SG Trier, Gerichtsbescheid vom 03.08.2015 - S 5 AS 150/15
Fundstelle
openJur 2020, 18106
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

Mit der am 29.06.2015 beim Sozialgericht Trier erhobenen Klage gegen den Bescheid über die teilweise Versagung von Leistungen nach dem SGB II vom 24.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2015 begehren die Kläger erkennbar die Aufhebung des Versagungsbescheides.

Die 1980 geborene Klägerin zu 1) war bis März 2015 als Erzieherin beschäftigt. Ihr im Dezember 2012 geborenes Kind ... (Klägerin zu 2) war bis dahin von der Mutter der Klägerin zu 1) betreut worden, was zukünftig nicht mehr möglich sei.

Bei der (erneuten) Antragstellung (Arbeitslosengeld II ab 04/2015) wollte sie auf Nachfrage des Beklagten "aus Schutzgründen für sich und Tochter" keine Angaben zur Person des - ihr bekannten - Kindsvaters machen.

Mit Bewilligungsbescheid vom 24.03.2015 (Bl. 24) wurde ihr Arbeitslosengeld II nur in Höhe von 508,65 € - April - 454,65 € - Mai bis Dezember und 604,65 € Januar bis März 2016) bewilligt und in Höhe des Mindestunterhaltes von 225 € (Berechnung vgl. http://www.unterhalt.net/kindesunterhalt/mindestunterhalt.html) teilweise versagt (§§ 66, 60 SGB 1).

Die Kläger erhoben Widerspruch und machten geltend, es sei unzulässigerweise fiktives Einkommen (225 €) angerechnet worden, woraufhin der Beklagte mit Schreiben vom 07.05.2015 ihr Vorgehen erläuterte: Die Kläger hätten Unterhaltsansprüche, die kraft Gesetzes auf den Träger der Grundsicherung übergingen, da bei rechtzeitiger Leistung durch den Unterhaltspflichtigen Leistungen in geringerer Höhe zu zahlen wären (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB 2). Eine Durchsetzung könne jedoch nur dann erfolgen, wenn die persönlichen Daten des Unterhaltspflichtigen bekannt gegeben würden. Hierzu sei die Klägerin zu 1) nach § 60 Abs.1 Nr.1 SGB 1 verpflichtet. Die teilweise Versagung der mit Antrag vom 05.03.2015 geltend gemachten Leistungen stehe insofern im Ermessen des Jobcenters. Nach Würdigung der Umstände dieses Einzelfalls, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Vortrags, dass der Name aus Schutzgründen nicht genannt werde, sei die Leistung teilweise zu versagen. Für den Fall, dass ein Kontakt zwischen Kind/Mutter und Kindsvater aus objektiven Gründen verhindert werden solle, bestünden entsprechende rechtliche Möglichkeiten (Antrag auf alleiniges Sorgerecht, Kontakt-Näherungsverbot etc.). Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass dem Jobcenter diesbezüglich keinerlei anderweitige Aufklärungsmöglichkeiten eröffnet seien. Die Versagung erfolge aktuell auch nur in Höhe eines Betrages von 225,00 €, der dem Mindestunterhalt für das Kind entspreche. Hingewiesen werde ausdrücklich auf die Möglichkeit, dass sogar ein höherer Betrag hätte versagt werden können, da auch ein Anspruch nach § 1615 I BGB bestehe. Es handele sich auch ausdrücklich nicht um eine Minderung der Leistung aufgrund der Anrechnung von Einkommen gemäß § 11 ff. SGB 2. Im Verfügungstext des Bescheides werde explizit darauf hingewiesen. Die Eingabe des Betrages als Einkommen habe lediglich aus technischen Gründen vorgenommen werden müssen. Die Klägerin zu 1) erhalte bis 21.05.2015 Gelegenheit zur Nachholung der Mitwirkung.

Nachdem hierauf keine Reaktion erfolgte wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2015 als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kläger machen weiter geltend, eine Versagung scheitere schon an der fehlenden ordnungsgemäßen schriftlichen Rechtsfolgenbelehrung im Sinne des § 66 Abs. 3 SGB 1.

Die Kläger beantragen erkennbar,

den Bescheid über die teilweise Versagung von Leistungen nach dem SGB II vom 24.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich hierzu auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Die Weigerung der Klägerin zu 1) auf das Schreiben vom 07.05.2015 hin unterstreiche, dass sie trotz ausführlicher Belehrung nicht bereit sei, ihre bereits am 23.03.2015 zum Ausdruck gebrachte Verweigerungshaltung aufzugeben.

Zur Ergänzung des Tatbestands im Einzelnen wird auf die Prozessakte sowie die vorgelegte Beklagtenakte Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Gründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 90, 87 SGG) erhoben, hat aber in der Sache keinen Erfolg, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Das Gericht konnte nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil der Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist. Insoweit gelten die Vorschriften über Urteile entsprechend. Die Beteiligten haben sich zudem übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird zunächst auf die hierzu in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Ausführungen Bezug genommen, denen sich das Gericht nach erneuter Überprüfung anschließt, weil es sie ausdrücklich für zutreffend erachtet (§ 136 Abs 3 SGG). Es ergänzt diese Darlegungen mit folgenden Hinweisen:

Die angegriffene Entscheidung des Beklagten, die begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes wegen fehlender Mitwirkung teilweise in Höhe von 225 € monatlich zu versagen (§§ 60, 66 SGB 1) ist rechtmäßig:

Nach § 60 Abs 1 SGB 1 hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, insbesondere alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen.

Dies ist in Ansehung der Bekanntgabe der Personalien des unterhaltsverpflichteten Kindsvaters ohne Weiteres zu bejahen.

Die Klägerin zu 1) hat auch kein Recht, die Auskunft über den leiblichen Vater und Unterhaltspflichtigen der Klägerin zu 2) zu verweigern.

Zwar hat das BVerfG mit Beschluss vom 24.02.2015 - 1 BvR 472/14 - die Auffassung vertreten, das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze mit der Privat- und Intimsphäre auch das Recht, selbst darüber zu befinden, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt werde. Dies umschließe das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen. Auch deshalb überschreite eine gerichtliche Verpflichtung einer Mutter, zur Durchsetzung eines Regressanspruchs des Scheinvaters (§ 1607 Abs. 3 BGB) Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters des Kindes zu erteilen, die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, weil es hierfür an einer hinreichend deutlichen Grundlage im geschriebenen Recht fehle.

Dabei wird allerdings schon zu Unrecht nicht in die Abwägung mit einbezogen, dass in diesem Kontext keineswegs nur oder überwiegend die (Persönlichkeits)-Rechte der Mutter zu berücksichtigen sind. Vielmehr sind ganz entscheidend auch die Rechtspositionen des Kindes sowie des (leiblichen) Vaters und - wenn wie hier steuerfinanzierte Leistungen anstelle des an sich Unterhaltspflichtigen treten sollen - die Interessen der Allgemeinheit mit zu berücksichtigen. Insoweit haben Entscheidungen des EGMR bzw. der Zivilgerichte zur Rechtsposition des leiblichen Vaters und insbesondere des Kindes auch schon deutlich andere Akzente gesetzt:

So hat der EGMR (15.09.2011 - 17080/07) bereits zum wiederholten Male die Rechte des mutmaßlichen biologischen Vaters im Zusammenhang mit der Verweigerung eines Auskunftsanspruchs der Mutter als Verstoß gegen Art. 6 und 8 EMRK gewertet.

Vor allem aber hat der BGH (Urteil vom 28. Januar 2015 - XII ZR 201/13) zu Recht betont, dass auch der Anspruch des Kindes auf Auskunft über seinen biologischen Vater Ausfluss seines verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ist und dazu dient, eine Information zu erlangen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von elementarer Bedeutung sein kann: "Denn das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde sichern gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Zu den Elementen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von entscheidender Bedeutung sein können, gehört die Kenntnis der eigenen Abstammung. Der Bezug zu den Vorfahren kann im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für sein Selbstverständnis und seine Stellung in der Gemeinschaft einnehmen. Die Kenntnis der Herkunft kann wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis des familiären Zusammenhangs und für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit geben. Die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, kann den Einzelnen erheblich belasten und verunsichern (BVerfG FamRZ 2007, 441, 442 mwN; FamRZ 1997, 869, 870; FamRZ 1994, 881, 882; FamRZ 1989, 255, 257 f.; Senatsbeschluss vom 29. Oktober 2014 - XII ZB 20/14 - FamRZ 2015, 39 Rn. 30)".

Dabei kommt dieser Rechtsposition regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zu (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2014, 674, 676, wonach in der Regel zugunsten des Kindes zu entscheiden sei) und sie ist weder vom Alter noch vom Entwicklungsstand des Kindes und auch nicht davon abhängig, inwieweit das Kind selbst im Zusammenhang mit einem Auskunftsbegehren aktiv wird (BGH, a.a.O.)

Dies verdeutlicht, dass keineswegs das Persönlichkeitsrecht der Mutter allein den wesentlichen Maßstab der Interessenabwägung bilden kann.

Im vorliegenden Fall ist ohnehin nur ein Bereich betroffen, in dem die Auskunft der Mutter nicht einer Privatperson gegenüber erteilt werden soll, sondern einer Behörde. Diese Behörde ist - wie alle Behörden in Deutschland - an strenge, gesetzliche, auch und insbesondere datenschutzrechtlichen Bestimmungen gebunden, was einen möglichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht schon allein deshalb wesentlich weniger schwerwiegend erscheinen lässt.

Zudem bestehen in diesem Kontext auch ausdrückliche gesetzliche Grundlagen, in denen eine solche Auskunftspflicht normiert ist, ohne dass es eines - vom BVerfG beanstandeten - Rückgriffs auf § 242 BGB oder richterliche Rechtsfortbildung bedürfte.

So bestimmt § 3 Absatz 3 des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz), dass Anspruch auf Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz besteht nicht, wenn der in Absatz 1 Nr. 2 bezeichnete Elternteil mit dem anderen Elternteil zusammenlebt oder sich weigert, die Auskünfte, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlich sind, zu erteilen oder bei der Feststellung der Vaterschaft oder des Aufenthalts des anderen Elternteils mitzuwirken.

Hier hat die Klägerin zu 1) nicht einmal ansatzweise glaubhaft machen können, warum sie ein so überragend schützenswertes Interesse an der Verweigerung der Vaterschaftsauskunft haben könnte, welches die hochrangigen Kindesinteressen, die Interessen des leiblichen Vaters sowie die gesetzlich ausdrücklich geschützten fiskalischen Interessen der (nur subsidiär) zahlungspflichtigen staatlichen Gemeinschaft deutlich überwiegen würde.

Die bloße Aussage, sie wolle jeglichen Kontakt des Kindes zu seinem leiblichen Vater unterbinden, weil dieser sich angeblich im Strafvollzug wegen einer angeblich begangenen Körperverletzungshandlung mit Todesfolge befindet, bezeichnet - unter Abwägung der Interessen der übrigen Beteiligten - demgegenüber gerade keine solche besonders schutzwürdige Rechtsposition, sondern im Gegenteil eine die Rechte des leiblichen Vaters, des eigenen Kindes und der staatlichen Gemeinschaft vernachlässigende Haltung. Selbst wenn der Kindsvater im Gefängnis wäre, und selbst wenn er die behauptete Straftat begangen hätte, würde dies noch keinen Grund darstellen, dem Beklagten gegenüber jegliche Auskunft zu verweigern.

Mithin ist der Klägerin zu 1) die geforderte Mitwirkung erkennbar zumutbar und es erscheint auch nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Beklagte dann in Höhe der dadurch unterbliebenen möglichen Unterhaltszahlung die an sich zustehende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB 2 wegen fehlender Mitwirkung (§ 66 SGB 1) versagt. Im Rahmen der Ermessensbetätigung ist der Beklagte noch deutlich hinter der unter Umständen auch möglichen, noch weitergehenden Versagung zurückgeblieben.

Soweit nach § 66 Absatz 3 SGB 1 Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden dürfen, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist, muss hier beachtet werden, dass der Klägerin zu 1) durchaus bekannt war, dass sie zur entsprechenden Mitwirkung verpflichtet ist und sich daraus leistungsrechtliche Nachteile ergeben, die sie in der Vergangenheit auch bereits akzeptiert hatte.

Ohnehin sind solche weitergehenden Hinweise ausnahmsweise entbehrlich, wenn - wie hier - feststeht, dass sich der Mitwirkungspflichtige des Inhalts der von ihm erwarteten Mitwirkungshandlung und der Folgen der Obliegenheitsverletzung bewusst ist und auch ein schriftlicher Hinweis ihn nicht veranlassen würde, ernsthaft an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken (Kampe† in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 66 SGB I, Rn. 34).

Zudem hat der Beklagte mit Schreiben vom 07.05.2015 ausführlich sein Vorgehen erläutert, insbesondere nochmals klar gestellt, dass hier keine Minderung der Leistung aufgrund der Anrechnung von Einkommen gemäß § 11 ff. SGB 2 vorgenommen wurde, sondern - wie bereits im Verfügungssatz des Bescheides explizit ausgeführt, lediglich eine (teilweise) Versagung der Leistung. Die Eingabe des Betrages als Einkommen musste lediglich aus technischen Gründen vorgenommen werden.

Die Kläger erhielten bis 21.05.2015 Gelegenheit zur Nachholung der Mitwirkung. Weder in dieser Frist, noch im späteren Erörterungstermin hat die Klägerin zu 1) eine entsprechende Mitwirkung nachgeholt.

Mithin ist der angegriffene Versagungsbescheid vom 24.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2015 rechtmäßig, weshalb die Klage keinen Erfolg haben konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Berufung gegen diesen Gerichtsbescheid ist zulässig (§§ 143, 144 Abs 1 SGG).