VG Oldenburg, Urteil vom 05.03.2020 - 15 A 6118/16
Fundstelle
openJur 2020, 11649
  • Rkr:

Aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -) zur typisierenden Regelvermutung der gemeinsamen Rückkehr der Mitglieder einer "gelebten" Kernfamilie folgt, dass deren Mitglieder einander in der Weise verpflichtet sind, dass sie einheitlich für den gemeinsamen Lebensunterhalt einzustehen haben und daher von einzelnen Mitgliedern nicht erwartet werden kann, dass sie ohne ihre Familie in ihr Herkunftsland zurückkehren und nur noch für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen. Ist im Herkunftsland das Existenzminimum nicht für alle Mitglieder dieser Kernfamilie gesichert, steht ihnen ein Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.

Dass eine solche innerfamiliäre Verpflichtung für die Mitglieder einer bloßen familiären Schutz- und Beistandsgemeinschaft nicht besteht und sie demgemäß darauf verwiesen werden können, getrennt vom übrigen Familienverband in ihr Herkunftsland zurückzukehren und für ihren jeweiligen Lebensunterhalt zu sorgen, bedeutet jedoch nicht, dass alle Mitglieder auch hinsichtlich ihrer Möglichkeit zur Existenzsicherung völlig unabhängig voneinander zu betrachten sind. Wenn zu erwarten ist, dass die Mitglieder eines solchen Verbandes nach ihrer Rückkehr in der Lage sind, etwa durch die Aufnahme von Erwerbstätigkeit über ihr eigenes Existenzminimum hinaus noch weitere Familienmitglieder zu versorgen, so ist dies im Verfahren der übrigen Familienmitglieder bei der Prognose, ob diesen im Falle ihrer Rückkehr eine existenzielle Notlage i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG droht, zu berücksichtigen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen die Kläger; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Die am 00. Mai 19XX geborene Klägerin zu 1., ihre am 28. Juli 1999, 2. September 2007 und 19. Juni 2010 geborenen Kinder - die Kläger zu 2. bis 4. -, ihr am 19. November 1995 geborener Sohn - der Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 -, ihr am 28. März 1991 geborener Sohn - der Kläger zu 1. im Verfahren 15 A 6122/16 - sowie ihr am 11. Juni 2013 geborenes Enkelkind - die Klägerin zu 2. im Verfahren 15 A 6122/16 - sind irakische Staatsangehörige mit arabischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit sunnitischer Glaubensrichtung. Die Kläger reisten nach eigenen Angaben zusammen mit dem Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 am 22. Oktober 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 23. Februar 2016 Asylanträge.

In der am 18. April 2016 durchgeführten Anhörung gab die Klägerin zu 1. gegenüber dem Bundesamt an, sie habe vor der am 1. Oktober 2015 erfolgten Ausreise zusammen mit ihrer Familie in Basra gelebt. Im Februar 2014 sei ihre Tochter entführt worden, die seinerzeit ein Jahr alt gewesen sei. Sie sei draußen vor dem Haus gewesen und habe gespielt, aber als sie, die Klägerin zu 1., runtergegangen und sie gerufen habe, sei sie weg gewesen. Sie sei sich sicher, dass Schiiten sie entführt hätten. So etwas passiere jeden Tag und sei auch in ihrer Umgebung mehrfach vorgekommen. Zuvor sei sie durch ein Schreiben, das man an ihrer Haustür befestigt habe, gewarnt worden, sie solle Acht geben. Außerdem seien Schiiten in ihr Haus gekommen, hätten ihr Haus zerstört, ihrer Tochter, der Klägerin zu 2., die Nase gebrochen und sie selbst geschlagen und durch Messerstiche verletzt, weil ihre Mutter Turkmenin aus Bagdad sei. Sie sei von den Schiiten auch gezwungen worden, ein Kopftuch zu tragen. Der Vermieter habe sie gezwungen, ihr Haus zu verlassen. Daraufhin sei sie für zwei Tage zu ihrer Schwester gegangen und danach zusammen mit ihren Kindern ausgereist. Vor ihrer zweiten Heirat habe sie in einer Fahrschule als Fahrlehrerin gearbeitet. Im Irak sei sie oft mit dem Auto gefahren, das habe man ihr aber verboten, maskierte Leute in einen großen Geländewagen mit einem Schild der Regierung hätten sie aufgehalten und geschlagen. Ihre Eltern seien verstorben, sie habe noch eine Schwester in Basra und eine andere, die in Texas lebe. Sie sei seit fünf Jahren geschieden, ihr Mann habe sie, nach dem, was ihr mit dem Drohbrief und den Schlägen passiert sei, aus Angst verlassen, weil er Sunnit gewesen sei. Als geschiedene Frau habe sie von der jetzigen Regierung alle drei Monate Geld bekommen. Vorher habe sie noch Ersparnisse gehabt und ihr Gold verkauft.

Als ihre Tochter, die Klägerin zu 2., einmal auf das Dach des Hauses gestiegen sei, um zu schauen, ob sich noch ausreichend Wasser im Wassertank befindet, sei ihr ein Mann gefolgt und habe versucht, sie zu vergewaltigen. Sie habe geschrien, sodass alle gekommen seien und es sei nichts passiert. Ihr Sohn J., der Kläger im Verfahren 15 A 1323/18, sei infolge eines Autounfalls behindert und könne nicht sprechen. Er sei von einem Auto angefahren worden und habe einen Hirnschlag erlitten. Ihr anderer Sohn, der Kläger im Verfahren 15 A 6122/16, habe gearbeitet und ihr sehr geholfen. Er habe zuletzt als Taxifahrer gearbeitet, das Taxi sei ihm aber 2015 weggenommen und er sei geschlagen worden.

Zur Glaubhaftmachung legte die Klägerin die Warnung, die man an ihrer Tür befestigt habe, nebst Übersetzung vor, außerdem ein ärztliches Schreiben für den Sohn J. in arabischer und englischer Sprache sowie die Übersetzung einer Aufforderung vom 9. Juni 2015 vor, nach der sie ihre Wohnung bis zum 30. Juni 2015 zu verlassen habe, weil die Mietzeit beendet sei.

Die Klägerin zu 1. gab weiter an, sie leide unter Diabetes und Bluthochdruck.

Mit Bescheid vom 11. November 2016 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, drohte die Abschiebung in den Irak an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Die Kläger haben am 22. November 2016 Klage erhoben. Zur Begründung verweisen sie auf ihren bisherigen Vortrag und ergänzen: In ihrer Heimat seien sie als Sunniten bereits mehrfach Gewalt ausgesetzt gewesen, eine minderjährige Tochter der Klägerin zu 1. sei entführt worden und man habe ihr Wohnhaus zerstört. Sie seien unmenschlich behandelt worden, indem man ihnen die Wohnung weggenommen habe. Die Hisbollah habe sie mit dem Tod bedroht. Die Klägerin zu 1., die alleinerziehend und gesundheitlich nicht unerheblich beeinträchtigt sei, habe neben den minderjährigen Klägern zu 2. bis 4. mit dem Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 einen weiteren volljährigen Sohn zu betreuen, der aufgrund eines Unfalls schwerst körperbehindert sei. Sie befänden sich insgesamt in einer vollkommen hilflosen Situation. Die Sicherheitslage im gesamten Irak sei zudem sehr kritisch und eine inländische Fluchtalternative nicht gegeben. Zur weiteren Glaubhaftmachung wurden vorgelegt ein Urteil des Berufungsgerichts Basra vom 24. August 2015 betreffend die Zwangsräumung der Wohnung, eine durch einen amtlichen Dolmetscher erfolgte neue Übersetzung des bereits vorgelegten Drohbriefs sowie ein Untersuchungsbericht der medizinischen Kommissionen in Basra bezüglich des Sohnes J. der Klägerin zu 1.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. November 2016 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihnen subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzusprechen,

weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Irak vorliegen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren, in dem Verfahren 15 A 1323/18 und 15 A 6122/16, die jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Erkenntnismittel Bezug genommen, die in der den Beteiligten bekannt gemachten Liste des Gerichts aufgeführt sind.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber nicht begründet.

1. Die Kläger haben im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

a) Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3 a Abs. 1 AsylG Handlungen, die (Nr. 1) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder (Nr. 2) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgungsgründe sind nach § 3 b Abs. 1 AsylG zu berücksichtigen die Rasse, die Religion, die Nationalität einschließlich der Zugehörigkeit zu einer kulturellen und ethnischen Gruppe, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, worunter auch die Zugehörigkeit aufgrund des Geschlechts gehört, sowie die politische Überzeugung. Eine Verfolgung kann nach § 3 c AsylG ausgehen von (Nr. 1) dem Staat, (Nr. 2) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (Nr. 3) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Diesbezüglich ist eine qualifizierte und bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der konkreten Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine so verstandene wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der - auch deutlich - unter 50 v.H. liegt. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen in ihrer Bedeutung überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung reicht noch nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch würde sie außer Betracht lassen. Ergeben alle Umstände des Einzelfalles jedoch die „tatsächliche Gefahr“ (sog. „real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden kann, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, juris Rn. 17; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 30. Mai 2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 25 ff.; Urteil vom 2. Mai 2017 - A 11 S 562/17 - juris Rn. 30 ff).

Hat der Antragsteller Vorverfolgung erlitten oder war er unmittelbar von solcher bedroht, ist dies ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht ist (Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes).

Ist der Schutzsuchende dagegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.

Ob die Voraussetzungen des § 3 AsylG erfüllt sind oder nicht, richtet sich gem. § 77 Abs. 1 AsylG nach den Umständen im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung.

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

aa) Die Kläger haben nicht glaubhaft gemacht, dass sie im Irak eine individuelle Verfolgung erlitten oder eine solche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten haben.

Es ist Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern, vgl. § 25 Abs. 1 AsylG. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Hierzu gehört, dass der Betreffende zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 1983 - 9 C 68.81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44; Urteil vom 24. März 1987 - 9 C 321.85 - NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 19. März 1991 - 9 B 56.91 - NVwZ-RR 1991, 587).

Das Gericht muss sich sodann, um die behaupteten, möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen seiner Entscheidung als gegeben zugrunde legen zu können, nach § 108 Abs.1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von deren Wahrheit - und nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit - verschaffen. Hierbei gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Es ist die besondere Beweisnot des Schutzsuchenden zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss - wenn nicht anders möglich - in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Schutzsuchenden glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, juris, m.w.N.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -, juris). Ein im Laufe des Verfahrens sich widersprechendes oder sich steigerndes Vorbringen kann die Glaubwürdigkeit des Betreffenden in Frage stellen; ändert der Asylsuchende in einem späteren Vortrag sein früheres Vorbringen, so muss er überzeugende Gründe darlegen, weshalb sein früheres Vorbringen falsch gewesen ist, will er nicht den Eindruck der Unglaubwürdigkeit erwecken (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1985 - 9 C 26.85 - juris -; Urteil vom 23. Februar 1988 - 9 C 32.87 - DVBl 1988, 653 und Beschluss vom 21. Juli 1989 - 9 B 239.89 - NVwZ 1990, 171; BVerfG, Beschluss vom 29. November 1990 - 2 BvR 1095/90 - InfAuslR 1991, 94).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Angaben der Kläger und ihrer Familienangehörigen in den Parallelverfahren 15 A 1323/18 und 15 A 6122/16 wahrheitsgemäß erfolgt sind. Das Vorbringen der jeweiligen Kläger besteht aus einer Aneinanderreihung von zeitlichen Ungenauigkeiten, Widersprüchen und Steigerungen, deren Kumulierung ein Maß erreicht, dass die Glaubhaftigkeit der Aussagen erschüttert und damit eine Verfolgung oder einen schweren Schaden nicht hinreichend wahrscheinlich erscheinen lässt. Anders formuliert: Für das Gericht ist mit Blick auf die Zweifel an weiten Teilen des Vorbingens nicht erkennbar, ob überhaupt und wenn ja welcher Teil des geltend gemachten Verfolgungsschicksals zutreffend ist, so dass das Gericht im Ganzen von einer fehlenden Glaubhaftigkeit ausgehen muss.

Im Einzelnen:

aaa) Die Klägerin zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, die Wohnung in Basra, in der sie vor ihrer Ausreise gelebt hätten, habe sie noch zu Zeiten Saddam Husseins von der Schwester des Eigentümers gekauft, der seinerzeit im Gefängnis gewesen sei. Nachdem er freigelassen worden war, habe er sie angezeigt, weil es sich bei dem von ihnen bewohnten Raum nicht um Wohn-, sondern um Büroflächen gehandelt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei der Wert der Wohnung stark gestiegen gewesen. Allein weil er Schiit gewesen sei, habe der Mann das Gericht überzeugen können und sie hätten die Wohnung verlassen müssen.

Demgegenüber hatte die Klägerin zu 1. in ihrer Anhörung durch das Bundesamt angegeben, sie seien vom Vermieter - und nicht etwa vom früheren Verkäufer - ihrer Wohnung gezwungen worden, ihre Wohnung zu verlassen (Bl. 68 Beiakte), weil sie - so die Entscheidung des Revisionsgerichts (Bl. 86 Beiakte) - in der Wohnung gewerblichen Zwecken nachgegangen sei. Aus der durch das Bundesamt gefertigten Übersetzung eines Schriftsatzes (Bl. 80 Beiakte) ergibt sich, dass die Klägerin die Wohnung abgeben soll, weil ihre Mietzeit beendet sei.

Ausgehend von einem bloßen Mietverhältnis lässt sich mit den vorgelegten Dokumenten, bei denen es sich um Entscheidungen verschiedener irakischer Gerichte handeln soll, der von der Klägerin zu 1. erhobene Vorwurf, es handelte sich um Unrechtsurteile, die ein einflussreicher Schiit gegen sie als Sunnitin erwirkt habe, nicht erhärten.

bbb) Die Klägerin zu 1. hat in ihrer 2016 erfolgten Anhörung gegenüber dem Bundesamt angegeben, nach dem, was ihr passiert sei, d.h. dem Erhalt des Drohbriefs und dem Übergriff in ihrem Haus, bei dem sie geschlagen und mit dem Messer verletzt worden sei, habe ihr zweiter Ehemann sie verlassen und sie sei seit fünf Jahren - also seit dem Jahr 2011 - geschieden (Bl. 70 Beiakte). Auch in der mündlichen Verhandlung hat sie angegeben, ihr zweiter Ehemann habe sich von ihr scheiden lassen, als ihre am 19. Juni 2010 geborene Tochter, die Klägerin zu 4., ein Jahr alt gewesen sei, d.h. im Jahr 2011. Der Grund dafür sei gewesen, dass sie zuvor mit Messern attackiert worden sei und ihr damaliger Mann Angst gehabt habe, weil er auch Sunnit war. Er habe gewollt, dass sie ihm und mitgebe, ihre Tochter Z. sei zu diesem Zeitpunkt schon längst entführt gewesen.

Hierzu in zeitlicher Hinsicht im Widerspruch steht, dass die Klägerin gegenüber dem Bundesamt angegeben hat, ihre Tochter Zeinab sei im Februar 2014 entführt worden (Bl. 67 und Bl. 68 Beiakte), was auch der Kläger im Verfahren 15 A 6122/16 so bestätigt hat (Bl. 56 der Beiakte im Verfahren 15 A 6122/16), woraufhin - auch insoweit stehen die Aussage der Klägerin zu 1. und die ihres Sohnes im Widerspruch zueinander - sein Stiefvater ausgezogen sei (ebd.). Auf Nachfrage gab die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung an, zum Zeitpunkt ihrer Entführung sei Zeinab im Kindergartenalter, also 4 oder 5 Jahre alt gewesen. Auch danach müsste die am 25. Dezember 2008 geborene Z. im Jahr 2013 oder 2014 entführt worden sein, was sich wiederum nicht in Übereinstimmung bringen lässt mit der Angabe, ihr zweiter Ehemann habe bei der 2011 erfolgten Scheidung nur die Kinder und mitnehmen wollen, weil Z. zu diesem Zeitpunkt nicht mehr dagewesen sei. Auch die weitere in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage geschilderte zeitliche Abfolge ist nicht nachvollziehbar. Danach soll sich der Angriff mit dem Messer ein oder zwei Jahre vor der 2015 erfolgten Einreise nach Deutschland ereignet haben - also 2013 oder 2014 -, einen Monat danach sei die Scheidung erfolgt. Zum Zeitpunkt des Angriffs mit dem Messer sei Z. längst entführt gewesen, zwischen der Entführung und den Messerstichen hätten bestimmt zwei oder drei Jahre gelegen, wonach sich die Entführung statt 2014zwischen 2010 und 2012 ereignet haben müsste.

ccc) Die Klägerin zu 1. hat in ihrer Anhörung angegeben, den Drohbrief, den man an ihre Haustür gehängt habe, habe sie im zeitlichen Zusammenhang mit der Entführung ihrer Tochter Z. erhalten (Bl. 68 Beiakte). Weiter hat sie angegeben, dass unter anderem dieser Drohbrief der Grund dafür gewesen sei, dass ihr Mann sie verlassen und sich fünf Jahre vor der Anhörung habe scheiden lassen (Bl. 70 Beiakte). Im Widerspruch dazu hat die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung angegeben, sie habe den Drohbrief zusammen mit einer Patrone ein oder zwei Monate vor ihrer Ausreise hinter ihrer Haustür gefunden.

Es begegnet zudem erheblichen Zweifeln, wenn die Klägerin zu 1. einerseits angibt, im Rahmen der Zwangsräumung sei ihr kompletter Hausrat nachts auf die Straße geworfen worden und sie habe nur Gelegenheit gehabt, die Reisepässe sowie ein paar Klamotten für die Mädchen mitzunehmen, sie andererseits aber darüber hinaus auch noch einen - je nach Vortrag entweder mehrere Jahre oder einige Wochen zuvor - erhaltenen Drohbrief mitgenommen und bei ihrer Flucht nach Deutschland mitgeführt haben will.

Abgesehen davon ist im Irak „jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, (…) gegen Bezahlung zu beschaffen“ (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2. März 2020, Seite 27), sodass dem vorgelegten Drohbrief ohnehin keinerlei Beweiswert zukommt.

ddd) Die Klägerin zu 1. hat gegenüber dem Bundesamt angegeben, ihr Sohn K. der Kläger im Verfahren 15 A 1323/18, habe im Irak einen Autounfall gehabt, bei dem er angefahren worden sei. Hierzu gab sie der mündlichen Verhandlung auf Befragen an, sie vermute, dass es Leute von Asa’ib Ahl al-Haqq gewesen seien und dass es mit dem Glaubenskonflikt zwischen den Sunniten und Schiiten zu tun habe. Die Klägerin zu 2. hat in der mündlichen Verhandlung ebenfalls angegeben, sie wisse nicht, welchen Hintergrund der Unfall gehabt habe. Auch der Kläger zu 1. im Verfahren 15 A 6122/16 sprach in seiner Anhörung von einem Unfall auf der Straße - wenngleich nicht recht klar ist, weshalb an mehreren Stellen die Rede davon ist, jemand habe auf seinen Bruder geschossen (Bl. 56 und 58 Beiakte) und er, der Kläger im Verfahren 15 A 6122/16, habe in dem Zusammenhang schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht, weil man ihn, als er wegen dieses Vorfalls eine Klage gegen die Regierung einreichen wollte, festgenommen, eingesperrt, geschlagen und ihm den Finger gebrochen habe (Bl. 58 Beiakte). In der mündlichen Verhandlung gab er jedenfalls auf Befragen an, er sei bisher davon ausgegangen, dass J. im Irak in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen sei, der im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten gestanden habe.

Der von dem Unfall betroffene Sohn selbst, der Kläger im Verfahren 15 A 1323/18, hat dagegen erstmals im gerichtlichen Verfahren völlig neue Hintergründe geschildert:

Zunächst gab er an, dass er im verwaltungsbehördlichen Verfahren keine Gelegenheit gehabt habe, sein eigenes Verfolgungsschicksal darzustellen, weil der Dolmetscher ihm bei der Anhörung gesagt habe, er solle zunächst die Aussage seiner Mutter abwarten, erst danach sei er dran, wozu es aber nicht mehr gekommen sei.

Diese Behauptung ist so allerdings nicht zutreffend. Aus dem Verwaltungsvorgang ergibt sich, dass der Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 am 23. Februar 2016 zusammen mit seiner Familie zur Asylantragstellung erschienen ist, ein Asylantrag für ihn selbst aber nicht gestellt werden konnte, weil er aufgrund seiner Behinderung nicht verfahrensfähig war und das Vormundschaftsverfahren noch nicht eingeleitet war (Bl. 40, 41 der Beiakte im Verfahren 15 A 1323/18). Nach der unter dem 15. März 2017 erfolgten Bestellung der Klägerin zu 1. als Vormund erfolgte am 29. März 2017 durch diese eine Asylantragstellung für den Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 (Bl. 46, 47 der vorgenannten Beiakte). Unter dem 24. Juli 2017 wurde die Klägerin zu 1. aufgefordert, eine schriftliche Stellungnahme zu den Asylgründen ihres Sohnes einzureichen, woraufhin bei dem Bundesamt unter dem 16. August 2017 ein Schriftstück abgegeben worden ist, laut dem für ihn die gleichen Gründe gelten, die auch für die Klägerin zu 1. selbst vorgetragen sind (Bl. 97, 98 der vorgenannten Beiakte). Damit bestand auch für den Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 ausreichend Gelegenheit, sein Verfolgungsschicksal darzustellen.

Der von dem Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 behauptete Vortrag, er habe mit einem Mädchen im Irak Geschlechtsverkehr gehabt, woraufhin er dieses Mädchen habe heiraten wollen, was dessen Eltern trotz mehrfacher Nachfrage aber nicht zugelassen hätten, weil er Schüler und ein Sunnit aus ärmlichen Verhältnissen gewesen sei, während sie aus einer bekannten schiitischen Großfamilie gestammt habe, das Mädchen sei von ihren Eltern umgebracht worden, um die Familienehre reinzuwaschen, nachdem es ihrer Mutter mit dem Ziel, die Heirat zu erzwingen, von dem Geschlechtsverkehr erzählt habe, er selbst sei Opfer eines mittels eines Autos ausgeführten Mordversuchs durch den Vater des Mädchens und er werde jetzt clanweit verfolgt, ist ebenso wenig glaubhaft wie sein damit unmittelbar im Zusammenhang stehende Behauptung, er habe seinen Familienmitgliedern aus Scham hiervon noch nie etwas erzählt und sie würden mit seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung erstmals hiervon erfahren.

Denn abgesehen davon, dass die zunächst noch im Sitzungssaal anwesende Klägerin zu 1. und die durchgehend anwesende Klägerin zu 2. bei dieser vermeintlich völlig überraschenden Wendung keine besondere Reaktion gezeigt und erst auf Nachfrage angegeben haben, sie hörten das zum ersten Mal und seien schockiert, ergibt sich aus dem Schreiben des Berufsbetreuers des Klägers im Verfahren 15 A 1323/18 vom 29. Dezember 2018 (dort Seite 2, Bl. 38 Gerichtsakte), dass der betreute Kläger über den angeblichen Mordversuch durch die Familie seiner damaligen Freundin eine Notiz (Bl. 39 Gerichtsakte) verfasst habe, die ausgerechnet eine seiner Schwestern ins Deutsche übersetzt habe. Soweit der Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 auf Vorhalt hierzu angegeben hat, das betreffende Schreiben habe er durch ein Übersetzungsprogramm übersetzen und dann vor Ort ausdrucken lassen, hält das Gericht auch diese Aussage im Hinblick auf die orthografischen wie grammatikalischen Schwächen sowie die zusätzlichen Tippfehler in der schriftlichen Erklärung nicht für glaubhaft. Auch die gegenüber seinem Berufsbetreuer getätigte Aussage des Klägers im Verfahren 15 A 1323/18, sein Vater - der Ehemann der Klägerin zu 1. - sei auf der Flucht erschossen worden (Schreibens des Berufsbetreuers, Seite 1 unten, Bl. 31 Gerichtsakte), dürfte lediglich eine weitere tatsächlich nicht zutreffende Steigerung der bisherigen Verfolgungsgründe darstellen, da die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, ihr Ehemann - der Vater des Klägers zu 1. - sei bereits im Jahr 2004/05 getötet worden.

Im Hinblick auf die aufgezeigten Widersprüche und Zweifel an erheblichen Teilen der von den verschiedenen Familienmitgliedern geltend gemachten Verfolgungsgründe vermag der Einzelrichter nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass sich auch die weiteren geschilderten Fluchtgründe - körperliche Angriffe von Milizen auf die Klägerin zu 1. und 2. sowie eine versuchte Vergewaltigung der Klägerin zu 2. -, die sich zudem in zeitlicher Hinsicht nicht einordnen lassen, in der behaupteten Weise ereignet haben bzw. für die Kläger originär fluchtauslösend waren.

bb) Irakischen Staatsangehörigen sunnitischer Religionszugehörigkeit droht im Irak auch keine Gruppenverfolgung (Nds. OVG, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 11 LA 11/18 -, V.n.b.; BayVGH, Beschluss vom 8. Januar 2018 - 20 ZB 17.30839 -, juris, Rn. 10).

2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Subsidiär schutzberechtigt ist nach dieser Vorschrift, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen nach den oben genannten Ausführungen ebenfalls nicht vor.

3. Schließlich haben die Kläger auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf den Irak.

a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.

Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.

Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413, und vom 28. Juni 2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681).

Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen - wie hier - nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24. Juli 2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 2. Mai 1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27. Mai 2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28. Juni 2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13. Oktober 2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952).

Die außergewöhnlichen individuellen Umstände bzw. Merkmale können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (EGMR, Urteil vom 13. Dezember 2016 - 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187 und 189). Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2018 - A 11 S 1265/17 -, juris Rn. 151).

Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw. (BayVGH, Urteil vom 23. März 2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717, sowie vom 21. November 2014 - 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -, dort zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan).

In der letztgenannten Fallgestaltung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverwaltungsgerichts (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167) ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2018 - A 11 S 1265/17 -, juris Rn. 167 m.w.N.).

Erforderlich ist danach die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung. Es gilt - wie bei § 60 Abs. 1 AufenthG - der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die für eine Schädigung sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EGMR, Urteil vom 17. Juli 2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris). Zu beachten ist allerdings, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent sein muss und es hier also nicht um den eindeutigen, über allen Zweifeln erhabenen Beweis gehen kann, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (EGMR, Urteil vom 9. Januar 2018 - 36417/16 - (X/Schweden) Rn. 50).

Bei der Prognose, welche Situation ein Asylantragsteller bei einer angenommenen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat vorfinden wird, ist der Gefahrenprognose eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 17 ff.).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und unter Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel ist nicht anzunehmen, dass für die Kläger und ihre Familienangehörigen in den Verfahren 15 A 6122/16 und 15 A 1323/18 im Fall ihrer Rückkehr in den Irak aufgrund der dortigen humanitären Verhältnisse das ernsthafte Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestehen würde.

Hier ist davon auszugehen, dass die Kläger zusammen mit ihren weiteren Familienangehörigen, den Klägern in den Verfahren 15 A 1323/18 und 15 A 6122/16, in den Irak zurückkehren würden, deren Klagen ebenfalls ohne Erfolg bleiben, und die auch vor der Ausreise aus dem Irak zusammen in einem Haushalt gelebt haben (Bl. 56 der Beiakte im Verfahren 15 A 6122/16). Weil sie vor ihrer Ausreise in der Lage waren, gemeinsam ihre Existenz zu sichern, ist auch im Falle der gemeinsamen Rückkehr davon auszugehen, dass sie umfassend „aus einem Topf“ wirtschaften (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 371/11 - BVerfGE 142, 353 Rn. 53, 65).

Daran ändert es nichts, dass die Klägerin zu 2., der Kläger zu 1. im Verfahren 15 A 6122/16 und der Kläger im Verfahren 15 A 1323/18 nicht mehr minderjährig sind und die Klägerin zu 2. im Verfahren 15 A 6122/16 das Enkelkind bzw. die Nichte der Kläger ist, es sich bei dieser familiären Konstellation damit also nicht ausschließlich um einen vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. Juli 2019 (- 1 C 45.18 -, juris) als „gelebte Kernfamilie“ bezeichneten Familienverband aus Eltern und minderjährigen Kindern handelt.

In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte das Berufungsgericht für die Prognose der Gefahren, die dem Kläger in seinem Herkunftsland drohen, darauf abgestellt, dass er ohne die weiteren Mitglieder seiner Kernfamilie, eine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder, in sein Heimatland zurückkehren und sich in diesem Fall alleine auf niedrigem Niveau unterhalten könne, während dies bei der gesondert betrachteten Ehefrau des Klägers und den beiden minderjährigen Kinder nicht der Fall wäre, weil die Mutter wegen der Betreuung- und Erziehungsaufgaben nicht in der Lage wäre, für sich und ihre Kinder das Existenzminimum zu erwirtschaften, weshalb die Beklagte verpflichtet wurde, für Ehefrau des Klägers und die Kinder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Kläger auf dessen Revision hin ebenfalls einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes zugestanden, weil davon auszugehen sei, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie mit minderjährigen Kindern auch im Familienverband wieder in ihr Herkunftsland zurückkehre, selbst wenn für einzelne Familienmitglieder bereits ein Abschiebungsverbot festgestellt worden ist. Im Verhältnis zwischen Eheleuten und Eltern minderjähriger Kinder bestehe ein nach Art. 6 GG/ Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband, der im Grundsatz die Annahme zulasse, dass dieser nicht auf freiwilligem Wege aufgelöst wird oder durch staatliche Maßnahmen getrennt werden kann, sondern im Regelfall dazu führen wird, dass die Mitglieder eines solchen Familienverbandes tatsächlich bestrebt sein werden, ihr familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder - sogar ungeachtet von für einzelne Mitglieder festgestellte Bleibeansprüche - im Herkunftsland fortzusetzen (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 17, 19). Daher dürfe für die Frage, ob eine Existenzsicherung im Herkunftsland möglich ist, nicht nur auf einzelne Familienmitglieder abgestellt werden, sondern es müsse der gesamte Familienverband berücksichtigt werden.

In Abgrenzung zum entschiedenen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung weiter klargestellt, dass eine typisierende Regelvermutung der gemeinsamen Rückkehr dagegen nicht angenommen werden könne, wenn es sich um einen Familienverbund jenseits der aus Eltern und minderjährigen Kindern bestehenden und „gelebten“ Kernfamilie handelt, auch wenn dieser von familiärer Verbundenheit und Verantwortlichkeit, Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft geprägt ist (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 18). Aus dieser Klarstellung lässt sich allerdings nicht der Umkehrschluss ziehen, dass in diesen Fällen eine Rückkehr im Familienverband zur Fortführung einer Schutz- und Beistandsgemeinschaft ausgeschlossen ist. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet nur, dass von einem Mitglied einer „gelebten“ Kernfamilie nicht erwartet werden kann, ohne seine Familie in sein Herkunftsland zurückzukehren und nur für seinen eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Mitglieder einer bloßen familiären Beistandsgemeinschaft können sich dagegen nicht darauf berufen, in der Weise einander verpflichtet zu sein, dass sie einheitlich für den gemeinsamen Lebensunterhalt einzustehen haben und sie, falls dieser nicht für alle Mitglieder des Familienverbandes gewährleistet werden kann, alle Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG haben. Mitglieder einer bloßen familiären Beistandsgemeinschaft können demgemäß darauf verwiesen werden, getrennt vom übrigen Familienverband in ihr Herkunftsland zurückzukehren und für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Wenn zu erwarten ist, dass dieses Mitglied nach seiner Rückkehr in der Lage ist, durch die Aufnahme von Erwerbstätigkeit über sein eigenes Existenzminimum hinaus noch weitere Familienmitglieder zu versorgen, so ist dies bei der Prognose, ob diesen Familienmitgliedern im Falle ihrer Rückkehr eine existenzielle Notlage i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG droht zu berücksichtigen. Hiermit im Einklang steht die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 1. Oktober 2001 - 1 B 185.01 -, Buchholz 402.240, § 53 AusIG Nr. 51, Rn. 2 nach juris), nach der die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen ist.

Hiernach ist davon auszugehen, dass der Kläger im Verfahren 15 A 6122/16, der mit 29 Jahren nicht mehr zur Kernfamilie der Kläger in diesem Verfahren gehört, dazu in der Lage ist, nicht nur sich, sondern auch für seine übrigen Familienangehörigen den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Die Kläger und ihre Familienangehörigen aus den Verfahren 15 A 6122/16 und 15 A 1323/18 haben vor ihrer Ausreise aus dem Irak zusammen in einem Haushalt gelebt (Bl. 56, 59 Beiakte im Verfahren 15 A 6122/16) und zusammen gewirtschaftet. Der älteste Sohn, der Kläger im Verfahren 15 A 6122/16, der sich mit fast 30 Jahren im besten arbeitsfähigen Alter befindet und unter gesundheitlichen Einschränkungen nicht leidet, hat in der Vergangenheit unter anderem als Auto- und Motorradmechaniker, als Elektriker sowie als Krankenpfleger gearbeitet und damit in verschiedenen Bereichen berufliche Erfahrung gesammelt hat, so dass für ihn trotz der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse im Irak die Möglichkeit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu erwarten ist, die ihn in die Lage versetzt, für sich und seine Familienangehörigen zu sichern. Er hat nach eigenen Angaben sogar seine Ersparnisse eingesetzt, um die Ausreise für sich, seine Mutter und seinen Bruder bezahlen zu können, sodass das Geld nicht einmal mehr ausgereicht habe, um seiner eigenen Ehefrau die Ausreise zu ermöglichen (Bl. 60 der vorgenannten Beiakte), weshalb auch davon auszugehen ist, dass im Falle einer gemeinsamen Rückkehr eine Bereitschaft zur Unterstützung seiner Angehörigen besteht. Auch die Klägerin zu 1. hat in ihrer Anhörung angegeben, ihr Sohn habe gearbeitet und ihr sehr geholfen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich seine - nach eigenen Angaben von ihm geschiedene - Ehefrau, zugleich Mutter der Klägerin zu 2. im Verfahren 15 A 6122/18, sowie deren Eltern noch in Basra befinden, so dass von dieser Seite zumindest in Bezug auf das Enkelkind bzw. die Nichte der Kläger Unterstützung erwartet werden kann. Die Klägerin zu 1. hat gegenüber dem Bundesamt zudem angegeben, sie habe als geschiedene Frau alle drei Monate von der irakischen Regierung Geld erhalten. Außerdem lebt noch eine Schwester der Klägerin zu 1. in Basra, bei der bereits die zweite Tochter des Klägers zu 1. im Verfahren 15 A 6122/16 leben soll. Darüber hinaus bestünde für die Kläger im Falle einer freiwilligen Rückkehr auch die Möglichkeit, Leistungen eines Reintegrationsprogramms in Anspruch zu nehmen. Über das European Reintegration Network (ERIN) stünden den Klägern voraussichtlich folgende Leistungen zur Verfügung: Abholung/ Empfang am Ankunftsort, Hilfestellung bei Existenzgründung, Beratung bei Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, Vermittlung in Aus- Weiterbildungsmaßnahmen, sonstige individuelle Hilfen für eine dauerhafte Reintegration, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheiten, Unterstützung bei Wohnraumbeschaffung (ggf. Mietzuschuss) (ACCORD vom 29. März 2018, Seite 6; https://www.bamf.de/DE/Themen/Rueckkehr/FoerderprogrammREAGGARP/reaggarp-node.html).

4. Das Gericht vermag auch eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) der Kläger bei Rückkehr in den Irak nicht zu erkennen. Soweit die Klägerin zu 1. unter Vorlage der ersten beiden Seiten eines Arztbriefes des St. Johannes-Hospitals Varel vom 14. Oktober 2019 geltend macht, sie leide unter Adipositas III°, Diabetes mellitus Typ II, Hypertonie und zunehmenden Knieschmerzen, rechtfertigt dies die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nicht. Laut Arztbrief bestand die Adipositas bereits seit dem Jahr 2000, der Diabetes mellitus wurde im Jahr 2007 diagnostiziert und ab 2008 mit Insulin behandelt. Auch aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich, dass Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Knieschmerzen im Irak behandelbar sind (vgl. Dt. Botschaft Bagdad an VG Düsseldorf vom 19.09.2018 zu Dialysebehandlungen; Dt. Botschaft vom 15. November 2012 zu Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Schmerzzustand nach Knieoperation; die vom Prozessbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung angesprochene Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 25. September 2019 an das erkennende Gericht bezieht sich auf die Behandlung von Diabetes in der Autonomen Region Kurdistan). In dem vorgelegten Arztbrief ist auch ein konkreter und zwingender Behandlungsbedarf für die Klägerin zu 1. nicht aufgezeigt, sondern sie wird zunächst auf konservative Maßnahmen (Ernährungsberatung und Bewegungstherapie) verwiesen, die auch im Irak durchführbar sind.

5. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn die Kläger sind weder als Flüchtlinge anzuerkennen noch stehen ihnen subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu.

Gründe die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.

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