VG Lüneburg, Urteil vom 24.04.2020 - 2 A 323/18
Fundstelle
openJur 2020, 11793
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks A-Straße, das ebenso wie das nördlich angrenzende Grundstück E. der Beigeladenen im unbeplanten Innenbereich liegt.

Auf dem Grundstück der Klägerin befindet sich außer einem Wohnhaus u. a. ein Nebengebäude, das über die Grenze zum nördlich angrenzenden Grundstück der Beigeladenen hinweg im Jahr 1961 errichtet und genehmigt worden ist. Nach außen erscheint das Gebäude mit seinen auf beiden Grundstücken gelegenen Teilen als ein Baukörper; innen sind die Gebäudeteile entlang der Grenze baulich getrennt. Der auf dem Grundstück der Beigeladenen liegende Gebäudeteil wurde als Lager/Werkstatt/Brühküche genutzt.

Mit Schreiben vom 8. März 2018 beantragten die Beigeladenen, die Eigentümer des Grundstücks E., die Erteilung einer Genehmigung für eine Nutzungsänderung des auf ihrem Grundstück liegenden Gebäudeteils, den sie – nach einem Umbau in zwei Zimmer mit jeweils einem WC und der Einziehung einer weiteren Zwischenwand – nunmehr teilweise zu Wohnzwecken nutzen wollten. Der direkt an der Grenze zum Grundstück der Klägerin gelegene Teil sollte weiter als Garage bzw. Abstellraum genutzt werden. Der umzunutzende und entsprechend umzubauende Gebäudeteil schließt daran parallel zur Grundstücksgrenze in einer Entfernung von 3,30 m an. Beide Gebäudeteile sollten durch eine neu einzuziehende „Außenwand“ voneinander getrennt werden. Ein östlicher im Vergleich zum Gebäudeteil auf dem Grundstück der Klägerin überstehender Gebäudeteil mit einer Länge von 2,38 m sollte abgebrochen werden.

Die beklagte Stadt erteilte die begehrte Baugenehmigung mit Bescheid vom 11. Juni 2018. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin, den sie zuvörderst mit einer Unterschreitung der Abstandsflächen begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2018 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, lediglich der zur Wohnnutzung umgebaute Gebäudeteil müsse einen Abstand halten; dies werde durch das Bauvorhaben beachtet, denn der umzubauende Gebäudeteil, der innen zur Abgrenzung von der alten Nutzung auch eine neue „Außenwand“ erhalte, befinde sich 3,30 m von der Grundstücksgrenze entfernt.

Am 5. September 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus. Das Vorhaben sei rücksichtslos. Der bauordnungsrechtlich erforderliche Abstand werde durch die baulichen Anlagen auf dem Grundstück der Beigeladenen nicht eingehalten. Nach § 5 Abs. 8 Satz 2 NBauO dürften bauliche Anlagen auf einem Baugrundstück insgesamt nur auf einer Länge von 15 m den Abstand nach § 5 Abs. 2 NBauO unterschreiten. Ausweislich der vorliegenden Schnittzeichnung weise das Nebengebäude, auf das sich die angegriffene Genehmigung beziehe, eine Gesamtlänge von 12,70 m auf. Zuzüglich eines 2015 genehmigten, 4,50 m langen, parallel zur Grundstücksgrenze in einem Abstand von nur einem Meter verlaufenden Abstellraums würde diese Vorgabe indes überschritten. Ob der zu Wohnzwecken umgebaute Gebäudeteil den Mindestabstand einhalte, eine ausreichende Raumhöhe vorsehe und die geltenden Brandschutzanforderungen wahre, lasse sich den in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Bauzeichnungen mangels ausreichender Angaben nicht entnehmen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. August 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung vertieft sie die Ausführungen aus ihrem Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Gründe

I. Die zulässige Klage, über welche die Einzelrichterin im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin darum nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Für die Entscheidung kann offenbleiben, ob die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in jeder Hinsicht rechtmäßig ist. Ein Rechtsanspruch des Nachbarn auf Aufhebung besteht nämlich nicht schon dann, wenn eine Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Hinzukommen muss, dass der Nachbar durch die rechtswidrige Baugenehmigung zugleich in eigenen Rechten verletzt wird. Dies setzt voraus, dass die Baugenehmigung gegen Rechtsnormen verstößt, die nachbarschützenden Charakter haben, und der jeweilige Nachbar auch im Hinblick auf seine Nähe zu dem Vorhaben tatsächlich in seinen eigenen Rechten, deren Schutz die Vorschriften zu dienen bestimmt sind, verletzt wird (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 16.8.1983 - 4 B 94/83 -, juris Rn. 3; BVerwG, Urt. v. 26.9.1991 - 4 C 5/87 -, juris; BayVGH, Urt. v. 23.11.2011 - 14 BV 10.1811 -, juris Rn. 34; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.5.2017 - 2 A 130/16 -, juris Rn. 26; Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, Vorb §§ 29-38 Rn. 14 ff.).

Nach diesen Vorgaben kann die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Baugenehmigung nicht verlangen, weil nachbarschützende Normen nicht verletzt werden.

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht.

Die hier zur Genehmigung gestellte Baumaßnahme ist die Änderung der Nutzung eines Teils des 1961 errichteten und genehmigten Nebengebäudes sowie die hiermit verbundenen Umbaumaßnahmen. Diese Baumaßnahme entspricht dem öffentlichen Baurecht, soweit es in diesem Nachbarrechtsstreit zu prüfen ist.

1. Bauplanungsrechtlich bestehen gegenüber dem Vorhaben keine Bedenken. Weil das Baugrundstück im unbeplanten Innenbereich liegt, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens insoweit nach § 34 Abs. 1 BauGB. Danach muss sich das Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Das ist hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ohne weiteres der Fall; denn Wohnnutzung entspricht der vorherrschenden Umgebungsnutzung. Soweit die Klägerin in ihrem Klageschriftsatz Zweifel äußert, dass sich das Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung einfügt, sind diese Zweifel nicht substantiiert und nicht nachvollziehbar; im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Klägerin hierdurch in ihren Rechten verletzt sein sollte. Dass das Vorhaben das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verletzen könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich und auch nicht substantiiert dargetan.

2. Auch bauordnungsrechtlich ist das Vorhaben nicht zu beanstanden. Es hält den erforderlichen Grenzabstand ein. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 NBauO müssen Gebäude mit allen auf ihren Außenflächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten von den Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 NBauO beträgt der Abstand beträgt 0,5 H, mindestens jedoch 3 m. Danach ist hier ein Abstand von 3 m zu wahren, denn die maßgebliche Höhe beträgt jedenfalls weniger als 6 m, so dass es auf den nach der genannten Vorschrift einzuhaltenden Mindestabstand ankommt.

Diesen Abstand hält die hier zur Prüfung gestellte Baumaßnahme ein, denn der von der beantragten Nutzungsänderung betroffene Teil des Nebengebäudes aus dem Jahr 1961 befindet sich ausweislich der Bauzeichnung auf Blatt 165 des Verwaltungsvorgangs in einem Abstand von 3,30 m zur Grundstücksgrenze.

Dass der übrige, zum Grundstück der Klägerin hin ausgerichtete Gebäudeteil keinen Abstand hält, ist für die hier vorzunehmende Prüfung irrelevant. Gegenstand der Baugenehmigung und dementsprechend der gerichtlichen Prüfung ist nur die genehmigte Baumaßnahme. Eine Baumaßnahme kann sich dabei gemäß § 5 Abs. 13 NBauO auch nur auf einen Teil einer baulichen Anlage beziehen. Der Bauherr bestimmt dabei mit seinem Bauantrag, für welche Baumaßnahme das Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden soll (Nds. OVG, Urt. v. 16.12. 1993 - 1 L 91/90 -, juris Rn. 9, Mann, in: Große-Suchsdorf/Burzynska, 10. Aufl. 2020, NBauO § 70 Rn. 29, 30).

Hier betrifft die nach diesen Vorgaben zu überprüfende Baumaßnahme nur den nördlichen, nicht direkt an das Grundstück der Klägerin angrenzenden Teil des 1961 errichteten und genehmigten Gebäudes. Denn die Nutzung des grenzständigen Gebäudeteils soll ausweislich des Bauantrags unverändert bleiben. Der von der eingeschränkten Nutzungsänderung nicht umfasste Gebäudeteil wäre darum nur dann in die Prüfung mit einzubeziehen, wenn sich die zur Prüfung gestellte Baumaßnahme nicht isoliert beurteilen ließe, technisch also nicht teilbar wäre. Das ist hier aber nicht der Fall. Vielmehr soll als Bestandteil der zur Genehmigung gestellten Baumaßnahme eine neue Wand – die von dem Beklagten so bezeichnete „Außenwand“ – den von der Nutzungsänderung betroffenen Gebäudeteil von dem übrigen Gebäudeteil abgrenzen.

Der grenzständige Gebäudeteil ist hier somit nicht in die Prüfung einzubeziehen; vielmehr ist er weiterhin von der im Jahr 1961 erteilten Baugenehmigung gedeckt. Ob und inwiefern dieser Gebäudeteil von dem Abstandsprivileg des § 5 Abs. 8 Satz 2 NBauO profitiert, wonach u.a. Garagen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer Höhe bis zu 3 m keinen Abstand einhalten müssen, kann darum offenbleiben. Nach den Verwaltungsvorgängen ist diese Vorschrift schon wegen der vorhandenen Feuerstätte in dem Gebäude nicht einschlägig. Unerheblich ist aufgrund des Vorstehenden auch, ob die Länge der auf dem Grundstück vorhandenen Grenzbebauungen im Einklang mit § 5 Abs. 8 Satz 3 NBauO mehr als 15 m beträgt.

Die von der Klägerin geäußerten weiteren Bedenken hinsichtlich der Einhaltung bauordnungsrechtlicher Vorschriften, wie etwa, ob die für eine Wohnnutzung erforderliche Deckenhöhe erreicht wird, sind im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu prüfen, weil die insoweit betroffenen Vorgaben ersichtlich keine nachbarschützende Wirkung entfalten. Auch die angedeuteten brandschutzrechtlichen Bedenken führen nicht zu einem Anspruch der Klägerin auf Aufhebung der angefochtenen Baugenehmigung. Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich infolge der Baumaßnahme die brandschutztechnische Situation für die Klägerin (nachteilig) ändern sollte, zumal – zusätzlich zu der bereits innerhalb des Gebäudes vorhandenen, 24 cm starken Grenzwand auf der Grundstücksgrenze im Gebäude – eine weitere „Außenwand“ innerhalb des Gebäudes eingezogen wird, die die Wohn- von der unverändert fortbestehenden Lagernutzung trennen soll.

3. Soweit die Klägerin schließlich ausführt, der unmittelbar an die Grenze gebaute Gebäudeteil sei nicht entsprechend der Baugenehmigung aus dem Jahr 1961 errichtet worden bzw. werde abweichend genutzt, ist dies nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, in dem allein die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Baugenehmigung zu prüfen ist. Soweit die Klägerin Zweifel daran hat, dass die Beigeladenen die Vorgaben der Baugenehmigung einhalten, ist sie darauf zu verweisen, ggfs. einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten geltend zu machen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Kosten eines notwendig beigeladenen Nachbarn sind nach der Rechtsprechung der Kammer im Nachbarrechtsstreit immer erstattungsfähig, wenn der Kläger die Baugenehmigung des Nachbarn ohne Erfolg anficht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.

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