LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.02.2016 - 2 Sa 197/15
Fundstelle
openJur 2020, 11838
  • Rkr:

Parallelentscheidung zum Urteil LAG Mecklenburg-Vorpommern 23. Februar 2016 - 2 Sa 192/15, das vollständig dokumentiert ist.

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen einer Feststellungsklage über die Höhe des jährlichen Urlaubsanspruchs in den Jahre 2014 bis 2016.

Die 1970 geborene Klägerin ist in der Reha-Klinik der Beklagten seit 1998 als Krankenschwester in Vollzeit gegen ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 3.343,00 Euro beschäftigt; sie ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di.

Die Beklagte gehört zum Klinik-Konzern HELIOS. Die Reha-Klinik, in der die Klägerin tätig ist, wurde ursprünglich als öffentlich-rechtliche Einrichtung betrieben. Durch die Privatisierung in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts ist die Beklagte entstanden, eine juristische Person in der Form einer GmbH (Amtsgericht Stralsund HRB 2874). Die Beklagte gehörte zunächst dem Klinik-Konzern Damp an. 2012 wurde die Beklagte durch Übertragung der Gesellschaftsanteile in den Klinik-Konzern HELIOS eingebunden. Mit der Übertragung der Gesellschaftsanteile war eine Änderung des Namens der Arbeitgeberin verbunden.

Die Beklagte wendet auf die Arbeitsverhältnisse nach wie vor den Manteltarifvertrag Damp vom 12. Dezember 2006 (im folgenden MTV) an. Es handelt sich um einen Konzerntarifvertrag, den die seinerzeitige Konzernmutter für die konzernangehörigen Gesellschaften mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen hatte. Dieser regelt den Urlaubsanspruch wie folgt:

"§ 22 Erholungsurlaub1. Der Arbeitnehmer erhält in jedem Urlaubsjahr Erholungsurlaub nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.2. Die Dauer des Erholungsurlaubs beträgt 28 Arbeitstage, nach Vollendung des 50. Lebensjahres 30 Arbeitstage. ...Protokollnotiz zu § 22 Ziffer 2:Arbeitnehmern die vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrages einen höheren Urlaubsanspruch haben, bleibt dieser als Besitzstand gewahrt. Maßgeblich ist der Urlaubsanspruch am 31. Dezember 2006. ..."

Der Klägerin werden bei der Beklagten aufgrund der Protokollnotiz kalenderjährlich 29 Urlaubstage gewährt.

Mit ihrer im März 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin einen jährlichen Urlaubsanspruch im Umfang von 30 Tagen geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht Stralsund hat die Klage mit Urteil vom 24. Juni 2015 als unbegründet abgewiesen (3 Ca 76/15), die Berufung gesondert zugelassen und den Streitwert auf 462,88 Euro festgesetzt. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgerecht begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klageziel nunmehr eingeschränkt auf die Jahre 2014 bis 2016 mit leicht verändertem Wortlaut zu der begehrten Feststellung fort.

Die Klägerin kritisiert den vom Arbeitsgericht eingenommenen Rechtsstandpunkt. Unzutreffend habe das Arbeitsgericht die nach dem Lebensalter gestaffelte unterschiedliche Höhe der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer nach § 22 Ziffer 2 MTV als eine nach § 10 AGG gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung wegen des Alters angesehen. Bei seiner Bewertung habe das Arbeitsgericht die Motive der Tarifvertragsparteien bei der Differenzierung verkannt. Die Differenzierung beruhe nicht auf Erwägungen der Gesundheit und auf der Annahme eines erhöhten Erholungsbedürfnisses für Arbeitnehmer ab dem 50. Lebensjahr. Vielmehr hätte es sich um einen allein tarifpolitisch begründeten Kompromiss gehandelt.

Aber selbst dann, wenn der Staffelung der Urlaubsansprüche Erwägungen zum Schutze der Arbeitnehmer zu Grunde gelegen haben sollten, wäre die Staffelung wegen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung unwirksam. Es sei nicht nachweisbar, dass bereits jenseits des 50. Lebensjahres der Belastungs- und Gesundheitszustand sich so gravierend verschlechtere, dass es gerechtfertigt sei, mit zusätzlichem Urlaub gegenzusteuern. Ein gesundheitsbedingt erhöhtes Erholungsbedürfnis sei frühestens ab dem vollendeten 55. Lebensjahr anzunehmen. Dies zeige unter anderem der Fortschrittsreport Altersgerechte Arbeitswelt, Ausgabe 3 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand September 2013), in dem die Differenzierung zwischen der Altersgruppe 45 bis 54 einerseits und der Altersgruppe 55 bis 64 andererseits vorgenommen werde.

Im Hinblick auf die Anhebung der Altersgrenzen für die Regelaltersrente vom 65. auf das 67. Lebensjahr und auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Regelungen in § 417 SGB III einerseits und § 418 Absatz 1 SGB III andererseits könne man bei 50-Jährigen noch nicht von älteren Arbeitnehmern sprechen. Das von der Beklagten dagegen ins Feld geführte statistische Material sei unbrauchbar, da es auf Erhebungen bezüglich der gesamten Belegschaft des Konzerns beruhe. Man könne jedoch nicht die Situation in der Reha-Klinik, in der die Klägerin beschäftigt sei, mit den anderen Kliniken des Konzerns, der auch viele Akut-Kliniken betriebe, vergleichen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angegriffenen Urteils

festzustellen, dass der Klägerin aus den Jahren 2014 bis 2016 jeweils zwei weitere Urlaubstage zustehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Sie behauptet auch im Berufungsrechtszug, mit § 22 Ziffer 2 MTV hätten die Tarifvertragsparteien das Ziel verfolgt, dem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer Rechnung zu tragen und deren Gesundheit zu schützen. Es sollte damit die Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer bis zum Renteneintritt gefördert und damit die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer gesichert werden. Ältere Arbeitnehmer seien nachweislich häufiger arbeitsunfähig erkrankt und es komme daher zu längeren Fehlzeiten. Die exemplarische Statistik der Krankheitstage für das Jahr 2013 für die HELIOS Region Nord-Ost (Anlage B 2, hier Blatt 33) sowie die Daten der Krankenkassen für die HELIOS Unternehmensgruppe (Anlage B 5, hier Blatt 62) würden deutlich aufzeigen, dass die durchschnittlichen Krankheitstage im Jahr nach Vollendung des 50. Lebensjahres höher seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Die klägerische Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, denen sich das Berufungsgericht ausdrücklich anschließt, die Klage abgewiesen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

I.

Zutreffend hat es das Arbeitsgericht abgelehnt, die begehrte Feststellung zum Umfang des jährlichen Urlaubsanspruchs zu treffen, da dieser nicht in der von der Klägerin gewünschte Höhe (30 Tage) besteht.

Die Klägerin hat weder nach dem Gesetz, noch nach § 22 MTV einen Anspruch auf 30 Tage Urlaub pro Kalenderjahr. Die Klägerin war im Kalenderjahr 2014 und auch im Kalenderjahr 2016 noch weit von der Vollendung des 50. Lebensjahres entfernt. Der Anspruch folgt auch nicht aus §§ 1, 3 Absatz 1 in Verbindung mit § 7 AGG wegen Altersdiskriminierung in Verbindung mit § 22 Absatz 2 MTV.

Die Urlaubsregelung in § 22 MTV ist nicht nach § 7 Absatz 2 AGG wegen unzulässiger Altersdiskriminierung unwirksam und führt somit nicht bezüglich der Dauer des Urlaubs zu der gewünschten Anpassung nach oben (so schon auf denselben Tarifvertrag allerdings auf eine andere Klinik bezogen LAG Mecklenburg-Vorpommern 19. Februar 2015 – 5 Sa 168/14 – LAGE § 10 AGG Nr. 14 = PflR 2015, 528).

§ 22 MTV sieht unterschiedlich günstige Urlaubsansprüche für Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres vor und für Arbeitnehmer, die älter sind. Darin liegt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 AGG, da die jüngeren Arbeitnehmer weniger Urlaub erhalten, als Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch nach § 10 AGG gerechtfertigt. Denn § 22 Absatz 2 MTV bezweckt den in § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG genannten Schutz älterer Beschäftigter und ist geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne von § 10 AGG.

Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Beides ist im Hinblick auf das konkret angestrebte Ziel zu beurteilen. Die Mittel sind deshalb nur dann angemessen und erforderlich, wenn sie es erlauben, das mit der unterschiedlichen Behandlung verfolgte Ziel zu erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen derjenigen jüngeren Arbeitnehmer zu führen, die wegen ihres Alters benachteiligt werden, und die Maßnahme nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG konkretisiert unter anderem das legitime Ziel der Sicherstellung des Schutzes „älterer Beschäftigter“, wobei dieser Schutz auch die Festlegung besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließen kann (vgl. BAG 22. Oktober 2015 – 8 AZR 168/14ArbR 2016, 221; BAG 12. April 2016 – 9 AZR 659/14).

1.

§ 22 MTV bezweckt die Bevorzugung lebensälterer Beschäftigter. Das geht schon aus dem Wortlaut der Regelung hervor, nach dem die günstigere Behandlung an das Überschreiten des 50. Lebensjahres geknüpft wird.

Wenn eine Tarifregelung die Urlaubsdauer nach dem Lebensalter staffelt, liegt die Annahme nahe, die Tarifvertragsparteien hätten einem mit zunehmendem Alter gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollen (BAG 20. März 2012 — 9 AZR 529/10; BAG 21. Oktober 2014 — 9 AZR 956/12). Das gilt auch vorliegend.

Aus der Tarifhistorie ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nichts anderes.

Der MTV hat im Bereich des seinerzeitigen Konzerns das Tarifwerk des öffentlichen Dienstes abgelöst, das früher in den Kliniken unter Regie öffentlicher Träger gegolten hatte. Im BAT wie auch in den Nachfolgetarifverträgen TVöD und TV-L gab es traditionell schon seit vielen Jahren eine Bevorzugung lebensälterer Beschäftigter bei der Gewährung von Urlaub. Das Gericht folgt der Klägerin auch in der Einschätzung, die für den MTV gefundene Regelung sei in erster Linie ein dem Zwang zum Kompromiss geschuldetes Ergebnis bei der Entwicklung eines eigenen Tarifwerks vor dem Hintergrund des bisher jedenfalls faktisch allseitig angewandten BAT bzw. seiner Nachfolgetarifverträge.

Das Gericht kann der Klägerin aber nicht folgen, wenn sie meint, der Hinweis auf die Tarifgeschichte zeige, dass die Tarifvertragsparteien gar nicht den Schutz lebensälterer Beschäftigter bei der Schaffung von § 22 MTV im Auge hatten. Denn § 22 Absatz 2 MTV macht nach wie vor die Gewährung günstigerer Arbeitsbedingungen vom Erreichen eines bestimmten Lebensalters abhängig, lediglich die Anzahl der Lebensaltersstufen mit unterschiedlich hohem Urlaubsanspruch ist geringer und damit mittelbar zusammenhängend ist auch die gesamte Bandbreite der Spreizung des Urlaubsanspruchs über alle Altersgruppen betrachtet kleiner.

Bei aller berechtigten Kritik an der Staffelung der Urlaubsansprüche wie sie früher im Bereich des öffentlichen Dienstes vorgenommen wurde, kann nicht in Abrede gestellt werden, dass der Staffelung nach Lebensalter ein Schutzgedanke zu Grunde lag. Die Staffelung war eben gerade nicht nur eine Anerkennung für die bisher erbrachten Dienstjahre. Gerade das häufig kritisierte Anknüpfen der Unterscheidung der Urlaubsansprüche an das Lebensalter spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien die Differenzierung auf Basis einer Schutzüberlegung vorgenommen haben, denn der Urlaubsanspruch war auch für die Arbeitnehmer erhöht, die das maßgebliche Lebensalter bereits bei ihrer Einstellung überschritten hatten.

2.

Das von den Tarifvertragsparteien gewählte Differenzierungskriterium "nach Vollendung des 50. Lebensjahres" dient dem Schutz "älterer Arbeitnehmer" im Sinne von § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG und grenzt den Kreis der schutzbedürftigen Arbeitnehmer damit angemessen ein.

In § 10 AGG ist nicht definiert, wann ein Arbeitnehmer zum Kreis der "älteren Beschäftigten" im Sinne von § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG gehört. Unstreitig ist insoweit lediglich, dass damit nicht jede ungleiche Behandlung unterschiedlich alter Arbeitnehmer gerechtfertigt werden kann (BAG 20. März 2012 – 9 AZR 529/10), vielmehr bedarf es sozusagen eines materiellen Begriffs des "älteren Arbeitnehmers."

Zur Gruppe der älteren Arbeitnehmer im Sinne von § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zählen die Arbeitnehmer, für die der Schutzgedanke, den die Vorschrift im Auge hat, zutrifft. An das Alter anknüpfende unterschiedliche Regelungen sind danach erlaubt, um die berufliche Eingliederung von älteren Beschäftigten zu fördern oder ihren Schutz innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses sicherzustellen. Die Vorschrift hat damit einerseits eine marktorientierte Komponente, man darf ältere Arbeitnehmer besonders schützen, um sie vor der Gefahr eines Austausches gegen jüngere Arbeitnehmer zu schützen. Die Vorschrift hat andererseits aber auch eine gesundheitspolitische Komponente, in dem sie besonders günstige Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmer erlaubt, wenn und soweit die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Fähigkeit, den Anforderungen des Berufs zu genügen, mit zunehmendem Alter nachlässt und daher wirkungsvoller Unterstützung bedürfe.

Zutreffend hat das Bundesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang betont, dass eigentlich das gesamte System der sozialen Alterssicherung in Deutschland auf der Annahme aufbaut, dass es mit zunehmendem Lebensalter schwerer falle, den beruflichen Anforderungen zu genügen (BAG 21. Oktober 2014 – 9 AZR 956/12AP Nr. 7 zu § 10 AGG = NJW 2015, 1324 = DB 2015, 748). Daher dürfen an die notwendigen tatsächlichen Feststellungen zur Frage, ob die von der Regelung begünstigten Arbeitnehmer tatsächlich schon zum Kreise der schutzbedürftigen älteren Arbeitnehmer gehören, keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. In diesem Zusammenhang ist dann bezogen auf § 26 TVöD aF der Satz gefallen, dass ein altersbedingt gesteigertes Erholungsbedürfnis bei über 50-jährigen Arbeitnehmern "eher nachvollziehbar" sei (BAG 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – AP Nr. 2 zu § 26 TVöD = NZA 2012, 803 = DB 2012, 1814).

Generell kann damit von dem gerichtlichen Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass die physische Belastbarkeit eines Menschen mit zunehmendem Alter abnimmt. Dieser Erfahrungssatz betrifft auch den Wirkungszusammenhang von erreichtem Lebensalter und Krankheitsanfälligkeit (BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 – AP Nr. 182 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = NZA 2009, 361 = DB 2009, 626). Der Prozess des Alterns mag individuell unterschiedlich verlaufen und das Altern geht nicht nur mit Einbußen der Leistungsfähigkeit einher, sondern auch punktuell mit deren Anstieg, etwa im Bereich des Erfahrungswissens. Gleichwohl ist es bei typisierender Betrachtung gerechtfertigt, bei über 50-Jährigen aufgrund von Skelett-, Muskel-, Lungen-, Herz- und Sinnesfunktionseinbußen von einer abnehmenden Belastbarkeit und als Folge hiervon von einem höheren Regenerationsbedürfnis auszugehen (Hess. LAG 17. Februar 2014 - 14 Sa 646/13 - LAGE § 10 AGG Nr. 11).

Für den vorliegenden Fall ist zu zusätzlich beachten, dass die Regelungen zum Urlaub auf einer Abrede der Tarifvertragsparteien beruht. Verabreden die Sozialpartner auf nationaler Ebene sozialpolitisch motivierte Regelungen – hier zutreffend – steht ihnen beim gegenwärtigen Stand des Unionsrecht bei der Festlegung der Maßnahmen zur Verwirklichung der angestrebten Ziele ein weiter Gestaltungspielraum zu, der von den Gerichten bei der Bewertung der verabredeten Maßnahmen zu respektieren ist (BAG 21. Oktober 2014 aaO, juris-Randnummer 18). Es ist daher davon auszugehen, dass den Tarifvertragsparteien eine Einschätzungsprärogative eröffnet ist bei der Frage, ab welchem Lebensalter die Arbeitnehmer, für die eine begünstigende Regelung getroffen wird, zum Kreise der schutzbedürftigen älteren Arbeitnehmer gehören. Denn die Tarifvertragsparteien sind diejenigen Mächte, die am besten in der Lage sind, die Belastungsfaktoren der Arbeitnehmer im Bereich ihrer Tarifzuständigkeit realistisch einzuschätzen.

Daraus ergibt sich für die Gerichte ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Es kann lediglich geprüft werden, ob die Tarifvertragsparteien bei der Umsetzung des Ziels, ältere Arbeitnehmer zu schützen, eine Differenzierung vorgenommen haben, die erkennbar allgemein anerkannten Erfahrungssätzen widerspricht. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

a)

Dafür, dass das Abstellen auf die Vollendung des 50. Lebensjahrs für den tariflichen Mehrurlaub mit anerkannten Erfahrungssätzen in Einklang steht, spricht zunächst die gesetzliche Regelung in § 417 SGB III. Diese Regelung betrifft zwar nicht den Schutz bestehender Arbeitsverhältnisse, sondern dient der Förderung der Aufnahme neuer Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer. Da § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG jedoch sowohl den Schutz bestehender Arbeitsverhältnisse als auch die Förderung des Entstehens neuer Arbeitsverhältnisse für ältere Beschäftigte im Auge hat, ist die Vorschrift durchaus geeignet zu ermitteln, ob die Bewertung der Tarifvertragsparteien, wer zum Kreis der älteren Beschäftigten zählt, realistisch ist. Insoweit ist ein Gleichklang festzustellen, da auch § 417 SGB III die dortigen Fördermaßnahmen auf Arbeitnehmer bezieht, die das 50. Lebensjahr vollendet haben.

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die zweckähnliche Vorschrift aus § 418 SGB III für das dort vorgesehene Förderungsinstrument nur auf die Arbeitnehmer abstellt, die bereits das 55. Lebensjahr vollendet haben. Denn zum einen ergibt sich daraus lediglich, dass der Gesetzgeber beide Altersgrenzen als Ansatzpunkt für spezielle Förderungsmaßnahmen als angemessen ansieht. Es ist also gerade nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber das Erreichen des 50. Lebensjahres als Anknüpfungspunkt für die Förderung älterer Arbeitnehmer für ungeeignet hält. Ganz im Gegenteil. Aus § 418 Absatz 2 SGB III ergibt sich vielmehr, dass das Förderinstrument aus § 418 SGB III eines ist, dass nur noch übergangsweise für geförderte Arbeitsverhältnisse anwendbar bleiben soll, die bereits vor dem 1. Januar 2008 begründet wurden. In der Zusammenschau der §§ 417, 418 SGB III ergibt sich also eher die Folgerung, dass der Gesetzgeber inzwischen zu der Einsicht gelangt ist, dass die Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer schon früher, nämlich bereits mit dem Erreichen des 50. Lebensjahres einsetzen sollte.

b)

Der besondere Schutz älterer Arbeitnehmer ab Vollendung des 50. Lebensjahres, der in § 22 MTV zum Ausdruck kommt, muss aber auch als eine Konsequenz aus der Bewertung der Arbeitsbedingungen der tarifunterworfenen Arbeitnehmer begriffen werden. Diese sind im Klinikbereich einerseits durch die vom Modell des Arbeitszeitgesetzes abweichenden sehr ungünstigen Arbeitszeiten mit Wechselschichtarbeit, Nachtarbeit und Arbeit an Wochenenden und Feiertagen gekennzeichnet (so schon LAG Mecklenburg-Vorpommern 19. Februar 2015 aaO). Als weiterer Belastungsfaktor kommt der ständige Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen hinzu, der jedenfalls in den letzten Jahren gepaart ist mit einem von wirtschaftlichen Zwängen mitgeprägten Zeitmanagement.

Da der MTV für alle Kliniken des seinerzeitigen Klinikkonzerns und damit auch für die vielen Akutkliniken gelten sollte, muss ergänzend auch auf die bisweilen schweren körperlichen Belastungen der im Pflegebereich tätigen Beschäftigten abgestellt werden (so schon LAG Mecklenburg-Vorpommern 19. Februar 2015 aaO).

Vor diesem Hintergrund kann es nicht beanstandet werden, dass die Tarifvertragsparteien in § 22 MTV davon ausgegangen sind, dass bereits Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, eines besonderen Schutzes bedürfen. Die dem zu Grunde liegende Bewertung wird vom Berufungsgericht geteilt (so schon LAG Mecklenburg-Vorpommern 19. Februar 2015 aaO). Jedenfalls ist sie im Rahmen der aufgezeigten Einschätzungsprärogative allemal gut vertretbar und keinesfalls erkennbar unangemessen.

3.

Selbst wenn man sich hilfsweise auf den Standpunkt der Klägerin stellen würde und annehmen würde, dass man Beschäftigte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, noch nicht zum Kreise der "älteren Beschäftigten" im Sinne von § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zählen könnte, würde dies an der Berechtigung der Tarifvertragsparteien, anknüpfend an dieses Kriterium eine Vergünstigung für diesen Personenkreis vorzusehen, nichts ändern.

Denn nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters generell zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. § 10 AGG dient der Umsetzung von Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht, wobei die Richtlinie ihrerseits das primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts sowie das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters konkretisiert. § 10 AGG ist daher unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Richtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen (BAG 22. Oktober 2015 aaO; BAG 21. Oktober 2014 aaO).

§ 10 Satz 1 AGG definiert nicht, was unter einem legitimen Ziel zu verstehen ist. Für die Konkretisierung des Begriffs des legitimen Ziels ist deshalb auf Art. 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2000/78/EG zurückzugreifen. Legitime Ziele im Sinne von Art. 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2000/78/EG, also Ziele, die als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sind, da die in Art. 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2000/78/EG enthaltene Aufzählung nicht erschöpfend ist, alle Ziele, die mit der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung im Zusammenhang stehen, und damit alle rechtmäßigen Ziele aus dem Bereich „Sozialpolitik“. Ziele, die als legitim im Sinne des Art. 6 Absatz 1 der Richtlinie 2000/78/EG angesehen werden können, stehen als „sozialpolitische Ziele“ im Allgemeininteresse. Dadurch unterscheiden sie sich von Zielen, die im Eigeninteresse des Arbeitgebers liegen, wie Kostenreduzierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Ein unabhängig von Allgemeininteressen verfolgtes Ziel eines Arbeitgebers kann eine Ungleichbehandlung jedoch nicht rechtfertigen (vgl. BAG 23. Juli 2015 - 6 AZR 457/14 - AP Nr. 7 zu § 7 AGG = NZA 2015, 1380).

§ 10 Satz 3 AGG enthält damit lediglich eine nicht abschließende Aufzählung von Tatbeständen, die geeignet sind, eine unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters im Sinne von § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG zu rechtfertigen. Eine Rechtfertigung kann sich aber auch abweichend von diesen Regelbeispielen aus der Verfolgung anderer Ziele der Sozialpolitik ergeben.

Das ist vorliegend der Fall. Die streitige Regelung in § 22 Absatz 2 MTV mit der Altersstaffelung hinsichtlich des Urlaubsanspruchs verfolgt ein legitimes sozialpolitisches Ziel, das dem unternehmerischen Eigeninteresse nach Kostenreduzierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zuwiderläuft. Die Regelung ist eine Antwort auf die nachvollziehbare Feststellung, dass mit fortschreitendem Alter der Beschäftigten deren Bedürfnis nach Ruhe und Erholung allgemein zunimmt (so zutreffend schon das Arbeitsgericht), und sie will in diesem Rahmen die Beschäftigten damit vor einer Überforderung schützen.

4.

Die Regelung in § 22 MTV ist letztlich auch erforderlich im Sinne von § 10 AGG.

Eine legitime Zielsetzung, die den Anforderungen aus § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG genügt, und zu deren Verwirklichung mit dem Abstellen auf das Erreichen des 50. Lebensjahres ein angemessenes Kriterium gewählt wurde, genügt dem Merkmal der Erforderlichkeit im Sinne von § 10 Satz 2 AGG, wenn der dadurch gewährte Schutz nicht zum Nachteil der jüngeren Beschäftigten über das Schutzziel hinausschießt. Die Erforderlichkeit hat also nicht mehr die Voraussetzungen der Gewährung der Vorteile im Blick, sondern die gewährten Vorteile selbst. Diese dürfen nicht so groß sein, dass sich der legitime Schutzgedanke tatsächlich als nicht erlaubte Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer darstellt (BAG 22. Oktober 2015 aaO; BAG 12. April 2016 aaO).

Die Regelung ist zunächst geeignet, dem Schutz älterer Arbeitnehmer zu dienen. Durch die Gewährung zusätzlicher Urlaubstage erhalten die Arbeitnehmer mehr Möglichkeiten, sich von den Mühen der Arbeit zu erholen, was es erleichtert, während der Arbeitstage den Anforderungen der Arbeit zu genügen (so schon LAG Mecklenburg-Vorpommern 19. Februar 2015 aaO).

§ 22 MTV verstößt auch nicht gegen das Verbot der Überkompensation der Nachteile. Die Gewährung von lediglich ein oder zwei zusätzlichen Urlaubstagen für Arbeitnehmer ab Vollendung des 50. Lebensjahres kann angesichts der ungünstigen Belastungen der Arbeitnehmer im Klinikbereich allenfalls als ein (Teil-)Beitrag zum Ausgleich der jahrelangen Arbeit unter den aufgezeigten Belastungsfaktoren bewertet werden. Die in § 22 MTV vorgesehene Regelung stellt einen legitimen Kompromiss zwischen den wirtschaftlichen Zwängen der Arbeitgeberseite und den gesundheitspolitisch wünschenswerten Maßnahmen zum Schutz der Belegschaft dar und kann damit unter keinen Umständen als übertriebene Reaktion auf die zu Grunde gelegte Schutzsituation verstanden werden.

5.

§ 22 MTV hat demnach trotz des Verbots der Altersdiskriminierung aus §§ 1, 7 AGG Bestand, weil er sich im Rahmen der Differenzierungsmöglichkeiten aus § 10 AGG bewegt. Diese Bewertung der Tarifnorm ist nicht 2014 ungültig geworden, weil inzwischen § 22 MTV für den Bereich der Akutkliniken im Konzern der Beklagten durch eine andere Tarifregelung abgelöst wurde.

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Schriftsatz vom 18. Mai 2015 geschildert, dass es im Bereich des Konzerns der Beklagten für die Mitarbeiter in den Akut-Kliniken, die von Damp übernommen wurden, im Herbst 2014 zu einer neuen tariflichen Regelung zum Urlaub gekommen ist, wonach ab 2015 alle dort beschäftigten Arbeitnehmer einen Urlaubsanspruch von 29 Tagen haben, der sich dann erst mit Erreichen des 55. Lebensjahres auf 30 Urlaubstage erhöhte (Kopie der Gewerkschaftsinfo dazu hier Blatt 43). Der Anwendungsbereich von § 22 MTV ist also seit diesem Zeitpunkt auf die von Damp übernommenen Reha-Kliniken im Bereich des Konzerns der Beklagten beschränkt.

Es ist nachvollziehbar, dass damit die Rechtfertigung der an der Vollendung des 50. Lebensjahres anknüpfenden Staffelung des Urlaubs in Frage gestellt ist, da dieses vergleichsweise niedrige Lebensalter als Anknüpfungskriterium maßgeblich gerechtfertigt war mit Blick auf die ungünstigen Arbeitsbedingungen, die man in Akut-Kliniken feststellen kann (siehe oben). Ist der fragliche Tarifvertrag aufgrund der weiteren tariflichen Entwicklung inzwischen nur noch auf Reha-Kliniken anwendbar, auf die die festgestellten ungünstigen Arbeitsbedingungen entweder gar nicht oder nur deutlich abgeschwächt zutreffen, ist die in § 22 MTV getroffene Differenzierung eigentlich nicht mehr zu rechtfertigen. Da nach Artikel 9 Absatz 3 GG die problemangemessene Regelung der Arbeitsbedingungen in erster Linie den Sozialpartnern überantwortet ist, kann nicht jede Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, die die Legitimation einer einmal erlassenen Tarifnorm in Frage stellt, unmittelbar deren Nichtigkeit zur Folge haben. Den Sozialpartnern ist vielmehr ein gewisser Zeitraum zuzugestehen, den sie in Anspruch nehmen dürfen, um die Thematik neu zu bewerten, sich zu positionieren und dahingehende Verhandlungen aufzunehmen und abzuschließen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass im vorliegenden Streitzeitraum (2014 bis 2016) dieser Anpassungszeitraum für die Tarifvertragsparteien bereits abgelaufen war.

II.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 ZPO).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.

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