LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.07.2008 - L 6 B 142/08 RS
Fundstelle
openJur 2020, 15377
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 14.3.2008 aufgehoben

2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten seiner Untätigkeitsklage sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

I

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten nach Erledigterklärung der am 2.11.2007 erhobenen Untätigkeitsklage gegen die Beklagte.

Der Kläger hatte sich mit Schreiben vom 18.9.2003, mit welchem er Widerspruch gegen die Bescheide der Beklagten vom 11., 14. und 26.8.2003 wegen Anwendung der Kürzungsregelung des § 22 Abs. 4 Fremdrentengesetz (FRG) eingelegt hatte, mit dem Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts einverstanden erklärt. Die Beklagte äußerte sich mit Schreiben vom 10.2.2004 einverstanden.

Mit Beschluss des BVerfG vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 - war der Gesetzgeber aufgefordert worden, bis zum 31.12.2007 eine Übergangsregelung für die Absenkung der Entgeltpunkte für Zeiten nach dem FRG zu schaffen. Gemäß Art 6 § 4c Abs. 2 FANG in der ab dem 1.10.1996 geltenden Fassung vom 20.4.2007 gilt:

Für Berechtigte,

1. die vor dem 1. Januar 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen haben,

2. deren Rente nach dem 30. September 1996 beginnt und

3. über deren Rentenantrag oder über deren bis 31. Dezember 2004 gestellten Antrag auf Rücknahme des Rentenbescheides am 30. Juni 2006 noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist,

wird für diese Rente einmalig zum Rentenbeginn ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten ermittelt. Der Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten ergibt sich aus der Differenz zwischen der mit und ohne Anwendung von § 22 Abs. 4 FRG ermittelten Summe aller persönlichen Entgeltpunkte. Dieser Zuschlag wird monatlich für die Zeit des Rentenbezuges

vom 1. Oktober 1996 bis 30. Juni 1997 voll,

vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 zu drei Vierteln,

vom 1. Juli 1998 bis 30. Juni 1999 zur Hälfte und

vom 1. Juli 1999 bis 30. Juni 2000 zu einem Viertel

gezahlt. Für die Zeit des Rentenbezuges ab 1. Juli 2000 wird der Zuschlag nicht gezahlt. § 88 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) findet keine Anwendung. § 44 Abs. 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) findet Anwendung.

Der Kläger, der unter diese Übergangsregelung fällt und dessen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit 2003 im Hinblick auf die noch ausstehende Entscheidung des BVerfG zum Ruhen gebracht worden war, wies die Beklagte mit Schreiben vom 25.8.2007 auf o.g. Entscheidung des BVerfG hin und erklärte, er erwarte umgehend die Erteilung eines nach Art. 6 § 4c FANG entsprechenden Bescheids.

Mit Schreiben vom 11.9.2007 teilte die Beklagte ihm mit, er erfülle die Kriterien für die Anwendung des Art. 6 § 4c FANG. Das Programm zur Berechnung des Zuschlags werde voraussichtlich erst im Oktober zur Verfügung stehen.

Am 2.11.2007 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Koblenz (SG) Untätigkeitsklage gegen die Beklagte erhoben, die er nach Erteilung des Bescheids vom 4.12.2007, mit dem der Übergangsregelung des Art. 6 § 4c FANG Rechnung getragen und eine Nachzahlung an den Kläger festgestellt worden ist, mit am 7.1.2008 beim SG eingegangenem Schriftsatz in der Hauptsache für erledigt erklärt und um eine Kostenentscheidung dem Grunde nach gebeten hat. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) sei bereits seit Ende Juli 2007, die DRV Baden-Württemberg und die DRV Hessen seien bereits seit Anfang September in der Lage gewesen, entsprechende Ausführungsbescheide zu erteilen.

Die Beklagte hat dazu im Wesentlichen mit Schriftsatz vom 28.2.2008 vorgetragen, das anzuwendende Berechnungsprogramm sei innerhalb der dem AKIT (Arbeitskreis für Informationstechnologie) zugehörigen Anstalten am 19.9.2007 versandt worden. Am 4.10.2007 sei nach einer Beanstandung vom 25.9.2007 eine Programmschwäche, die in bestimmten Konstellationen zu unzutreffenden Ergebnissen bei der Rentenberechnung geführt hätte, durch Versand einer Info-Mail mit entsprechenden Programmänderungen behoben worden. Soweit ihr bekannt sei, hätten die anderen Träger im AKIT die geänderten Programme ca. Ende Oktober 2007 eingesetzt. Bei ihr habe sich der Einsatz dieses Programms durch den höher priorisierten und termingebundenen Einsatz der Programme im Zusammenhang mit den ab 1.1.2008 geltenden Rechengrößen zum 5.11.2007 verzögert, für welche sie, die Beklagte, innerhalb des AKIT für alle Regionalträger - außer der Deutschen Rentenversicherung Bund - federführend verantwortlich sei. Der damit verbundene hausinterne Testaufwand habe parallele Einsätze anderer Komponenten zum gleichen Zeitpunkt verhindert.

Der Einsatz der Programme zu Art. 6 § 4c FANG sei bereits am 19.10.2007 verbindlich für den 26.11.2007 vorgesehen gewesen. Weitere Beanstandungen im Rahmen des Tests für diesen Einsatz hätten zu einer nochmaligen geringen Verzögerung bis zum tatsächlichen Einsatz am 3.12.2007 geführt. Ein Organisationsverschulden liege nicht vor. Ein Kostenerstattungsanspruch bestehe daher nicht.

Das SG hat mit Beschluss vom 14.3.2008 entschieden, dass dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind. Es liege ein zureichender Grund im Sinn des § 88 SGG für die Bescheiderteilung erst am 4.12.2007 vor. Die von der Beklagten vorgebrachte Programmschwäche und der auch nach Auffassung des Gerichts höher priorisierte und termingebundene Einsatz der Programme im Zusammenhang mit den ab 1.1.2008 geltenden Rechengrößen zum 5.11.2007, für den die Beklagte verantwortlich gewesen sei, seien ein zureichender Grund nach § 88 SGG für die Bescheiderteilung erst am 4.12.2007. Ein organisatorisches Defizit habe nicht vorgelegen.

Gegen den ihm am 18.3.2008 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 20.3.2008 Beschwerde eingelegt und trägt vor, es liege ein organisatorisches Defizit vor, zumal z.B. bei der DRV Bund bereits Ende Juli 2007 das notwendige Programm fertig gestellt und eine Bescheiderteilung möglich gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 14.3.2008 aufzuheben und der Beklagten seine notwendigen außergerichtlichen Kosten der Untätigkeitsklage sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens und der Entscheidungsfindung des Senats gewesen ist.

II

Die zulässige Beschwerde des Klägers ist auch begründet.

Bei einer Erledigung der Untätigkeitsklage - wie hier durch den Erlass des Bescheids vom 4.12.2007 nach Ablauf der sechsmonatigen Sperrfrist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG und nachfolgender Erledigungserklärung des Klägers - ist nach § 193 Abs. 1 S. 3 SGG auf Antrag durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Die Kosten fallen dann in der Regel dem Beklagten zur Last, wenn er keinen hinreichenden Grund für die Untätigkeit hatte oder wenn der Kläger nach den ihm bekannten Umständen mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Schließlich kann auch berücksichtigt werden, ob die Kosten durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

Die sechsmonatige Sperrfrist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG, die mit Verkündung der Neuregelung des Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG in der ab dem 1.10.1996 geltenden Fassung vom 20.4.2007 zu laufen begann, war bei Erhebung der Untätigkeitsklage am 2.11.2007 bereits abgelaufen. Da zwischen den Beteiligten - ohne dass ein förmlicher Beschluss das Ruhen des Widerspruchsverfahren angeordnet hatte - Einigkeit bestand, dass zunächst die Entscheidung des BVerfG abgewartet werden sollte, welches mit seinem Beschluss vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 - dem Gesetzgeber eine Neuregelung aufgegeben hatte, war das Verwaltungsverfahren ab der Verkündung der Neuregelung des Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG in der ab dem 1.10.1996 geltenden Fassung vom 20.4.2007 von Amts wegen wieder aufzunehmen, ohne das es eines erneuten Antrags des Klägers bedurfte.

Der Senat lässt dahinstehen, ob der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 28.2.2008 geschilderte Sachverhalt einen hinreichenden Grund dafür abgab, dass der Rentenbescheid des Klägers erst mit Datum vom 4.12.2007 erteilt worden ist. Denn die Überprüfung des Sachverhalts ergibt, dass die Kosten der Untätigkeitsklage durch das Verschulden der Beklagten entstanden und deshalb von ihr zu tragen sind.

Die Beklagte hat auf das Schreiben des Klägers vom 25.8.2007 lediglich mit Schreiben vom 11.9.2007 mitgeteilt, er erfülle die Kriterien für die Anwendung des Art. 6 § 4c FANG. Das Programm zur Berechnung des Zuschlags werde voraussichtlich erst im Oktober zur Verfügung stehen. Dementsprechend konnte der Kläger zunächst davon ausgehen, dass der Bescheid im Oktober erteilt werde. Wie sich aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 28.2.2008 ergibt, war der Einsatz der Programme zu Art. 6 § 4c FANG bereits am 19.10.2007 für den 26.11.2007 verbindlich vorgesehen. Hätte die Beklagte den Kläger hierüber umgehend per Brief, telefonisch oder durch Fax in Kenntnis gesetzt, was ihr ohne Weiteres möglich gewesen wäre, so hätte der Kläger gewusst, dass erst gegen Ende November mit einer Bescheiderteilung zu rechnen war. So aber hat die Beklagte den Kläger, der von ihr keine weitere Nachricht als das Schreiben vom 11.9.2007 hatte, weiterhin im Glauben gelassen, dass der Bescheid im Oktober 2007 ergehen werde. Durch dieses der Beklagten zuzurechnende schuldhafte Verhalten ist es dann zur Erhebung der Untätigkeitsklage am 2.11.2007 gekommen.

Nach all dem hat die Beklagte die Kosten der Untätigkeitsklage des Klägers sowie des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

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