VG Schwerin, Urteil vom 06.12.2019 - 15 A 128/19 SN
Fundstelle
openJur 2020, 12947
  • Rkr:

1. Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit setzt voraus, dass der Ausländer vorsätzlich falsche Angaben macht.

2. Einr Staat darf die Staatsangehörigkeit nicht an sachfremde, mit ihm nicht in hinreichender Weise verbundene Sachverhalte anknüpfen.

3. Eritrea ist als moderne politisch-territoriale Einheit ausschließlich ein Produkt des italienischen Kolonialismus.

4. Zur geschichtlichen Entwicklung Eritreas

5. Zur Glaubhaftmachung einer Staatsangehörigkeit (hier: verneint)

6. Eritreer, die im Kleinkindalter Eritrea verlassen, haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz und weiter hilfsweise nationale Abschiebungsverbote zu gewähren.

Der Kläger ist am 1. November 1988 in der damaligen äthiopischen Provinz Eritrea geboren. Nach eigenen Angaben habe er die eritreische Staatsangehörigkeit und gehöre der Volksgruppe der Tigre an. Zum Reiseweg gab er an, er habe Anfang der 90er Jahre Eritrea verlassen. Er wisse nicht mehr genau wann, aber er glaube es sei 1990 gewesen. Er habe bis zum 5. Mai 2014 im Sudan gelebt. Danach sei er zweieinhalb Jahre in Libyen gewesen. Von dort sei er nach Italien gegangen, wo er eine Woche gewesen sei. Sodann sei er nach Frankreich gegangen, dort habe er länger als ein Jahr gelebt. In Frankreich sei ein Asylverfahren durchgeführt worden. Dieser Asylantrag sei Anfang März [2017] abgelehnt worden. Dagegen habe er Widerspruch eingelegt. Eine Entscheidung habe er nicht bekommen. Seit dem 2. Mai 2017 habe er auf der Straße gelebt, weil er aus der Unterkunft geworfen worden sei. Danach sei er am 23. Oktober 2017 nach Deutschland eingereist.

Nach dem in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Bescheid vom 14. Dezember 2016 hatte das französische Büro für den Schutz der Flüchtlinge und der Staatenlosen den Asylantrag des Klägers abgelehnt. Danach hatte der Kläger angegeben, dass sowohl sein Vater als auch seine Mutter die sudanesische Staatsangehörigkeit besessen hätten.

Am 2. November 2017 beantragte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asyl. Zu dessen Begründung trug er in der Anhörung vom 6. November 2017 vor: Sein Vater habe die eritreische Staatsangehörigkeit besessen, seine Mutter sei staatenlos gewesen. Personalpapiere besitze er nicht. Er sei auch nicht in der Lage bei der Botschaft oder in Eritrea solche Papiere zu besorgen. Er besitze auch keine Personaldokumente eines anderen Landes. Seine Eltern hätten ihm erzählt, dass er in Tesseney geboren sei. Wenn er nach Eritrea zurück müsse, müsse er Nationaldienst leisten. Dieser Dienst sei unbegrenzt. Eritrea habe er mit seiner Familie als Kind verlassen. Es habe Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien geherrscht. Ihm sei damals in Eritrea nichts passiert. Bei Rückkehr nach Eritrea befürchte er, dass er entweder getötet würde oder ins Gefängnis gesteckt oder wenigstens Wehrdienst leisten müsse. Das wäre für immer. Dem Kläger wurde zu zahlreiche Örtlichkeiten und Begrifflichkeiten aus Eritrea befragt. In Äthiopien würde er ebenfalls nicht akzeptiert werden. Seine Volksgruppe der Tigre gäbe es dort nicht, sondern nur Tigrinya. Er sei als Äthiopier geboren, habe aber in Eritrea gelebt. Sein Vater sei im Jahre 2008 nach Eritrea zurückgekehrt. Sein in Eritrea lebender Onkel habe zuvor seinen Vater angerufen. Er habe ihm mitgeteilt, dass dessen Vater (sein - des Klägers - Großvater) krank sei und vielleicht sterben würde. Sein Vater sei darauf nach Eritrea zurückgekehrt und man habe nichts mehr von ihm gehört. Nach ca. zwei Wochen sei er – der Kläger – illegal nach Eritrea gegangen, um seinen Vater zu suchen. Dort sei er von der eritreischen Polizei oder Geheimdienst erwischt worden. Nach einem Verhör hätten sie ihn wieder nach Tesseney geschickt. Dort sei er für zwei Monate im Gefängnis gewesen. Er sei dann wieder entlassen worden und sofort in den Sudan zurückgekehrt. Er habe in einem Containergefängnis gesessen. Dieses beschrieb der Kläger näher. Er sei deswegen aus dem Gefängnis gekommen, weil sein Onkel Geld bezahlt habe. Er sei auch ständig geschlagen und beleidigt worden. Das Gefängnis habe südlich von Tesseney an einem Fluss gelegen. Danach habe er noch viele Jahre im Sudan gelebt. Im Sudan sei es ihm wirtschaftlich nie gut gegangen. Dort habe er kein Leben gehabt. Sie seien schlecht behandelt worden, weil sie illegal gewesen seien. Was man verdiene, müsse man der Polizei zahlen.

Zunächst lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 15. November 2017 den Antrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Frankreich an. Nach Ablauf der Überstellungsfrist hob das Bundesamt diesen Bescheid mit Bescheid vom 6. Juni 2018 wieder auf.

Daraufhin lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 26. Oktober 2018 den Antrag erneut als unzulässig ab, stellte fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote vorlägen und forderte den Kläger unter Fristsetzung von einer Woche auf, das Bundesgebiet zu verlassen. Sollte er die Frist nicht einhalten, drohte ihm das Bundesamt seine Abschiebung in den „Herkunftsstaat“ an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 des AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Nach Auffassung des Bundesamtes handelt es sich bei dem Antrag des Klägers um einen Zweitantrag nach § 71a Asylgesetz (AsylG). Der Kläger habe keine Identitätsdokumente oder sonstige Dokumente vorgelegt aus der sich seine eritreische Abstammung ergeben könnte.

Nachdem das erkennende Gericht mit Beschluss vom 4. Dezember 2018 – 15 B 2172/18 SN – die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet hatte, weil sich zum damaligen Zeitpunkt nicht mit hinreichender Sicherheit aus den Verwaltungsvorgängen ergab, dass das Asylverfahren in Frankreich erfolglos im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG abgeschlossen gewesen war, wurde der Bescheid mit Bescheid vom 3. Dezember 2018 aufgehoben.

Mit - hier streitgegenständlichen - Bescheid vom 17. Januar 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nunmehr als offensichtlich unbegründet ab. Abschiebungsverbote nach nationalem Recht lägen nicht vor. Der Kläger wurde erneut aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen und seine Abschiebung in den „Herkunftsstaat“ angedroht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen. Der Bescheid ging dem Kläger am 22. Januar 2019 zu.

Der Kläger hat am 24. Januar 2019 gegen diesen Bescheid die vorliegende Klage erhoben, mit dem er sein Begehren weiter verfolgt. Er weist darauf hin, dass keine Identitätstäuschung vorliege. Sein Geburtsort habe im Zeitpunkt seiner Geburt, 1988, in der Provinz Eritrea des Staates Äthiopien gelegen. Eritrea sei erst 1993 zu Unabhängigkeit gelangt. Im Zeitpunkt seiner Geburt sei er zunächst äthiopischer Staatsangehöriger gewesen, habe aber nach dem Unabhängigkeitstag die eritreische Staatsangehörigkeit erworben. Er lege dazu eine Kopie einer Identitätskarte vom 13. März 2007 vor, die in Khartum/Sudan von der eritreischen Botschaft ausgestellt worden sei. Zum Zeitpunkt seiner Geburt habe es sich bei Eritrea um eine autonome Provinz gehandelt, die Äthiopien zugesprochen gewesen sei. Deren Selbstständigkeit sei aber schrittweise aufgehoben worden. Vor diesem Hintergrund könne nicht davon ausgegangen werden, dass er – der Kläger – im Ausland geboren sei und die äthiopische Staatsangehörigkeit besitze. Damit sei er auf dem jetzigen Staatsgebiet Eritreas geboren. Zwar habe er lange Zeit im Ausland (im Sudan) gelebt, dort habe er aber weder einen Aufenthaltstitel erworben noch die sudanesische Staatsangehörigkeit. Selbst wenn er über seine Eltern die äthiopische Staatsangehörigkeit erhalten haben sollte, handele es sich dabei - vor der Unabhängigkeit Eritreas - um eine aufgedrängte Staatsangehörigkeit ohne seine Zustimmung, weil Äthiopien Eritrea völkerrechtswidrig annektiert habe. Es bestehe keine hinreichende tatsächliche Beziehung zwischen ihm und dem äthiopischen Staat und widerspreche insoweit völkerrechtlichen Grundsätzen. Als eritreischer Staatsangehöriger stehe ihm daher die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, denn im Falle seiner Einreise in Eritrea wäre seine Furcht vor Verfolgung durch den eritreischen Staat begründet. Ihm drohe als Staatsbürger Eritreas im wehrdienstfähigen Alter die Einberufung zum Nationaldienst, der von unbegrenzter und willkürlicher Dauer sei und einen besonderen ideologischen Stellenwert besitze. Aus der Nichtableistung bzw. Entzug vom Nationaldienst unterstelle der eritreische Staat ein oppositionelles Verhalten, das entsprechend sanktioniert werde. Er habe als Kleinkind Eritrea illegal verlassen und sei 2008 auf der Suche nach seinem Vater dort zeitweise in Haft gewesen. Damit würde ihm bei Rückkehr vom eritreischen Staat grundsätzlich eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt.

Der Kläger beantragt,

unter entsprechend teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Januar 2019 die Beklagte zu verpflichten, ihm – dem Kläger – die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise: subsidiären Schutz zu gewähren,

äußerst hilfsweise: festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach nationalem Recht bestehen.

Die Beklagte stellt schriftsätzlich den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 15 B 2172/18 SN nebst den beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.

Gründe

I. Das Gericht konnte die Sache verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist. Die Beklagte ist unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ordnungsgemäß geladen worden.

II. Die Klage ist zulässig, insbesondere auch fristgerecht erhoben worden. Die Klage ist aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm begehrten asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Rechtsstellungen.

1. Die Voraussetzungen des vorrangig zu prüfenden Zweitverfahrens nach § 71 a Abs. 1 AsylG liegen hier nach wie vor nicht vor. Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass das Asylverfahren in Frankreich endgültig abgeschlossen worden ist (dazu näher den im Tatbestand zitierten Beschluss 15 B 2172/18 SN im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes). Würden die Voraussetzungen vorliegen, hätte die Klage höchstwahrscheinlich ebenfalls abgewiesen werden müssen. Denn seit der letzten Entscheidung in Frankreich ist keine erhebliche Verschlechterung der flüchtlingsrechtlich relevanten Lage in Eritrea eingetreten. Dazu ist auch nichts vorgetragen worden. Asyl, Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz dürften daher in Deutschland nicht mehr geprüft werden. Ansprüche auf flüchtlingsrechtliche Rechtsstellungen würden daher von vornherein ausscheiden.

Dazu etwa VG Schwerin, Urteil vom 13. September 2019 – 15 A 4496/17 As SN –, juris Rn. 20 ff.; 26 ff.

2. Der Asylantrag ist allerdings nicht als offensichtlich unbegründet nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu beurteilen. Der Kläger hat nicht über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht oder Angaben dazu verweigert. Täuschung setzt voraus, dass der Ausländer vorsätzlich falsche Angaben macht. Das kann hier nicht festgestellt werden. Der Kläger hat sowohl bei der französischen Asylbehörde als auch in Deutschland darauf hingewiesen, dass er aus Eritrea stamme und dieses als Eritrea bezeichnetes Gebiet vor Gründung des Staates Eritrea verlassen habe. Welche staats- und völkerrechtlichen Schlüsse hieraus für die klägerische Staatsangehörigkeit zu ziehen sind, hat zunächst die Beklagte zu beurteilen. Die erforderlichen Angaben zu den maßgebenden Umständen (Geburtsort, Abstammung usw.) hat der Kläger gemacht, wenn auch zum Teil verwirrend. Wie aber der Inhalt des französischen Protokolls zeigt, ist nicht klar, ob der Kläger den Begriff „Nationalité“ (= Staatsangehörigkeit, Nationalität) im Sinne von Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit versteht. Diese Differenzierungen nehmen nach den Erfahrungen des Gerichts viele Ausländer nicht in der gebotenen Weise vor. Dies gilt auch und gerade für Personen aus Ostafrika, zumal dort häufig auch die Clanzugehörigkeit eine maßgebende Rolle spielt. So halten sich viele (staatsrechtliche) Äthiopier für „Somali“, da ihre Vorfahren aus Somalia oder dem Gebiet stammen, das früher zu Somalia gehörte, bevor es von Äthiopien annektiert worden ist. Detaillierte Kenntnis des Staatsangehörigkeitsrechts und des Völkerrechts darf man von dem Ausländer regelmäßig nicht erwarten.

Vgl. zur Frage der Täuschung bei der Angabe der Staatsangehörigkeit bezüglich Eritreas und Äthiopiens auch VG Oldenburg, Beschluss vom 28. Juni.2017 - 1 B 4606/17 - Umdruck, S. 3 ff. https://www.asyl.net/rsdb/m25237/

Im vorliegenden Fall ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Kläger über seine äthiopisch/ eritreische Herkunft getäuscht hat. Er hat lediglich dargestellt, dass er aus Eritrea stammt und der Meinung ist, durch den Staat Eritrea verfolgt zu werden, falls er zurück müsse.

3. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt, dass ein Ausländer Flüchtling ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Dabei ist unerheblich, ob er ein zur Verfolgung führendes Merkmal tatsächlich aufweist, sofern ihm ein solches Merkmal von seinem Verfolger zugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG).

4. Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die Furcht des Klägers vor Verfolgung in Eritrea unbegründet, weil das Gericht sich bereits nicht davon überzeugen konnte, dass er die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt. Ihm drohen im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG, die i.S.d. § 3a Abs. 3 AsylG an Verfolgungsgründe i.S.d. § 3b Abs. 1 AsylG anknüpfen.

a) Der Kläger hat zwar vorgetragen, über die eritreische Botschaft in Khartum/Sudan eine eritreische Identitätskarte erhalten und jedenfalls damit auch die eritreische Staatsangehörigkeit erworben zu haben. Das Gericht ist indessen nicht davon überzeugt, dass dieser Vortrag der Wahrheit entspricht. Die Identitätskarte ist dem Gericht nicht im Original, sondern nur als Kopie vorgelegt worden, so dass diese nicht auf Fälschungsmerkmale hin untersucht werden kann. Es ist auch unverständlich, dass der Kläger sich nicht zwischenzeitlich einen neuen Personalausweis besorgt hat. Hinzukommt, dass der Kläger nach den vorliegenden Unterlagen in dem in Frankreich durchgeführten Asylverfahren keine Angaben zu dem eritreischen Personalausweis gemacht hat, obgleich er diesen zum Anhörungszeitpunkt bereits besessen haben muss. Vielmehr hat er behauptet, sudanesischer Abstammung zu sein. Es hätte bei dieser ungeklärten Staatsangehörigkeit nahegelegen, dass er bereits in Frankreich seine eritreischen ID-Dokumente erwähnt oder gar vorgelegt hätte. Vielmehr hat der Kläger in seiner Anhörung in Frankreich am 23. Januar 2017 nach dem in den Verwaltungsvorgängen vorliegenden deutschen Übersetzung des Protokolls möglicherweise den Eindruck erweckt, die sudanesische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er hat dort nämlich zu seiner „Nationalität“ ausgeführt, dass er „sudanesisch vom Vater her und von der Mutter her eritreisch“ sei: „also ist sie [die Mutter] sudanesisch“ (vgl. Bl. 247 der Beiakte 4). Der Kläger hat dort auch bestritten, überhaupt Ausweispapiere zu besitzen (Bl. 246 aaO). Im Widerspruch hierzu hat der Kläger im Übrigen in der Anhörung beim Bundesamt angegeben, das sein Vater eritreischer Staatsangehöriger gewesen sei und seine Mutter staatenlos. Das Gericht verkennt dabei allerdings nicht, dass - wie oben ausgeführt - der Kläger möglicherweise unter Nationalität etwas anderes versteht als Staatsangehörigkeit im völker- und staatsrechtlichen Sinn.

b) Hinsichtlich Personen, die außerhalb des Gebiets Eritreas von eritreischen Eltern vor dessen Gründung als eigenständiger Staat geboren worden sind, hat das Gericht bereits entschieden, dass diese die äthiopische Staatsangehörigkeit erworben haben. Sie können auf Antrag die eritreische Staatsbürgerschaft erhalten und müssen dann nach Maßgabe eritreischer Bestimmungen den Nationaldienst leisten.

Näher VG Schwerin, Urteil vom 24. November 2017 – 15 A 4193/15 As SN –, juris LS 1 und 2 sowie Rn. 25 f.; 27 ff. mwN.

c) Da der Kläger zu einem Zeitpunkt geboren worden ist, als Eritrea noch eine Provinz Äthiopiens war, konnte er nur die äthiopische Staatsbürgerschaft erhalten.

aa) Entgegen seiner Ansicht hat er auch nicht unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten die eritreische Staatsangehörigkeit deshalb erworben, weil er auf dem Gebiet der damaligen äthiopischen Provinz Eritrea geboren worden ist und der äthiopische Staat ihm seine Staatsangehörigkeit völkerrechtswidrig aufgedrängt hat. Zwar unterliegt nach allgemeinem Völkerrecht die Bestimmung des Kreises seiner Staatsangehörigen durch einen Staat bestimmten Grenzen, die sich unter anderem aus der Existenz und der Personalhoheit anderer Staaten ergeben. Der Staat darf die Staatsangehörigkeit insbesondere nicht an sachfremde, mit ihm nicht in hinreichender Weise verbundene Sachverhalte anknüpfen. Es bedarf vielmehr eines „echten Bandes“ zwischen dem betreffenden Staat und der betreffenden Person.

Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 21. Oktober 1987 – 2 BvR 373/83 –, BVerfGE 77, 137-170, („Teso“), juris Rn. 45 mwN. - Zu dem erforderlichen „echten Band (genuine link )“ zwischen dem Staat und seinem Staatsangehörigen und den sich daraus ergebenen möglichen Grenzen vgl. auch die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 6. April 1955 (Nottebohm), zit. etwa bei Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 127 ff; dazu auch Epping, in: Ipsen, Völkerrecht 7. Aufl. 2018, § 7 Rn. 80 ff.; 83 ff.; insbesondere Rn. 85; Herdegen, Völkerrecht, 17. Aufl. 2018 § 25 Rn. 4 ff. (Rn. 6).

Auch in Art. 6 Satz 1 a), Satz 2 a) und Satz 4 b) des Europäisches Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 ist beispielsweise vorgesehen, dass derjenige, der auf dem Gebiet eines Staates geboren ist, die Staatsangehörigkeit dieses Staates erhält oder deren Erwerb zumindest unter erleichterten Bedingungen möglich ist.

bb) Das setzt nach Auffassung des Gerichts allerdings voraus, dass der Staat, von dem jemand seine Staatsangehörigkeit ableitet, zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits existiert haben muss. Das ist hier beim Kläger aber nicht der Fall: Im Gegensatz zu Abessinien bzw. Äthiopien hat Eritrea bis Mai 1993 nicht als eigenständiger Staat bestanden, sondern war nur ein abhängiges Kolonialgebiet gewesen. Eritrea ist als moderne politisch-territoriale Einheit ausschließlich ein Produkt des italienischen Kolonialismus.

So auch Matthies, Äthiopien, Eritrea, Somalia, Djibouti – Das Horn von Afrika 1992, S.85.

Das Gebiet von Eritrea wurde zwischen 1885 und 1890 von Italien in Konkurrenz zu dem damaligen Kaiserreich Abessinien (heutiges Äthiopien) kolonisiert. Dabei unternahm Italien im (1.) Abessinienkrieg den Versuch, aus dem zwischen Abessinien und Italien geschlossenen Vertrag von Ucciali vom 2. Mai 1889 (Art. XVII) ein Protektorat zu ihren Gunsten über dem Kaiserreich abzuleiten. Dies scheiterte am 1. März 1896 in der Schlacht von Adua auch militärisch. Italien beschränkte sich daraufhin auf das Gebiet von Eritrea und fasste es mit der Kolonie Italienisch-Somaliland zusammen.

Vgl. Reinhard, Wolfgang, Unterwerfung der Welt, 4. Aufl. 2018, S. 959 f.; Matthies, Äthiopien, Eritrea, Somalia, Djibouti – Das Horn von Afrika 1992, S. 72 ff.; [Abessinien]; S. 85 ff. [Eritrea].

Im völkerrechtswidrigen (2.) Abessinienkrieg (Oktober 1935 bis Mai 1936) mit dem faschistischen Italien wurde Abessinien erobert und am 1. Juni 1936 mit den Kolonien Italienisch-Somaliland und Eritrea zur Kolonie Italienisch-Ostafrika zusammengefasst. Der italienische König Viktor-Emanuel II. wurde auch Kaiser von Abessinien.

Vgl. Reinhard, Unterwerfung, S. 974; Schieder, Benito Mussolini, 2014, S. 66 ff.; de Luna, Mussolini, 5. Aufl. 2006, S. 98 ff.

Im Zweiten Weltkrieg eroberten bereits 1940 Truppen des britischen Empire Abessinien. Zwar wurde das Gebiet an den zurückgekehrten Kaiser Haile Selassi zurückgegeben, unterstand aber bis 1952 weiter der britischen Militärverwaltung. Nach einem Beschluss der Vereinten Nationen vom 2. Dezember 1950 sollte eine UN-Kommission die Frage der Zugehörigkeit Eritreas zu Abessinien klären. Diese konnte aber keinen eindeutigen Volkswillen ermitteln. Am 15. September 1952 wurde Eritrea unter Beibehaltung seiner vollen Autonomie mit Abessinien vereinigt. In der Folgezeit wurden die Rechte Eritreas durch Abessinien immer mehr beschnitten und am 14. November 1962 Eritrea entgegen den UN-Beschlüssen und damit völkerrechtswidrig als 14. Provinz annektiert. Nach einem fast dreißigjährigen Befreiungskrieg wurde nach einem Referendum unter der Aufsicht der Vereinten Nationen am 24. Mai 1993 von Äthiopien unabhängig.

Näher Reinhard, Unterwerfung, S. 1168 f.; Matthies, Äthiopien, Eritrea, Somalia, Djibouti – Das Horn von Afrika, 1992, S. 88 ff.

d) Wenn der Kläger meint, seine eritreische Staatsangehörigkeit folge bereits daraus, dass er auf dem Gebiet Eritreas geboren und dadurch eine hinreichende Verbindung mit dem späteren Staat besteht bzw. ihm die äthiopische Staatsbürgerschaft völkerrechtswidrig aufgedrängt worden ist, ist dies unzutreffend. Es ist nicht sachfremd, wenn der äthiopische Staat die Staatsbürgerschaft den Einwohnern seines Staatsgebietes verleiht, welche dort geboren worden sind. Das ist beim Kläger der Fall, auch wenn Äthiopien Eritrea völkerrechtswidrig annektiert hatte. Da der Kläger in der ehemaligen Provinz Eritrea geboren ist, gab es hinreichende Anhaltspunkte, dem Kläger die Staatsangehörigkeit Äthiopiens zu geben. Die Geburt und der Aufenthalt des Klägers in der Provinz Eritrea genügten für die Annahme des vom IGH angenommenen „echte Bandes“ zwischen dem Kläger und Äthiopien.

5. Im Übrigen konnte sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass der Kläger tatsächlich in Eritrea gewesen ist. Dazu hatte er in Frankreich vorgetragen, er sei gefoltert worden, weshalb er eingeräumt habe, zur Opposition zu gehören. Demgegenüber hat er beim Bundesamt im Widerspruch dazu ausgeführt, angegeben zu haben, für die Volksfront zu arbeiten. Auf Hinweis, dass die Volksfront die damalige und heutige Regierung sei, habe der Kläger mit den Achseln gezuckt.

Zudem lässt sich aus dem vom Kläger geschilderten Aufenthalt und den Vorkommnissen in Eritrea im Jahre 2008 ohne weitere Anhaltspunkte nicht ableiten, dass die eritreischen Behörden den Kläger als eritreischen Staatsbürger betrachten.

Selbst wenn er Eritreer wäre, wäre es zweifelhaft, ob ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden könnte. Denn er hat nach eigenem Vortrag bereits im Alter von 5 Jahren zusammen mit seinen Eltern Eritrea verlassen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Schwerin ist anzunehmen, dass die eritreischen Behörden ihn nicht deshalb wegen Nichtleistung des Nationaldienstes verfolgen würden.

Dazu näher VG Schwerin, Urteil vom 13. April 2018 – 15 A 4249/17 As SN –, juris LS 3 und Rn. 32 ff.; zuletzt VG Schwerin, Urteil vom 5. November 2019 - 15 A 4394/17 As SN -, Umdruck, S. 8 je mwN.

6. Da das Gericht sich von der eritreischen Staatsangehörigkeit des Klägers nicht überzeugen konnte, hat er auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz. Es ist nicht anzunehmen, dass er den Nationaldienst Eritreas ableisten müsste. Bei dieser Sachlage muss das Gericht davon ausgehen, dass der Kläger allenfalls die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt. Zu Äthiopien hat er jedoch nichts Substantiiertes vorgetragen, was dazu führen könnte, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

7. Zu den von ihm hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsverboten (vgl. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) hat der Kläger weder etwas vorgetragen noch ist dazu sonst etwas ersichtlich.

III. Das Gericht weist vorsorglich darauf hin, dass die Abschiebungsandrohung in den „Herkunftsstaat“ mangels hinreichender Konkretisierung nicht vollziehbar ist.

Vgl. etwa Marx, AsylG § 34 Rn. 28 mwN.

Sie stellt einen unverbindlichen Hinweis dar. Darauf wird auch im Bescheid hingewiesen, weshalb diese Abschiebungsandrohung nicht rechtswidrig ist.

IV. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

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