SG Osnabrück, Beschluss vom 19.12.2018 - S 9 SB 124/17
Fundstelle
openJur 2020, 11531
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Beklagte hat ein Drittel der im Vorverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen des Klägers zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit steht die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB).

Der 1958 geborene Kläger beantragte am 8.7.2011 durch seine damaligen Verfahrensbevollmächtigten beim Beklagten, den GdB festzustellen. Als Gesundheitsstörungen machte er geltend „Tumor in der Schulter mit OP“. Er legte einen vorläufigen Arztbrief der Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie des Universitätsklinikums C. (UK-C.) vom 4.7.2011 vor. Dieses berichtete über die Diagnose „solider fibröser Tumor im Bereich der Scapula rechts mit Weichteilausdehnung“ und dessen Entfernung (weitere Tumorresektion mit Teilskapulektomie rechte Skapularegion) am 29.6.2011. Der Beklagte zog einen fachpathologischen Bericht vom 6.7.2011 bei. Gestützt auf eine Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes vom 13.8.2011, wonach die Rekonvaleszenz bei gutartigem Tumor im Bereich der rechten Schulter noch nicht abgeschlossen sei, lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 31.8.2011 ab.

Im anschließenden Vorverfahren schätzte Dr. D. für den Ärztlichen Dienst des Beklagten – auf der Grundlage weiterer Arztbriefe des UK-C. vom 26.10.2011 (Diagnosen „solitärer fibröser Tumor im Bereich der Scapula rechts mit Weichteilausdehnung“, „Tendinitis des M. Supraspinatus und auch subscapularis mit leichter intratendinöser Verkalkung des M. Supraspinatus, V. a. auf adähsive Capsulitis“) und 18.1.2012 – am 5.3.2012 aufgrund einer als „Schulterblattteil-entfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter rechts“ bezeichneten Funktionsbeeinträchtigung den GdB mit 20 ein. Mit Bescheid vom 14.3.2012 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und stellte den GdB ab 8.7.2011 mit 20 fest. Im Übrigen wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9.7.2012 als unbegründet zurück. Im sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Osnabrück (S 34 SB 341/12) zog das Gericht eine Stellungnahme des Prof. Dr. E. /UK-C. vom 15.3.2013 zur genauen Klassifikation des Tumors bei. Dieser führte aus, die letztliche Einordnung einiger Knochenweichteiltumore hinsichtlich Malignität oder benignem Erscheinungsbild sei schwierig. Nach aktueller WHO-Definition handle es sich hier um einen Borderline-Tumor. Er verwies auf einen Literaturauszug, wonach in 10 % der Fälle Metastasen auftreten könnten. Aufgrund des klinischen Verlaufs müsse man diesen Tumor durchaus als potenziell maligne ansehen. Im Fall des Klägers habe ein großer Tumor vorgelegen, so dass das Metastasierungspotential sicherlich nicht geringer als 10 % einzustufen sei. Hierauf sowie auf eine von Dr. EG. unter dem 17.5.2013 abgegebene versorgungsärztliche Stellungnahme gestützt, gab der Beklagte unter dem 24.5.2013 ein Anerkenntnis ab, wonach der GdB ab Juli 2011 aufgrund einer als „Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter im Stadium der Heilungsbewährung“ bezeichneten Funktionsbeeinträchtigung mit 50 festgestellt werde und führte dieses mit Bescheid vom selben Tag aus.

Am 8.6.2015 leitete der Beklagte ein Verfahren zur Überprüfung des Anspruchs ein. Er holte Befundberichte des Dr. F. ein (eingehend am 9.7.2015 und 20.6.2016), der Arztbriefe des UK-C. vom 13.5.2013 sowie der Radiologen Dres. G. u. w. vom 8.7.2014, 15.1.2015 und 27.1.2016 sowie Reha-Entlassungsberichte der H. -Klinik I. vom 14.11.2012 und der J. -Klinik vom 7.12.2015 vorlegte. Nach Anhörung des Klägers (Schreiben vom 18.7.2016) veranlasste der Beklagte eine Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes, die unter dem 18.10.2016 durch Dr. K. abgegeben wurde. Diese gelangte zu der Einschätzung, aufgrund der nunmehr als „Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter rechts“ zu bezeichnenden Funktionsbeeinträchtigung sei der GdB nunmehr mit 20 festzustellen. Die weitere, als „Aufbraucherscheinungen der Lendenwirbelsäule, Bandscheibenvorfall“ zu bezeichnende Funktionsbeeinträchtigung führe zu einem GdB von 10 und wirke sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB aus. Nach Ablauf der Heilungsbewährung betrage der GdB jetzt 20, da kein Rezidiv aufgetreten sei und die Beweglichkeit im Schultergelenk in Elevation und Abduktion 70° bzw. 80° betrage. Ein GdB von 30 wäre erst bei einer Versteifung des Schultergelenks anzusetzen. Hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens seien keine höhergradigen Funktionseinschränkungen belegt. Mit Bescheid vom 19.10.2016 hob der Beklagte den Bescheid vom 24.5.2013 teilweise auf und stellte ab 1.11.2016 den GdB mit 20 fest.

Am 31.10.2016 erhob der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte Widerspruch. Zur Begründung führte er nachgehend aus, eine Herabsetzung des GdB auf 20 entspreche nicht den tatsächlich vorliegenden Gesundheits- und Funktionsbeeinträchtigungen. Die erheblichen Funktionseinschränkungen aufgrund der Schulterblattteilentfernung bedingten einen höheren GdB als 20. Trotz intensiver Krankengymnastik habe sich die Funktion der Schulter nicht wesentlich gebessert. Es zeige sich eine ausgedehnte Atrophie des M. Supraspinatus und zudem eine deutliche Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit. Ein richtiger Schürzengriff sowie Nackengriff sei nicht möglich. Zudem bestehe ein mittelgradig ausgeprägtes Halswirbelsäulensyndrom mit fortgeschrittener Bandscheibendegeneration und mittelgradigen funktionellen Beeinträchtigungen. Weiter bestehe ein mittleres bis schweres Lendenwirbelsäulensyndrom bei externer Bandscheibenschädigung im Bereich L4/L5 und pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung in das linke Bein. Diese Funktionsbeeinträchtigung führe zu einem GdB von 30. Weiter bestehe ein Knorpelschaden beider Kniegelenke links mehr als rechts. Dieser führe insbesondere zu Schmerzen und bedinge einen GdB von 20. Er verweist ergänzend auf ein von ihm veranlasstes und vorgelegtes Gutachten des Facharztes für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. L. vom 25.11.2016. Weiter bestünden – näher bezeichnete – Gesundheits- und Funktionsbeeinträchtigungen auf HNO-ärztlichem und augenärztlichem Fachgebiet.

Der Beklagte holte Befundberichte des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. M. vom 9.1.2017 und des Augenarztes N. vom 18.1.2017 ein. Für den Ärztlichen Dienst des Beklagten schätzte Dr. O. unter dem 9.2.2017 den GdB mit 30 ein. Als Funktionsbeeinträchtigungen legte sie zu Grunde:

„Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter rechts“ (GdB 20)

„Funktionseinschränkung der Wirbelsäule“ (GdB 20).

Als weitere Funktionsbeeinträchtigung ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB liege eine

„Hörminderung mit Ohrgeräuschen“ (GdB 10) vor.

Nach erneuter Anhörung des Klägers (Schreiben vom 10.2.2017) stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24.2.2017 entsprechend den GdB ab 1.11.2016 mit 30 sowie das Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest. Den weitergehenden Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 14.3.2017 als unbegründet zurück.

Am 23.3.2017 hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte vor dem Sozialgericht Osnabrück Klage erhoben. Er macht geltend, der GdB sei nach wie vor mit mindestens 50 festzustellen. Bei ihm lägen zahlreiche, näher aufgeführte, gesundheitliche Beeinträchtigungen auf unfallchirurgisch-orthopädischem, HNO-ärztlichem und augenärztlichem Fachgebiet vor. Zudem leide der Kläger an einer ausgeprägten Allergie gegen sämtliche Obstsorten sowie Pollen. Es handele sich um eine Allergie gegen schwer vermeidbare Allergene. Es komme zu lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktionen. Dies sei bislang nicht erhöhend berücksichtigt worden. Der Kläger sei auch beruflich auf einen GdB von mindestens 50 angewiesen, da ihm ein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt worden sei.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

die Bescheide des Beklagten vom 19.10.2016 und 24.2.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.3.2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt seine Entscheidung, die zutreffend sei. Er verweist insbesondere auf die Stellungnahmen seines Ärztlichen Dienstes.

Das Gericht hat mit Beweisanordnung vom 27.9.2017 den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. C. zum Sachverständigen ernannt und beauftragt, den Kläger ambulant zu untersuchen und ein schriftliches Gutachten zu erstatten. Mit Schriftsatz vom 13.3.2018 hat der Kläger beantragt, einen anderen Sachverständigen mit der Begutachtung zu beauftragen. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Kläger sei von seiner Tochter zum Gutachtentermin begleitet worden. Er lege großen Wert darauf, dass seine Tochter der Begutachtung als Begleitperson beiwohne. Dr. C. habe die Begutachtung in Anwesenheit der Tochter des Klägers abgelehnt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 13.3.2018 nebst nachgereichter Notiz des Klägers vom 8.3.2018 Bezug genommen. Dr. C. hat seinerseits unter dem 8.3.2018 mitgeteilt, der Kläger sei in Begleitung zum Untersuchungstermin erschienen und habe auf der Anwesenheit seiner Begleitpersonen im Rahmen der Anamneseerhebung und auch der Untersuchung bestanden. Der Kläger sei nicht zu überzeugen gewesen, dass die gutachterliche Untersuchung zur Überprüfung retrospektiver Dokumentationen durchgeführt werde. Er sehe sich nicht in der Lage, das Gutachten zu erstatten.

Mit Beschluss vom 10.4.2018 hat das Gericht den Sachverständigen Dr. C. entpflichtet und stattdessen den Facharzt für Orthopädie Dr. D. zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat mit Schreiben vom 7.8.2018 mitgeteilt, der Kläger sei in Begleitung seines Sohnes zur Untersuchung erschienen und habe auf dessen Anwesenheit bestanden. Der Kläger habe erklärt sich ansonsten nicht untersuchen zu lassen. Eine Sinnesänderung habe nicht herbeigeführt werden können. Daraufhin sei die Begutachtungssituation beendet worden. Er sehe sich nicht in der Lage, das Gutachten zu erstatten.

Das Gericht hat den Kläger über die vorläufige Einschätzung der Rechtslage informiert und darauf hingewiesen, dass die Ablehnung der zumutbaren Mitwirkung im sozialgerichtlichen Verfahren durch einen Beteiligten zu Rechtsnachteilen führen kann (Verfügung vom 13.9.2018). Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 28.9.2018 erklärt, es bestehe kein Einverständnis damit, sich ohne Anwesenheit einer Begleitperson durch einen Sachverständigen untersuchen zu lassen.

Mit Beschluss vom 23.10.2018 hat das Gericht die Beweisanordnung aufgehoben. Es hat weiter die Beteiligten auf die Absicht hingewiesen, ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (Verfügung vom 23.10.2018).

Neben der Gerichtsakte haben dem Gericht die Gerichtsakte des Vorprozesses (S 34 SB 341/12) und die Schwerbehindertenakte vorgelegen; ihr jeweiliger Inhalt ist bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden. Wegen des Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird hierauf ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht entscheidet gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Gerichtsbescheid, nachdem die Beteiligten hierzu gehört wurden, der Sachverhalt geklärt ist und die Sache weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist und auch sonst keine Gründe ersichtlich sind, die gegen diese Verfahrensweise sprechen.

Die gegen die Herabsetzung des GdB gerichtete und danach als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 19.10.2016 in der Fassung des Bescheids vom 24.2.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.3.2017 erweist sich nicht als rechtswidrig. Der Beklagte hat zu Recht den Bescheid vom 24.5.2013 teilweise aufgehoben und ab dem 1.11.2016 den GdB mit 30 festgestellt.

Rechtsgrundlage für die Neufeststellung des Anspruchs ist § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. m. § 69 Abs. 1 S. 1; Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i. d. bis zum 31.12.2017 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids geltenden Fassung.

Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben und damit ein Anspruch neu festzustellen, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen hinsichtlich einer Entscheidung nach § 69 Abs. 1 SGB IX kann darin liegen, dass eine bereits festgestellte Funktionsbeeinträchtigung weggefallen ist oder sich in ihren Auswirkungen verringert hat. Eine wesentliche Änderung liegt insbesondere auch vor, wenn die bisherige Feststellung aufgrund einer Funktionsbeeinträchtigung erfolgte, die einer Heilungsbewährung unterliegt und deren Zeitraum verstrichen ist (BSG, Urteil v. 11.8.2015, B 9 SB 2/15 R mit Hinweis auf BSG, Urteil v. 12.2.1997, 9 RVs 12/95). Ob eine Heilungsbewährung abzuwarten ist und der GdB während dieser Zeit danach grundsätzlich ohne Beurteilung der sich tatsächlich ergebenden funktionellen Einschränkungen pauschal zu bemessen ist, richtet sich nach Teil B Nr. 1 c. und d. der „versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VMG) und ggf. den näheren Vorgaben in dessen folgenden Abschnitten. Die VMG sind als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) auf der Grundlage des § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassen worden und gelten als solche bis zu einer Neuregelung aufgrund der parlamentsgesetzlichen Verordnungsermächtigung (§ 70 Abs. 2 SGB IX) weiter (§ 159 Abs. 7 SGB IX). Ist die Zeit der Heilungsbewährung verstrichen, ist der GdB für die Zukunft nach den allgemeinen Grundsätzen (Teil A Nr. 7 VMG, s. auch BSG, a. a. O.) und damit nach den näheren Vorgaben der VMG zu bemessen.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Auch insoweit enthalten die VMG (Teil A Nr. 3) Vorgaben, die denen der AHP weitgehend entsprechen. Danach ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen ist dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird und ob deshalb ggf. der erste GdB um 10 oder 20 oder mehr zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die einzelnen GdB-Werte dürfen dabei nicht addiert werden. Von – im vorliegenden Fall nicht einschlägigen – Ausnahmefällen abgesehen führen zusätzliche leichtere Gesundheitsstörungen, die für sich betrachtet lediglich einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei vorliegend der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (Keller in: Meyer-Ladewig u. w., SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rn. 33 m. w. N.).

Unter Beachtung dieser Vorgaben ist eine wesentliche Änderung in den entscheidungserheblichen Verhältnissen eingetreten, weil hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigung „Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter im Stadium der Heilungsbewährung“, die der mit Bescheid vom 24.5.2013 getroffenen Feststellung zugrunde lag, eine Heilungsbewährung von fünf Jahren abzuwarten war und diese Zeit – gemessen ab dem Zeitpunkt der Entfernung des Tumors im Juni 2011 – abgelaufen ist. Dem steht nicht entgegen, dass die beim Kläger seinerzeit vorliegende Erkrankung und dementsprechend auch das Abwarten einer Heilungsbewährung in Teil B Nr. 18.13 VMG als dem für Funktionsbeeinträchtigungen der oberen Gliedmaßen einschlägigen Abschnitt nicht ausdrücklich benannt wird. Eine solche ausdrückliche Regelung ist nach Teil B Nr. 1 c. VMG lediglich für die häufigsten bzw. wichtigsten solcher Krankheiten erfolgt. Die Rechtsfolge ergibt sich für die übrigen bösartigen Geschwulsterkrankungen unmittelbar aus Teil B Nr. 1 c. VMG. Danach ist bei den nicht genannten malignen Geschwulsterkrankungen von einer Heilungsbewährung von fünf Jahren auszugehen und, soweit die Organ- oder Gliedmaßenschäden für sich allein keinen GdB von 50 bedingen, bei einer Geschwulstbeseitigung im Frühstadium der GdB mit 50 zu bemessen. Dies ist auch hier anzunehmen. Prof. Dr. E. hat in seiner Stellungnahme im Vorprozess überzeugend dargelegt, dass aufgrund einer in der Literatur beschriebenen Metastasierungswahrscheinlichkeit von einer malignen Erkrankung ausgegangen werden muss. Danach ist auch die sozialmedizinische Beurteilung durch den Beklagten, der von einem pauschal festzusetzenden GdB für die Zeit einer Heilungsbewährung ausgegangen ist, überzeugend. Denn Grund für die Annahme einer Heilungsbewährung bei Geschwulsterkrankungen ist u. a. gerade die Wiedererkrankungsgefahr.

Die nunmehr als „Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter rechts“ bezeichnete und der Entscheidung des Beklagten zugrunde gelegte Funktionsbeeinträchtigung bedingt als solche keinen GdB von 50 mehr. Dieser GdB beruhte auf einer pauschalen Festsetzung ohne Berücksichtigung der seinerzeit bestehenden funktionellen Einschränkungen. Die Heilungsbewährung ist – nachdem es innerhalb der abzuwartenden Zeit nicht zu einer Wiedererkrankung gekommen ist – eingetreten.

Das sich insoweit zumindest ein höherer GdB als 20 ergibt, vermag das Gericht nicht festzustellen. Die zuletzt von Dr. O. vorgenommene entsprechende sozialmedizinische Einschätzung vom 9.2.2017 ist vielmehr plausibel.

Nach Teil B Nr. 18.13 VMG bedingen einseitige Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks einschließlich des Schultergürtels bei einer nur bis 90° möglichen Armhebung und einer entsprechenden Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit einen GdB von 20. Ein GdB von 30 setzt die Versteifung des Schultergelenks in günstiger Stellung bei gut beweglichem Schultergürtel voraus. Eine hiermit vergleichbare Einschränkung der Funktion des rechten Schultergelenks des Klägers ist nicht nachgewiesen. Ausweislich des Reha-Entlassungsberichts der W.-Klinik vom 712.2015 ergab die Abschlussuntersuchung rechtsseitig eine Schulterbeweglichkeit für die Armhebung und das Abspreizen von jeweils 70° bei Kraftminderung des rechten Arms. Aus dem Arztbrief des UKM vom 13.5.2013 ergab sich eine entsprechende Beweglichkeit bis 80°. Auch aus dem von Dr. L. in seinem Gutachten mitgeteilten Befund ergibt sich noch eine passive Beweglichkeit für das rechte Schultergelenk bis 80°. Ein GdB von mehr als 20 ergibt sich hiernach selbst auf der Grundlage einer von Dr. L. angegebene Einschränkung der Beweglichkeit auch für das linke Schultergelenk (Elevation 130°, Abduktion 100°) nicht. Der abweichenden Einschätzung des Dr. L., der insoweit einen GdB von 30 annimmt, folgt das Gericht nicht.

Auch die von Dr. O. vorgenommene Einschätzung der Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit einem GdB von 20 ist plausibel.

Nach Teil B Nr. 18.9 VMG bedingen Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Abschnitt der Wirbelsäule einen GdB von 20. Ein GdB von 30 setzt entweder mindestens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in mindestens zwei Abschnitten der Wirbelsäule oder schwergradige Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt voraus; dies lässt sich hier nicht feststellen.

Aus dem Reha-Entlassungsbericht der J. -Klinik ergibt sich ein Finger-Boden-Abstand von 0cm sowie ein beidseits negatives Lasèque-Zeichen. Zudem bestand kein Klopfschmerz über den Dornfortsätzen. Eine dauerhafte Einschränkung der Entfaltbarkeit oder eine besondere Schmerzbelastung lässt sich hiernach für die Rumpfwirbelsäule nicht feststellen. Für den Bereich der Halswirbelsäule werden in dem Bericht keine funktionellen Einschränkungen mitgeteilt. Dr. F. teilt in seinem Befundbericht lediglich mit, der Kläger habe regelmäßige Wirbelsäulenbeschwerden auch im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule. Vor diesem Hintergrund ergeben sich auf der Grundlage der von Dr. L. mitgeteilten Funktionsbefunde noch keine dauerhaften Auswirkungen, die einen GdB von 30 begründen können. Für die Halswirbelsäule teilt er eine eingeschränkte Beweglichkeit mit, die für die Seitneigung als mittelgradig (15-0-20°), für die Rotation aber nur als leichtgradig (bds. 55°) angesehen werden kann. Hinsichtlich der Rumpfwirbelsäule sei die Rotation bis 20-0-30° und die Seitneigung bis 20-0-25° möglich gewesen; eine wesentliche funktionelle Einschränkung ergibt sich hieraus nicht. Das Zeichen nach Ott habe 30-31, das Zeichen nach Schober 10-12,5 und der Finger-Boden-Abstand 35cm betragen. Hieraus lassen sich zusammenschauend weder für den Bereich der Halswirbelsäule noch für die Rumpfwirbelsäule hinreichend sicher mindestens mittelgradige funktionelle Auswirkungen ableiten. Damit bildet ein GdB von 20 die vom Kläger geltend gemachte und ärztlicherseits unter Hinweis auf Schädigungen der Bandscheiben insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule (L5/S1 und L4/L5) beschriebene wiederkehrende Schmerzbelastung ausreichend ab. Insoweit ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die von Dr. L. referierten Angaben zur Schmerzmedikation (Diclofenac bei Bedarf) nicht auf das Vorliegen zusätzlich zu berücksichtigender, außergewöhnlicher Schmerzen hinweisen.

Hinsichtlich weiterer vom Kläger geltend gemachter Funktionsbeeinträchtigungen lässt sich ein GdB von zumindest 20 nicht feststellen.

Soweit Dr. L. für eine Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke i. S. einer Knorpelschädigung einen GdB von 20 annimmt, vermag das Gericht dem auf der Grundlage des mitgeteilten Funktionsbefunds (freie Beweglichkeit) und fehlender wiederholter Dokumentation von anhaltenden Reizerscheinungen nicht zu folgen. Auch für das Vorliegen einer manifesten psychischen Erkrankung, gar einer solchen mit bereits wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, ergeben sich aus dem Inhalt der Akten keine greifbaren Anhaltspunkte; auch dieser Einschätzung des Dr. L. kann sich das Gericht nicht anschließen. Auch einen GdB von 20 für die von Dr. L. angenommene Typ-1-Allergie gegen schwer vermeidbare Allergene vermag das Gericht nicht zugrunde zu legen. Voraussetzung für die Annahme einer Funktionsbeeinträchtigung ist der klinische Nachweis einer Allergie und sind in jedem Fall plausible Angaben über deren Auftreten und deren Auswirkungen. Insoweit ergeben sich bereits deshalb Zweifel, weil ausweislich des Reha-Entlassungsberichts der J. -Klinik der Kläger dort angegeben hat, dass „keine Allergien bekannt“ seien (1.5 vegetative Anamnese) und sich auch sonst hieraus keine Hinweise auf das Vorliegen einer solchen Erkrankung ergeben. Aus dem Befundbericht des Dr. P. vom 4.5.2012 ergibt sich lediglich ein seinerzeit positiver Pricktest hinsichtlich Gräser, Pollen und Milben. In seinem weiteren Befundbericht vom 9.1.2017 finden sich keine Angaben zu Allergien. Die Behauptung des Klägers, er leide an einer Typ-I-Allergie gegen „sämtliche Obstsorten“ und es komme zu lebensbedrohlichen allergischen Reaktionen, ist hiernach nicht bewiesen.

Die ausweislich des Befundberichts des Dr. P. bestehende Funktionsbeeinträchtigung des Hörorgans i. S. einer beidseitigen Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen führt nach Teil B Nr. 5.2.4 i. V. m. 5.3 VMG ebenfalls nicht zu einem GdB von 20. Auf der Grundlage des Teils B Nr. 5.2.3 VMG ergibt sich noch kein relevanter Hörverlust und danach nach Teil B Nr. 5.2.4 VMG insoweit kein GdB. Der Tinnitus bedingt keinen höheren GdB als 10.

Aus dem augenärztlichen Bericht des Herrn N. ergibt sich eine Sehschärfe von beidseits 1,0 und ein uneingeschränktes Gesichtsfeld. Nach Teil B Nr. 4.3 VMG ergibt sich kein GdB.

In der Gesamtschau ergibt sich hiernach kein höherer GdB als 30.

Zu weiteren Ermittlungen sieht sich das Gericht nicht mehr veranlasst. Der Kläger hat an der vom Gericht angeordneten Beweiserhebung (Einholung eines ärztlichen Gutachtens nach ambulanter Untersuchung) nicht mitgewirkt, obwohl ihm dies zuzumuten war. Das Gericht teilt die Auffassung des Klägers, er könne die Anwesenheit einer Begleitperson während der Untersuchung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen verlangen, nicht. Hierfür gibt es keine gesetzliche Grundlage. Insbesondere ergibt sich hierfür nichts aus der vom Kläger herangezogenen Entscheidung des BSG (Beschluss vom 9.4.2003, B 5 RJ 140/02 B). Auch aus allgemeinen verfahrensrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, Sicherstellung eines fairen Verfahrens) folgt kein genereller Anspruch eines Beteiligten auf Anwesenheit einer Begleitperson während einer gerichtlich angeordneten Untersuchung. Schon mit Blick auf die Stellung des Sachverständigen als Gehilfe des Gerichts, der zur Unparteilichkeit und Neutralität verpflichtet ist, besteht für die Annahme eines solchen allgemeinen Anspruchs kein Anlass (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.6.2013, 2 A 11071/12 m. w. N.). Zwar kann sich im Einzelfall ein Anspruch auf Unterstützung durch eine Begleitperson dann ergeben, wenn aus besonderen Gründen eine Begutachtung ansonsten nicht durchführbar oder jedenfalls unzumutbar ist. Insbesondere kann dies aus dem allgemeinen Anspruch auf die Ermöglichung einer barrierefreien Begutachtung folgen (BSG, Beschluss vom 14.11.2013, B 9 SB 6/13 B). Im Fall des Klägers sind aber keine Gründe ersichtlich, weshalb er auf die Unterstützung durch einen ihn begleitenden Familienangehörigen angewiesen sein sollte. Insbesondere der Sachverständige Dr. D. hat den Kläger hierzu gezielt befragt, aber keine derartigen Gründe ermitteln können. Der Kläger ist den Ausführungen des Dr. D. weder entgegengetreten noch hat er selbst konkrete Gründe benannt, weshalb er Hilfe durch eine Begleitperson im Rahmen einer Begutachtung benötige. Sowohl Dr. D. als auch zuvor Dr. C. haben darauf hingewiesen, dass auch im Rahmen einer Anamneseerhebung und klinischen Untersuchung die Anwesenheit einer Begleitperson zu Verfälschungen der Ergebnisse führen kann. Das Risiko derartiger Effekte besteht dabei grundsätzlich auch außerhalb einer fachpsychiatrischen Exploration. Macht ein Beteiligter bereits keine triftigen Gründe für die Anwesenheit einer Begleitperson geltend, die diesen Aspekt überwiegen, besteht kein Anlass, die fachliche Entscheidung des Sachverständigen, eine Begleitperson nicht zuzulassen, in Zweifel zu ziehen. Dies gilt erst recht wenn diese, wie hier durch Dr. D., plausibel begründet wird.

Von der Einholung eines Gutachtens nach Lage der Akten hat das Gericht abgesehen. Dieses erscheint schon deshalb nicht zielführend, weil dieses gerade nicht die Erhebung eines klinischen Befunds und damit die Überprüfung der funktionellen Einschränkungen insbesondere im Bereich des Bewegungsapparats ermöglicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; sie berücksichtigt den im Vorverfahren erzielten Teilerfolg angemessen.

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