AG Wismar, Beschluss vom 16.11.2016 - 3 F 812/16
Fundstelle
openJur 2020, 11861
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag des Antragstellers auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des einstweiligen Anordnungsverfahrens.

3. Der Verfahrenswert wird auf 2.424,00 € festgesetzt.

Gründe

Es kann nicht mit der für den Erlass einer einstweiligen Einstellung der Vollstreckung gemäß § 242 FamFG i. V. m. § 769 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner nicht mehr unterhaltspflichtig ist.

Der Antragsteller hat mit seiner eidesstattlichen Versicherung und dem vorgelegten außergerichtlichen Schreiben der Bevollmächtigten des Antragsgegners vom 23.09.2016 glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner im Juli 2016 das Abitur absolviert hat, sich für den freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr beworben hat und mit dem Beginn des Dienstantritts zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt im Januar 2017 zu rechnen ist.

Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Bedeutung des Dienstes in den Streitkräften (vgl. Artikel 87a, 17a, 12a, 60, 65a, 87b Grundgesetz) ist ein junger Mann, der sich nach der Beendigung der Schulausbildung für den freiwilligen Wehrdienst beworben hat, unterhaltsrechtlich nicht schlechter zu stellen als jemand, der eine Ausbildung beabsichtigt, so dass die diesbezüglichen Grundsätze entsprechend gelten:

Oftmals schließt sich eine Ausbildung nicht nahtlos an die Beendigung des Schulbesuches an, sondern es treten zeitliche Lücken auf. Zu der Frage, wie diese Lücken unterhaltsrechtlich zu behandeln sind, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten juris PK-BGB, 8. Auflage, § 1602 BGB Rn. 90). Das Gericht teilt die Auffassung, dass nach dem Ende des Schulbesuches dem Antragsgegner zunächst eine gewisse Erholungsphase zuzubilligen war (OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2005 - Az.: 11 UF 218/05 -, zitiert nach juris). Außerdem wäre dem Antragsgegner, wenn er sich für eine Berufsausbildung entschieden hätte, auch eine angemessene Orientierungs- und Vorbereitungszeit einzuräumen gewesen, um sich zunächst einmal darüber klar zu werden, welchen Ausbildungsweg er einschlagen wollte und wo dies geschehen sollte, bevor er sich anschließend um eine Umsetzung seiner gefassten Entschlüsse bemühen konnte bzw. musste (OLG Hamm, a.a.O.). Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners auf Ermöglichung einer Berufsausbildung steht auf Seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, die Ausbildung in angemessener Zeit aufzunehmen und sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Zwar muss der Verpflichtete nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind. Verletzt dieses aber nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (BGH, Beschluss vom 03.07.2013 - Az.: XII ZB 220/12 -, zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall dürfte nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, dass der vorgesehene Dienstantritt bei der Bundeswehr auf einer unterhaltsrechtlich erheblichen Obliegenheitsverletzung des Antragsgegners beruht. Diese Frage kann jedoch im Ergebnis offen bleiben, da dem Antragsgegner jedenfalls nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein fiktives Einkommen zugerechnet werden kann.

Die Zurechnung eines fiktiven Einkommens würde erfordern, dass für den Antragsgegner eine reale Beschäftigungschance für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Erholungs- und Entscheidungsfindungsphase und dem Dienstantritt bei der Bundeswehr bestünde, d. h. dass nach den subjektiven Voraussetzungen des Antragsgegners und den objektiven Gegebenheiten des Arbeitsmarktes mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen wäre, dass der Antragsgegner eine Stelle finden würde. Unter Berücksichtigung dessen, dass der Antragsgegner als 18-jähriger Abiturient weder eine Berufsausbildung noch Berufserfahrung haben dürfte - der Antragsteller hat dergleichen jedenfalls nicht vorgetragen -, ein Arbeitgeber mindestens den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 €/Stunde zahlen müsste, der Antragsgegner in einer Kleinstadt mit weniger als 4000 Einwohnern im Osten des Landkreises Nordwestmecklenburg wohnt, es sich um einen begrenzten Zeitraum handelt und in der bestehenden Jahreszeit typischerweise viele im Baugewerbe Berufstätige freigestellt werden und damit dem Arbeitsmarkt als besser qualifizierte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen, kann aber nicht ohne weiteres mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine reale Beschäftigungschance angenommen werden.

Die Kostenentscheidung erging gemäß § 243 FamFG.

Bei der Bemessung des Verfahrenswerts legte das Gericht ein wirtschaftliches Interesse des Antragstellers nach dessen Angaben in der eidesstattlichen Versicherung in Höhe von 404,00 €, bezogen auf sechs Monate, zugrunde.

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