA-RR 2013, 627).

Ist der Arbeitnehmer zur Zeit der Kündigung nicht therapiebereit, so kann davon ausgegangen werden, dass er von dieser Krankheit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird (LAG Rheinland-Pfalz 27.03.2008 - 10 Sa 669/07, EzA-SD 25/2008 S. 3 LS; vgl. ausf. Künzl NZA 1998, 122 ff.). Eine von ihm nach Ausspruch der Kündigung durchgeführte Therapie und ihr Ergebnis können daher nicht zur Korrektur der Prognose herangezogen werden (BAG 09.04.1987 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 18; vgl. auch LAG Köln 12.03.2002 LAGE § 626 BGB Nr. 140).

Gelingt es dem Arbeitgeber andererseits nicht, den Nachweis zu führen, dass die vom Arbeitnehmer im Zeitpunkt der wegen Alkoholabhängigkeit ausgesprochenen Kündigung bereits angesprochene Therapie, der er sich zu keinem Zeitpunkt widersetzt hat und die möglicherweise auch zu einem nachhaltigen Erfolg führen könnte, keine Heilung seines Leidens bringen könnte, ist der dem Arbeitgeber zufallende Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose als Voraussetzung einer krankheitsbedingten Kündigung nicht geführt (LAG Rheinland-Pfalz 20.03.2008 - 2 Sa 612/17, EzA-SD 24/2008 S. 3 LS).

Die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen muss sich nicht aus der Dauer zu erwartender krankheitsbedingter Fehlzeiten ergeben (BAG 20.03.2014 EZA § 1 KSchG Krankheit Nr. 58 = NZA 2014, 602). Sie kann bei einem Therapeuten in einer Suchtklinik auch darin bestehen, dass wegen zu befürchtender Alkoholauffälligkeiten während der Arbeitszeit eine sachgerechte Behandlung der Patienten nicht mehr gewährleistet ist. Dabei kann zu berücksichtigen sein, dass es dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist, der Gefahr einer Alkoholisierung des Klägers dauerhaft durch verstärkte Kontrollen zu begegnen. Eine effektive Kontrolle hätte stattzufinden, bevor es zu einem Kontakt mit den Patienten kommt. Sie vorzunehmen ist auf Dauer aber kaum möglich, dem Beklagten jedenfalls nicht zumutbar, weil der Kläger - im konkret entschiedenen Einzelfall - rückfälliger Alkoholiker und davon auszugehen war, dass er es darauf anlegen würde, Mittel und Wege zu finden, etwaige Kontrollen zu umgehen (BAG 20.12.2012 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 31 = NZA-RR 2013, 627).

Im Rahmen der Interessenabwägung (s. BAG 20.03.2014 NZA 2014,602) ist allerdings - stärker als bei sonstigen Erkrankungen - zu berücksichtigten, dass gerade der Süchtige in besonderem Maße eines möglichst intakten sozialen Umfeldes bedarf, um überhaupt eine Chance zu haben, sich von seiner Sucht zu befreien.

Ist der betroffene Arbeitnehmer ernsthaft therapiebereit und verspricht eine solche Therapie wenigstens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Erfolg, so sind dem Arbeitgeber auch für längere Zeit Überbrückungsmaßnahmen zuzumuten, um so den Therapieerfolg nicht zu gefährden.

Jedenfalls ist eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung dann sozial gerechtfertigt, wenn sich auch ein anderer vernünftig denkender Arbeitgeber unter Berücksichtigung erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten wegen Alkoholismus aufgrund einer negativen Gesundheitsprognose und einer Störung des Betriebsablaufs von dem Arbeitnehmer getrennt hätte.

Für das erforderliche Beweismaß der vollen Überzeugung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO gelten nachfolgende Grundsätze:

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Insofern ist das tatsächliche Vorbringen der Beklagten, dass die Klägerin zulässigerweise bestritten hat, nach Maßgabe der vor dem Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme als wahr anzusehen.

Auf der Basis der abgeschlossenen Beweisaufnahme stellt die richterliche Würdigung einen internen Vorgang in der Person der Richter zur Prüfung der Frage dar, ob ein Beweis gelungen ist. Im Rahmen dieses internen Vorgangs verweist § 286 ZPO ganz bewusst auf das subjektive Kriterium der freien Überzeugung des Richters und schließt damit objektive Kriterien - insbesondere die naturwissenschaftliche Wahrheit als Zielpunkt - aus. Die gesetzliche Regelung befreit den Richter bzw. das richterliche Kollegium von jedem Zwang bei seiner Würdigung und schließt es damit auch aus, dass das Gesetz dem Richter vorschreibt, wie er Beweise einzuschätzen und zu bewerten hat. Dabei ist Bezugspunkt der richterlichen Würdigung nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern der gesamte Inhalt der mündlichen Verhandlung (vgl. Münchner Kommentar zur ZPO - Prütting, 4. Auflage 2013, § 286 Rn. 1 ff.).

Hinsichtlich der Anforderungen an die richterliche Überzeugung ist von Folgendem auszugehen: Die richterliche Überzeugung ist nicht gleichzusetzen mit persönlicher Gewissheit. Der Begriff der Gewissheit stellt nämlich absolute Anforderungen an eine Person. Er lässt für - auch nur geringe - Zweifel keinen Raum. Dies wird gesetzlich aber nicht verlangt; die gesetzliche Regelung geht vielmehr davon aus, das Gericht müsse etwas für wahr "erachten". Bei dem Begriff der richterlichen Überzeugung geht es also nicht um ein rein personales Element der subjektiven Gewissheit eines Menschen, sondern darum, dass der Richter in seiner prozessordnungsgemäßen Stellung bzw. das Gericht in seiner Funktion als Streit entscheidendes Kollegialorgan eine prozessual ausreichende Überzeugung durch Würdigung und Abstimmung erzielt. Daraus folgt, dass es der richterlichen Überzeugung keinesfalls im Weg steht, wenn dem Gericht aufgrund gewisser Umstände Unsicherheiten in der Tatsachengrundlage bewusst sind. Unerheblich für die Beweiswürdigung und die Überzeugungsbildung ist auch die Frage der Beweislast. Richterliche Überzeugung ist vielmehr die prozessordnungsgemäß gewonnene Erkenntnis des einzelnen Richters oder der Mehrheit des Kollegiums, dass die vorhandenen Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie Schlüsse ausreichen, die Erfüllung des vom Gesetz vorgesehenen Beweismaßes zu bejahen. Es darf also weder der besonders leichtgläubige Richter noch der generelle Skeptiker ein rein subjektives Empfinden als Maß der Überzeugung setzen, sondern jeder Richter muss sich bemühen, unter Beachtung der Prozessgesetze, Ausschöpfung der gegebenen Erkenntnisquellen und Würdigung aller Verfahrensergebnisse in gewissenhafter und vernünftigerweise einer Entscheidung nach seiner Lebenserfahrung darüber zu treffen, ob im Urteil von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist. Dabei muss sich das Gericht allerdings der Gefahren für jede Wahrheitsfindung bewusst sein.

Dabei ist letzten Endes ausschlaggebend, dass das Gesetz eine von allen Zwei-fein freie Überzeugung nicht voraussetzt. Vielmehr kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946; vgl. Münchner Kommentar zur ZPO - Prütting a. a. O., Rn. 28 ff). Vom Richter wird letztlich verlangt, dass er die volle Überzeugung erlangt, dass er eine streitige Tatsachenbehauptung für wahr erachtet. Diese Überzeugung kann und darf er nicht gewinnen, wenn für die streitige Behauptung nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, vielmehr muss für die behauptete Tatsache eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sprechen, damit der Richter die Tatsache für wahr erachtet.

Die Tatsachengerichte haben nach § 286 Abs. 1 S. 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen (BAG 21.09.2017 - 2 AZR 57/17, EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 101 = NZA 2017, 1524). Für die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO ist ausreichend, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erreicht ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (BAG 25.04.2018 - 2 AZR 611/17, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 17 = NZA 2018, 1405).

Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen - deren Richtigkeit unterstellt - von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Es hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen. Die wesentlichen Grundlagen der Überzeugungsbildung sind nach § 286 Abs. 1 S. 2 ZPO nachvollziehbar darzulegen. Dies erfordert keine ausdrückliche Auseinandersetzung mit allen denkbaren Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, dass überhaupt eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat. Es genügt nicht, allein durch formelhafte Wendungen ohne Bezug zu den konkreten Fallumständen zum Ausdruck zu bringen, das Gericht sei von der Wahrheit einer Tatsache überzeugt oder nicht überzeugt (BAG 25.04.2018 - 2 AZR 611/17, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 17 = NZA 2018, 1405).

Dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO grundsätzlich auch erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist. Er kann im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht - auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt - beweisen kann. Hat die erste Instanz ihre freie Überzeugung nach § 286 ZPO auf eine Parteianhörung gestützt, muss das Berufungsgericht sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung mit dem Ergebnis dieser Parteianhörung auseinandersetzen und die informatorische Anhörung nach § 141 ZPO ggf. selbst durchführen (BGH 27.09.2017 - XII ZR 48/17, NJW-RR 2018, 249).

Für die Würdigung der vom beklagten Land gemäß § 3 Abs. 3 TV-L i.V.m. dem schriftlich zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag angeordneten Anlassuntersuchung der Klägerin (amtsärztliche Untersuchung durch das Gesundheitsamt) gilt ergänzend Folgendes (s. LAG Rheinland-Pfalz 11.03.2004 - 6 Sa 2076/03 - Beck RS 2004, 30463673; BVerwG 15.09.1999 - 1 DB 40.98 - Beck RS 1999, 31353392; 01.03.2000 - 1 DB 13.98 - Beck RS 2000, 31353334; 27.04.2016 - 2 B 23.15 - Beck RS 2016, 46311; VG München 26.03.2019 - 25 E 19.1072 - Beck RS 2019, 4542):

Amtsärztliche Untersuchungen haben gegenüber privatärztlichen Attesten bezüglich der Beurteilung der Dienstfähigkeit grundsätzlich größeren Beweiswert. Dafür sind die in der Regel im Vergleich zu einem Privatarzt besseren Kenntnisse eines beamteten Arztes bezüglich der Belange der Verwaltung und der zu verrichtenden Tätigkeit sowie seine größere Erfahrung bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit maßgebend. Ob und wann einer Gesundheitsstörung Krankheitswert beizumessen ist, mag unter Umständen ein Privatarzt, zumal ein Facharzt, besser beurteilen können. Ob und wann aber eine Störung mit Krankheitswert die Dienstfähigkeit beeinträchtigt, ist eine Frage, deren Entscheidung mit Vorrang dem Amtsarzt oder dem zuständigen Arzt der betroffenen Verwaltung zusteht. Zudem kann ein Amtsarzt von seiner Aufgabenstellung her im Vergleich zu einem Privatarzt, der bestrebt sein wird, das Vertrauen des Patienten zu ihm zu erhalten, unbefangen und auch unabhängig seine Beurteilung abgeben. Der Amtsarzt ist verpflichtet, seine Feststellungen nur unter ärztlichen Gesichtspunkten wahrheitsgemäß und unparteiisch zu treffen. Dieser Neutralität und Unabhängigkeit verleiht neben dem speziellen Sachverstand der Beurteilung durch den Amtsarzt ein höheres Gewicht. Das Gesundheitsamt ist zudem eine staatliche Behörde, die ihre Aufgaben nach Recht und Gesetz zu erfüllen hat. Die dort tätigen Amtsärzte unterliegen den für alle Beamten geltenden Grundpflichten, insbesondere auch der Pflicht, die übertragenen Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen. Das gilt in verstärktem Maße für Gutachten, in denen Fragen des Dienstrechts aus medizinischer Sicht zu beurteilen sind.

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht in der streitgegenständlichen Entscheidung ausgeführt:

1.

Ist im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, der Arbeitnehmer biete auf Grund einer Suchterkrankung dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein (BAG, Urt. v. 20.12.2012 - 2 AZR 32/11, NZA-RR 2013, 627). Dabei ist zu beachten, dass an eine Zukunftsprognose bei Abhängigkeitserkrankungen weniger strenge Anforderungen zu stellen sind als bei sonstigen Erkrankungen (BAG, Urt. v. 09.04.1987 - 2 AZR 210/86, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 18; v. 17.06.1999 - 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328). Voraussetzung ist ferner, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt, diese durch mildere Mittel nicht abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (BAG, Urt. v. 20.12.2012, a.a.O.).

2.

Im Streitfall war im Zeitpunkt der Kündigung die Annahme gerechtfertigt, die Klägerin biete auf Grund ihrer manifesten Suchterkrankung nicht mehr die Gewähr, ihre Tätigkeit als leitende Abteilungsärztin der psychiatrischen Abteilung des JVK des beklagten Landes auf Dauer ordnungsgemäß ausüben zu können. Zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit fehlte der Klägerin die gesundheitliche Eignung (§§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 5 Abs. 2 Satz 2 Bundesärzteordnung (BÄO)).

a)

Die Klägerin ist sowohl aufgrund der Suchterkrankung als auch der depressiven Störung für die von ihr zu erbringende Tätigkeit als leitende Ärztin der psychiatrischen Abteilung, in der u.a. Suchtkranke untergebracht und behandelt werden, nicht einsetzbar. Als Fachärztin für Psychiatrie arbeitet sie eng mit den Patienten zusammen, behandelt diese und entscheidet bspw. über deren Verlegung ins JVK oder in die JVA. Es besteht u.a. die Gefahr, dass die Patienten in ihrem eigenen Kampf gegen die Sucht erheblich beeinträchtigt werden, wenn sie bemerken, dass ihre behandele Ärztin selbst an einer Suchterkrankung leidet. Der Klägerin fehlt zudem die gesundheitliche Eignung zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit: § 3 Abs. 1 Nr. 3 BÄO erfordert ausreichende körperliche und geistige Konstitution und Fehlen einer Suchtkrankheit, sei es Alkoholabhängigkeit, Drogensucht oder Medikamentenabusus (Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BÄO § 3 Rn. 1-4, Beck-online). Gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 BÄO kann die Approbation widerrufen werden, wenn nachträglich die Voraussetzung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3

BÄO weggefallen ist.

b)

Aufgrund des Ergebnisses der amtsärztlichen Untersuchung war im Zeitpunkt der Kündigung die negative Prognose gerechtfertigt, die Klägerin sei auch künftig für die ausgeübte Tätigkeit nicht geeignet und mit einer Besserung ihres Gesundheitszustandes sei nicht zu rechnen. Die Prognose bestätigte sich auch in dem Personalgespräch mit der Klägerin im Vorfeld des Ausspruchs der Kündigung am 29.09.2017, in dem die Klägerin sowohl ihre Suchtproblematik als auch einen Behandlungsbedarf abgestritten hat. Ohne eine erfolgreiche Therapie war von einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit sowie vom dauerhaften Fehlen der gesundheitlichen Eignung auszugehen.

aa)

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die die Klägerin untersuchende Amtsärztin zum eindeutigen Ergebnis gekommen ist, dass bei der Klägerin eine manifeste Suchterkrankung vorliegt. Die Diagnose lautet Polytoxikomanie mit Alkoholabusus, d. h. eine Form von Alkoholabhängigkeit, und Benzodiazepinkonsum. Hinzu kommen depressive Störungen. Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt im Nachgang zur amtsärztlichen Untersuchung bzw. im Nachgang zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens dargelegt und nachgewiesen, sich einer Therapie unterzogen zu haben. Vielmehr hat die Klägerin vehement, so auch im Verlaufe des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, die diagnostizierten Erkrankungen und einen Behandlungsbedarf bestritten. Es ist daher davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Kündigung eine manifeste Suchterkrankung fortbestand.

bb)

Die Kammer ist von der Richtigkeit des amtsärztlichen Gutachtens in seinem Kerngehalt überzeugt. Die Ungenauigkeiten, auf die sich die Klägerin beruft und die teilweise im Gutachten zu finden sein mögen und die insbesondere eigene Angaben der Klägerin im Rahmen der Anamnese betreffen, wie beispielsweise Angaben zu ihrem beruflichen Werdegang oder zu ihrer Kurzsichtigkeit, sowie das falsche Datum der Untersuchung, ändern daran nichts. Diese Ungenauigkeiten sind für die gestellte Diagnose sowie die Beantwortung der Zielfragen unerheblich. Insbesondere nach der erfolgten Beweisaufnahme steht für die Kammer fest, dass die gestellten Diagnosen sowie das Ergebnis der Untersuchung, die Klägerin sei in ihrer bisherigen Position als Leiterin der psychiatrischen Abteilung nicht einsetzbar, zutreffend sind. Die als sachverständige Zeugin vernommene Amtsärztin hat widerspruchsfrei erklärt und bestätigt, wie sie zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Klägerin an einer Polytoxikomanie leidet und für die Ausübung ihrer Tätigkeit ungeeignet ist, so lange sie sich nicht einer Behandlung unterzieht. Die Zeugin hat insbesondere erklärt, dass ihre Diagnosen zwar auch auf den Laborwerten, aber insbesondere auf dem von ihr beobachteten Verhalten der Klägerin während der Untersuchung beruhen.

Die Laborwerte sowie die Aussagen der Klägerin beispielsweise zu ihrem Alkoholkonsum haben einen Alkoholabusus zu Tage gefördert: Der durch das beauftragte Labor ermittelte CDT-Wert deutete auf einen täglichen Konsum von 60 g oder mehr reinen Alkohols über einen längeren Zeitraum. Dies entspricht beispielsweise einer Flasche Wein oder mindestens drei Flaschen Bier am Tag. Die Klägerin hat selbst erklärt, abends täglich drei Bier getrunken zu haben. Bereits dies deutet auf einen Alkoholabusus hin.

Noch aussagekräftiger war jedoch die am Untersuchungstag entnommene Urinprobe der Klägerin in Bezug auf die nachgewiesene Einnahme eines Benzodiazepins und die widersprüchlichen Aussagen der Klägerin zu diesem Befund. Die Amtsärztin hat sowohl im schriftlichen Gutachten als auch im Rahmen der Beweisaufnahme erläutert, dass sie die Klägerin ausdrücklich gefragt hatte, ob diese Psychopharmaka eingenommen hätte. Die Klägerin antwortete darauf, nur die ihr verschriebenen Medikamente (Pregabalin und Venlafaxin) eingenommen zu haben.

Die Einnahme eines Benzodiazepins hat die Klägerin verschwiegen. In einem einige Zeit nach der Untersuchung stattgefundenen Telefonat teilte die Klägerin der Amtsärztin mit, kurz vor der Untersuchung ein Benzodiazepin gegen eine Panikattacke eingenommen zu haben. Im hiesigen Verfahren hat die Klägerin sodann vorgetragen, nach Beginn der Untersuchung und auf dem Weg zum Labor ein Benzodiazepin eingenommen zu haben. Dabei wurde die Klägerin nach widerspruchsfreier Aussage der Zeugin durch diese während des gesamten Untersuchungstermins und auf dem Weg zum Labor nicht aus den Augen gelassen, so dass diese ausschließen konnte, dass die Klägerin unmittelbar auf dem Weg ins Labor ein Psychopharmakon eingenommen hat. Diese Aussage der Klägerin würde zudem nicht zu den Laborwerten passen: Im Urin wäre ein Benzodiazepin noch gar nicht nachweisbar gewesen, hätte die Klägerin eine Tablette kurz vor Abgabe der Urinprobe eingenommen. Dies bedeutet wiederum, dass die Klägerin sowohl gegenüber der Amtsärztin als auch im Prozess unwahre Angaben gemacht haben muss.

Für eine Benzodiazepinabhängigkeit spricht neben der Tatsache, dass dieses Medikament sehr schnell, d.h. binnen weniger Wochen, abhängig macht, insbesondere der Umstand, dass die Klägerin nicht abstinent bleiben konnte, obwohl sie im Vorfeld von der Untersuchung wusste. Dieser Umstand spricht ebenso für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit.

Das Bestreiten der Klägerin, an Suchterkrankungen zu leiden, sowie das Verharmlosen ihrer depressiven Störung und ihrer Alkoholabhängigkeit sind somit als reine Schutzbehauptungen anzusehen.

cc)

Dem Ergebnis des amtsärztlichen Gutachtens steht auch das seitens der Klägerin vorgelegte ärztliche Attest eines Internisten vom 09.11.2017 nicht entgegen. Es kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob es sich lediglich um ein Gefälligkeitsattest eines Kollegen handelt und auf welcher Grundlage dieses Attest erstellt wurde. Denn die Kammer folgt der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 15.09.1999 - 1 DB 40/98) sowie des LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 11.03.2004 - 6 Sa 2076/03), wonach den amtsärztlichen Äußerungen gegenüber privatärztlichen Attesten bezüglich der Beurteilung der Dienstfähigkeit grundsätzlich ein größerer Beweiswert zukommt, weil der beamtete Arzt bezüglich der Belange der Verwaltung und des öffentlichen Dienstes bessere Kenntnisse im Vergleich zu demjenigen des Privatarztes besitzt. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Beschluss zudem aus, dass ein Facharzt als Privatarzt vielleicht besser beurteilen kann, wann einer Gesundheitsstörung Krankheitswert zukommt, der Amtsarzt jedoch die vorrangige Entscheidung zu treffen hat, ob und wann eine Störung den Krankheitswert der Dienstfähigkeit beeinträchtigt. Auch bezüglich der Stellung eines Privatarztes zu seinen Patienten und dem Amtsarzt gegenüber geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Amtsarzt von seiner Stellung her unabhängiger und neutraler den unterbreiteten Sachverhalt beurteilen kann. In diesem Zusammenhang kann nicht außer Acht gelassen werden, dass gegen den Internisten Dr. med. K. ein Ermittlungsverfahren wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse anhängig ist, so dass zumindest Zweifel an der Richtigkeit des besagten Attests angezeigt sind. Zudem ist Herr Dr. K. kein Facharzt für Psychiatrie, sondern ein Internist. Dagegen hat die Kammer sich von der Unabhängigkeit, der Neutralität und der Sachkunde der Amtsärztin Frau Dr. Patricia A. in einer umfangreichen Beweisaufnahme überzeugt.

dd)

Nach dem Vorbringen der Klägerin ist schließlich nicht ersichtlich, warum für die Zukunft gleichwohl mit weiteren Beeinträchtigungen durch ihre Suchterkrankung nicht zu rechnen gewesen sei. Sie hat nicht etwa behauptet, dass sie vor Ausspruch der Kündigung eine erfolgreichere Entwöhnungsbehandlung oder Therapie durchgeführt habe. Ohne eine solche Therapie ist der Einsatz der Klägerin als leitende Ärztin undenkbar.

3.

Aus dem Umstand, dass eine auf Dauer ordnungsgemäße Leistungserbringung der Klägerin nicht zu erwarten war bzw. der Klägerin auf Dauer die gesundheitliche Eignung fehlte, folgt eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen.

a)

Die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt bereits daraus, dass wegen der bei der Klägerin auch künftig bestehenden Suchterkrankung eine sachgerechte Behandlung der Patienten nicht gewährleistet war. Eine psychiatrische Abteilung eines JVK ohne die einzige Fachärztin zu betreiben, ist auf Dauer nicht möglich und für das beklagte Land nicht hinnehmbar. Es hat gegenüber Patienten und der Gesellschaft die Pflicht, schädliche Einflüsse auf den Behandlungserfolg möglichst auszuschließen. Da die Klägerin die einzige Psychiaterin in der psychiatrischen Abteilung des JVK ist, stellt ihr Fehlen eine besondere Belastung für den Betriebsablauf dar. Die Versorgung der Patienten ist dadurch nicht sichergestellt. Eine dauerhafte Vertretung ist nicht gewährleistet.

b)

Zudem stellt die Klägerin aufgrund ihrer Suchterkrankungen ein Sicherheitsrisiko in einem Betrieb des Strafvollzugs dar (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 der Dienstvereinbarung "Substanzbezogene Störungen am Arbeitsplatz (Alkohol, Medikamente, Drogen)" vom 01.07.2012). Sie darf nicht beschäftigt werden, wenn sie unter dem Einfluss der o.g. Substanzen steht, was vorliegend der Fall ist.

c)

Auch hohe Entgeltfortzahlungskosten für mehrere Monate, die das beklagte Land unwidersprochen dargelegt hat, stellen eine nicht hinnehmbare Belastung dar.

4.

Eine andere Möglichkeit, die Klägerin zu beschäftigen, bestand nach dem Vorbringen des beklagten Landes nicht. Auch die Klägerin hat sich auf eine solche Möglichkeit nicht berufen. Das beklagte Land trifft insoweit nicht deshalb eine erhöhte Darlegungslast, weil es vor der Kündigung kein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX durchgeführt hat. Die Durchführung eines bEMs ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung (BAG, Urt. v. 12.07.2007 - 2 AZR 716/06, NZA 2008, 173). Wie das beklagte Land zutreffend ausgeführt hat, war die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements vorliegend entbehrlich, denn es hätte zu keinem positiven Ergebnis geführt. Die Klägerin hat sowohl im Zeitpunkt der amtsärztlichen Untersuchung als auch im Personalgespräch als auch zum Zeitpunkt der Kündigung vehement bestritten, an einer Suchterkrankung zu leiden, und jegliche Therapie abgelehnt. Ohne eine erfolgreiche Therapie ist jedoch eine Weiterbeschäftigung als Ärztin nicht denkbar.

5.

Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt, dass die Belange des beklagten Landes überwiegen. Die mit der nicht beherrschten Medikamenten- sowie Alkoholabhängigkeit der Klägerin einhergehenden Belastungen muss das beklagte Land auf Dauer nicht hinnehmen. Es ist dem beklagten Land nicht zuzumuten, eine Ärztin in einer leitenden Position weiterzubeschäftigen, der eine gesundheitliche Eignung fehlt und die sich weigert, ihre gesundheitlichen Probleme einzugestehen.

Zwar ist ihre langjährige Betriebszugehörigkeit zu ihren Gunsten zu berücksichtigen. Jedoch überwiegt der Umstand, dass das beklagte Land alle Anstrengungen unternommen hat, um der Klägerin eine Therapie zu ermöglichen. Nach dem jedoch die Klägerin sämtliche Erkrankungen bestritten und einen Behandlungsbedarf abgelehnt hatte, blieb dem beklagten Land nichts anderes übrig, als eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Es ist dem beklagten Land unzumutbar, die Klägerin weiterhin zu beschäftigen. Das beklagte Land hat Pflichten gegenüber den im JVK untergebrachten, oft selbst an einer Suchterkrankung leidenden Patienten, die es in die Obhut der Klägerin als Leiterin der Psychiatrie stellt. Schließlich hat das beklagte Land auch seine Fürsorgepflichten gegenüber der Klägerin zu beachten: Diese ist arbeitsunfähig und darf in einer dermaßen verantwortungsvollen Position nicht eingesetzt werden, um ihre Erkrankung nicht noch zu verschlimmern."

Diesen Ausführungen folgt die Kammer voll inhaltlich und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts. Denn es enthält keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Gleiches gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Es macht vielmehr lediglich - wenn auch aus der Sicht der Klägerin heraus verständlich - deutlich, dass die Klägerin mit der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Rechtszug und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, dem Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung usw. durch das Arbeitsgericht, der die Kammer vollinhaltlich folgt, nicht einverstanden ist.

Soweit die Klägerin die negative Gesundheitsprognose in Zweifel zieht, setzt sie sich weder mit dem Inhalt des amtsärztlichen Gutachtens und der Zeugenaussage der Gutachtenerstellerin im Einzelnen, noch insbesondere, was notwendiger Inhalt der Berufungsbegründung ist, mit der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung in der streitgegenständlichen Entscheidung inhaltlich auseinander. Die Richtigkeit der vom Arbeitsgericht angenommenen Zwischenergebnisse wird ohne substantiierte nähere Begründung in Zweifel gezogen und auf das vom Arbeitsgericht ausführlich beschiedene erstinstanzliche Vorbringen verwiesen. Warum die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten sein soll, erschließt sich mangels jeglichen näheren substantiierten tatsächlichen Vorbringens der Klägerin in Auseinandersetzung mit dem amtsärztlichen Gutachten, der Zeugenaussage und der ausführlich begründeten erstinstanzlichen Entscheidung nicht. Soweit die Klägerin bemängelt, die Untersuchung habe am 14. Juli 2017 stattgefunden und die streitgegenständliche Kündigung sei erst am 06. November 2017 erfolgt, die Begutachtung könne also nicht für die rechtliche Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung zum Zeitpunkt ihres Zugangs maßgeblich sein, folgt die Kammer dem nicht. Angesichts des amtsärztlich festgestellten manifesten Krankheitsbildes ist vielmehr davon auszugehen, dass es Sache der Klägerin gewesen wäre, im Einzelnen unter vorsorglichen Beweisantritt substantiiert darzulegen, welche therapeutischen Maßnahmen in diesem Zeitraum zur Behandlung der von ihr freilich insgesamt in Abrede gestellten Erkrankungen erfolgt sind, von welchen Ärzten sie therapiert wurde und wie und inwieweit diese festgestellt haben, dass sie bis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vollständig genesen war. Daran fehlt es. Im Übrigen steht das Vorbringen der Klägerin insoweit in Widerspruch zu ihrem eigenen prozessualen Verhalten; mit ihrem Gutachten vom 07. Juni 2019 meint die Klägerin andererseits, nachdem die Ergebnisse einer Untersuchung vom 14. Juli 2017 für den Zeitpunkt 06. November 2017 nicht maßgeblich sein können, Aussagen rückwirkend über einen Zeitraum von 19 Monaten treffen können zu lassen. Insgesamt hat das Arbeitsgericht eine manifeste Suchterkrankung nicht unterstellt, sondern anhand des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Rechtszug mit ausführlicher Begründung angenommen; substantiiertes tatsächliches Vorbringen der Klägerin dazu fehlt im Berufungsverfahren vollständig. Soweit auch im weiteren Fortgang (S. 4 f. der Berufungsbegründung) die Klägerin statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung und deren Begründung die angenommenen Abhängigkeiten in Abrede stellt, ist darauf hinzuweisen, dass, worauf das beklagte Land zutreffend hingewiesen hat, für das vom Arbeitsgericht gefundene Ergebnis auch die Tatsache spricht, dass die Klägerin seit dem 09. Februar 2018 sich wiederum in einer stationären Behandlung befunden hat. Insgesamt hat die Klägerin also nicht einmal substantiiert bestritten, dass die gutachterlich festgestellten Abhängigkeiten bei ihr vorliegen. Es fehlt des Weiteren an substantiiertem tatsächlichem Vorbringen dazu, wie andernfalls sich die von der Amtsärztin bei der Untersuchung festgestellten vermehrten Erythrozyten und vor allem die erhöhten Leberenzymwerte erklären könnten. Zwar ist die Klägerin selbst Fachärztin für Psychiatrie und daher qualifiziert, das Gutachten der Amtsärztin bzw. gerichtlicher Sachverständiger zu bewerten. Allerdings handelt es sich bei Frau Dr. A. nicht nur um eine Fachärztin, sondern um die zuständige Amtsärztin. Zudem ist die Klägerin selbst Partei des Verfahrens, so dass ihren eigenen medizinischen Einschätzungen weniger Gewicht im Vergleich zu der medizinischen Bewertung durch die Amtsärztin und Fachärztin Frau Dr. A. zukommen kann. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin wiederholt ihre Arbeitskraft angeboten hat. Denn das Vorliegen der Arbeitsfähigkeit ist zur vollen Überzeugung der Kammer gemäß § 286 ZPO mit den Gründen der streitgegenständlichen arbeitsgerichtlichen Entscheidung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu verneinen gewesen. Etwas anderes folgt keineswegs aus dem von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Attest des Dr. G. vom 07. Oktober 2017. Denn dieses Attest enthält zum einen keinerlei nähere inhaltliche Begründung, es lässt nicht erkennen, wie es zustande gekommen ist. Des Weiteren ist der Urheber des Attestes nicht Facharzt für Psychiatrie, sondern Internist. Schließlich wurde von der Praxis Dr. G. ausweislich Bl. 47 d.A. mitgeteilt, es lägen dort keine Befundberichte in Bezug auf die Klägerin vor. Deshalb bleibt unklar, wie zuverlässig ein derartiges Attest sein kann, wenn es von einer Praxis ausgestellt wird, in welcher für den fraglichen Zeitraum und auch nicht bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem ein früheres Attest ausgestellt wurde (17.06.2017), keinerlei Befunde vorliegen. Dem zwischenzeitlich eingestellten Ermittlungsverfahren gegen Herrn Dr. G. wird insoweit freilich von der Kammer keinerlei Bedeutung beigemessen. Gegen die Richtigkeit des Attestes des Herrn Dr. G. spricht im Übrigen, worauf das beklagte Land zutreffend hingewiesen hat, wiederum der Umstand, dass die Klägerin sich ab dem 09. Februar 2018 erneut in einer stationären Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik befand.

Soweit die Klägerin im Übrigen die negative Prognose für den Fall in Zweifel zieht, dass eine Alkoholabhängigkeit tatsächlich vorgelegen hätte, erscheint dieses Vorbringen nicht mehr nachvollziehbar. Denn die Klägerin hat in beiden Rechtszügen nachdrücklich eine Suchterkrankung in Abrede gestellt und gerade deshalb eine Entziehungskur abgelehnt. Das lässt nur den Schluss zu, dass die Klägerin es ablehnt, sich einer entsprechenden Behandlung zu unterziehen, so dass die negative Prognose mit dem Arbeitsgericht als begründet anzusehen ist.

Insoweit ist auch eine besondere, erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gegeben, weil wegen der auch künftig nicht auszuschließenden suchtbedingten Auffälligkeiten während der Arbeitszeit eine sachgerechte Behandlung der Patienten nicht gewährleistet ist. Hinzu kommt, dass die Klägerin als einzige Fachärztin für die psychiatrische Abteilung der JVA zuständig ist. Folglich war ein anderer Facharzt nicht vorhanden und konnte die Klägerin innerhalb der JVA nicht ersetzen, so dass während ihrer Krankheitszeiten externe Vertreter den Dienst übernehmen mussten. Dies ist für die psychiatrische Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses auf Dauer nicht tragbar. Daher war die Klägerin aufgrund der bestehenden manifesten Suchterkrankung nicht als zuverlässig im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BÄO anzusehen. Sie durfte infolge der Suchterkrankung nicht im Justizvollzugskrankenhaus tätig werden, um dort gerade häufig selbst unter einer Sucht leidende Patienten zu behandeln. Denn der Klägerin fehlt schon wegen ihrer eigenen gesundheitlichen Problematik die notwendige emotionale Distanz zu den Patienten.

Aufgrund der gleichen Erwägungen kann den Ausführungen der Klägerin zur Notwendigkeit eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht gefolgt werden. Zum einen ist § 167 Abs. 2 SGB IX lediglich als eine Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrechts innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzusehen (BAG 20.11.2014 NZA § 1 KSchG Krankheit Nr. 59). Zum anderen hat das unterbliebene BEM zwar Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Auswirkungen von erheblichen Fehlzeiten, weil der Arbeitgeber dann von sich aus darzulegen hat, weshalb denkbare oder vom Arbeitnehmer aufgezeigte Alternativen zu den bestehenden Beschäftigungsbedingungen mit der Aussicht auf eine Reduzierung der Ausfallzeiten nicht in Betracht komme. Er muss deshalb dann umfassend darlegen und beweisen, warum es in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20.11.2014 a.a.O.; 13.05.2015 EzA § 1 KschG Krankheit Nr. 61). Dabei obliegt es ihm nicht nur, die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen aufzuzeigen, vielmehr hat er auf im Kündigungszeitraum bestehende außerbetriebliche Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen (BAG a.a.O.). Allerdings steht ein unterlassenes BEM einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn sie auch durch das BEM nicht hätte verhindert werden können (BAG 23.04.2008 EzA § 1 KSchG Nr. 55; 24.03.2011 EzA § 84 SGB IX Nr. 8).

Davon ist vorliegend auszugehen. Im Hinblick auf die hervorgehobene Stellung der Klägerin als einzige Fachärztin in der psychiatrischen Abteilung ist nicht nachvollziehbar, welchen Sinn ein BEM insoweit hätte haben sollen; darauf hat das beklagte Land zu Recht hingewiesen. Abgesehen davon erscheint die Berufung der Klägerin auf § 84 Abs. 2 SGB IX als ein Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (Verbot des venire contra factum proprium, § 242 BGB). Denn die Klägerin hat, wie bereits dargelegt, in beiden Rechtszügen stets das Vorhandensein jedweder Suchterkrankung in Abrede gestellt. Auch vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, welchen Sinn ein BEM hätte haben können.

Etwas anderes folgt schließlich auch nicht aus dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2019 vorgelegten psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachten des Dr. O., W.. Sollte dieses Gutachten kein erhebliches tatsächliches Vorbringen enthalten, sind weitere Ausführungen nicht veranlasst. Sollte das Gutachten erhebliches tatsächliches Vorbringen enthalten, wäre es nach Maßgabe der arbeitsgerichtlichen Präklusionsvorschriften verspätet und folglich nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 67 Abs. 3 ArbGG sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 Abs. 1, 2 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht, mitgeteilt worden sind, nur zuzulassen, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei das Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hatte. Selbst wenn, wofür vorliegend nichts spricht, diese Voraussetzungen gegeben sein könnten, ist derartiges Vorbringen gemäß § 67 Abs. 4 ArbGG aber vom Berufungskläger in der Berufungsbegründung vorzubringen. Dies ist vorliegend ersichtlich nicht geschehen. Werden sie später vorgebracht, sind sie nur zuzulassen, wenn sie nach der Berufungsbegründung entstanden sind oder das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder nicht auf Verschulden der Partei beruht. Zwar wurde das Gutachten erst nach Vorlage der Berufungsbegründung erstellt. Darauf kommt es aber nicht entscheidungserheblich an, denn die zu begutachtenden Umstände beziehen sich entscheidungserheblich auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Damit sind die maßgeblichen Umstände nicht erst nach der Berufungsbegründung entstanden. Das verspätete Vorbringen würde nach der freien Überzeugung der Kammer die Erledigung des Rechtsstreits verzögern, weil eine Vertagung unausweichlich gewesen wäre, um dem beklagten Land Gelegenheit zu geben, den Inhalt des Gutachtens zur Kenntnis zu nehmen und eine angemessene Stellungnahme zu fertigen. Gründe, warum dieses Vorbringen bereits im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen wurde bzw. im Berufungsverfahren nicht auf Verschulden der Klägerin beruht, lassen sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen.

Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2019 ausgeführt hat, die Klägerin habe sich bereits zuvor um die Erstellung eines entsprechenden Gutachtens bemüht, sei damit aber zu einem früheren Zeitpunkt nicht erfolgreich gewesen und dies sei bereits erstinstanzlich versucht worden, ist dieses Vorbringen nicht nachvollziehbar. Es fehlt an jeder inhaltlicher tatsächlicher Substantiierung, warum es über einen Zeitraum zumindest ab dem 13. September 2017 nicht möglich gewesen sein soll, eine entsprechende Begutachtung zu erlangen.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 'Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.