OLG Rostock, Beschluss vom 05.10.2016 - 10 UF 137/16
Fundstelle
openJur 2020, 12391
  • Rkr:

Die Anordnung eines Abstandsgebots, das in der Folge nicht Gegenstand von Vollstreckungsmaßnahmen war, und die Auferlegung der Kosten im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens stellen keinen derartig schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, dass im Falle einer zwischenzeitlichen Erledigung der Maßnahme die Feststellung einer Verletzung der Rechte des Antragsgegners gem. § 62 FamFG veranlasst wäre. Dies gilt insbesondere auch, wenn der maßgebliche Sachverhalt Ermittlungs- bzw. Strafverfahren nach sich gezogen hat.

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragsgegners und Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichtes Rostock - Familiengericht - vom 07.06.2016 wird als unzulässig verworfen.

II. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Dem Antragsgegner und Beschwerdeführer wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. in R. bewilligt.

IV. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 1.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens sind Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die Antragsteller führen eine nichteheliche Beziehung, nachdem die Antragstellerin zu 1) eine solche mit dem Antragsgegner beendet hat. Aufgrund eines Gewaltschutzantrages der Antragsteller mit dem Vortrag, es sei vorwiegend im Rahmen von Vorfällen im Februar 2016 seitens des Antragsgegners zu Bedrohungen und körperlichen Übergriffen gekommen, er habe sie im Straßenverkehr mit dem Auto bedrängt und die Antragstellerin zu 1) entgegen deren ausdrücklichem Wunsch wiederholt aufgesucht, hat das Amtsgericht am 25.02.2016 zunächst ohne mündliche Verhandlung mit einer Befristung bis zum 25.08.2016 gegen den Antragsgegner unter anderem Kontakt-, Näherungs- und Abstandsgebote angeordnet; mit Beschluss vom 07.06.2016 hat das Amtsgericht den Beschluss vom 25.02.2016 aufgrund der Durchführung einer von dem Antragsgegner beantragten mündlichen Verhandlung aufrechterhalten. Nach den amtsgerichtlichen Entscheidungen hat der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die von den Antragstellern vorgebrachten Sachverhalte führten zu verschiedenen Strafanzeigen gegen den Antragsgegner und in einem Fall der Erhebung einer Anklage wegen Bedrohung.

Gegen die amtsgerichtlichen Beschlüsse wandte sich der Antragsgegner mit einer Beschwerde. Er bestritt die Darstellungen der Antragsteller in tatsächlicher Hinsicht und sah eine unzumutbare Belästigung in rechtlicher Hinsicht schon deshalb als nicht gegeben an, weil die Antragstellerin zu 1) die Beziehung zu ihm vor dem zeitlich ersten behaupteten Vorfall noch gar nicht beendet gehabt habe. Der Antragsgegner beantragte zunächst,

auf die Beschwerde den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Rostock vom 25.02.2016 und den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Rostock vom 07.06.2016, mit dem es seinen Beschluss vom 25.02.2016 aufrechterhalten und dem Antragsgegner die weiteren Verfahrenskosten auferlegt hat, aufzuheben sowie den Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Nach dem Ablauf der Befristung für die durch das Amtsgericht getroffenen Gewaltschutzanordnungen beantragt der Antragsgegner nunmehr,

festzustellen, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Rostock vom 25.02.2016 und vom 01.06.2016 [wohl: 07.06.2016] den Antragsgegner in seinen Rechten verletzt haben.

Er ist der Auffassung, das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung ergebe sich zum einen daraus, dass ihm durch das Amtsgericht die Verfahrenskosten auferlegt worden seien; er sei hierdurch in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG beeinträchtigt, zumal er nur über ein geringes Einkommen verfüge und die Kostentragung für ihn daher schwer wiege. Zum anderen hätten sich Einschränkungen aus dem Abstandsgebot ergeben, weil er und die Antragstellerin zu 1) längere Zeit partnerschaftlich verbunden gewesen seien und Freunde und Bekannte geteilt hätten; er habe deshalb während der Geltungsdauer der erstinstanzlichen Beschlüsse stets damit rechnen müssen, Veranstaltungen oder Orte bei Erscheinen der Antragstellerin zu 1) wieder zu verlassen. Letztlich sei trotz fehlender Bindung der Strafgerichte an Beschlüsse zum Gewaltschutz eine faktische Wirkung der erstrebten Feststellungsentscheidung auf die diversen Ermittlungs- und Anklageverfahren gegen den Antragsgegner wegen der zu den hier verfahrensgegenständlichen Sachverhalten identischen Tatvorwürfe nicht auszuschließen.

II.

1.

Die Beschwerde des Antragsgegners war als unzulässig zu verwerfen, weil sich die angegriffenen Gewaltschutzanordnungen mit dem Ablauf ihrer Befristung bis zum 25.08.2016 erledigt haben; im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit tritt eine Erledigung der Hauptsache ein, wenn der Verfahrensgegenstand durch ein Ereignis, das eine Veränderung der Sach- und Rechtslage bewirkt, weggefallen ist, so dass die Weiterführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hätte, weil eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann (vgl. BGH MDR 2012, 860 m. w. N.). Im Umkehrschluss aus § 62 FamFG bzw. dessen amtlicher Überschrift folgt, dass mit dieser Erledigung der angefochtenen Entscheidung in der Hauptsache die Statthaftigkeit der Beschwerde entfallen ist.

2.

Ein Ausspruch dahingehend, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, war auf den betreffenden (geänderten) Antrag des Antragsgegners wiederum nicht möglich, weil das nach der zuvor genannten Vorschrift erforderliche besondere Feststellungsinteresse wegen des Vorliegens eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffes oder einer konkreten Wiederholungsgefahr nicht gegeben ist.

a.

Zum einen fehlt es an schwerwiegenden Grundrechtseingriffen durch die angefochtene(n) Entscheidung(en) im Sinne von § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zum Nachteil des Antragsgegners. Vorauszuschicken ist dabei, dass der Gesetzgeber mit dieser besonderen Gewichtung einer Rechtsbeeinträchtigung seiner Vorstellung Ausdruck verliehen hat, dass Fortsetzungsfeststellungsanträge auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben sollten; soweit Grundrechtseingriffe eigentlich immer „schwerwiegend“ sind, muss daher bereits ein deutlicher gesteigerter Grundrechtsverstoß vorliegen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann- Hartmann, ZPO, 74. Aufl., 2016, § 62 FamFG Rn. 2 m. w. N.).

aa.

Das allgemeine Interesse, keine vermögensrechtlichen Nachteile hinnehmen zu müssen, fällt von vornherein nicht in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG. Die Belastung mit einem Vermögensnachteil mag dann den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG berühren; bei einer rein wirtschaftlichen Belastung fehlt jedoch die bei § 62 FamFG als maßgebende Grundlage für die Bejahung eines Feststellungsinteresses vorausgesetzte höchstpersönliche Eingriffsrichtung (vgl. zum Ganzen Keidel-Budde, FamFG, 18. Aufl., 2014, § 62 Rn. 19 m. w. N.). Die Kostenlast begründet daher kein berechtigtes Interesse im Sinne von § 62 Abs. 1 FamFG (vgl. so ausdrücklich auch BGH NJW-RR 2012, 651). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der - anwaltlich vertretene - Antragsgegner seine Beschwerde im Übrigen nicht etwa alternativ zumindest hilfsweise auf den Kostenpunkt beschränkt hat (vgl. Zöller-Feskorn, ZPO, 31. Aufl., 2016, § 62 FamFG Rn. 10).

bb.

Wären Einschränkungen des Antragsgegners durch das angeordnete Abstandsgebot ebenfalls an dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG zu messen, so muss hier dem Gewicht des Eingriffes besondere Bedeutung zukommen, um einer uferlosen Ausweitung des Anwendungsbereiches des § 62 FamFG entgegenzuwirken; denn das Grundrecht steht unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt und wird durch eine Vielzahl von Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeschränkt.

(1)

Damit ein diesbezüglicher Eingriff als schwerwiegend zu werten ist, müssen daher im Einzelfall Gesichtspunkte hinzutreten, die ihn invasiven Maßnahmen wie beispielsweise Wohnungsdurchsuchungen, Freiheitsentziehungen oder Zwangsbehandlungen vergleichbar machen (vgl. Keidel-Budde, a. a. O., § 62 Rn. 19). Diese Grenze ist bei einem bloßen Abstandsgebot erkennbar nicht erreicht oder gar überschritten.

(2)

Hinzukommt, dass die angefochtene Entscheidung einen effektiven Eingriff in die Rechte des Betroffenen zur Folge gehabt haben muss, d. h. die gerichtliche Maßnahme muss nicht nur angeordnet, sondern auch vollzogen worden sein (vgl. etwa BayObLG FamRZ 2004, 1403: Erledigt sich bei sofortiger weiterer Beschwerde die einstweilige Anordnung einer vorläufigen Unterbringung durch Zeitablauf, ohne dass der Betroffene zuvor auf Grund der Anordnung untergebracht gewesen wäre, so ist ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der getroffenen Anordnung [Fortsetzungsfeststellungsantrag] mangels eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs nicht zulässig.). Wie die bloße Befürchtung einer erst noch zu vollziehenden Freiheitsentziehung aufgrund einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung kann folglich auch allein die Möglichkeit, wegen des Abstandsgebotes einen bestimmten Ort verlassen müssen, noch keinen - insbesondere schwerwiegenden - Grundrechtseingriff bewirken; aus dem Vorbringen des Antragsgegners ergibt sich davon abgesehen gerade nicht, dass ein solcher Fall überhaupt einmal tatsächlich eingetreten wäre.

cc.

Nach all dem kann es auf eine von dem Antragsgegner selbst höchstens erhoffte faktische Wirkung eines gegebenenfalls erfolgreichen Fortsetzungsfeststellungsantrages auf die gegen ihn wegen der verfahrensgegenständlichen Ereignisse geführten Strafverfahren nicht mehr ankommen. Die Strafgerichte sind an rechtskräftige Entscheidungen der Zivilgerichtsbarkeit eben nicht gebunden (vgl. Vorwerk/Wolf-Gruber, BeckOK ZPO, Stand: 01.07.2016, § 322 Rn. 93). Darüber hinaus handelt es sich bei einem eventuell bestehenden Rehabilitationsinteresse nicht um einen gesetzlich ungeregelten weiteren Anwendungsfall des § 62 FamFG neben den dort genannten Regelbeispielen (so aber offenbar Prütting/Helms-Abramenko, FamFG, 3. Aufl., 2015, § 62 Rn. 9). Vielmehr ist die mögliche Rehabilitierung eines Betroffenen umgekehrt Teil der ratio legis der genannten Vorschrift, mit der in den maßgeblichen Konstellationen zur Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes eine einfachgesetzliche Regelung geschaffen werden sollte (vgl. BGH FGPrax 2016, 34, FGPrax 2013, 131 und FGPrax 2012, 44 m. w. N., jeweils zu freiheitsentziehenden Maßnahmen); sie ist daher - erneut zur Vermeidung einer Ausuferung ihres Anwendungsbereiches - immer im Kontext des zuvor erläuterten Erfordernisses eines schwerwiegenden und effektiven Grundrechtseingriffes und des einem solchen zugrundeliegenden gesteigerten Unwerturteils bezüglich des sanktionierten Verhaltens zu sehen (vgl. so im Ergebnis auch KG FamRZ 2016, 932 zu einem Entzug der elterlichen Sorge und ihrer Übertragung auf einen Pfleger). Eine Rehabilitation im Hinblick auf die strafrechtlich relevanten Vorwürfe durch die dortige Erwirkung von Verfahrenseinstellungen oder Freisprüchen bleibt dem Antragsgegner im Übrigen unbenommen.

b.

Zum anderen dürfte eine Wiederholungsgefahr im Sinne einer drohenden Rechtsbeeinträchtigung gerade des Antragsgegners durch künftig zu erwartende Entscheidungen desselben Gerichts (vgl. Keidel-Budde, a. a. O., § 62 Rn. 21) überhaupt nur dann anzunehmen sein, wenn er beabsichtigte, sich der Antragstellerin zu 1) erneut zu nähern oder mit ihr in Kontakt zu treten; derartiges ergibt sich aus seinem Vortrag nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.

3.

Die Entscheidung über die Beschwerde kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung bzw. persönliche Anhörung der Beteiligten ergehen, weil in erster Instanz mündlich verhandelt worden ist sowie die erforderlichen Anhörungen erfolgt und von der erneuten Durchführung dieser Verfahrenshandlungen keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 3, 84 FamFG.

IV.

Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 41, 49 Abs. 1, 1. Alt. FamGKG.