LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.12.2018 - 7 Sa 186/18
Fundstelle
openJur 2020, 19339
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein -Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz- vom 3. April 2018, Az. 6 Ca 984/17, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch eine außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. Dezember 2017 sowie durch eine hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. Dezember 2017.

Der 1978 geborene, gegenüber seiner voll erwerbsgeminderten Ehefrau zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 1. April 2011 bei der Beklagten im M.-Werk W. als Staplerfahrer im Lagerbereich beschäftigt. Er erhält bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39,0 Stunden eine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung - unter Berücksichtigung von Zusatzleistungen wie Urlaubsgeld und tariflicher Sonderzahlung - in Höhe von 4.154,19 €. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Arbeitsvertrag vom 16. März 2011 (Bl. 15 ff. d. A.) zugrunde. Danach gelten "im Übrigen" "die gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen, die Arbeitsordnung und die sonstigen Betriebsvereinbarungen, die Verhaltensrichtlinie und die sonstigen Richtlinien sowie die Anweisungen der Gesellschaft in der jeweiligen Fassung." Im Betrieb existieren eine "Verhaltensrichtlinie Richtlinie für integres Verhalten" (IC 0.1), wegen deren Inhalts auf Bl. 96 ff. Bezug genommen wird, sowie eine "Arbeitsordnung" (im Folgenden: GBV 223.0), wegen deren Inhalts auf Bl. 107 ff. Bezug genommen wird.

Zuvor war der Kläger bei der Fremdfirma G. für mehrere Jahre auf dem Betriebsgelände der Beklagten eingesetzt.

Am 21. November 2017 ereignete sich folgender Vorfall vor dem Bereich des Gebäudes 00 im Werk W.: Ein Leiharbeitnehmer der Firma G., der Zeuge Bi., hängte vor diesem Gebäude auf den dafür vorgesehenen Routenabstellplätzen eine Route an seinen Schlepper an und stieg im Anschluss auf seinen Schlepper. Es befanden sich sodann drei Anhänger an dem Schlepper. Ein Mitarbeiter der Beklagten, D., fuhr mit seinem Staplerfahrzeug links neben den Schlepper des Zeugen B. und unterhielt sich mit diesem. Dabei standen beide Fahrzeuge unmittelbar nebeneinander. Der Kläger fuhr sodann mit seinem Staplerfahrzeug frontal auf den Schlepper des Zeugen B. zu, blieb direkt vor dem Schlepper stehen und hob den vorderen Teil des Schleppers mittels seines Staplers an. Dann ließ er den Schlepper des Zeugen B. wieder ab und fuhr davon. Als der Zeuge B. wieder wegfahren wollte, stellte er fest, dass die Lenkung seines Schleppers nicht mehr funktionierte. Er ging daher ins Büro, in das sich der Kläger inzwischen begeben hatte, und sagte zu diesem (in etwa): "Geh, schau Dir an, was Du angestellt hast. Ich kann meinen Schlepper nicht bewegen." Der Kläger ging daraufhin mit dem Leiharbeitnehmer B. zu dem Schlepper und prüfte diesen. Anschließend besorgte der Kläger sich im Büro ein Telefon, kehrte wieder zum Schlepper zurück und rief in der Staplerwerkstatt an. Nachdem er von der Werkstatt die Information erhalten hatte, dass er mit dem Schlepper vorbeikommen solle, schickte der Kläger Herrn B. in die Werkstatt und sagte zu diesem, dass er - wenn er in der Werkstatt gefragt werde - keinen Namen nennen solle, sondern nur angeben solle, dass er, der Zeuge B., auf der Toilette gewesen sei. Als er wieder herausgekommen sei, sei der Stapler kaputt gewesen. Der Zeuge B. begab sich sodann zur Staplerwerkstatt und erhielt dort die Auskunft, dass der Lenkzylinder geschädigt sei. Der Hydraulikzylinder musste ausgetauscht werden. Der Schaden beläuft sich auf 414,55 € zuzüglich kalkulierter 5,3 Arbeitsstunden für die Instandsetzung mit jeweils 84,00 €, insgesamt auf circa 859,75 €.

Herr B. meldete am 21. November 2017 seiner Vorgesetzten H. den Vorfall, die wiederum am 22. November 2017 den Meister Produktionsversorgung Vormontagen und FHI EG Be. darüber informierte.

Der Meister Be. ging am 22. November 2017 auf den Kläger zu. Auf den Vorhalt des Meisters Be., ob er ihm zum Beispiel zu sagen habe, dass er einen Schlepper angehoben habe oder einen Mitarbeiter in Gefahr gebracht oder den Schlepper beschädigt habe, antwortete der Kläger bestätigend. Auf weitere Nachfrage gab der Kläger an, dass es ihm leid tue und er sich nichts dabei gedacht habe. Nach diesem Gespräch fragte der Kläger im weiteren Verlauf des 22. November 2017 den Zeugen B., ob er zufrieden sei, was er alles erzählt habe. Des Weiteren wünschte er diesem bei seiner Vertragsverlängerung viel Glück und sagte ihm dann, er habe schon viele Arschlöcher gesehen, aber so ein Arschloch wie den Zeugen B. habe er noch nie gesehen und dieser werde schon sehen, was er davon habe.

Herr Be. meldete den Vorfall am 22. November 2017 der zuständigen Personalmanagerin T., die den Kläger von der Arbeit freistellte und ihm am 24. November 2017 eine schriftliche Einladung zu einer Kündigungsanhörung übergab. Der Zeuge B. wurde am 27. November 2017 zum Vorfall befragt (Anhörungsniederschrift Bl. 90 ff. d. A.), die übrigen Zeugen am 28. November 2017. Der Kläger wurde am 28. November 2017 um 14.45 Uhr zur beabsichtigten Tat- und Verdachtskündigung angehört (Anhörungsniederschrift Bl. 93 ff. d. A.). Der Kläger bestätigte den wesentlichen Vorfall. Er sei auf den Zeugen B. zugefahren und habe den Schlepper, in dem dieser gesessen habe, angehoben, nach seiner Einschätzung 30 bis 40 cm. Der Zeuge B. habe mit ihm gelacht. Nachdem der Zeuge B. ihn über den Schaden am Schlepper informiert gehabt habe, habe er zu diesem gesagt, "Sorry, das wollte ich nicht", woraufhin der Zeuge B. ihn beleidigt und ihm auf Russisch etwas wie "Du Missgeburt" gesagt habe. Er gab an, den Zeugen B. aus Blödsinn bzw. Spaß angehoben zu haben. Mit Verletzungen von Personen habe er nicht gerechnet und den Schlepper nicht beschädigen wollen. Er hat sich vielmals entschuldigt, erklärt, so etwas nie wieder machen zu wollen sowie mit einer Abmahnung und Übernahme der Kosten einverstanden zu sein.

Der Zeuge D. wurde zunächst zu einem Gespräch am 28. November 2017 vormittags eingeladen. Da er diese Einladung nicht rechtzeitig erhielt, wurde der Termin verschoben und dann abgesagt, da der Zeuge angab, keine Aussage machen zu wollen. Am 30. November 2017 lehnte der Zeuge erneut eine Aussage ab und erkrankte sodann bis einschließlich 8. Dezember 2017.

Am 1. Dezember 2017 wurden erneut Gespräche mit dem Kläger (Anhörungs-niederschrift Bl. 82 ff. d. A.) und B. (Anhörungsniederschrift Bl. 86 ff. d. A.) geführt. Der Kläger räumte bei dem Gespräch am 1. Dezember 2017 ein, dass er dem Zeugen B. zu der wiedergegebenen Aussage gegenüber den Verantwortlichen in der Staplerwerkstatt geraten habe und diesen auch wie ausgeführt beleidigt habe.

Mit am 5. Dezember 2017 übergebenen Formular nebst Anlage vom gleichen Tag hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung, hilfsweise zur ordentlichen Kündigung - jeweils auch als Verdachtskündigung - an. Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf den Inhalt des Formulars nebst Anlage (Bl. 120 ff. d. A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2017 (Bl. 131 f. d. A.) äußerte der Betriebsrat Bedenken hinsichtlich der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung bzw. erhob Widerspruch hinsichtlich der beabsichtigten ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 11. Dezember 2017 übergebenem Schreiben vom gleichen Tag (Bl. 9 d. A.) "außerordentlich, mithin fristlos".

Mit weiterem Schreiben vom 18. Dezember 2017 (Bl. 10 d. A.) kündigte die Beklagte "hilfsweise ordentlich, mithin fristgerecht" zum 28. Februar 2018.

Der Kläger hat vorgetragen,ein wichtiger Grund im Sinn des § 626 BGB liege nicht vor. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt. Ein Kündigungsgrund gemäß § 1 KSchG sei nicht gegeben.

Er habe sich an dem Spaß, den die Kollegen B. und D. gehabt hätten, beteiligen wollen und sei ohne groß darüber nachzudenken aufgrund einer spontanen Eingebung mit dem von ihm geführten Stapler mit kurzer Gabel in langsamer Fahrgeschwindigkeit frontal vor das Schlepperfahrzeug gefahren und habe zunächst angehalten. Nachdem der Zeuge B. ihn mit den Worten "Komm! Mach! Mach!" sogar noch dazu ermuntert habe, habe er mit den Gabeln des von ihm gelenkten Staplers den vorderen Teil des Schlepperfahrzeugs langsam und vorsichtig etwa 30 bis 40 cm, vergleichbar mit einem Anheben zum Zwecke eines Vorderradwechsel eines Fahrzeugs, angehoben. Nach einigen Sekunden habe er die Gabeln seines Staplers wieder langsam und vorsichtig abgelassen. Sowohl B. als auch D. hätten diese Aktion mit Lachen kommentiert. Der Zeuge D. habe sich mit seinem Stapler noch vor Ort befunden, als er den Ort des Geschehens verlassen habe. Aufgrund der Konstellation, wie die Fahrzeuge zueinander gestanden hätten, dem Anhebewinkel, der Anhebehöhe sowie dem Gewicht des Schlepperfahrzeugs und dessen Anhängern habe zu keinem Zeitpunkt die Gefahr eines Kippens des Schleppers bestanden. Dies sei auch allen Beteiligten bewusst gewesen. Im Übrigen hätte auch bei einem Kippen des Schleppers keine Gefahr bestanden, dass der Schlepperfahrer B. erheblich verletzt worden wäre, da sämtliche beteiligten Fahrzeuge mit einer festen Fahrerkabine ausgestattet seien. Er sei selbstverständlich nicht mit Gefährdungsabsicht vorgegangen und habe auch nicht eine Gesundheitsverletzung des Arbeitskollegen billigend in Kauf genommen. Er sei uneingeschränkt dazu bereit, für den entstandenen Schaden aufzukommen.

Den Anruf in der Staplerwerkstatt habe er unter Nennung seines Namens begonnen und den Schaden gemeldet. Unmittelbar nach dem Vorfall habe er sich bei Herrn B. sehr wohl mit den Worten "Sorry, das wollte ich nicht!" entschuldigt. Er habe dem Zeugen B. gesagt, er solle sich keine Sorgen machen, er (der Kläger) besorge ihm einen anderen Schlepper.

Hinsichtlich der von ihm verwendeten Bezeichnung "Arschloch" sei zu berücksichtigen, dass der Zeuge B. ihn am Tag zuvor zwei Mal seinerseits mit dem russischen Schimpfwort "Pidaras" bezeichnet gehabt habe, was sinngemäß übersetzt "Missgeburt" bedeute. Außerdem sei der Umgangston unter Stapler- und Schlepperfahrern sicherlich deutlich rauer als beispielsweise in Vorstandsetagen etc. Das Wort falle im Betrieb der Beklagten unter den dort Beschäftigten unzählige Male am Tag.

Unzutreffend sei, dass er dem Zeugen B. widerrechtlich gedroht habe. Sowohl ihm als auch dem Zeugen B. sei selbstverständlich jederzeit bewusst gewesen, dass er nur ein kleiner Staplerfahrer sei, der nicht im Geringsten auf irgendwelche Vertragsverlängerungen mit anderen Arbeitnehmern Einfluss nehmen könne, zumal der Zeuge B. auch noch bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt sei als er. Weder habe er Derartiges gesagt noch gemeint.

Er gelte bei seinen Vorgesetzten und Arbeitskollegen als zuverlässiger und gewissenhafter Mitarbeiter, dessen Leistung und Führung noch nie einen Grund zur Beanstandung gegeben habe. Er sei bei seinen Arbeitskollegen und auch bei seinen Vorgesetzten beliebt, seine Arbeitseinstellung und seine Zuverlässigkeit seien vorbildlich. Er sei bekannt dafür, dass er seinen Vorgesetzten und Arbeitskollegen stets mit Offenheit, Toleranz, Respekt, Höflichkeit, Fairness, Wertschätzung, Rücksichtnahme, Kollegialität und Vertrauen begegne.

Der Kläger hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der beiden Kündigungen bestritten. Der von der Beklagten dem Betriebsrat im Rahmen des Anhörungsschreibens geschilderte Sachverhalt sei in wesentlichen Punkten unzutreffend und entbehre jeglicher Objektivität. Es werde vorrangig die Version des Zeugen B. wiedergegeben. Seine Angaben würden im Rahmen der Anhörung zwar erwähnt, aber im Rahmen der "rechtlichen Würdigung" nicht berücksichtigt. Ihm werde strafbares Verhalten in Form einer vorsätzlichen Sachbeschädigung unterstellt, ohne dass es hierfür irgendwelche Anhaltspunkte gebe. Zu Unrecht werde ihm unterstellt, den Zeugen B. in Gesundheitsgefahr gebracht zu haben.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 11. Dezember 2017 aufgelöst wurde,

2. weiter festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 18. Dezember 2017 sein Ende finden wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen,vor dem Anheben des Schleppers des Zeugen B. durch den Kläger habe es zwischen diesen Personen keinen Wortwechsel gegeben. Damit habe der Zeuge B. auch nicht gewusst, was der Kläger vorgehabt habe, als er frontal auf diesen zugefahren sei. Insbesondere habe der Zeuge B. nicht gewusst, ob der Kläger den Schlepper zum Kippen habe bringen wollen. Dementsprechend sei der Zeuge B. in diesem Moment schockiert gewesen, habe Angst gehabt und nicht gewusst, was er machen solle. Der Zeuge B. habe weiter angegeben, dass der Kläger, nachdem der Zeuge D. weggefahren sei, neben ihn gefahren sei und ihm ein Taschentuch gezeigt habe - auf die Art "heul doch". Auch wenn es nicht zu einer Verletzung von Herrn B. gekommen sei, habe der Kläger durch sein gezieltes und gewolltes Verhalten dieses Risiko in Kauf genommen. Auch bereits das gezielte Zufahren mit einem ihm anvertrauten Staplerfahrzeug auf einen Kollegen bzw. dessen Fahrzeug sei als schwerwiegendes Fehlverhalten zu werten. Den am Schlepperfahrzeug durch das Anheben entstandenen Schaden habe der Kläger zumindest billigend in Kauf genommen, sodass er sich wegen einer Sachbeschädigung (§ 303 StGB) strafbar gemacht habe. Darüber hinaus habe der Kläger sich im Hinblick auf die gegenüber dem Zeugen B. gemachten Äußerungen auch wegen einer Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar gemacht, indem er diesen als "Arschloch" beleidigt habe. Schließlich habe er Herrn B. wegen seiner Äußerung, dass er ihm bei dessen Vertragsverlängerung viel Glück wünsche, widerrechtlich gedroht. Darüber hinaus habe der Kläger durch sein Verhalten gegen die Richtlinie gegen integres Verhalten (IC 0.1) verstoßen, insbesondere gegen die in Ziffer II.2 aufgeführten Grundsätze. Darüber hinaus habe der Kläger die Mindeststandards der Arbeitssicherheit gerade nicht beachtet, gegen die Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB sowie Gebote der GBV 223.0, § 16 Abs. 1 der Vorschrift 68 der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) und § 15 ArbSchG verstoßen und den Betriebsfrieden nachhaltig gestört.

Bei dem Anruf in der Staplerwerkstatt habe der Kläger nicht seinen Namen genannt, sondern nur erklärt, dass ein Schlepper kaputt sei.

Nachdem der Vorfall gemeldet worden und der Zeuge Be. auf den Kläger zugegangen sei, habe der Kläger auf die Frage des Zeugen Be., ob er ihm etwas sagen wolle, zunächst nichts zu dem Vorfall gesagt. Erst als der Zeuge Be. geschildert habe, was er über den Vorfall schon gewusst habe, habe der Kläger Angaben dazu gemacht.

Nach Angaben des Zeugen B. habe sich der Kläger nicht bei diesem entschuldigt.

Im Rahmen der Interessenabwägung sei von entscheidender Bedeutung, dass die massiven Verstöße gegen die Verhaltensrichtlinie, die GBV 223.0 und gegen Gesetze einen schwerwiegenden Vertrauensverlust begründeten mit der Folge, dass ihr Interesse an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen müsse. Sie müsse im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber anderen Mitarbeitern in einem derartigen Fall ein Signal auch im Hinblick auf die Arbeitssicherheit setzen.

Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Sie habe erst nach - weiterer - Klärung in dem Gespräch mit dem Kläger am 1. Dezember 2017 begonnen.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz - hat durch Urteil vom 3. April 2018 festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 11. Dezember 2017 und auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 18. Dezember 2017 sein Ende gefunden hat. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, der weitestgehend unstreitige Vorfall vom 21. November 2017 sei weder für eine fristlose noch für eine ordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände kündigungsrelevant. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger durch das Anheben des Schleppers, den der Zeuge B. bedient habe, mit den Gabeln seines Gabelstaplers einen "dummen" Scherz begangen habe. Die Aktion sei ein "dummer Lausbubenstreich", bei dem sich der Kläger offensichtlich nichts gedacht habe und sich schon gar nicht der Konsequenzen bewusst gewesen sei, dass durch das Anheben des Schleppers auch ein Schaden bei diesem Schlepper und auch eine Gefährdung des Arbeitskollegen an seiner Gesundheit entstehen könne. Infolgedessen hätte es bei dieser Aktion vollkommen ausgereicht, den Kläger arbeitsrechtlich durch eine Abmahnung anzuhalten, in Zukunft solche "Späße und Aktionen" zu unterlassen. Die Kammer gehe davon aus, dass eine Wiederholungsgefahr nicht bestehe. Dies ergebe sich aus der weiteren Verhaltensweise des Klägers. Auch die Äußerungen des Klägers gegen Herrn B., er solle den Vorfall vertuschen und keine Namen nennen, sei nach Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung aller Umstände nicht kündigungsgeeignet für den Ausspruch einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung. Der Vorwurf, der Kläger habe den Beklagten als "Arschloch" tituliert, sei ohne vorherige Abmahnung kein geeigneter Kündigungsgrund. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 174 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 23. April 2018 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen mit einem am 16. Mai 2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 15. Mai 2018 Berufung eingelegt und diese mit am 21. Juni 2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 20. Juni 2018 begründet.

Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 12. November 2018, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 195 ff., 232 ff. d. A.), unter ergänzender Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen zusammengefasst geltend,

dadurch dass der Kläger mit dem ihm von der Beklagten anvertrauten Gabelstaplerfahrzeug gezielt auf das Schlepperfahrzeug (samt Anhänger) von Herrn B. zugefahren und das erste Fahrzeugteil, in dem Herr B. gesessen habe, angehoben habe, habe er in nicht erlaubter Art und Weise ein ihm anvertrautes Betriebsmittel genutzt und damit ein weiteres Betriebsmittel (Schlepperfahrzeug) schuldhaft beschädigt. Dies rechtfertige bereits die Annahme eines wichtigen Kündigungsgrundes im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB, selbst wenn der Kläger nicht im strafrechtlichen Sinn vorsätzlich eine Sachbeschädigung habe begehen wollen. Insoweit liege ein krasser Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB vor. Dies gelte umso mehr, als der Kläger schon seit circa 6,5 Jahren als Staplerfahrer eingesetzt gewesen sei und sich damit auch über die Risiken eines derartigen Vorgehens bewusst gewesen sein müsse. Dies gelte auch für die mit seiner Verhaltensweise anzunehmende Gesundheitsgefährdung gegenüber dem Mitarbeiter B. (zum Beispiel durch Anstoßen des Kopfs am inneren Rahmen des Schlepperfahrzeugs oder durch Umstürzen des Schlepperfahrzeugs), der ohne Vorwarnung mit dieser Situation konfrontiert worden sei und auch nicht gewusst habe, was der Kläger vorgehabt habe, als er frontal auf ihn zugefahren sei. Herr B. sei aufgrund der "spontanen Aktion" des Klägers völlig überrascht gewesen und habe den Kläger zu keinerlei "Aktionen" aufgefordert.

Gegenüber seinem Vorgesetzten Herrn Be. habe der Kläger am Folgetag (22. November 2017) zunächst abgeblockt und erst auf Insistieren sein Fehlverhalten eingestanden. Hätte sich Herr B. an die Angaben des Klägers gehalten, wäre der kündigungsrelevante Vorgang der Beklagten überhaupt nicht bekannt geworden. Den Vertuschungsversuch habe der Kläger erst im zweiten Termin am 1. Dezember 2017 eingeräumt, am 28. November 2017 hingegen in seinen Schilderungen nicht erwähnt. Von einer vom Kläger ausgehenden Einsicht, einem Einräumen von Fehlern oder Reue könne daher in keiner Weise ausgegangen werden.

Die Beleidigung ("Arschloch") und Bedrohung gegenüber Herrn B. sei in die Gesamtbeurteilung einzubeziehen. Bestritten werde, dass dieses Schimpfwort im Betrieb unzählige Male am Tag falle.

Die Äußerung des Klägers gegenüber Herrn B.: "Viel Glück bei deiner Verlängerung, Du wirst schon sehen, was Du davon hast", müsse sehr wohl als Drohung dahingehend verstanden werden, dass der Kläger sich dafür "einsetze", dass Herr B. keine Vertragsverlängerung mehr bekommen solle. Ob der Kläger hierzu im Stande gewesen wäre auf Grund seiner Position oder ob er dies auch tatsächlich habe umsetzen wollen, spiele hierfür keine Rolle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern Landau - vom 3. April 2018, Az. 6 Ca 984/17, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 23. Juli 2018, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 213 ff. d. A.), unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens als rechtlich zutreffend.

Er habe sich, ohne groß darüber nachzudenken, aufgrund einer spontanen Eingebung am Spaß seiner Arbeitskollegen beteiligen wollen. Er habe mit seinem Stapler den vorderen Teil des Schlepperfahrzeugs nur leicht angehoben, vergleichbar mit einem Anheben zum Zwecke eines Vorderradwechsels eines Fahrzeugs. Dies, nachdem der beteiligte Schlepperfahrer B. ihn mit den Worten "Komm! Mach! Mach!" sogar noch ausdrücklich dazu ermuntert habe. Hätte er den später eingetretenen Schaden vorhergesehen, hätte er diesen "Spaß" selbstverständlich sein lassen. In keinem Fall sei die Beschädigung des Schlepperfahrzeugs von seinem Vorsatz umfasst gewesen. Er habe eine Beschädigung dieses Fahrzeugs auch nicht billigend in Kauf genommen, sondern überhaupt nicht so weit gedacht. Er habe sein Fehlverhalten zu keinem Zeitpunkt geleugnet.

An eine angeblich vom Meister Be. gestellte pauschale Frage, ob er ihm etwas sagen wolle, könne er sich nicht erinnern und bestreite daher, dass ihm diese Frage überhaupt gestellt worden sei. Er sei von seinem Vorgesetzten Be. am Folgetag konkret darauf angesprochen worden, ob er einen Schlepper angehoben und beschädigt habe, was er sofort zugegeben habe. Er habe auch sofort zum Ausdruck gebracht, dass es ihm leid tue und er sich nichts dabei gedacht habe. Er habe sein Fehlverhalten zu keinem Zeitpunkt geleugnet.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 5. Dezember 2018 (Bl. 237 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

B.

In der Sache hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 11. Dezember 2017 noch durch die ordentliche Kündigung vom 18. Dezember 2017 beendet worden ist.

I.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. Dezember 2017 - weder als Tat- noch als Verdachtskündigung - beendet worden. Ein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor. Es liegen keine Tat-sachen vor, aufgrund derer es der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

1.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vor-liegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr.; BAG, Urteil vom 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - NZA 2015, 245, 249 Rz. 39; vom 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - NZA 2014, 1258, 1259 Rz. 16; vom 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - NZA 2011, 798, 800 Rz. 24; vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 6, jeweils m. w. N.).

b) Vom Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber begangene Straftaten sind an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Das gilt auch dann, wenn diese lediglich das Versuchsstadium erreicht haben (BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - NZA 2004, 486, 488). Dabei kommt es nicht auf die strafrechtliche Wertung an, sondern darauf, ob dem Arbeitgeber deswegen nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist (BAG, Urteil vom 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - NZA 2005, 991, 993).

Mit der Begehung einer Straftat verletzt der Arbeitnehmer zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1230 Rz. 26 m. w. N.).

c) Auch die schuldhafte Verletzung einer Nebenpflicht ist an sich als verhaltensbedingter Kündigungsgrund geeignet. Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG, Urteil vom 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - NZA 2015, 245, 249 Rz. 40 m. w. N.).

d) Verhaltensbedingte Gründe bilden dabei in der Regel nur dann einen wichtigen Grund, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv, sondern auch rechtswidrig und schuldhaft seine Pflichten aus dem Vertrag verletzt hat, wobei allerdings auch Fahrlässigkeit ausreichen kann.

e) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - NZA 2013, 319, 320 Rn. 15; vom 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - NZA 2011, 798, 802 Rz. 39, jeweils m. w. N.).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - NZA 2015, 294, 296 Rz. 20 ff.; vom 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - NZA 2013, 319, 320 Rz. 16 m. w. N.).

Die schuldhafte Verletzung einer Nebenpflicht setzt für die Eignung als Kündigungsgrund in der Regel eine vorherige vergebliche Abmahnung voraus. Da die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung die übliche und regelmäßig auch ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das regelmäßig geringere Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - NZA 2010, 1348, 1349 f. Rz. 19).

2.

Danach rechtfertigt das dem Kläger vorgeworfene Verhalten keine außerordent-liche Kündigung.

a) Der Kläger hat allerdings in schwerwiegender Weise seine arbeitsvertraglichen Pflichten und Nebenpflichten verletzt, indem er mit dem ihm von der Beklagten anvertrauten Gabelstaplerfahrzeug gezielt auf das Schlepperfahrzeug (samt Anhänger) von Herrn B. zugefahren ist und das erste Fahrzeugteil, in dem Herr B. saß, mindestens 30 bis 40 cm angehoben hat.

Zu einer Gesundheitsbeschädigung beim Zeugen B. ist es nicht gekommen, eine fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) liegt daher nicht vor. Für ein vorsätzliches Verhalten oder ein solches mit Eventualvorsatz des Klägers im Hinblick auf den Versuch eines Zufügens einer Gesundheitsschädigung enthält der Sachverhalt nach Auffassung der Kammer keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte, dies vor dem Hintergrund, dass zwischen dem Kläger und dem Zeugen B. bis zu dem Vorfall ein "ganz normaler Arbeitskontakt" bestand. Irgendwie geartete Feindseligkeiten, Konflikte oder Konfliktpotential gab es unstreitig nicht.

Hingegen ist der vom Zeugen B. geführte Schlepper beschädigt worden, der objektive Tatbestand des § 303 StGB ist erfüllt. Als routinierter Staplerfahrer musste der Kläger erkennen, dass durch das Anheben des Schleppers diese fremde Sache beschädigt werden kann, und hat dieses zumindest billigend in Kauf genommen.

Der Kläger hat durch sein Verhalten weiter in verschiedener Form gegen die Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Bereits das gezielte Zufahren mit einem ihm von der Beklagten anvertrauten Staplerfahrzeug auf einen Kollegen bzw. dessen Fahrzeug ist als schwerwiegendes Fehlverhalten zu werten. Hierdurch hat der Kläger ebenfalls gegen die Richtlinie für integres Verhalten (IC 0.1, Bl. 96 ff. d. A.) verstoßen, insbesondere gegen die in Ziffer II.2 aufgeführten Grundsätze zum fairen Umgang miteinander und mit anderen, zum Schutz der Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen, zur guten Zusammenarbeit, zu sicheren und fairen Arbeitsbedingungen und zur Wahrung des Eigentums und des Vermögens des Konzerns, dem die Beklage angehört.

Darüber hinaus hat der Kläger die Mindeststandards der Arbeitssicherheit gerade nicht beachtet sowie Gebote der GBV 223.0, dort Ziffer VIII.9 (Pflege und sorgfältige Behandlung von zur Verfügung gestellten Betriebsmitteln) und Ziffer IX.1 (genaue Beachtung von ausgehändigten Unfallverhütungsvorschriften, Warnungs-tafeln, sonstigen Bestimmungen zur Sicherheit der Beschäftigen des Betriebes, Einhaltung vorgegebener sicherer Verhaltens- und Arbeitsweisen), § 16 Abs. 1 der Vorschrift 68 der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Achtung darauf, dass Versicherte bei allen Bewegungen des Flurförderfahrzeugs nicht gefährdet werden) und § 15 ArbSchG verstoßen und den Betriebsfrieden gestört. So hat der Beschäftigte nach § 15 Abs. 2 ArbSchG insbesondere Maschinen, Geräte, Werkzeuge, Arbeitsstoffe, Transportmittel und sonstige Arbeitsmittel sowie Schutzvorrichtungen und die ihm zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung bestimmungsgemäß zu verwenden. Hiergegen hat der Kläger beim frontalen Zufahren auf den vom Zeugen B. geführten Schlepper und dem Anheben desselben verstoßen. Ein Verstoß liegt auch dann vor, wenn der Kläger - wie von ihm behauptet und von der Beklagten bestritten - vom Zeugen B. mit den Worten "Komm! Mach! Mach!" zum Anheben des Schleppers aufgefordert worden wäre. Zum einen hätte auch in diesem Fall der Kläger den Vorgang durch sein frontales Zufahren auf den vom Zeugen B. geführten Schlepper eingeleitet. Zum anderen konnte der Zeuge B. nicht in eine etwaige Beschädigung des Schleppers oder Staplers sowie die Verstöße gegen die Arbeitsschutzvorschriften einwilligen. Einer etwaigen Aufforderung durch den Zeugen B. hätte der Kläger unter keinen Umständen nachkommen dürfen.

Der Kläger, der seit ca. 6,5 Jahren als Staplerfahrer eingesetzt worden ist, musste sich der Risiken eines derartigen Vorgehens bewusst sein. Da Schlepper nicht und erst recht nicht, wenn sich in ihnen ein Mitarbeiter befindet, mit einem Gabelstapler angehoben werden, konnte der Kläger nicht wissen, wie und mit welchen konkreten Gefahren das Anheben des vom Zeugen B. geführten Schleppers verbunden ist. So hat er tatsächlich auch nicht die Gefahr einer Beschädigung des Schleppers bedacht. Schließlich konnte der Kläger das Verhalten des Zeugen B. in dieser Situation nicht vorhersehen. Erschwerend kommt außerdem hinzu, dass an dem vom Zeugen B. geführten Schlepper im Zeitpunkt des Vorfalls eine Route angehängt war.

Darauf, ob der Zeuge D. oder der Kläger zuerst weggefahren ist und ob der Kläger dem Zeugen B. ein Taschentuch gezeigt hat, kommt es nach Auffassung der Kammer nicht entscheidend an, zumal zu diesem Zeitpunkt der entstandene Sachschaden noch nicht aufgefallen war. Vielmehr könnte das Winken mit einem Taschentuch sogar eher für eine sinnfreie, unüberlegte Aktion des Klägers sprechen. Dafür, dass der Kläger einen - missglückten - Spaß beabsichtigte, spricht auch, dass der Zeuge B. in seiner ersten Befragung durch die Beklagte angegeben hat, er habe zu dem Zeugen D. gesagt: "Ich verstehe jeden Spaß - da hört aber der Spaß für mich auf". Auch der Zeuge B. hat demnach spontan an einen - über das tolerierbare Maß hinausgehenden - Spaß des Klägers gedacht.

Dadurch dass der Kläger versucht hat, durch Beeinflussung des Zeugen B. seine - des Klägers - Verantwortung für den Schadenseintritt zu vertuschen, hat er gegen die Richtlinie für integres Verhalten (IC 0.1) verstoßen, insbesondere den in Ziffer II.2 aufgeführten Grundsatz verstoßen, das Eigentum und Vermögen des Konzerns, dem die Beklagte angehört, zu schützen. Durch sein Verhalten hat der Kläger bezweckt, keinen Schadensersatzansprüchen der Beklagten (vgl. hierzu auch Ziffer VIII.13 der GBV 223.0) ausgesetzt zu werden und damit umgekehrt, dass sich der Schaden bei der Beklagten realisiert und bei dieser verbleibt.

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger den Zeugen B. in der Folgezeit am 22. November 2017 beleidigt hat. In der Äußerung: "Ich habe schon viele Arschlöcher gesehen, aber so ein Arschloch wie dich, habe ich noch nie gesehen", liegt eine Beleidigung, § 185 StGB. Durch diese Beleidigung hat der Kläger außerdem gegen die Richtlinie für integres Verhalten (IC 0.1) verstoßen, insbesondere den in Ziffer II.2 aufgeführten Grundsatz, dass weder Äußerungen noch Verhalten akzeptiert werden, die zu Feinseligkeit und Aggressivität gegenüber Kollegen führen können. Der Kläger zeigte durch diese Äußerung auch einen Mangel an Respekt und Wertschätzung gegenüber seinem Kollegen. Durch diese Äußerung würde auch ein - vom Kläger behauptetes, von der Beklagten bestrittenes - vorheriges "Sorry, das wollte ich nicht!" gegenüber dem Zeugen B. entwertet.

Dabei entschuldigte es den Kläger nicht, wenn der Zeuge B. ihn zuvor - wie vom Kläger behauptet, von der Beklagten bestritten - zwei Mal in russischer Sprache mit "Pidaras", sinngemäß übersetzt "du Missgeburt", ebenfalls beleidigt hätte. In Anbetracht des vorangegangenen Vorfalls musste der Kläger mit dem Unmut des Zeugen B. umgehen und angemessen auf diese reagieren können. Denn der Zeuge B. war, ohne hierfür selbst Anlass zu geben, von der Beschädigung des ihm anvertrauten Schleppers betroffen. Er musste diese seiner Vorgesetzten melden, erklären und konnte durchaus befürchten, selbst Schadensersatzansprüchen ausgesetzt zu werden. Auch befand er sich als Leiharbeitnehmer mit befristetem Vertrag in einer vergleichsweise schwachen Position. Es bedurfte daher nach Auffassung der Kammer keiner Beweiserhebung zur Frage, ob der Zeuge B. den Kläger ebenfalls beleidigt hat.

Dagegen sieht die Kammer in der Äußerung des Klägers gegenüber dem Zeugen B., er wünsche ihm bei dessen Vertragsverlängerung viel Glück, keine widerrechtliche Drohung. Zwar ist eine solche Äußerung nicht akzeptabel, angesichts der Position des Klägers musste und konnte der Zeuge B. jedoch nicht davon ausgehen, dass der Eintritt des Übels "Nichtverlängerung des Vertrages" vom Verhalten des Klägers abhängt. Eine Drohung ist nur dann anzunehmen, wenn der Drohende ein künftiges Übel in Aussicht stellt, auf dessen Verwirklichung durch entsprechende Handlungen, aber auch Unterlassungen der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Fraglich ist bereits, ob in der Äußerung, "Du wirst schon sehen, was du davon hast", überhaupt eine Drohung enthalten ist. Jedenfalls konnte der Zeuge B. erkennen, dass der Kläger als "einfacher" Staplerfahrer keinen Einfluss auf die Vertragsverlängerung des bei einem Leiharbeitsunternehmen beschäftigten Zeugen B. hatte. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Sachverhalt vom Zeugen B. bereits zuvor am 21. November 2017 seiner Vorgesetzten, von dieser am 22. November 2017 dem Meister Be. und von diesem wiederum der zuständigen Personalmanagerin T. gemeldet worden war. In dieser Äußerung liegt jedoch wiederum ein Verstoß gegen die Richtlinie für integres Verhalten (IC 0.1), insbesondere den in Ziffer II.2 aufgeführten Grundsatz, dass keine Äußerungen und Verhalten toleriert werden, die zu Feindseligkeit und Aggressivität gegenüber Kollegen führen können.

b) Trotz des Vorliegens der erheblichen Pflichtverletzungen ist es der Beklagten gleichwohl zuzumuten, den Kläger weiter zu beschäftigen. Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte der Ausspruch einer Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung des Verhaltens des Klägers in Zukunft nicht bewirken können, noch wiegen die Pflichtverletzungen des Klägers einzeln oder in der Zusammenschau so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme durch die Beklagte unzumutbar wäre.

Im vorliegenden Fall ergibt die Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Auffassung der Kammer, dass das künftige Verhalten des Klägers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann.

Die Pflichtverletzung des Klägers ist nach Auffassung der Kammer nicht als so schwer anzusehen, dass schon ihre erstmalige Hinnahme durch die Beklagte nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich ausgeschlossen ist. Zu berücksichtigen ist insoweit insbesondere, dass es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat, keine Wiederholungsgefahr besteht, keine Gesundheitsschädigung eingetreten ist und der Kläger weder eine Gesundheitsschädigung noch eine Sachbeschädigung beabsichtigt hat. Dies ergibt sich schließlich auch aus einem Vergleich mit anderen Verstößen gegen die GBV 223.0, die in deren Ziffer XIII.2 ausdrücklich als Beispiele für grobe Verstöße, die unter Berücksichtigung des Einzelfalls zur fristlosen Kündigung führen können, genannt werden.

Zugunsten der Beklagten ist bei der Interessenabwägung vor allem zu berücksichtigen, dass sie ein erhebliches Interesse daran hat, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch einen derartigen Vorfall beeinträchtigt wird, Mitarbeiter durch Verletzungen und Fahrzeuge auf Grund von Beschädigungen ausfallen und die Reparatur der Fahrzeuge Kosten verursacht und Arbeitskräfte bindet. Schließlich ist die Beklagte gegenüber eigenen und Leiharbeitnehmern - wie dem Zeugen B. - zum Schutz vor Gesundheitsgefahren verpflichtet, die von dem bestimmungswidrigen Einsatz der von anderen Mitarbeitern geführten Fahrzeuge ausgehen.

Zu Gunsten des Klägers ist dagegen insbesondere zu berücksichtigen dass der 1978 geborene Kläger gegenüber seiner voll erwerbsgeminderten Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet ist. Seine persönliche bzw. familiäre Situation ist nicht einfach. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass das seit dem 1. April 2011 bestehende Beschäftigungsverhältnis bislang ungestört verlaufen ist. Der Kläger ist in seiner 6,5-jährigen Tätigkeit als Staplerfahrer nie negativ in Erscheinung getreten und zu keinem Zeitpunkt zuvor abgemahnt worden. Auch während seinem vorangegangenen mehrjährigen Einsatz für die Fremdfirma G. auf dem Betriebsgelände der Beklagten gab es keinerlei Beanstandungen hinsichtlich der Leistung und der Führung des Klägers. Zu Gunsten des Klägers ist auch zu berücksichtigen, dass er zwar möglicherweise - nach dem streitigen Vortrag der Beklagten - nicht bereits auf eine allgemeine Frage des vorgesetzten Meisters, ob er ihm etwas sagen wolle, wohl aber unstreitig auf konkreten Vorhalt sein Fehlverhalten eingeräumt hat. Auch den "Vertuschungsversuch" hat er - wenn auch nicht unmittelbar - so doch auf entsprechenden Vorhalt am 1. Dezember 2017 ebenso eingeräumt wie seine gegenüber dem Zeugen B. getätigten Äußerungen. Hinsichtlich des Vertuschungsversuchs kommt es nach Auffassung der Kammer nicht entscheidend darauf an, ob der Kläger zu Beginn des Telefonats mit der Staplerwerkstatt seinen Namen genannt hat oder nicht. Der Kläger hat jedenfalls die Initiative ergriffen und durch den Anruf in der Staplerwerkstatt die Reparatur des defekten Staplers in die Wege geleitet. Anhaltspunkte dafür, dass er bewusst seinen Namen verschwiegen oder auf Nachfrage nicht genannt hätte, liegen nicht vor, ebenso wenig Erkenntnisse dazu, ob er von Seiten des Mitarbeiters der Staplerwerkstatt schon an der Stimme erkannt werden konnte oder erkannt wurde. Andererseits wäre auch die Namensnennung durch den Kläger zu Beginn des Telefonats nicht als Schuldeingeständnis zu werten, da sich aus dem bloßen Anruf des Klägers nicht auf sein Fehlverhalten und die Schadensverursachung durch ihn schließen lässt.

Er hat sich außerdem zum Ersatz des entstandenen Schadens ohne Diskussion über den Haftungsumfang oder die Schadenshöhe bereit erklärt und erklärt, eine entsprechende Abmahnung akzeptieren zu wollen. Im Prozess hat er mehrfach deutlich erklärt, den Vorfall zu bereuen sowie beteuert, dass es nicht mehr zu einem derartigen Fehlverhalten kommen werde.

Nach Abwägung all dieser Gesichtspunkte ist der Beklagten nach Auffassung der Kammer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar, die außerordentliche Tatkündigung ist unwirksam.

4.

Auch ein dringender Verdacht zulasten des Klägers vermag die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur Urteil vom 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - BeckRS 2008, 51136 Rz. 28; vom 13. September 1995 - 2 AZR 587/94 - NZA 1996, 81, 83 m. w. N.) kann nicht nur eine erwiesene strafbare Handlung oder erwiesene Vertragsverletzung eines Arbeitnehmers, sondern auch der Verdacht, dieser habe eine strafbare Handlung oder eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Eine "echte" Verdachtskündigung liegt dabei nur dann vor, wenn es gerade der Verdacht ist, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört oder zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Der Verdacht muss objektiv durch bestimmte, im Zeitpunkt der Kündigung vorliegende (Indiz-) Tatsachen begründet sein. Die subjektive Wertung des Arbeitgebers ist unmaßgeblich, bloße auf Vermutungen gestützte Verdächtigungen genügen nicht. Der Verdacht muss sich aus Umständen ergeben, die einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Er muss insbesondere dringend sein und sich auf eine schwere Pflichtverletzung beziehen. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BAG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - NZA 2013, 137, 138 Rz. 17 m. w. N.). Möglichen Fehlerquellen muss der Arbeitgeber nachgehen (BAG, Urteil vom 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - BeckRS 2008, 51136 Rz. 30).

Angesichts des im vorliegenden Fall nahezu vollständig aufgeklärten Geschehensablaufs und des Umstands, dass der Kläger den Sachverhalt einräumt, ist es nicht gerade der Verdacht, der Kläger habe eine strafbare Handlung oder eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört oder zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt hätte. Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Verdachtskündigung liegen daher nicht vor.

II.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. Dezember 2017 beendet worden. Die ordent-liche Kündigung ist weder als Tat- noch als Verdachtskündigung sozial gerechtfertigt im Sinn des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG.

1.

Das KSchG findet gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 1 Abs. 1 KSchG Anwendung.

2.

Die Kündigung war auf ihre soziale Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu überprüfen, da der Kläger gemäß § 4 Satz 1 KSchG rechtzeitig innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat. Dieser Überprüfung hält die Kündigung nicht stand.

a) Eine Kündigung ist im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist.

Gemessen hieran ist die streitgegenständliche Kündigung, die die Beklagte auf verhaltensbedingte Gründe gestützt hat, gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial nicht gerechtfertigt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung vom 11. Dezember 2017. Zwar hat der Kläger - wie oben dargelegt - seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich verletzt. Dennoch ist nach Auffassung der Kammer eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nach Ausspruch einer Abmahnung zu erwarten. Der Ausspruch einer Abmahnung ist ein ausreichendes milderes Mittel, um den Kläger zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere zur Beachtung von Sicherheitsvorschriften, zum sorgfältigen Umgang mit im Eigentum der Beklagten stehenden Betriebsmittel und zum Unterlassen von Beschimpfungen von Arbeitskollegen anzuhalten. Eine Wiederholung des dem Kläger seitens der Beklagten vorgeworfenen Verhaltens ist nach Auffassung der Kammer nicht zu erwarten. Aus den dargelegten Gründen war es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiter zu beschäftigen und auf das mildere Mittel einer Abmahnung zurückzugreifen.

b) Eine Verdachtskündigung kommt - schon wegen der in besonderem Maße bestehenden Gefahr, dass ein Unschuldiger getroffen wird - auch als ordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis bereits durch den Verdacht so gravierend beeinträchtigt wird, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Dies setzt voraus, dass nicht nur der Verdacht als solcher schwerwiegend ist. Vielmehr muss ihm ein erhebliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers - strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung - zugrunde liegen. Die Verdachtsmomente müssen daher auch im Fall einer ordentlichen Kündigung regelmäßig ein solches Gewicht erreichen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht mehr zugemutet werden kann, hierauf also grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung gestützt werden könnte (BAG, Urteil vom 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - NZA 2009, 604, 605 Rz. 20 m. w. N.).

Dies ist, wie oben dargelegt, vorliegend nach Auffassung der Kammer nicht der Fall.

Die Berufung der Beklagten hatte daher keinen Erfolg.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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