OLG Braunschweig, Beschluss vom 20.05.2020 - 1 UF 51/20
Fundstelle
openJur 2020, 11585
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 246 F 5/20

Die gegenwärtige Corona-Pandemie rechtfertigt es grundsätzlich nicht, den Umgang zwischen einem Kind und dem nicht betreu-enden Elternteil auszusetzen

Tenor

Der Antrag der Kindesmutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die beabsichtigte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Braunschweig vom 13.02.2020 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um das Recht des Antragstellers auf Umgang mit seiner jetzt knapp sechs Jahre alten Tochter C.

Das Kind entstammt der nichtehelichen Beziehung seiner Eltern; es lebt im Haushalt der Kindesmutter, die auch das alleinige Sorgerecht ausübt. Der Umgang zwischen Vater und Kind hat bislang stets in B. und Umgebung und überwiegend im Beisein der Kindesmutter stattgefunden. Einem Umgang im Haushalt des Kindesvaters in A. und Übernachtungsbesuchen hat die Kindesmutter bislang widersprochen, da der Kindesvater für die der Tochter drohenden Gefahren kein Gespür habe und sie wiederholt im Auto nicht hinreichend gesichert habe. Wegen der von der Kindesmutter aufgeführten Gefahrensituationen wird auf den Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 10.02.2020, den Bericht der Verfahrensbeiständin und die Niederschrift des gerichtlichen Anhörungstermins vom 13.02.2020 Bezug genommen.

Im Übrigen wird wegen der Lebensumstände des Kindes C. und ihrer Eltern sowie des Vorbringens der Beteiligten im erstinstanzlichen Verfahren einschließlich der dort gestellten Anträge auf die Ausführungen unter Ziffer I. der Gründe des Beschlusses des Amtsgerichts Braunschweig vom 13.02.2020, das Protokoll des Anhörungstermins und den Vermerk über die Kindesanhörung vom selben Tage sowie die Berichte des Jugendamtes der Stadt B. vom 03.02.2020 und der Verfahrensbeiständin vom 06.02.2020 verwiesen.

Mit Beschluss vom 13.02.2020 hat das Familiengericht den Wochenendumgang des Kindesvaters mit C. dahingehend geregelt, dass der Umgang für die Zeit bis Ende Juni 2020 an jedem Samstag von 10:00 Uhr bis 19:00 Uhr und ab Juli 2020 an jedem zweiten und vierten Wochenende des Monats in der Zeit von Samstag 10:00 Uhr bis Sonntag 17:00 Uhr stattfindet. Ferner hat das Amtsgericht dem Kindesvater Umgang für jeweils eine Woche während der niedersächsischen Schulferien sowie am Ostermontag und Pfingstmontag zugesprochen und die Vorgehensweise bei krankheitsbedingter Verhinderung geregelt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Tenorierung und wegen der Begründung auf die Ausführungen unter Ziffer II. des Beschlusses Bezug genommen.

Gegen den ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 06.03.2020 zugestellten Beschluss beantragt die Kindesmutter die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Beschwerdeverfahren.

Sie vertritt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens in erster Instanz die Ansicht, dass die Umgangsregelung des Amtsgerichts dem Kindeswohl nicht entspreche und die dem Kind drohenden Gefahren außer Acht lasse. Der Kindesvater verfüge, wie beim TÜV festgestellt worden sei, weiterhin nicht über einen geeigneten Kindersitz.

Der Kindesvater verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Er hat unter Vorlage einer Bestätigung der Verkehrswacht e.V. vorgetragen, dass er sich in der Zeit vom 13.02.2020 bis 17.03.2020 einen Kindersitz gemietet und sodann einen Kindersitz Britax Römer Kid II angeschafft und dessen ordnungsgemäßen Einbau bei der Verkehrswacht Braunschweig habe dokumentieren lassen.

II.

Die begehrte Verfahrenskostenhilfe ist der Kindesmutter zu versagen, da ihr Rechtsmittel keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, §§ 76 FamFG, 144 ZPO.

Das Familiengericht hat den Umgang des Kindesvaters mit C. gemäß § 1684 BGB dem Kindeswohl entsprechend geregelt.

Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Ausführungen des Familiengerichts im angegriffenen Beschluss, denen er sich nach eigener Würdigung des Vortrags aller Beteiligten in beiden Instanzen im Ergebnis anschließt.

Den erschöpfenden und zutreffenden Ausführungen zur Auslegung des § 1684 BGB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ist nichts hinzuzufügen.

Auch die Würdigung des Amtsgerichts, dass dem Umgang keine Gefährdungen des Kindes entgegenstehen, ist überzeugend begründet und wird vom Senat geteilt. Die von der Kindesmutter geäußerten Befürchtungen berücksichtigen überwiegend nicht das Alter des Kindes.

So besteht bei einem altersgerecht entwickelten knapp sechsjährigen – bzw. zur Zeit des vorgetragenen Vorfalls fünfjährigen – Kind regelmäßig nicht die Gefahr, dass es aus einem offenen Fenster stürzt, sich mit einem herumliegenden Cutter-Messer schneidet oder in einen Gartenteich fällt. Auch im Straßenverkehr braucht ein sechsjähriges Kind nicht ständig an der Hand geführt zu werden, wenn es auch so bei dem begleitenden Elternteil bleibt. Anhaltspunkte für Entwicklungsdefizite von C., die Anlass für einen erhöhten Beaufsichtigungsbedarf geben könnten, liegen nicht vor.

Ein geeigneter Kindersitz für die ordnungsgemäße Sicherung von C. bei Autofahrten ist vorhanden. Der Kindesvater hat durch Vorlage des Mietvertrags mit der Verkehrswacht e.V. vom 13.02.2020 nachgewiesen, dass er dort zunächst einen Kindersitz Kid 450 gemietet hat. Durch die darauf angebrachte Bestätigung vom 17.04.2020 ist ferner belegt, dass er nunmehr über einen Kindersitz Britax Römer Kid II verfügt, der ordnungsgemäß eingebaut ist. Ausweislich eines Tests des ADAC ist der Kindersitz für das Alter von 5-12 Jahre und für das Gewicht von 15-36 kg zugelassen und mit der Testnote 1,8 bewertet worden (www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/tests/kindersicherheit/kindersitztest ).

Auch die Neigung des Kindes zu Fieberkrämpfen spricht nicht gegen Übernachtungen beim Kindesvater. Insoweit muss er auf Anzeichen von Fieber achten und gegebenenfalls die gebotenen Maßnahmen ergreifen; der Kindesmutter obliegt es, ihn darüber informieren, ab welcher Temperatur Handlungsbedarf besteht, und ein Zäpfchen des verschreibungspflichtigen Medikaments Diazepam Rectiole bei ihm zu deponieren.

Gegen den Umgang in dem angeordneten Umfang bestehen im Ergebnis keinerlei Bedenken. Vielmehr würde es, wie das Amtsgericht richtig ausgeführt hat, dem Kindeswohl zuwiderlaufen, wenn C. nicht auch längere Phasen beim Kindesvater verbringen kann. Die Übergangszeit bis Ende Juni ist geeignet und ausreichend, damit sie den Haushalt des Kindesvaters kennenlernen und sich – etwa durch die gemeinsame Einrichtung des Schlafplatzes – auf die Übernachtungen vorbereiten kann.

Soweit die Kindesmutter nach der Mitteilung des Kindesvaters im Schriftsatz vom 13.05.2020 einen Umgang derzeit wegen der Corona-Epidemie verweigert, ist darauf hinzuweisen, dass die Pandemie keinen Anlass bietet, die Umgangsregelung abzuändern, weil ein Infektionsgeschehen von vornherein keinen Bezug zu den Voraussetzungen des Umgangsrechts gemäß § 1684 BGB hat (vgl. Rake, FamRZ 2020, 650).

Fraglich kann allenfalls sein, ob die Ausübung des Umgangs punktuell nicht möglich ist und der Umgang vorübergehend nicht mit den Ordnungsmitteln des § 89 FamFG durchgesetzt werden kann. Allein das Auftreten der Corona-Pandemie rechtfertigt es nicht, den Umgang auszusetzen, worauf auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz auf seiner Homepage hinweist (www.bmjv.de/DE/Themen/FokusThemen/Corona/SorgeUmgangsrecht ).

Insbesondere steht einem Umgang kein gesetzliches Verbot entgegen und ergibt sich ein solches auch nicht aus dem Umstand, dass Vater und Kind nicht in einem Haushalt wohnen. Nach den während der Corona-Pandemie ergangenen Verordnungen gilt zwar durchgängig das Gebot, Kontakte zu anderen Menschen, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstandes gehören, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren (Art. 1 § 1 Abs. 1 der Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 08.05.2020 (Nds. GVBl. Nr. 13/2020, S. 105). Zu dem absolut notwendigen Minimum zwischenmenschlicher Kontakte gehört aber gerade der Umgang zwischen dem nicht betreuenden Elternteil und seinem Kind.

Als Fälle, in denen der Kontakt aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich ist, kommt die behördliche Anordnung einer Quarantäne, eine Ausgangssperre oder die nachweisliche Infektion des umgangsberechtigten Elternteils oder eines Angehörigen seines Haushalts mit Covid 19 in Betracht (vgl. Rake, FamRZ 2020, 650). Die Erkrankung des Kindes steht einem Umgang grundsätzlich nicht entgegen, da auch der zum Umgang berechtigte Elternteil sein krankes Kind versorgen und pflegen kann (vgl. OLG Schleswig, FamRZ 2018, 1946). Vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass eine Testung von dem umgangsberechtigten Elternteil auch nur dann gefordert werden kann, wenn hierfür die Voraussetzungen nach den von den Gesundheitsämtern vorgegebenen Richtlinien gegeben sind, etwa das Vorliegen Covid 19 - typischer Symptome oder der Kontakt mit erkrankten Personen.