LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.06.2020 - L 15 AS 255/18
Fundstelle
openJur 2020, 11549
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 22 AS 2081/17

1. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Fortsetzungsfeststellungsklage.

2. Zur Rechtswidrigkeit eines Bescheides über eine vorläufige Leistungsbewilligung, mit dem der Bewilligungszeitraum auf knapp drei Monate festgesetzt worden ist (§ 41 Abs. 3 S. 2 Nr.1 SGB II).

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 17. August 2018 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Bewilligungsbescheid vom 8. Juni 2017 rechtswidrig ist, soweit damit Leistungen nach dem SGB II (lediglich) für einen Bewilligungszeitraum vom 3. Juni bis 31. August 2017 gewährt worden sind.

Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit eines Bewilligungsbescheides des Beklagten, soweit mit diesem den Klägern vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für lediglich drei Monate bewilligt worden sind. Die Kläger machen insoweit die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides geltend.

Der N. geborene Kläger zu 1 und seine O. geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2, sowie die P. und Q. geborenen Kläger zu 3 und 4 sind R. Staatsbürger und bezogen zumindest in der Vergangenheit laufende Leistungen nach dem SGB II. Nachdem der Beklagte den Klägern zuvor mit Bescheid vom 7. März 2017 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. Februar bis 2. Juni 2017 bewilligt hatte, gewährte er den Klägern mit Bescheid vom 8. Juni 2017 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum 3. Juni bis 31. August 2017. Eine Begründung der lediglich vorläufigen Leistungsbewilligung erfolgte ebenso wenig wie eine Begründung des knapp dreimonatigen Bewilligungszeitraums. Mit Änderungsbescheid vom 13. Juni 2017 änderte der Beklagte die Leistungshöhe für den Zeitraum 1. Juli bis 31. August 2017 und führte zur Begründung aus, ab 1. Juli 2017 würden monatlich 25 € von den Leistungen an den Magistrat der Stadt S. abgesetzt, um Zahlungsrückstände zu tilgen. Die Kläger legten gegen die beiden Bescheide jeweils Widerspruch ein mit der Begründung, die Verkürzung des Bewilligungszeitraums auf drei Monate sei unzulässig. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, lediglich in Regelfällen seien Leistungen nach dem SGB II für den Regelzeitraum von zwölf Monaten zu bewilligen. Soweit kein Regelfall vorliege, sei der Behörde ein Ermessen hinsichtlich der Festlegung des Bewilligungszeitraums eingeräumt. Dies folge auch aus der Gesetzesbegründung. Bei vorläufigen Leistungsbewilligungen solle der Bewilligungszeitraum ohnehin auf sechs Monate verkürzt werden. Da der Kläger zu 1 arbeitslos sei und seine Ehefrau schwankendes Einkommen erziele, darüber hinaus die Leistungsberechtigung (Arbeitnehmerstatus nach § 7 SGB II) jederzeit entfallen könne und bei einer Kündigung bzw. Eigenkündigung ggf. auch keine Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus bestehe, müsse das Jobcenter hier einen kürzeren Bewilligungszeitraum zugrunde legen, um so die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zeitnah überwachen zu können.

Der Beklagte bewilligte den Klägern nach Ablauf des vorliegend zugrundeliegenden Bewilligungszeitraums u.a. mit Bescheiden vom 17. August 2017, 12. März 2018 und 23. April 2018 Leistungen nach dem SGB II für Bewilligungszeiträume von durchschnittlich jeweils drei bis vier Monaten.

Bereits am 25. September 2017 haben die Kläger Klage bei dem Sozialgericht (SG) Bremen erhoben und Bezug genommen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Da Wiederholungsgefahr bestünde, würden sie im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide anstreben. Für die von dem Beklagten vorgenommene Verkürzung des Bewilligungszeitraums gebe es keine Rechtsgrundlage, zudem fehle es an einer Ermessensausübung. Der Beklagte hat vorgetragen, der Wortlaut der Vorschrift des § 41 Abs. 3 SGB II mache deutlich, dass lediglich in der Regel von einem einjährigen Bewilligungszeitraum auszugehen sei. Auch die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesbegründung rechtfertigten die Festlegung eines kürzeren Bewilligungszeitraums. Mit Gerichtsbescheid vom 17. August 2018 hat das SG Bremen die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei bereits unzulässig. Ein für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliches rechtliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides sei nicht gegeben. Insbesondere sei keine Wiederholungsgefahr ersichtlich, da es sich bei der Verkürzungsentscheidung auf drei Monate um eine besondere und nicht häufig auftretende Konstellation im Einzelfall handele. Zudem erlaube § 41 Abs. 3 SGB II durchaus die Festsetzung auch von Bewilligungszeitraumen unter sechs Monaten.

Die Kläger haben gegen den ihnen am 22. August 2018 zugestellten Gerichtsbescheid am 20. September 2018 Berufung eingelegt und führen ihr Begehren fort. Zur Begründung tragen sie vor, das SG habe das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr zu Unrecht verneint. Der Beklagte habe die Verkürzung des Bewilligungszeitraumes einzig damit begründet, dass die Klägerin zu 2 schwankendes Erwerbseinkommen aus einem Arbeitsverhältnis erziele. Damit aber handele es sich um einen Fall, der bei praktisch jeder vorläufigen Leistungsbewilligung auftrete. Entgegen der Auffassung des SG handele es sich nicht um einen absoluten Einzelfall. Dies werde auch aus der Begründung des Beklagten im Widerspruchsbescheid deutlich. § 41 Abs. 3 SGB II sehe eine Verkürzung auf sechs Monate im Fall einer vorläufigen Bewilligung vor und darüber hinaus keine weitere Verkürzung. Der Gesetzeswortlaut sei insoweit eindeutig und lasse keinen Spielraum für irgendwelche Ermessenserwägungen des Beklagten. Zumindest aber seien die Ermessungserwägungen des Beklagten fehlerhaft.

Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des SG Bremen für zutreffend und weist darauf hin, der Gesetzeswortlaut lasse eindeutig auch eine Verkürzung des Bewilligungszeitraums auf unter sechs Monate zu. Bei EU-Bürgern, die noch kein Daueraufenthaltsrecht oder einen dauerhaften Arbeitnehmerstatus erworben hätten, könne der Leistungsanspruch nach dem SGB II kurzfristig entfallen. Bereits diese Tatsache rechtfertige eine Verkürzung der Bewilligungszeit auf weniger als sechs Monate. Im Falle der Berufungskläger würden die zahlreichen jeweils sehr kurzen Beschäftigungsverhältnisse sowohl des Klägers zu 1 als auch der Klägerin zu 2 in dem Zeitraum März 2017 bis November 2018 verdeutlichen, dass jeweils eine Bewilligungszeit von drei Monaten gerechtfertigt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Leistungsakten des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Gründe

Über die Berufung konnte der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Das Begehren der Kläger ist – nachdem diese trotz anwaltlicher Vertretung keinen Antrag gestellt haben – unter Berücksichtigung des Vortrags im erstinstanzlichen Verfahren dahingehend auszulegen, dass sie auch im Berufungsverfahren die Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch Bescheid des Beklagten vom 8. Juni 2017 für lediglich drei Monate erfolgten vorläufigen Leistungsbewilligung und mithin die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Bremen vom 17. August 2018 begehren.

Die insoweit zulässige Berufung ist begründet.

Die Klage ist – entgegen den Feststellungen des SG – als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn er sich nach Klageerhebung vor der gerichtlichen Entscheidung durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Diese Regelung gilt zwar ausdrücklich nur für Anfechtungsklagen, ist aber entsprechend auf kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen anzuwenden (st. Rspr.; vgl. z.B. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 25. Oktober 2012 - B 9 SB 1/12 R - SozR 4-3250 § 145 Nr. 4, Rn. 18 m.w.N.). Ein Fortsetzungsfeststellungsantrag ist auch zulässig, sofern sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat (st. Rspr., u.a. BSG, Urteil vom 14. November 2013 – B 9 SB 5/12 R – NJW 2014, 4; Bundesfinanzhof <BFH>, Urteil vom 26. September 2007 – I R 43/06NVwZ 2008, 351).

Die ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakte (Bewilligungsbescheid vom 8. Juni 2017 und Änderungsbescheid vom 13. Juni 2017) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2017 haben sich – soweit die Dauer der Bewilligung streitig gewesen ist - mit Ablauf des Bewilligungszeitraums bzw. mit Erlass des Folgebewilligungsbescheides vom 17. August 2017 (Bewilligungszeitraum 1. September bis 25. Januar 2018) auf andere Weise – nämlich durch Zeitablauf – erledigt. Die Erledigung wegen Zeitablaufs kann grundsätzlich eine Erledigung des Verwaltungsakts im Sinne von § 131 Abs.1 Satz 3 SGG darstellen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 131 Rn. 7a). Das erforderliche berechtigte Interesse der Kläger liegt vor. Insoweit genügt ein durch die Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann (BSG, Urteil vom 10. Juli 1996 – 3 RK 27/95 - BSGE 79, 33); abzustellen ist für die Beurteilung des Feststellungsinteresses auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (BSG, Urteil vom 21. September 2005 – B 12 KR 6/04 RSozR 4-2500 § 266 Nr. 10). Das berechtigte Interesse der Kläger begründet sich mit einer konkreten Wiederholungsgefahr. Eine solche ist gegeben, wenn die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage zwischen den Beteiligten besteht, etwa, wenn sich konkret abzeichnet, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten kann (vgl. BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012 - B 9 SB 1/12 R - SozR 4-3250 § 145 Nr. 4; BSG, Urteil vom 8. November 2011 - B 1 KR 19/10 R - BSGE 109, 211). Der Beklagte hat vorliegend – unabhängig davon, dass er tatsächlich auf zahlreiche auf den hier streitigen Zeitraum folgende Weiterbewilligungsanträge der Kläger Leistungen nur für Zeiträume unterhalb der Sechs-Monate-Grenze bewilligt hat – von Beginn an deutlich gemacht, dass er seine Verwaltungspraxis, den Klägern nur für kurze Zeiträume Leistungen zur bewilligen, für rechtmäßig und geradezu zwingend halte, so dass ohne Weiteres davon ausgegangen werden musste, dass er seine Praxis in gewisser Regelhaftigkeit wiederholen würde. Demzufolge ist eine Wiederholungsgefahr auch aus ex-ante-Sicht zu bejahen.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist auch begründet. Die angefochtene (vorläufige) Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 8. Juni 2017 erweist sich, soweit ein Bewilligungszeitraum von unter drei Monaten festgelegt worden ist, wegen fehlerhafter Ermessensausübung als rechtswidrig; die vom Beklagten getroffene Regelung sie ist von der gesetzlichen Grundlage in § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II nicht gedeckt.

Nach § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Regel für ein Jahr zu entscheiden; nach Satz 2 der Vorschrift soll der Bewilligungszeitraum insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen 1. über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a SGB II) oder 2. die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind. Der Wortlaut des § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II eröffnet dem Grundsicherungsträger ein gebundenes Rechtsfolgeermessen. Das bedeutet, dass in typischen Fällen der gesetzlichen Vorgabe des § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II zu entsprechen ist (einjähriger Bewilligungszeitraum), während in atypischen Fällen hiervon nach pflichtgemäßen Ermessen abgewichen und eine Verkürzung des Bewilligungszeitraums insbesondere auf sechs Monate, im Einzelfall aber auch davon wiederum abweichend verfügt werden kann. In atypischen Fällen wird der Behörde mithin ein Ermessen zugestanden, die Frage der Atypik, die nicht im Ermessen steht, ist insoweit von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen (Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II § 41 Rn. 152; Greiser in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 41 Rn. 24; vgl. st. Rspr. BSG, u.a. Urteil vom 16. Januar 1986 – 4b RV 25/85SozR 1300 § 48 Nr. 21 und Urteil vom 18. September 1991- 10 RKg 5/91BSGE 69, 233). Ein atypischer Sachverhalt liegt generell bei einer Fallgestaltung vor, die vom formal-abstrakten Rahmen des Gesetzes, nicht aber von seiner materiell-rechtlichen Zweckbestimmung erfasst wird. Die für die Regelentscheidung maßgebenden Gründe können grundsätzlich nur dann beseitigt sein, wenn die Abweichung signifikant ist. Abzustellen ist auf die Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung des Zwecks der Regelung, allgemeine Aussagen und Maßstäbe lassen sich nur begrenzt aufstellen; heranzuziehen sind bei der Prüfung die Gesetzesbegründung und die Gesetzessystematik. Mit § 41 Abs. 3 Satz 2 SGB II hat der Gesetzgeber zwei atypische, nicht dem Regelfall von Satz 1 der Vorschrift entsprechende, Fälle normiert. Bei vorläufiger Leistungsgewährung (§ 41a SGB II) und in Fällen, in denen die Kosten der Unterkunft unangemessen sind, soll eine Verkürzung der Bewilligung auf sechs Monate erfolgen. Der Gesetzeswortlaut („insbesondere“) macht deutlich, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist; vielmehr kommt die Annahme eines atypischen Falles auch in anderen Fallkonstellationen in Betracht. Der Gesetzeswortlaut („regelmäßig“) macht zudem deutlich, dass – sofern ein atypischer Fall zutreffend angenommen wird – die Verkürzung des Bewilligungszeitraums auf sechs Monate nicht zwingend ist, sondern hiervon auch abgewichen werden kann. Grundsätzlich ist daher in allen atypischen Fällen – auch in den im Gesetz genannten Beispielsfällen – auch ein kürzerer Bewilligungszeitraum als sechs Monate denkbar (Hengelhaupt, a.a.O., Rn. 160). Aus den Gesetzesmaterialien folgt, dass eine für die Bewilligungsdauer maßgebliche Atypik z.B. angenommen werden kann, wenn ein Entfallen der Hilfebedürftigkeit vor Ablauf der zwölf Monate möglich erscheint oder die Altersgrenze vor Ablauf von sechs Monaten erreicht wird (BT-Drucksache 18/8041, S. 51). Ähnliches kann bei einer anstehenden Änderung, wie etwa einer Existenzgründung, gelten (BT-Drucksache 18/8041, S. 51). Eine atypische Fallgestaltung, in welcher die Verkürzung des Bewilligungszeitraums auf weniger als sechs Monate in der Regel ermessengerecht ist, kann des Weiteren vorliegen, wenn sie der Vermeidung von Leistungsüberzahlung aus sonstigen Gründen (z.B. wegen konkret bevorstehenden Nichtbedürftigkeit oder Arbeitsaufnahme, vgl. Greiser, a.a.O., Rn 24, Frank in: Hohm, GK-SGB II, § 41 Rn. 11; vgl. auch Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 41 SGB II Stand: 20 Juli 2016, Rn. 41.12, wonach eine Verkürzung des Bewilligungszeitraums auf weniger als sechs Monate dann in Betracht kommen soll, wenn der Leistungsanspruch früher endet) dient. In Betracht kommen kann insoweit eine Verkürzung des Bewilligungszeitraums auf unter sechs Monate auch bei EU-Ausländern, deren Anspruch zeitlich begrenzt ist, weil nach einer nicht länger als ein Jahr dauernden Beschäftigung sich nur ein nachgehendes Aufenthaltsrecht für sechs Monate ableiten lässt (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU); mit einer entsprechenden ausdrücklich im Bescheid enthaltenen Begründung hat z.B. der Beklagte die Bewilligung der Kläger mit Bescheid vom 7. März 2017 zutreffend auf etwa vier Monate beschränkt. Auch eine Entscheidung auf der Basis von § 67 Abs. 2 Satz 1 SGB II (Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2) ist als atypischer Fall im Sinne des § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II anzusehen, so dass über eine Bewilligung für einen Zeitraum von weniger als zwölf Monaten, in der Regel nur für sechs Monate, zu entscheiden ist. (vgl. Burkiczak in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 41 Rn. 49.1)

Besteht eine Atypik, so hat der Leistungsberechtigte hinsichtlich der Dauer des Bewilligungszeitraums lediglich Anspruch auf eine Ermessensentscheidung. Der Grundsicherungsträger hat, sofern er einen atypischen Fall im genannten Sinne annimmt, eine Ermessensentscheidung zu treffen und dabei die allgemeinen Grundsätze des § 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu beachten. Das Ermessen ist entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. Im Falle der Abweichung von dem Regelbewilligungszeitraum (ein Jahr) bzw. dem regelhaften verkürzten Zeitraum (sechs Monate) muss der Bescheid erkennen lassen, dass das Jobcenter seinen Ermessensspielraum erkannt und genutzt hat. Anderenfalls liegt ein Ermessensnichtgebrauch bzw. – bei unzureichender Darlegung der Ermessenserwägungen – ggf. eine Ermessensunterschreitung vor. Eine fehlende bzw. unzureichende Ermessensausübung macht den Bescheid rechtswidrig, die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich insoweit auf das Vorliegen von eventuellen Ermessensfehlern (Burkiczak, a.a.O., Rn. 52).

Die Voraussetzungen eines atypischen Falles sind vorliegend gegeben. Die Tatsache, dass der Beklagte weder im Ausgangs- bzw. Änderungsbescheid noch im Widerspruchsbescheid die Atypik dargelegt bzw. begründet hat, führt insoweit nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides. Da es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 8. Juni 2017 um eine vorläufige Leistungsbewilligung handelt, ergibt sich die Atypik bereits aus § 41 Abs. 3 Satz 2 SGB II, denn die vorläufige Leistungsbewilligung stellt eines der ausdrücklich aufgeführten Beispiele dar, bei denen regelmäßig eine Verkürzung des Bewilligungszeitraums auf sechs Monate erfolgen soll. Unter Berücksichtigung des Gesetzeswortlauts ist daher in Fällen der vorläufigen Leistungsbewilligung weder eine Begründung der Atypik noch – sofern der Beklagte den als Regelfall vorgegebenen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten zugrunde legt und auch von Seiten der Antragsteller keine ausdrücklichen Einwände erhoben werden – eine Darlegung von Ermessenserwägungen zwingend erforderlich. Sofern der Grundsicherungsträger jedoch in einem solchen Fall von dem Regelbewilligungszeitraum von sechs Monaten insbesondere nach unten abweichen möchte, bedarf es nicht nur der Ausübung des Ermessens, sondern auch der Darlegung der Ermessenserwägungen. Die zur Verkürzung des Bewilligungszeitraums führenden Gründe sind vom Jobcenter zu dokumentieren (so ausdrücklich: Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 41 SGB II Stand: 20 Juli 2016, Rn. 41.11). Daran fehlt es hier. Der Bewilligungsbescheid vom 8. Juni 2017, mit dem den Klägern vorläufig Leistungen nach dem SGB II vom 3. Juni bis 31. August 2017 bewilligt worden sind, enthält keine Begründung des auf unter drei Monate verkürzten Bewilligungszeitraums. Die im Widerspruchsbescheid nachgeholten Erwägungen lassen schon nicht erkennen, dass der Beklagte seinen Ermessensspielraum erkannt und genutzt hat. Die Formulierung „da der Widerspruchsführer arbeitslos ist und seine Ehefrau schwankendes Einkommen bezieht, darüber hinaus die Leistungsberechtigung [Arbeitnehmerstatus nach § 7 SGB II] jederzeit entfallen kann und bei einer Kündigung bzw. Eigenkündigung ggf. dann auch keine Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus besteht, musste das Jobcenter hier einen kürzeren Bewilligungszeitraum zugrunde legen, um so die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zeitnah überwachen zu können“ können nur so verstanden werden, dass der Beklagte gerade keine Abwägung der unterschiedlichen Interessen vorgenommen hat, sondern die Auffassung vertritt, dass nur eine Entscheidung, nämlich die vorgenommene zwingend zu treffen gewesen ist („musste…zugrunde legen“). Dass der Beklagte auch die Interessen der Kläger abgewogen hat, insbesondere der nach dem Gesetz grundsätzlich bestehende Anspruch auf eine Leistungsbewilligung von zwölf bzw. – bei vorläufiger Bewilligung – von sechs Monaten, der auch zumindest eine gewisse Rechtssicherheit mit sich bringt, vermag der Senat dagegen nicht zu erkennen. Dabei dürfte - ohne dass es für diese Entscheidung darauf ankäme – die offensichtlich vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung, dass bei Leistungsanträgen von EU-Ausländern, die noch nicht über ein Daueraufenthaltsrecht verfügen und nach Beendigung einer Beschäftigung bzw. ergänzend Leistungen nach dem SGB II beziehen, grundsätzlich eine Verkürzung des Bewilligungszeitraums auf deutlich unter sechs Monate gerechtfertigt ist, nicht haltbar sein. Es erscheint nicht zulässig, eine größere Gruppe von Leistungsempfängern pauschal anders zu behandeln als die vergleichbare Gruppe von deutschen Leistungsempfängern oder EU-Ausländern mit Daueraufenthaltsrecht. Dem als Begründung angebrachten Argument, dass schwankendes Einkommen bezogen werde, wird bereits Rechnung getragen durch die Tatsache, dass eine vorläufige Leistungsbewilligung erfolgt. Dem Aspekt, dass der Arbeitnehmerstatus eines EU-Ausländers auf einen Zeitraum von sechs Monaten beschränkt sein kann, kann – wie dargelegt – im Einzelfall Rechnung getragen werden, indem der Bewilligungszeitraum verkürzt wird. Anhaltspunkte dafür, dass eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen könnte, so dass allein die von dem Beklagten vorgenommene Entscheidung rechtmäßig wäre, sind nicht zu erkennen. Da nach alledem von einem Ermessensnicht- bzw. fehlgebrauch ausgegangen werden muss, erweist sich die Verkürzung des Bewilligungszeitraums im vorliegenden Fall als rechtswidrig.

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die vom Beklagten im Berufungsverfahren erstmals vorgetragenen Erwägungen zu keinem anderen Ergebnis führen können. Danach hat der Beklagte dargelegt, dass im vorliegenden Einzelfall sowohl der Kläger zu 1 als auch die Klägerin zu 2 im Zeitraum März 2017 bis November 2018 zahlreiche kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse aufgenommen hätten, so dass durchgehend eine jeweils kurzfristige Leistungsbewilligung sachgerecht und gerechtfertigt sei. Bei diesen Ausführungen handelt es sich um ein nicht zulässiges Nachschieben von Gründen im gerichtlichen Verfahren (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rn. 36 m.w.N.); hinzukommt, dass der dargestellte Sachverhalt zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten ganz überwiegend noch nicht bekannt gewesen sein konnte, da ein Großteil der Beschäftigungsverhältnisse erst nach Erlass des streitigen Bescheides vom 8. Juni 2017 angetreten worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.