LG Mainz, Urteil vom 28.12.2017 - 3 S 32/17
Fundstelle
openJur 2020, 18992
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Mainz vom 03.03.2017, Az. 79 C 248/16, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.713,20 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Kammer nimmt Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO); von der Darstellung etwaiger Ergänzungen oder Änderungen wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, § 313a ZPO).

Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten der Beklagten verneint und die Klage abgewiesen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt auch unter Berücksichtigung der unstreitigen Tatsache der zwar vorhandenen, sich aber nicht in Betrieb befindlichen Heizung der Tiefgaragenabfahrt keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vgl. BGH, Urteile vom 19.12.1989 - VI ZR 182/99 -; vom 04.12.2001 - VI ZR 447/02 -; vom 15.07.2003 - VI ZR 155/03 -; vom 05.10.2004 - VI ZR 294/03 - und vom 08.11.2005 - VI ZR 332/04 - zitiert nach juris, jew. m.w.N.). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Sie kann sich auch auf Gefahren erstrecken, die erst durch den unerlaubten und schuldhaften Eingriff eines Dritten entstehen. Zu Berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (vgl. BGH, Urteil vom 10.10.1979 -VI ZR 98/77 - und - VI ZR 99/77 -; Urteil vom 15.07.2003, a.a.O., Urteil vom 08.11.2005, a.a.O.). Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger des betroffenen Personenkreises - hier: der Wohnungseigentümergemeinschaft - für ausreichend halten darf, um andere Personen - hier: die Verkehrsteilnehmerin - vor Schäden zu bewahren, und die ihr den Umständen nach zuzumuten sind.

Nach diesen Grundsätzen muss die verkehrssicherungspflichtige Wohnungseigentümerin den Zugang zu der Tiefgarage bei Eisglätte streuen. Laut vorgelegtem Auszug aus "Unwetter- alarm.com", dem Auszug aus dem Wetterwarnarchiv für den Kreis Mainz-Bingen und die Stadt Mainz und dem Auszug aus Wetteronline vom 23.01.2016 musste die Beklagte mit Eisglättebildung in der besagten Nacht und am frühen Morgen vom 22.1.2016 auf den 23.01.2016 rechnen. Daher war es fraglos geboten, an diesem Morgen zu streuen. Die Streuverpflichtung war die gebotene und zumutbare Maßnahme, die getroffen werden musste.

Vorliegend hatte die Wohnungseigentümergemeinschaft den Winterdienst jedoch mit Vertrag' vom 28.12.2008 auf die Hausmeisterfirma ... übertragen. Damit verengte sich die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten lediglich nur noch auf Kontroll- und Überwachungspflichten (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 76. Auflage 2017, § 823 Rn 50). Aus der Zeugenvernehmung in erster Instanz geht hervor, dass die Beklagte ihrer Überwachungs- und Kontrollpflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Zutreffend hat das amtsgerichtliche Urteil sich demnach auch nicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Abfahrt tatsächlich gestreut war oder nicht. Entscheidend war allein die Frage, ob die beklagte WEG ihrer Kontroll- und Überwachungspflicht hinreichend nachgekommen ist, was letztendlich mit der Berufung nicht angegriffen wird.

Der Mieter ist in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen, durch den der oder die Eigentümer ihre Räum- und Streupflichten auf einen Dritten übertragen haben (vgl. BGH, Urteil vom 22.01.2008 - VI ZR 126/07 -, zitiert nach juris). Die Sicherung des Zugangs eines Hauses oder einer Tiefgarage dient dem Schutz des Mieters und stellt eine Aufgabe des Vermieters dar.

Vorliegend hat die Wohnungseigentümergemeinschaft den Vertrag über die Hausmeistertätigkeit abgeschlossen (vgl. Bl. 31ff d.A.), so dass sie nicht gemäß § 278 BGB für ein etwaiges Fehlverhalten der Hausmeisterfirma einzustehen hat, weil sie die Befreiung von der Verpflichtung zur Vornahmen eigener Maßnahmen nicht etwa dadurch erlangt hat, dass sie einen Dritten beauftragt hat, sondern dadurch, dass eigene Maßnahmen von ihrer Seite nicht mehr erforderlich waren, weil sie selbst alles zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht Erforderliche und Gebotene unternommen hat (BayOLG, Beschluss vom 08.09.2004 - 2 Z BR 144/04 OLG München, Beschluss vom 24.20.2005 - 34 Wx 82/05 -, zitiert nach juris). Daher kann es auf die Frage, ob die Heizung der Tiefgaragenabfahrt funktioniert oder ausgeschaltet war, nicht ankommen. Dieses Ergebnis ist auch deshalb zutreffend, da bei Nichtvorhandensein einer Tiefgaragenheizung, eine Haftung der Beklagten unstreitig nicht gegeben wäre. Dem Verkehrssicherungspflichtigen steht es frei, zu wählen, wie er seine diesbezüglichen Pflichten erfüllen will. Wenn das eingesetzte Mittel - hier: Übertragung des Winterdienstes auf einen Hausmeisterservice - zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht ausreicht, hat ein Dritter keinen Anspruch auf den Einsatz zusätzlicher weiterer Mittel. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass sie zum Zeitpunkt des Schadenseintritts gar keine Kenntnis des Vorhandenseins einer Tiefgaragenheizung hatte. Diese Kenntnis habe sie erst später erhalten.

Die Berufung ist daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil ein gesetzlicher Grund nicht vorliegt (§ 543 ZPO).