VG Hannover, Beschluss vom 27.04.2020 - 7 B 5587/19
Fundstelle
openJur 2020, 11774
  • Rkr:

Ein Altenpfleger ist unzuverlässig, wenn er den höchstpersönlichen Lebensbereich der ihm anvertrauten Kranken und Hilflosen durch die unbefugte Anfertigung von Bildaufnahmen bei der Wäsche oder dem Ankleiden verletzt, sie dabei mit freiliegenden Geschlechtsteilen ablichtet und diese Bilder auf seinem Smartphone speichert.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf 7.500,00 EURO festgesetzt.

Gründe

I.

Der D. geborene ledige Antragsteller war seit 2006 „Altenpflegehelfer“. Sodann erhielt er mit Urkunde des Antragsgegners vom 15. September 2017 die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ erteilt.

Vor Erteilung der Erlaubnis hatte er im August 2015 im Rahmen einer Anstellung als Altenpflegeschüler die im Seniorenheim E. in F. wohnhafte, im Jahre G. geborene H. mit deren nacktem Oberkörper im Badezimmer bei der Körperpflege mit seinem Mobiltelefon gefilmt und das Video anderen Pflegekräften gezeigt. Den Vorwurf hat der Antragsteller eingeräumt und in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass sich die I. wegen Lappalien beschwert habe (Bl. 29 BA 004). Das gegen den Antragsteller eingeleitete Strafverfahren wegen Verstoßes gegen § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen) wurde von der Staatsanwaltschaft J. mit Verfügung vom 8. März 2016 gemäß § 153a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 600,00 € eingestellt – NZS 122 Js 46883/15 –. Die Gründe hierfür ergeben sich aus Bl. 34 BA 004. Der Antragsteller wurde von seiner Ausbildungsstätte entlassen.

Mit rechtskräftigem Strafbefehl des AG K. vom 23.8.2019 wurde gegen den Antragsteller wegen Verstoßes gegen §§ 123 Abs. 1 und 2, 303 Abs. 1, 303c, 52 StGB (Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Sachbeschädigung) eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu 55,00 € verhängt – 3 Cs 27 Js 14807/19 –. Der Antragsteller hatte am 23. März 2019 ein Grundstück in A-Stadt unerlaubt betreten, die dortige Haustür eingetreten und war bis vor das Schlafzimmer der Geschädigten L. gelangt, bevor Hunde anschlugen und der Antragsteller das Wohnhaus verließ.

Im Zuge dieses Ermittlungsverfahrens war eine Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers erfolgt und sein Mobiltelefon sichergestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der Antragsteller als Altenpfleger in einem Pflegeheim der M. im dortigen Haus N. in O.. Einer der Bewohner dieser Pflegeinrichtung ist der P. geborene geistig beeinträchtigte Q.. Auf dem sichergestellten Mobiltelefon des Antragstellers wurde das von ihm im April 2019 aufgenommene Lichtbild des Q. gefunden, das diesen im Vollbild einschließlich Gesicht (Ganzkörperaufnahme, Bl. 54 BA 001 oben) im Badezimmer bekleidet mit einer Unterhose und einem T-Shirt zeigt, wobei sein Geschlechtsteil und der Hodensack rechts unten aus der Hose heraushängen. Weitere abgespeicherte Lichtbilder stellen auf das Geschlechtsteil des R. zentrierte Bildausschnitte dar. Das deshalb von der Staatsanwaltschaft B-Stadt gegen den Antragsteller wegen Verstoßes gegen § 174a StGB (Sexueller Missbrauch von Hilfsbedürftigen in Einrichtungen) eröffnete Ermittlungsverfahren ist noch anhängig – 6 Js 18444/19 –. Die Wohnbereichsleiterin S. teilte mit, dass es dem Pflegepersonal arbeitsrechtlich untersagt sei, private Mobiltelefone im Wohnbereich der Pfleglinge zu nutzen. Der Geschädigte R. zeige nach ihrem Dafürhalten auf dem Lichtbild eine klare Abwehrhaltung gegen die Aufnahme (Bl. 47 BA 001).

Die Fachbereichsleiterin T. der U. teilte dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller seit dem 29. April 2019 vom Dienst wegen eines gewalttätigen Übergriffs auf eine Bewohnerin des Wohnbereichs 1 freigestellt sei (Bl. 5, 10 BA 003). Die Betreuerin der Geschädigten habe jedoch keine Strafanzeige stellen wollen (Bl. 12, 14 BA 003). Der Antragsteller habe gegenüber der Fachbereichsleiterin eingeräumt, der Bewohnerin einen leichten Schlag gegeben zu haben, weil diese mehrmals ihren Kleiderschrank ausgeräumt und die Schokolade einer anderen Bewohnerin aufgegessen habe. Der Antragsteller habe im Mai seine Beschäftigung gekündigt.

Von dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft B-Stadt zum Nachteil des Geschädigten R. erhielt der Antragsgegner Kenntnis und hörte den Antragsteller zum Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ an.

Der Antragsteller wies den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Geschädigten R. mit Stellungnahme vom 7. Oktober 2019 zurück. Der Zustand des Pfleglings habe auf ihn skurril gewirkt. Er – der Antragsteller – habe über den Zustand des R. schmunzeln müssen; weil er sein Smartphone dabeigehabt hätte, habe er spontan entschieden, den R. in seinem Zustand mit dem heraushängenden Geschlechtsteil zu fotografieren, ohne ihn dabei anzufassen. Nach dieser Aufnahme habe er dem R. beim Ankleiden geholfen. Er bedaure die Fotoaufnahme zutiefst. Er habe unüberlegt gehandelt. Er betrachte sich aufgrund seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als eine gewissenhafte, zuverlässige und empathische Pflegekraft. Er bitte deshalb, von berufsrechtlichen Maßnahmen abzusehen.

Mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 23. Oktober 2019 widerrief der Antragsgegner unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die dem Antragsteller am 15. September 2017 erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ und forderte ihn auf, ihm umgehend, spätestens jedoch bis zum 12. November 2019 die Original-Urkunde einschließlich aller vorhandenen Kopien zurückzugeben. Sofern er dieser Aufforderung nicht nachkomme, beabsichtige er, die Urkunde im Wege der Zwangsvollstreckung einziehen zu lassen (S. 3 des Bescheidabdrucks). Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Erlaubnis gemäß § 2 Abs. 2 des Altenpflegegesetzes – AltPflG – zu widerrufen sei, wenn nachträglich die Voraussetzung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG wegfalle, sich also jemand eines Verhaltens schuldig gemacht habe, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufes ergebe. Die vom Antragsteller eingeräumte Handlung zum Nachteil des Pflegebedürftigen R. sei geeignet, Zweifel an der Eignung und Zuverlässigkeit des Antragstellers als Altenpfleger hervorzurufen. Allein die Tatsache, dass er ein Foto von den Geschlechtsteilen einer ihm anvertrauten Person mache, stelle einen besonders schweren Verstoß gegen die Berufspflichten eines Altenpflegers dar. Er habe durch sein Verhalten die Persönlichkeitsrechte des Pflegebedürftigen R. in hohem Maße verletzt, indem er dessen Hilflosigkeit zu seiner Belustigung ausgenutzt habe. Ein besonders schwerer Verstoß gegen die Berufspflichten könne regelmäßig die Unzuverlässigkeit begründen, auch wenn dieser einmalig sei. Aufgrund der besonderen Schwere seines Vergehens könne zum jetzigen Zeitpunkt keine positive Prognose für die Zukunft getroffen werden. Unter Würdigung aller Umstände habe er ein Verhalten gezeigt, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs als Altenpflegers ergebe. Aufgrund seines Vergehens biete er nicht mehr die Gewähr dafür, in Zukunft alle in Betracht kommenden, insbesondere die berufsspezifischen Pflichten und Vorschriften zu beachten. Die sofortige Vollziehung des Widerrufs sei insbesondere zum Schutz der Patienten vor Gefahren anzuordnen gewesen, die von ungeeignetem Pflegepersonal ausgingen. Hilfsbedürftige Personen hätten das Recht, vom Antragsteller angemessen versorgt und behandelt zu werden. Insbesondere geistig Behinderte, die nicht in der Lage seien, sich zu wehren, stellten einen besonders schutzwürdigen Personenkreis dar. Sie könnten ihre Interessen nicht selbst vertreten sowie verteidigen und seien damit besonders wehrlos Übergriffen ausgesetzt. Aufgrund der besonderen Schwere der Tat, welche auch in moralischer Hinsicht sehr bedenklich sei, sei ein sofortiger Widerruf notwendig und geboten. Zudem sei das Schutzgut der Volksgesundheit gefährdet, weil das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber dem Berufsstand der Altenpfleger leide. Daher könne auch nicht der Abschluss des laufenden Ermittlungsverfahrens abgewartet werden. Hinter diesem öffentlichen Interesse stehe das private Interesse des Antragstellers an der Weiterführung seiner Berufsbezeichnung zurück. Der Eingriff in seine Berufsfreiheit sei ausnahmsweise gerechtfertigt, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des Gemeinwohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Die Art und Schwere des Vergehens mache es erforderlich, den Antragsteller von der Pflege hilfsbedürftiger Menschen auszuschließen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei deshalb auch nicht unverhältnismäßig. Der Bescheid wurde am 25. Oktober 2019 durch Postzustellungsurkunde abgesandt, die sich nicht bei den Vorgängen befindet. Der Antragsteller teilt mit, dass ihm der Bescheid am 1. November 2019 zugegangen sei.

Er übersandte dem Antragsgegner am 7. November 2019 (Eingang bei der Behörde) seine Original-Urkunde zurück.

Mit seiner am 27. November 2019 beim Verwaltungsgericht Hannover eingegangenen Klage wendet sich der Antragsteller gegen den Bescheid – 7 A 5586/19 – und sucht um vorläufigen Rechtsschutz nach. Zur Begründung führt er aus, dass aufgrund des einmaligen von ihm eingeräumten Vorfalls zum Nachteil des Geschädigten R. nicht auf seine Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs des Altenpflegers geschlossen werden könne. Er habe das Foto keiner anderen Person gezeigt. Der R. wisse wahrscheinlich gar nichts von dem Vorgang. Er – der Antragsteller – sei bei der Aufklärung kooperativ gewesen und habe seinen Fehler eingeräumt. Er weise eine langjährige Tätigkeit in der Altenpflege auf, wie auch drei Arbeitszeugnisse verschiedener Pflegeinrichtungen für die Zeiträume 2006 bis 2008, September 2016 bis September 2017 und Mai 2018 bis August 2018 belegten. Der Tatbestand des § 174a StGB sei nicht verwirklicht.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner am 27. November 2019 erhobenen Klage 7 A 5586/19 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. Oktober 2019 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er verteidigt seinen Bescheid. Auf den Abschluss des Ermittlungsverfahrens zum Nachteil des Geschädigten R. müsse nicht gewartet werden, weil der Antragsteller die Handlung eingeräumt habe. Die Tat des Antragstellers wiege besonders schwer, weil er das Foto während seiner Berufsausübung als Altenpfleger aufgenommen habe. Der Antragsteller habe das Vertrauen eines geistig eingeschränkten Pflegebedürftigen auf besonders verwerfliche Weise ausgenutzt und sich an dessen situativem Erscheinungsbild belustigt. Er habe zudem das auf dem Mobiltelefon gespeicherte Lichtbild des R. vervielfältigt und auf dessen Geschlechtsteil zugeschnitten. Dieses einmalige Vergehen reiche im vorliegenden Fall aus, die Unzuverlässigkeit zu begründen. Dessen ungeachtet lägen in dem eingeräumten Schlag am 29. April 2019 gegen eine andere Bewohnerin der Pflegeinrichtung ebenso ein weiterer Unzuverlässigkeitsgrund vor wie aus dem in einer Ermittlungsakte zitierten Hausverbot des öffentlichen Schwimmbades „V.“, das ausgesprochen worden sein soll, weil der Antragsteller Filmaufnahmen von sich umziehenden Badegästen angefertigt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vorzitierten Gerichts- und Ermittlungsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Dem vorläufigen Rechtsschutzgesuch muss der Erfolg versagt bleiben.

Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage gegen den gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO mit der gesondert begründeten Anordnung der sofortigen Vollziehung versehenen Widerruf der ihm erteilten Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ wiederherstellen, wenn das private Interesse des Antragstellers an dem vorläufigen Behalt der Erlaubnis das gesondert begründete öffentliche Interesse an deren sofortigen Wegfall überwiegt.

Das ist vorliegend nicht der Fall, weil sich der Widerruf der dem Antragsteller erteilten Erlaubnis bei summarischer Überprüfung als rechtmäßig erweist (1.) und die gesonderte Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs nicht unverhältnismäßig ist (2.).

1. Die dem Antragsteller 2017 erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ ist vom Antragsgegner auf der Grundlage des bis 31. Dezember 2019 geltenden § 2 Abs. 2 Satz 2 AltPflG widerrufen worden. Danach ist die Erlaubnis zwingend zu widerrufen, wenn nachträglich die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AltPflG geregelte Voraussetzung für die Erlaubniserteilung weggefallen ist, nach der sich der Antragsteller nicht eines Verhaltens schuldig gemacht haben darf, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt. Das Altenpflegegesetz ist gemäß Art. 15 Abs. 5 des Pflegeberufereformgesetzes vom 17.7.2017 (BGBl. I S. 2581, 2613) – PflBRefG – während des Klage- und vorläufigen Rechtsschutzverfahrens am 31. Dezember 2019 außer Kraft getreten und wurde gemäß Art. 15 Abs. 4 PflBRefG mit Geltung ab 1. Januar 2020 durch das Pflegeberufegesetz vom 17.7.2017 (= Art. 1 PflBRefG), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.1.2020 (BGBl. I S. 66) – PflBG – ersetzt. § 64 PflBG regelt die Fortgeltung der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“. Danach bleibt eine Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung nach dem Altenpflegegesetz in der am 31. Dezember 2019 geltenden Fassung durch das Pflegeberufegesetz unberührt. Sie gilt zugleich als Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PflBG. Die die Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PflBG betreffenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden. Auch nach § 58 Abs. 2 PflBG bedarf derjenige der Erlaubnis, der die Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ (erstmals) führen will. Gemäß § 58 Abs. 3 PflBG sind die §§ 2 bis 4 PflBG entsprechend anzuwenden. Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 1 PflBG entspricht dabei § 2 Abs. 2 Satz 2 AltPflG. Auch nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung zwingend zu widerrufen, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Voraussetzung nach § 2 Nr. 2 PflBG nicht erfüllt ist. Nach letzterer Vorschrift ist ebenfalls wiederum Voraussetzung für die Erteilung der Erlaubnis, dass sich der Antragsteller nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt. Insoweit entspricht § 2 Nr. 2 PflBG dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 2 des bis 31. Dezember 2019 geltenden Altenpflegegesetzes und die Eingriffsvoraussetzungen haben sich während des anhängigen Rechtsstreits nicht zugunsten des Antragstellers verändert.

Die Eingriffsvoraussetzung setzt ein Verhalten des Altenpflegers voraus, das nach Art, Schwere und Zahl von Verstößen gegen Berufspflichten die zu begründende Prognose rechtfertigt, der Altenpfleger biete aufgrund der begangenen Verfehlungen nicht die Gewähr, die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Dabei sind die gesamte Persönlichkeit des Altenpflegers und seine Lebensumstände im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens zu würdigen (Nds.OVG, Beschluss vom 23.12.2004 – 8 ME 169/04 – juris Rdnr. 8 mwN).

Danach hat sich der Antragsteller eines Verhaltens schuldig gemacht, aus dem sich seine Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs als „Altenpfleger“ ergibt. Der Antragsgegner hat dabei lediglich auf das von der Staatsanwaltschaft B-Stadt gegen den Antragsteller geführte Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen § 174a StGB (Sexueller Missbrauch von Hilfsbedürftigen in Einrichtungen) abgestellt, das noch nicht abgeschlossen ist. Der Antragsteller hat in diesem Zusammenhang eingeräumt, dass er mit seinem Smartphone den von ihm zu pflegenden geistig beeinträchtigten R. in dem Badezimmer der Pflegeeinrichtung mit aus der Unterhose heraushängendem Geschlechtsteil fotografiert hat, weil ihm die Situation skurril erschien und er sie für sich durch die Fotoaufnahme festhalten wollte. Von den weiteren oben unter I) aufgeführten abgeschlossenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hatte der Antragsgegner im Verwaltungsverfahren ersichtlich keine Kenntnis.

Die Kammer lässt dahingestellt, ob das Verhalten des Antragstellers zum Nachteil des R. den Tatbestand des § 174a StGB (Sexueller Missbrauch von Hilfsbedürftigen in Einrichtungen) erfüllt. Dies mag in dem noch anhängigen Ermittlungsverfahren entschieden werden. Jedenfalls ist der Tatbestand des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen) erfüllt. Nach dieser Strafnorm, die dem Schutz des durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisteten höchstpersönlichen Lebensbereiches des Einzelnen durch Eingriffe mittels Bildaufnahmen dient, macht sich strafbar, wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblicke besonders geschützten Raum befindet (hier: Badezimmer), unbefugt eine Bildaufnahme herstellt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. Tatbestandlich erfasst werden Bildaufnahmen, auf denen erkennbar eine Person – ganz oder teilweise – abgebildet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5.2.2019 – 3 StR 563/18 – juris Rdnr. 6). Dies ist hier der Fall, wie sich aus Bl. 54 der Ermittlungsakte ergibt (BA 001; Ganzkörperaufnahme des R.). Der Antragsteller handelte auch unbefugt. Ungeachtet der Frage, ob der zu pflegende R. einwilligungsfähig war bzw. ist, hat der Antragstellers selbst ausgeführt, dass er einen „Schnappschuss“ gefertigt habe (Bl. 3 d.A.) und der R. von dem Vorgang wahrscheinlich gar nichts wisse (Bl. 6 d.A.). Dem Antragsteller stand auch kein berechtigtes Interesse an der Herstellung der Bildaufnahme zur Seite. Er nutzte vielmehr den ersichtlich missglückten Ankleideversuch des geistig beeinträchtigten R. aus, um die Situation mit seiner Kamera festzuhalten und sich dann später an dem Lichtbild, das er selbst als „skurril“ bezeichnet, zu belustigen.

Die Unschuldsvermutung steht der Berücksichtigung dieses Vorfalls nicht entgegen. Die Feststellung der Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs und ein hierauf gestützter Widerruf der Erlaubnis darf nicht erst dann ergehen, wenn das Vergehen durch rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil festgestellt worden ist. Denn bei dem Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ wegen Unzuverlässigkeit handelt es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, die unabhängig davon ergehen kann, ob das zugrundeliegende Verhalten überhaupt einen Straftatbestand erfüllt. Zwar muss das in § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG erwähnte Verhalten schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig sein, jedoch hat sich die Widerrufsbehörde eine eigene Überzeugung zu bilden (beschließende Kammer, Beschluss vom 11.11.2015 – 7 B 3794/15 – juris Rdnr. 38). Vorliegend ist die Berücksichtigung des Vorfalls zum Nachteil des R. nicht zu beanstanden, weil der Antragsteller eingeräumt hat, diesen in der beschriebenen Situation abgelichtet zu haben.

Der Antragsteller ist Wiederholungstäter. Bereits 2015 hatte er die von ihm zu pflegende G. geborene H. mit deren nacktem Oberkörper im Badezimmer des Pflegeheims bei der Körperpflege mit seinem Mobiltelefon gefilmt und das Video anderen Pflegekräften gezeigt. Auch diesen Vorwurf hatte der Antragsteller eingeräumt und in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass sich die I. wegen Lappalien beschwert habe (Bl. 29 BA 004). Das in diesem Zusammenhang eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen eines Verstoßes gegen § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen) war der Staatsanwaltschaft J. damals noch gemäß § 153a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 600,00 € eingestellt worden. Maßgeblich hierfür war u.a., dass der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt keinen Eintrag im Bundeszentralregister aufwies und ein sexuelles Motiv für die Videoaufnahmen nicht vorgelegen habe (Bl. 34 BA 004).

Hinzu kommt der rechtskräftige Strafbefehl des AG K. vom 23.8.2019 gegen den Antragsteller wegen Verstoßes gegen §§ 123 Abs. 1 und 2, 303 Abs. 1, 303c, 52 StGB (Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Sachbeschädigung) mit einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu 55,00 €. Diesem Strafbefehl liegt eine Straftat außerhalb des beruflichen Wirkungskreises zugrunde. Der Antragsteller hatte am 23. März 2019 ein Grundstück in A-Stadt unerlaubt betreten, die dortige Haustür eingetreten und war bis vor das Schlafzimmer der Geschädigten L. gelangt, bevor Hunde anschlugen und der Antragsteller das Wohnhaus verließ. Aber auch diese Tathandlung belegt den fehlenden Respekt des Klägers vor dem höchstpersönlichen Lebensbereich von Mitmenschen. Der Antragsteller schreckt nicht vor einer Sachbeschädigung sowie Foto- und Filmaufnahmen zurück, um den höchstpersönlichen Lebensbereich anderer und insbesondere auch ihm anvertrauter Personen zu verletzen.

Wegen des sich von 2015 bis 2019 ziehenden Handlungsstrangs kann dem Antragsteller auch keine günstige Prognose dahingehend bescheinigt werden, dass er zukünftig von strafbaren Verletzungen des höchstpersönlichen Lebensbereiches Anderer Abstand nehmen wird. Insbesondere fehlt ihm damit eine wesentliche Zuverlässigkeitsvoraussetzung als Altenpfleger für die Pflege ihm anvertrauter, meist hilfloser oder zumindest hilfsbedürftiger Menschen. Denn diese müssen sich in ihrer Lebenssituation darauf verlassen können, von einem integren Altenpfleger betreut zu werden, der ihren höchstpersönlichen Lebensbereich achtet und nicht aus Ärger über Beschwerden oder zur Belustigung über eine skurrile Situation unerlaubt Nacktfotos von ihnen während der Wäsche oder dem Ankleiden anfertigt. Die Widerrufsentscheidung des Antragsgegners ist deshalb nicht zu beanstanden. Insbesondere stand dem Antragsgegner aufgrund der gebundenen Entscheidung kein Ermessensspielraum zur Seite.

2. Der durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ erfolgte Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung und -wahl ist gerechtfertigt.

Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Anordnung eines Sofortvollzugs des Widerrufs einer Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ durch den Antragsgegner an hohe Voraussetzungen geknüpft. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist als Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung und -wahl zu qualifizieren. Die Abweichung von der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (§ 80 Abs. 1 VwGO) stellt einen selbständigen Eingriff dar, der in seinen Wirkungen über diejenigen des noch im Klageverfahren zu überprüfenden Widerrufs hinausgeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2003 - 1 BvR 1594/03 - juris Rdnr. 15 zu den Voraussetzungen des Sofortvollzugs des Widerrufs einer Apotheker-Approbation sowie der Einziehung der Approbationsurkunde; vgl. ferner OVG Bremen, Urteil vom 2.10.2019 - 2 B 229/19 - juris Rdnr. 6 ff. zu der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ bei Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs zu einer Bewährungsstrafe; VG Köln, Beschluss vom 13.9.2019 - 7 L 1566/19 - juris; Nds.OVG, Beschluss vom 17.2.2016 - 8 ME 213/15 - juris Rdnr. 29 ff. zum sofort vollziehbaren Widerruf einer Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Rettungsassistent“).

Es ist nach den strengen Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an einen präventiven Eingriff in die Berufsfreiheit schon vor Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens zu stellen sind, nur ausnahmsweise zu rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug sind hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens ausschließen (vgl. BVerfG, ebd.). Wegen der hohen Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit kann für eine solche Sanktion nicht schon die hohe Wahrscheinlichkeit genügen, dass der Antragsgegner im Hauptsacheverfahren obsiegen wird. Selbst die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Widerrufs reicht nicht aus, um die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu tragen (vgl. BVerfG, ebd., Rdnr. 16). Vielmehr setzt ihre Verhängung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG die zusätzliche Feststellung voraus, dass sie schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist (vgl. BVerfG, ebd., Rdnr. 16 mwN). Dieses Erfordernis entspricht der Funktion von Präventivmaßnahmen, mit denen für eine Zwischenzeit ein Sicherungszweck verfolgt wird, der es ausnahmsweise rechtfertigt, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (vgl. BVerfG, ebd., mwN).

Vorliegend ist es nach Auffassung der Kammer verhältnismäßig, den Sofortvollzugs des Widerrufs der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ anzuordnen. Konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter liegen vor.

Der Antragsgegner hat den über die Grundverfügung hinausgehenden Eingriff in die Berufsfreiheit des Antragstellers durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung eigenständig geprüft und begründet (Bescheidabdruck S. 3f.). Dabei hat er den Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit mit dem Schutzgut der Volksgesundheit abgewogen; überdies diene die Anordnung der Verhinderung weiterer Verstöße gegen rechtliche Vorgaben. Nach den Ausführungen des Antragsgegners drohen konkrete Gefahren sowohl im Hinblick auf die Begehung weiterer Straftaten als auch bezüglich eines Vertrauensverlustes der Kranken und Pflegebedürftigen in das Berufsbild: Er verweist insoweit auf die besondere Schwere der Tat zum Nachteil des geistig beeinträchtigten R.. Es bestehe eine konkrete Gefahr für das wichtige Gemeinschaftsgut der Volksgesundheit, wenn die sofortige Vollziehung des Widerrufs nicht angeordnet werde. Das Verhalten des Antragstellers sei geeignet, das besondere Ansehen und Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand der Altenpfleger, das wiederum ein Aspekt der Volksgesundheit sei, zu gefährden. Der Schutz des Vertrauens der Bevölkerung in die Personen, die diese Berufe ausübten, stelle ein zentrales Element des wertvollen Schutzgutes der Volksgesundheit dar. Daher könne nicht bis zum Abschluss des laufenden Ermittlungsverfahrens gewartet werden.

Die Kammer teilt diese Bewertung. Es muss im Ansatz verhindert werden, dass Kranke und Hilflose zum Objekt eines Altenpflegers werden, der ihren höchstpersönlichen Lebensbereich durch die unbefugte Anfertigung von Bildaufnahmen bei der Wäsche oder dem Ankleiden verletzt, sie dabei mit ihren freiliegenden Geschlechtsteilen ablichtet und diese Bilder auf seinem Smartphone speichert.

Nach alledem ist der vorläufige Rechtsschutzantrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Der bei Berufserlaubnissen anzusetzende Streitwert in Höhe von 15.000,00 € ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu halbieren.