LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.08.2019 - 5 TaBV 9/19
Fundstelle
openJur 2020, 19539
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 21. Dezember 2018, Az. 1 BV 19/18, abgeändert und der Antrag zu 2) der Arbeitgeberin aus dem Schriftsatz vom 24. Juli 2018 abgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3) wegen "Erpressung".

Der Beteiligte zu 3) ist 1978 geboren, ledig und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er ist seit dem 01.10.2011 bei der Arbeitgeberin als Kraftfahrer zu einem Monatsentgelt von ca. 2.900,00 EUR brutto beschäftigt. Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) betreibt bundesweit verschiedene Logistikstandorte, von denen aus sie ihre Kunden aus der Systemgastronomie mit Lebensmitteln beliefert. Sie beschäftigt an ihrem Standort in C-Stadt 124 Arbeitnehmer. Der Beteiligte zu 2) ist der an diesem Standort gewählte siebenköpfige Betriebsrat.

In C-Stadt wählte die Belegschaft erstmals im Februar 2017 einen Betriebsrat, Ende Mai 2018 fand die regelmäßige Neuwahl statt. Der Beteiligte zu 3) rückte im Herbst 2017 für ein ausgeschiedenes Mitglied in den Betriebsrat nach, bei der Neuwahl wurde er als Betriebsratsmitglied gewählt. Die konstituierende Sitzung des neugewählten Betriebsrats fand am 01.06.2018 statt. Der Beteiligte zu 3) wurde stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, zum Vorsitzenden wurde das Betriebsratsmitglied Sch. gewählt, dem die Arbeitgeberin ebenfalls, ua. wegen "Erpressung", außerordentlich kündigen will (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 01.08.2019 - 5 TaBV 2/19). Seit Mai 2019 ist der Beteiligte zu 3) Vorsitzender und Sch. Stellvertreter. Der frühere Betriebsratsvorsitzende J. wurde nicht mehr zum Vorsitzenden gewählt; er legte sein Betriebsratsamt daraufhin noch in der konstituierenden Sitzung am 01.06.2018 nieder.

Im Betrieb in C-Stadt ist die Gewerkschaft ver.di vertreten. Gewerkschaftssekretär H. verfasste einen Aushang vom 20.04.2018, der ua. folgenden Wortlaut hat (Bl. 247 d.A. 5 TaBV 2/19):

"Union Busting bei A. ????...Wie kommen wir dazu, so etwas bei A. zu unterstellen?

Aktion 1:

Betriebsratswahl verhindern

Nun ja, es fing damit an, dass der Versuch unternommen wurde, dieBetriebsratswahl zu verhindern. Erst durch ein Gerichtsverfahren konnte dieDurchführung der Wahl erzwungen werden.

Aktion 2:

Unliebsames Betriebsratsmitglied kündigen ...

Aktion 3:

Unbeugsamen Betriebsratsvorsitzenden angehen ...

Ziel

Verhinderung von Haustarifverhandlungen? ..."

Mit Datum vom 18.05.2018 gab Gewerkschaftssekretär H. auf Aufforderung der Arbeitgeberin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Er verpflichtete sich, folgende Aussagen weder wörtlich noch sinngemäß zu verbreiten oder verbreiten zu lassen:

"Die [Arbeitgeberin] hat versucht, die Betriebsratswahl 2017 zu verhindern" und"Die Betriebsratswahl 2017 konnte erst durch ein Gerichtsverfahren erzwungen werden".

Vor der Wahl eines Betriebsrats in C-Stadt regelte die Arbeitgeberin die Rufbereitschaft einseitig durch eine Richtlinie. Die Rufbereitschaft ist für sie äußerst wichtig, damit sie die mit ihren Kunden vereinbarte Liefertreue, die teilweise durch Konventionalstrafen abgesichert ist, auch einhalten kann, wenn Arbeitnehmer kurzfristig erkranken oder aus sonstigen Gründen ausfallen und ihre Touren nicht durchführen können. Nach der erstmaligen Wahl des Betriebsrats im Februar 2017 nahmen die Betriebspartner Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Rufbereitschaft auf. Die Arbeitgeberin verhandelte mit dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden J. und dessen Stellvertreter; es fehlte jedoch die Zustimmung des Gremiums. Noch vor der Neuwahl teilte J. der Arbeitgeberin mit E-Mail vom 11.05.2018 mit, dass der Betriebsrat einstimmig beschlossen habe, die Verhandlungen zur (im Entwurf vorliegenden) Betriebsvereinbarung Rufbereitschaft für gescheitert zu erklären. Erst Ende Mai 2019 kam für den Betrieb in C-Stadt in der gebildeten Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung zum Thema Rufbereitschaft zu Stande.

In einem Zustimmungsersetzungsverfahren, dass das Arbeitsgericht Mainz am 21.12.2018 vom vorliegenden abgetrennt hat (Az. 1 BV 8/19), streiten die Beteiligten auf den ersten Antrag der Arbeitgeberin, der am 25.06.2018 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) wegen des dringenden Verdachts, dass er Ende April 2018 heimlich ein Gespräch mit der Führungskraft G. aufgezeichnet und diese Tonaufzeichnung in einer Betriebsratssitzung im Mai 2018 abgespielt habe. Über diesen Sachverhalt wurde die Arbeitgeberin am 05.06.2018 vom ehemaligen Betriebsratsmitglied J. informiert. Der Beteiligte zu 3), dem die Arbeitgeberin deswegen seit Juli 2018 Hausverbot erteilt hat, bestreitet die Vorwürfe. Das abgetrennte Verfahren ist erstinstanzlich noch anhängig.

In einem weiteren Beschlussverfahren (LAG Rheinland-Pfalz 5 TaBV 2/19; ArbG Mainz 2 BV 9/18) begehrte die Arbeitgeberin mit Schriftsatz vom 02.03.2018 zunächst die Ersetzung der Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds Sch. wegen des "Verdachts des Arbeitszeitbetrugs." Sch. bestreitet die Vorwürfe.

Im vorliegenden Beschlussverfahren, das die Arbeitgeberin mit Schriftsatz vom 24.07.2018 eingeleitet hat, streiten die Beteiligten (wie auch die Beteiligten des Verfahrens 5 TaBV 2/19) über folgenden weiteren Kündigungssachverhalt: Mit E-Mail vom 08.06.2018 informierte der neu gewählte Betriebsrat die Arbeitgeberin darüber, dass er den Beschluss gefasst habe, sich von der Beratungsgesellschaft TBS zur Betriebsvereinbarung Rufbereitschaft beraten zu lassen. Er verwies auf eine beigefügte Kostenaufstellung, die allerdings fehlte. Am 19.06.2018 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat, ihm die in seiner E-Mail erwähnte, aber fehlende Kostenaufstellung zu übersenden. Außerdem forderte sie den Betriebsrat auf, ihr mitzuteilen, aus welchem Grund er einen Sachverständigen zu diesem Thema hinzuziehen wolle. Der Betriebsrat reagierte darauf nicht. Am 29.06.2018 teilte er der Arbeitgeberin vielmehr mit, er habe einstimmig den Beschluss gefasst, ab dem 09.07.2018 alle Rufbereitschaften zu untersagen, bei Zuwiderhandlungen behalte er sich rechtliche Schritte vor. Mit Schreiben vom 09.07.2018 warf die Arbeitgeberin dem Betriebsrat vor, dass er mit seinem Verhalten seine Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 2 BetrVG verletze. Sie schilderte die aus ihrer Sicht zwingende Fortführung der bisherigen Praxis zur Rufbereitschaft. Abschließend machte sie zur Vermeidung einer "weiteren Eskalation" Vorschläge zur vorläufigen Regelung bis zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung und zur Fortführung der Verhandlungen, ggf. zur Anrufung einer Einigungsstelle.

Als Reaktion erhielt die Arbeitgeberin am 12.07.2018 ein Schreiben, das Sch. und der Beteiligte zu 3) unterzeichnet haben. Der Text ist von Gewerkschaftssekretär H. formuliert worden, der in beratender Funktion tätig war. Das Schreiben (Bl. 187 d.A.) lautet wie folgt:

"Sehr geehrte Damen und Herren,auch wir haben ein reges Interesse daran, zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zurückzukehren. Deswegen regen wir an, Gespräche unter der Leitung eines neutralen Moderators zu führen, um auf diese Art zu klären, wo eigentlich die Ursachen für die zum Teil doch sehr emotionalen Konflikte liegen.

Sinn macht das aber nur, wenn vorhandene Konflikte aus dem Weg geräumt sind, um ohne Vorbelastung in diese Gespräche zu gehen.

Aus Sicht des Betriebsrates sollten folgende Bedingungen erfüllt sein:

1. Der Betriebsrat würde die bestehende Regelung zur Rufbereitschaft bei zügigen Verhandlungen für eine Übergangszeit, deren Ende geklärt werden müsste, akzeptieren.2. Der Arbeitgeber akzeptiert die Hinzuziehung der TBS zur gemeinsamen Beratung und die Erarbeitung einer entsprechenden Betriebsvereinbarung.3. Der Arbeitgeber verzichtet auf die Zustimmungsersetzungsverfahren bezüglich der Kündigung der Betriebsratsmitglieder Sch. und E..4. Der Betriebsrat verzichtet auf eine Anzeige nach § 119 BetrVG.

Es wäre schön, wenn wir auf dieser Grundlage wieder zu einer sachorientierten Betriebsratsarbeit kommen könnten. Vielleicht ist es möglich, uns bis zur nächsten Betriebsratssitzung 13.07.18 13:00 Uhr Ihre Meinung zu unserem Vorschlag mitzuteilen.

Mit freundlichen Grüßen

Sch.

E.

Betriebsratsvorsitzender

stellv. Betriebsratsvorsitzender"

Die Arbeitgeberin antwortete dem Betriebsrat mit Schreiben vom 13.07.2018, das auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

"Sie verknüpfen dann in Ziffer 3. die Aufrechterhaltung der derzeitigen Praxis zur Rufbereitschaft und die Fortführung der Verhandlungen zur Regelung der Rufbereitschaft mit der Forderung, dass wir auf die Zustimmungsersetzungsverfahren bezüglich der Kündigungen der Betriebsratsmitglieder Sch. und E. verzichten sollen. Hier fehlt es an jeglichem Zusammenhang zwischen Ihrer Forderung und dem Themenbereich der Rufbereitschaft....

Im Hinblick auf Ihren Kollegen, Herrn E., besteht der dringende Verdacht, dass dieser ein Gespräch mit Herrn G. heimlich aufgezeichnet und die Aufzeichnung in einer Betriebsratssitzung abgespielt hat. Dies stellt eine Straftat nach § 201 StGB dar. Auch insofern bitten wir um Verständnis, dass wir selbstverständlich mit Herrn E. solange, wie dieser Verdacht im Raum steht, keine weiteren Gespräche führen können. Erst recht kann bei dieser Sachlage das Zustimmungsersetzungsverfahren nicht zurückgenommen werden.

Wir gehen davon aus, dass Sie die von Ihnen genannten drei Bedingungen - insbesondere die Verknüpfung der ersten beiden Punkte mit der dritten Forderung - mit der Gewerkschaft bzw. Herrn H. abgestimmt haben. Insofern gehen wir davon aus, dass Sie sich bewusst sind, dass die Verknüpfung der Fortsetzung der Gespräche zur Rufbereitschaft und vorläufige Aufrechterhaltung der Rufbereitschaft einerseits mit Forderung nach Rücknahme der beiden Zustimmungsersetzungsverfahren wegen des Verdachtes, Straftaten begangen zu haben, durchaus als Erpressung angesehen werden kann. Wir werden uns dieser Erpressung nicht beugen.

Der angedrohten Anzeige nach § 119 BetrVG sehen wir in Anbetracht der vorliegenden Sachverhalte gelassen entgegen. ..."

Mit Schreiben vom 17.07.2018 hörte die Arbeitgeberin den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) wegen "Erpressung" an. Die Forderung in Ziffer 3 des Schreibens vom 12.07.2018 sei eine Erpressung iSd. § 253 Abs. 1 StGB. Die Ankündigung, die zwingend erforderliche Rufbereitschaft weiter abzulehnen, wenn die beiden Zustimmungsersetzungsverfahren nicht zurückgenommen werden, stelle eine Drohung mit einem empfindlichen Übel dar. Die Drohung sei auch rechtswidrig, weil es keinerlei Zusammenhang zwischen der Rufbereitschaft und dem Zustimmungsversetzungsverfahren wegen des Verdachts von Straftaten des Beteiligten zu 3) gebe. Weil der Beteiligte zu 3) durch die Erpressung versuche, seinen Arbeitsplatz zu erhalten, diene sie seiner Bereicherung. Nach § 253 Abs. 2 StGB sei auch der Versuch strafbar. Das Schreiben erfülle jedenfalls den Versuch einer Nötigung. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung mit Schreiben vom 18.07.2018. Daraufhin erweitere die Arbeitgeberin ihren Antrag auf Zustimmungsersetzung mit Schriftsatz vom 24.07.2019, der am selben Tag per Telefax beim Arbeitsgericht eingegangen ist.

Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. die vom Betriebsrat am 18.06.2018 und 20.06.2018 verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) wegen des Verdachts der heimlichen Aufzeichnung eines Gesprächs mit der Führungskraft G. und des Abspielens dieser Aufzeichnung auf einer Betriebsratssitzung im Mai 2018 gem. § 103 BetrVG zu ersetzen,

2. die vom Betriebsrat am 18.07.2018 verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) wegen Erpressung der Arbeitgeberin gem. § 103 BetrVG zu ersetzen.

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) haben beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht Mainz hat mit Beschluss vom 21.12.2018 den Antrag zu 1) zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt (neues Az. 1 BV 8/19) und dem Antrag zu 2) stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, es liege ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs.1 BGB für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3) vor. Mit dem Schreiben vom 12.07.2018 habe der Beteiligte zu 3) gemeinsam mit dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden Sch. versucht, das ihm anvertraute Betriebsratsamt auf individualrechtlicher Ebene zu seinem Vorteil auszunutzen. Er habe wegen des seit dem 25.06.2018 gegen ihn laufende Zustimmungsersetzungsverfahrens aufgrund des Verdachts, ein Gespräch heimlich aufgezeichnet und den Mitschnitt in einer Betriebsratssitzung abgespielt zu haben, versucht, die Arbeitgeberin bei der Ausübung von Mitbestimmungsrechten zu seinen eigenen Gunsten unter Druck zu setzen. Das Schreiben vom 12.07.2018 sei, anders als sonstige Schreiben, die vom Vorsitzenden und dem Schriftführer unterzeichnet worden seien, nicht vom Schriftführer, sondern vom Beteiligten zu 3) mitunterzeichnet worden. Es diene vor allem den Eigeninteressen des Betriebsratsvorsitzenden und des Beteiligten zu 3). Die Verknüpfung der Zustimmungsersetzungsverfahren mit der Ausübung von Mitbestimmungsrechten sei nicht zulässig. Selbst wenn die übrigen Betriebsratsmitglieder nachfolgend das Schreiben dem Inhalt nach für gut befunden hätten, ändere dies nichts an der Tatsache, dass der Beteiligte zu 3) und Schmitt ihre Position als Betriebsratsmitglieder, die dem Wohle der Belegschaft verpflichtet seien, dazu ausgenutzt hätten, um durch die Verknüpfung von Belegschaftsbelangen mit einem eigenen Vorteil, unzulässigen Druck auf die Arbeitgeberin auszuüben. Dies werde keinesfalls relativiert, sondern eher verstärkt, wenn sie hierfür auch noch die übrigen Betriebsratsmitglieder eingebunden bzw. instrumentalisiert hätten. Entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 3) enthalte das Schreiben vom 12.07.2018 nicht nur eine Anregung. Die Formulierung "aus Sicht des Betriebsrates sollten folgende Bedingungen erfüllt sein", enthalte, wenn auch etwas netter verpackt, als Gegenforderungen für die Akzeptanz einer vorläufigen Rufbereitschaftsregelung insbesondere den Verzicht auf die Zustimmungsersetzungsverfahren. Das Schreiben ende zudem damit, dass "gebeten" werde, bis zur nächsten Betriebsratssitzung schon einen Tag später, am 13.07.2018, zu diesem Vorschlag Stellung zu nehmen. Dies habe die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 13.07.2018 ausführlich getan. Trotz des darin enthaltenen Hinweises, die Arbeitgeberin verstehe das als Erpressung, haben weder der Betriebsrat als Gremium noch der Betriebsratsvorsitzende oder der Beteiligte zu 3) bis zur Anhörung des Betriebsrats am 17.07.2018 vom Inhalt und der Diktion des Schreibens in irgendeiner Form Abstand genommen. Es könne offen bleiben, ob das Verhalten strafrechtlich als Nötigung oder Erpressung anzusehen oder überhaupt strafbewehrt sei. Jedenfalls habe der Beteiligte zu 3) in der Ausnutzung seines Betriebsratsamts gemeinsam mit Sch. versucht, bei der Ausübung des Mitbestimmungsrechts unzulässigen Druck auf die Arbeitgeberin im Hinblick auf die Fortführung der gegen beide Betriebsratsmitglieder bereits anhängigen Verfahren nach § 103 BetrVG auszuüben und hierdurch im individualrechtlichen Bereich Vorteile zu erhalten, die ohne Verknüpfung mit der Ausübung von Mitbestimmungsrechten nicht in Betracht gekommen wären. Es handele sich bei dem Verhalten des Beteiligten zu 3) auch nicht nur oder überwiegend um ein Fehlverhalten im Betriebsratsamt, sondern um die Verknüpfung von Betriebsratsamt und persönlicher Vorteilserwirkung. Gerade weil die Möglichkeit, Druck auf die Arbeitgeberin auszuüben, nur wegen des Betriebsratsamts bestanden habe, stelle es einen wesentlichen und schweren Vertragsverstoß dar, dass der Beteiligte zu 3) dies zur persönlichen Vorteilserlangung ausgenutzt habe. Im Rahmen der Interessenabwägung überwiege das Beendigungsinteresse der Arbeitgeberin das Bestandsinteresse des Beteiligten zu 3), auch unter Berücksichtigung der noch nicht so langen Beschäftigungsdauer, des noch relativ jungen Alters und der Unterhaltspflichten für ein Kind. Es sei der Arbeitgeberin nicht zumutbar, den Beteiligten zu 3) auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Der Beteiligte zu 3) habe seine besondere Position als Betriebsrat ausgenutzt und versucht, die Arbeitgeberin zu veranlassen, ein rechtsstaatlich grundsätzlich zugelassenes Verfahren nicht aufrecht zu erhalten. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen. Es handele sich um eine so schwere Pflichtverletzung, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Beteiligten zu 3) erkennbar - ausgeschlossen sei. Zur näheren Darstellung der Entscheidungsbegründung des Arbeitsgerichts wird im Übrigen auf den begründenden Teil des Beschlusses vom 21.12.2018 Bezug genommen.

Der Beteiligte zu 3) hat gegen den ihm am 11.03.2019 zugestellten Beschluss mit einem am 14.03.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 09.04.2019 eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Betriebsrat hat gegen den ihm am 20.03.2019 zugestellten Beschluss mit einem am 10.04.2019 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 13.05.2019 (Montag) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) machen im Wesentlichen geltend, der von der Arbeitgeberin erhobene Vorwurf der Erpressung/Nötigung erweise sich bei zutreffender Bewertung des Schreibens vom 12.07.2018 als unhaltbar. Der Vorschlag in diesem Schreiben sei vom Betriebsrat als Gremium getragen und nicht nur von den zwei Unterzeichnern. Die übrigen Betriebsratsmitglieder hätten sich entgegen der Vermutung des Arbeitsgerichts nicht "instrumentalisieren" lassen. Der Inhalt des Schreibens sei im gesamten Gremium vollständig abgestimmt worden und nicht der alleinigen Verantwortung des Beteiligten zu 3) und des damaligen Betriebsratsvorsitzenden Sch. zuzurechnen. Soweit das Arbeitsgericht seine Bewertung darauf stütze, dass das Schreiben vom 12.07.2018 vom Beteiligte zu 3) und nicht - wie üblich - vom Schriftführer zweitunterzeichnet worden sei, lasse sich dies damit erklären, dass der Schriftführer krankheitsbedingt an der Betriebsratssitzung nicht teilgenommen habe. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass Gewerkschaftssekretär H. dem Betriebsrat zu dem Vorschlag vom 12.07.2018 geraten und die entsprechende Formulierung aufgesetzt habe. Anschließend habe das gesamte Gremium beschlossen, das Schreiben an die Arbeitgeberin zu versenden. Das Arbeitsgericht habe auch Auslegungsregeln missachtet. Das Schreiben sei als "Vorschlag" formuliert worden. Der Betriebsrat habe die Fortsetzung der Verhandlungen über eine vorübergehende Gestattung von Rufbereitschaft nicht im Sinne einer "conditio sine qua non" an seine darin formulierten Wünsche ("sollten" erfüllt sein) geknüpft, sondern seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass auf der Grundlage seines Schreibens wieder zu einer sachorientierten Zusammenarbeit zurückgefunden werden könne. Selbst wenn man einen Pflichtverstoß des Beteiligten zu 3) annehmen wollte, sei eine fristlose Kündigung nicht berechtigt. Spätestens bei der Interessenabwägung hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Beteiligte zu 3) erst kurz im Amt und deshalb unerfahren gewesen sei. Er habe den Rat eines erfahrenen Gewerkschaftssekretärs eingeholt. Auch das Gremium habe nicht daran gezweifelt, dass der vom Gewerkschaftssekretär entworfene Text keine rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen werde. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hätte jedenfalls eine Abmahnung genügt.

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) beantragen zweitinstanzlich,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 21.12.2018, Az. 1 BV 19/18, abzuändern und den Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der am 18.07.2018 verweigerten Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) wegen "Erpressung" abzuweisen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Beschluss nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 09.05.2019 (Bl. 398 ff d.A.) und vom 13.06.2019 (Bl. 427 ff d.A.), auf die Bezug genommen wird. Sie macht unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zusammengefasst geltend, der Beteiligte zu 3) berufe sich darauf, dass das Schreiben vom 12.07.2018 mit dem gesamten Betriebsrat abgestimmt worden sei. Wäre das Schreiben tatsächlich mit den übrigen Betriebsratsmitgliedern abgestimmt worden, dann hätten sich diese der Beihilfe oder Anstiftung zur versuchten Erpressung schuldig gemacht. Dann könnte man darüber nachdenken, ob auch gegenüber den übrigen Betriebsratsmitgliedern ein wichtiger Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vorliege. Der Vortrag des Beteiligten zu 3) und des Betriebsrats, wann die angebliche Betriebsratssitzung stattgefunden habe, auf der das Schreiben vom 12.07.2018 verfasst worden sei, sei widersprüchlich. Es widerspreche auch dem Vortrag des Beteiligten Sch. im Parallelverfahren 5 TaBV 2/19. Es seien erst- und zweitinstanzlich mehrere Daten vorgetragen worden. Die Sitzung soll am 06.07.2018, am 11.07.2018 oder am 12.07.2018 stattgefunden haben. Aus dem widersprüchlichen Vortrag sei zu schließen, dass entweder gar keine Betriebsratssitzung stattgefunden habe, oder dass das Schreiben vom 12.07.2018 nicht mit dem Gremium abgestimmt worden sei. Der Widerspruch im Vortrag des Beteiligten zu 3) zeige, dass er mit allen Mitteln versuche, sein Fehlverhalten - die versuchte Erpressung zum Zwecke der Erlangung persönlicher, nicht gerechtfertigter Vorteile -, durch weitere falsche Angaben im Prozess zu vertuschen. Dieses Prozessverhalten sei bei der Gesamtwürdigung, ob ein wichtiger Grund vorliege zu berücksichtigen. Der Beteiligte zu 3) berufe sich darauf, dass das Erpressungsschreiben vom 12.07.2018 von Gewerkschaftssekretär H. formuliert worden sei. Dies spiele keine Rolle. Entscheidend sei vielmehr, dass der Beteiligte zu 3) das Schreiben mit dem Ziel an die Arbeitgeberin versandt habe, dass sie wegen der dringenden Erforderlichkeit der Durchführung von Rufbereitschaften das beim Arbeitsgericht anhängige Zustimmungsersetzungsverfahren zurücknimmt. Es sei mehr als fraglich, dass sich der Beteiligte zu 3) bei der Formulierung des Textes auf Gewerkschaftssekretär H. habe verlassen dürfen. Schließlich habe H. wegen zwei falscher Behauptungen im Aushang vom 20.04.2018 nach rechtlicher Beratung am 18.05.2018 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Ihr sei es unzumutbar, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, der versucht habe, persönliche Vorteile durch Erpressung zu erlangen. Sie müsse weitere Erpressungen befürchten, wenn das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden müsste. Der Beteiligte zu 3) könne bei der Verweigerung von ihm geforderter Vorteile damit drohen, die Kunden verspätet anzufahren oder sonstige Verstöße im Rahmen der Kundenbelieferung durchzuführen. Derzeit schütze sie sich dadurch, dass sie den Beteiligten zu 3) von der Arbeitsleistung freigestellt habe; er dürfe nur zum Zwecke des Betriebsratsamtes im Betrieb erscheinen. Das Arbeitsgericht habe die Interessenabwägung korrekt durchgeführt. Der Beteiligte zu 3) habe sie mit dem Ziel erpresst, die beabsichtigte fristlose Kündigung zurückzunehmen, damit er sich wieder rechtmäßig verhalte. Es handele sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung durch Ausübung einer "Machtstellung". Keinem Arbeitgeber könne zugemutet werden, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten, der rechtswidrig eine Drucksituation ausnutze, um nicht gerechtfertigte persönliche Vorteile zu erreichen. Da der Beteiligte zu 3) als Kraftfahrer sehr schnell eine neue Anstellung finden könne, fehle es an seiner Schutzwürdigkeit. Eine Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen. Bei der Interessenabwägung sei zu Lasten des Beteiligten zu 3) auch zu berücksichtigen, dass er gegen ihren Personalleiter und die stellvertretende Personalleitern eine Strafanzeige wegen angeblicher Verleumdung erstattet habe. Das Verfahren sei eingestellt worden.

Im Anhörungstermin vom 01.08.2019 erklärten der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) auf Befragen der Kammer, wann die Betriebsratssitzung stattgefunden habe, in der das Schreiben vom 12.07.2018 an die Arbeitgeberin verfasst worden sei, dass am Freitag, dem 06.07.2018 eine Betriebsratssitzung stattgefunden habe. Am 09.07.2018 habe die Arbeitgeberin ihre E-Mail vom selben Tag dem Betriebsrat übermittelt. Wegen des Hausverbots des Beteiligten zu 3) habe am 11.07.2018 ein Treffen von insgesamt sechs Betriebsratsmitgliedern mit Gewerkschaftssekretär H. auf einem Autohof an der A 61 bei Waldlaubersheim stattgefunden; der Schriftführer habe krankheitsbedingt gefehlt. Bei dem Treffen sei das weitere Vorgehen besprochen worden. Alle Anwesenden seien mit dem vorgeschlagenen Vorgehen einverstanden gewesen. Ein Protokoll sei nicht erstellt worden. Die Arbeitgeberin erklärte im Anhörungstermin, sie gehe davon aus, dass am 11.07.2018 keine Betriebsratssitzung stattgefunden habe, weil ihr lediglich für Sitzungen am 09. und am 13.07.2018 Zeiten für geleistete Betriebsratstätigkeit gemeldet worden seien, nicht für den 11.07.2018. Nach ihren Aufzeichnungen habe am 13.07.2018 eine Betriebsratssitzung in Waldlaubersheim stattgefunden, weil von Betriebsratsmitgliedern Kilometergeld (15 km Entfernung) geltend gemacht worden sei.

Ergänzend wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 01.08.2019 Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der Akte 5 TaBV 2/19.

B.

Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthaften sowie form- und fristgerecht (§§ 87 Abs. 2 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 2 ArbGG) eingelegten und begründeten Beschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3) haben in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung des Beteiligten zu 3) wegen "Erpressung" zu Unrecht ersetzt. Dessen Verhalten im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 12.07.2018 stellt keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses dar.

I.

Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht. Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen (vgl. BAG 13.05.2015 - 2 ABR 38/14 - Rn. 18 mwN).

Ist dem Betriebsratsmitglied ausschließlich eine Amtspflichtverletzung vorzuwerfen, ist nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG möglich. Eine außerordentliche Kündigung kommt dagegen in Betracht, wenn in dem fraglichen Verhalten zugleich eine Vertragspflichtverletzung zu sehen ist. In solchen Fällen ist an die Berechtigung der fristlosen Entlassung allerdings ein "strengerer" Maßstab anzulegen als bei einem Arbeitnehmer, der dem Betriebsrat nicht angehört (vgl. BAG 12.05.2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 15 mwN). Sofern eine Handlung gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB zwar vorliegen. Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. Darüber hinaus bedarf es stets einer genauen Prüfung, ob auch nach dem Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsratsamt weitere vergleichbare Pflichtverletzungen drohen und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber aufgrund einer eingetretenen Pflichtverletzung, die mit der Ausübung des Mandats im Zusammenhang steht, nachhaltig gestört ist (vgl. BAG 23.10.2008 - 2 ABR 59/07 - Rn. 19 mwN). Im Rahmen der nach § 626 Abs. 1 BGB gebotenen Interessenabwägung ist zu Gunsten des Betriebsratsmitglieds zu berücksichtigen, ob nur durch die Ausübung seines Amtes Gelegenheit dazu bestand, in Konflikt mit den arbeitsvertraglichen Pflichten zu geraten (vgl. BAG 16.11.2017 - 2 AZR 14/17 - Rn. 38 mwN; ErfK/Kania 19. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 12) .

II.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Inhalt des Schreibens vom 12.07.2018 nicht geeignet, einen wichtigen Grund zur Kündigung wegen "Erpressung" darzustellen. Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist deshalb abzuändern.

1. Der weitere Kündigungsvorwurf der Arbeitgeberin, der Beteiligte zu 3) habe Ende April 2018 heimlich ein Gespräch mit der Führungskraft G. aufgezeichnet und diese Tonaufzeichnung in einer Betriebsratssitzung im Mai 2018 abgespielt, ist vorliegend nicht zu prüfen. Er ist Gegenstand des nach § 145 Abs. 1 ZPO abgetrennten und gesondert fortgeführten Beschlussverfahrens, das noch beim Arbeitsgericht Mainz (Az. 1 BV 8/19) anhängig ist.

2. Der Inhalt des Schreibens vom 12.07.2018, das der Beteiligte zu 3) in seiner Eigenschaft als (damals) stellvertretender Betriebsratsvorsitzender mitunterzeichnet hat, macht es der Arbeitgeberin nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihm fortzusetzen.

a) Als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten "an sich" geeignet. Droht ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen. Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen. Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Tatbestand einer versuchten Nötigung (§ 240 StGB) oder gar der Erpressung (§ 253 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden (vgl. BAG 08.05.2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 20 mwN).

b) Im Streitfall hat der Beteiligte zu 3) seine arbeitsvertraglichen Pflichten zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im mitunterzeichneten Schreiben vom 12.07.2018 an die Arbeitgeberin nicht verletzt. Sein Vorgehen stellt sich nicht als widerrechtlich dar.

aa) Zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat waren die Verhandlungen zum Thema Rufbereitschaft aus Sicht des Betriebsrats gescheitert. Bereits am 11.05.2018 (vor der Neuwahl) wurde die Arbeitgeberin vom damaligen Betriebsratsvorsitzenden über den einstimmig gefassten Beschluss informiert, die bis dahin seit über einem Jahr geführten Verhandlungen "als gescheitert zu erklären". Da der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 BetrVG bei der Einrichtung und Ausgestaltung der Rufbereitschaft ein zwingendes Mitbestimmungsrecht hat, stand ihm grundsätzlich auch ein Unterlassungsanspruch zu. Verletzt der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 BetrVG, entspricht es dem negatorischen Rechtsschutz zur Sicherung des Mitbestimmungsrechts, den Arbeitgeber als Störer auf Unterlassung eines nicht mitbestimmten zeitlichen Einsatzes der Arbeitnehmer - als Verletzungshandlung - in Anspruch zu nehmen (vgl. BAG 22.08.2017 - 1 ABR 3/16 - Rn. 34 ff). Die Arbeitgeberin musste daher damit rechnen, dass der Betriebsrat (nach der Neuwahl) - wie er ihr dies am 29.06.2018 mitgeteilt hat - den Beschluss fasst, alle Rufbereitschaften, die ohne seine Mitbestimmung praktiziert werden, künftig zu untersagen.

Andererseits obliegt es nicht lediglich der Arbeitgeberin, die Mitbestimmung bei der Einrichtung und Ausgestaltung von Rufbereitschaften sicherzustellen; vielmehr trifft auch den Betriebsrat hierbei eine Mitwirkungspflicht nach § 74 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 2 Abs. 1 BetrVG. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG haben die Betriebsparteien über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen. Das gesetzliche Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist Maßstab dafür, wie die Betriebsparteien ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der jeweils anderen Betriebspartei Rücksicht nehmen (vgl. BAG 12.03.2019 - 1 ABR 42/17 - Rn. 53 mwN). Ob der Betriebsrat deshalb gehindert war, der Arbeitgeberin kurzfristig ab dem 09.07.2018 - entgegen der bisherigen Praxis - alle Rufbereitschaften zu untersagen, kann dahinstehen. Dagegen spricht, dass die Arbeitgeberin spätestens ab der Erklärung des Betriebsrats vom 11.05.2018, die Verhandlungen seien gescheitert, nach § 76 BetrVG die Einigungsstelle hätte anzurufen können. § 100 ArbGG stellt ein besonders beschleunigtes Beschlussverfahren zur Verfügung, um der Einigungsstelle das unverzügliche Tätigwerden iSv. § 76 Abs. 3 BetrVG zu ermöglichen. Stattdessen machte die Arbeitgeberin mit ihrem Schreiben vom 09.07.2018 dem Betriebsrat Vorhaltungen. Außerdem schlug sie ihm vor, die bisherige Praxis der Anordnung von Rufbereitschaften bis zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung vorläufig beizubehalten und die Verhandlungen fortzuführen. Zur Vermeidung einer "weiteren Eskalation" sollte der Betriebsrat ihre Vorschläge prüfen und ihr in den kommenden Tagen mitteilen, ob auf dieser Basis eine Einigung erzielt werden kann.

bb) In diesem Kontext ist das inkriminierte Antwortschreiben vom 12.07.2018 auszulegen, das vom damaligen Betriebsratsvorsitzenden Sch. und zusätzlich vom Beteiligten zu 3) unterzeichnet worden ist. Die Unterzeichnung des Schreibens erfolgte für die Arbeitgeberin erkennbar nicht im eigenen Namen, sondern für den Betriebsrat, der ihr auf das Schreiben vom 09.07.2018 antwortete. Da die Abfassung des Schreibens durch die Betriebsratstätigkeit des Beteiligten zu 3) veranlasst war, ist - wie oben ausgeführt - ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen.

Das Erfordernis, bei der Prüfung des wichtigen Grundes zur Kündigung eines Amtsträgers einen "strengen Maßstab" anzulegen, dient dazu, die freie Betätigung des Betriebsratsmitglieds in seinem Amt zu gewährleisten. Eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, die im Rahmen einer Amtstätigkeit begangen wird, kann aus einer Konfliktsituation entstanden sein, der der Arbeitnehmer, der nicht Betriebsratsmitglied ist, nicht ausgesetzt ist. Dies ist bspw. der Fall, wenn es bei Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Verlauf längerer schwieriger und erregter Auseinandersetzungen je nach der Persönlichkeitsstruktur der Teilnehmer zu verbalen Beleidigungen kommt. Die in dem strengeren Prüfungsmaßstab zum Ausdruck kommende Tat- und Situationsgerechtigkeit ist in solchen Fällen keine verbotene Besserstellung des Betriebsratsmitglieds, sondern Folge der Beachtung der besonderen Sachlage (so schon BAG 16.10.1986 - 2 ABR 71/85 - Rn. 28 mwN).

Bei dem hier anzuwendenden strengen Prüfungsmaßstab ist zu berücksichtigen, dass der konkrete Wortlaut des Schreibens vom 12.07.2018, das von Gewerkschaftssekretär H. für den Betriebsrat formuliert worden ist, einer förmlichen Beschlussfassung des Betriebsratsgremiums nicht bedurfte. Die Abfassung und Zuleitung von Erklärungen nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG obliegt dem Betriebsratsvorsitzenden (vgl. BAG 25.05.2016 - 2 AZR 345/15 - Rn. 23 mwN; BAG 30.09.2014 - 1 ABR 32/13 - Rn. 54 mwN). Er überbringt dem Arbeitgeber nicht lediglich eine bereits vorformulierte Erklärung des Betriebsrats, sondern er formuliert die inhaltlich vorgegebene Erklärung selbst. Selbst wenn vor der Absendung des Schreibens vom 12.07.2018 an die Arbeitgeberin eine Beschlussfassung unterblieben oder fehlerhaft erfolgt sein sollte, hat der Betriebsrat als Gremium den Inhalt des Schreibens genehmigt. Das genügt (vgl. BAG 10.10.2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 15 ff mwN). Es muss deshalb nicht aufgeklärt werden, wann die Betriebsratssitzung im Anschluss an den Zugang des Schreibens der Arbeitgeberin vom 09.07.2018 stattgefunden hat. Die Bedingungen, die in dem Schreiben vom 12.07.2018 aufgeführt sind und die "aus Sicht des Betriebsrats" erfüllt sein "sollten", um "ohne Vorbelastungen" in Gespräche mit der Arbeitgeberin einzutreten, sind vom Willen des Betriebsratsgremiums gedeckt. Dabei ist unschädlich, dass in Ziffer 3 der Bedingungen ein Verzicht auf die Zustimmungsersetzungsverfahren bezüglich der Kündigungen der zwei Unterzeichner des Schreibens (Betriebsratsvorsitzender und Stellvertreter) formuliert worden ist. Der Betriebsratsvorsitzende oder sein Stellvertreter sind zwar - ebenso wie jedes andere Betriebsratsmitglied - von ihrer Organtätigkeit ausgeschlossen bei Entscheidungen, die sie individuell und unmittelbar betreffen. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass zur Vermeidung von Interessenkollisionen niemand "Richter in eigener Sache" sein kann. Dies bedeutet aber nicht, dass der selbst betroffene Betriebsratsvorsitzende oder sein Stellvertreter auch gehindert sind, den Arbeitgeber schriftlich über den Betriebsratsbeschluss zu informieren. Sie handeln bei der Übermittlung der Beschlüsse des Betriebsrats an den Arbeitgeber nicht als Vertreter des Betriebsrats im Willen, sondern lediglich als dessen Vertreter in der Erklärung (vgl. BAG 19.03.2003 - 7 ABR 15/02 - Rn. 11 ff). Vor diesem Hintergrund erweist sich der Vorwurf, der Beteiligte zu 3) habe seine Position als Betriebsratsmitglied mit der Forderung in Ziffer 3 des Schreiben vom 12.07.2018 zur persönlichen Vorteilserwirkung ausgenutzt, als unberechtigt. Auch die Bedingung, Verzicht auf das - von der Arbeitgeberin am 25.06.2016 in Bezug auf den Beteiligten zu 3) beim Arbeitsgericht Mainz - eingeleitete Zustimmungsersetzungsverfahren, war vom Betriebsrat als Gremium getragen.

Der Inhalt des Schreibens vom 12.07.2018 stellt sich nicht als "Erpressung" der Arbeitgeberin dar. Auf deren strafrechtliche Bewertung kommt es kündigungsrechtlich ohnehin nicht entscheidend an. Der Betriebsrat macht in Beantwortung des Schreibens der Arbeitgeberin vom 09.07.2018, wonach eine "weitere Eskalation" vermieden werden sollte, deutlich, dass auch er an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit interessiert sei. Eine Fortsetzung der Verhandlungen mache aus seiner Sicht aber nur Sinn, wenn man "ohne Vorbelastung" in diese Gespräche gehe. Aus seiner Sicht "sollten" mehrere Bedingungen erfüllt sein, ua. sollte die Arbeitgeberin - nach Ziffer 3. - auf die Zustimmungsersetzungsverfahren bezüglich der Kündigungen des Betriebsratsvorsitzenden und des Beteiligten zu 3) verzichten. Dieser Vorschlag ist nicht widerrechtlich. Der Betriebsrat zeigte sich verhandlungsbereit und formulierte die "Bedingungen", die erfüllt sein "sollten" zwar klar und offen, aber nicht apodiktisch. Der Betriebsrat durfte auf die von der Arbeitgeberin im Schreiben vom 09.07.2018 unterbreiteten Vorschläge nicht nur mit Zustimmung oder Ablehnung reagieren, sondern auch seine eigenen Vorstellungen formulieren. Der Betriebsrat hat im Schreiben vom 12.07.2018 angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls keine rechtsmissbräuchlichen "Koppelungsforderungen" bei der erzwingbaren Mitbestimmung gestellt (vgl. zu einer Blockadehaltung des Betriebsrats jüngst BAG 12.03.2019 - 1 ABR 42/17; vgl. auch Schaub/Koch ArbR-HdB 17. Aufl. § 215 Rn. 21 mwN). Der Betriebsrat wollte mit der Arbeitgeberin im Rahmen des ihm gesetzlich zustehenden Mitbestimmungsrechts zu einer einvernehmlichen Regelung der Rufbereitschaften gelangen, nachdem er einseitige Anordnungen schon über ein Jahr hingenommen hatte. Dass er die Verhandlungen nicht damit belasten wollte, dass gegen den Vorsitzenden und seinen (damaligen) Stellvertreter - den Beteiligten zu 3) - gerichtliche Verfahren auf Zustimmung zu fristlosen Kündigungen schwebten, ist keine rechtswidrige Bedingung. Anders als die Arbeitgeberin meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass der Betriebsrat keinen Rechtsanspruch auf Rücknahme der Zustimmungsersetzungsverfahren hatte. Selbst wenn man eine unzulässige Koppelungsforderung annehmen wollte, wäre diese nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung des Beteiligten zu 3) aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Die Pflichtverletzung wäre jedenfalls nicht so schwerwiegend, dass sie die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist begründen könnte.

C.

Die Voraussetzungen einer Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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