Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19.09.2018 - 13 ME 355/18
Fundstelle
openJur 2020, 10626
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 11 B 2841/18

Ein Asylantrag ist - auch unter Berücksichtigung von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO und dessen Auslegung durch den EuGH (Urt. v. 26.7.2017 - C-670/16 -) - erst dann gestellt im Sinne des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, wenn er vom Asylsuchenden grundsätzlich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der Außenstelle des Bundesamtes, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, und ausnahmsweise unter den in § 14 Abs. 1 Satz 2 AsylG genannten Voraussetzungen bei einer anderen Außenstelle oder in den in § 14 Abs. 2 AsylG genannten Fällen bei dem Bundesamt förmlich gestellt worden ist.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 11. Kammer (Einzelrichter) - vom 3. August 2018 wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 3. August 2018 hat keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Zur Begründung kann zunächst auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine andere Entscheidung.

1. Vielmehr fehlt es nach dem Vorbringen der Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung bereits an einem Anordnungsgrund. Dort trägt sie vor, ihrer Abschiebung stehe entgegen, dass ihr Härtefallantrag zur Beratung angenommen worden sei. Nach § 5 Abs. 4 der Niedersächsischen Härtefallkommissionsverordnung vom 6. August 2006 (Nds. GVBl. S. 426), zuletzt geändert durch Verordnung vom 15. Dezember 2015 (Nds. GVBl. S. 406), teilt das vorsitzende Mitglied der Härtefallkommission dem Fachministerium unverzüglich die Fälle mit, die von der Härtefallkommission beraten werden. Das Fachministerium ordnet daraufhin an, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur Eingabe über die Entscheidung zurückgestellt werden. Eine konkrete Gefahr der Abschiebung besteht für die Antragstellerin mithin nicht. Andere Gesichtspunkte für eine besondere Eilbedürftigkeit, wegen der über die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 ff. AufenthG und die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden und damit die Hauptsache vorweggenommen werden müsste, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

2. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, besteht aber auch kein Anordnungsanspruch.

a) Der Erteilung einer Ausbildungsduldung steht § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG entgegen. Die aus Albanien und damit einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 29a AsylG (in Verbindung mit Anlage II zu dieser Vorschrift) stammende Antragstellerin hat ihren Asylantrag im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG erst am 19. November 2015 und damit nach dem in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG festgelegten Stichtag des 31. August 2015 gestellt.

Allerdings liegt nach § 13 Abs. 1 AsylG ein Asylantrag bereits dann vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Nach dem klaren Wortlaut des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG genügt es indes nicht, dass ein Asylantrag in diesem Sinne vorliegt (sog. Asylgesuch, vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.12.1997 - 1 B 219.97 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 11; GK-AsylG, § 13 Rn. 101 ff. (Stand: November 2014)). Der Asylantrag muss vielmehr auch "gestellt" worden sein (sog. Asylantrag im engeren Sinne, vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.12.1997, a.a.O.). Gestellt werden kann der Asylantrag grundsätzlich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur bei der Außenstelle des Bundesamtes, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, und ausnahmsweise unter den in § 14 Abs. 1 Satz 2 AsylG genannten Voraussetzungen bei einer anderen Außenstelle oder in den in § 14 Abs. 2 AsylG genannten Fällen bei dem Bundesamt (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 8.12.2016 - 8 ME 183/16 - juris Rn. 6; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18.8.2017 - 18 B 792/17 -, juris Rn. 5; OVG Hamburg, Beschl. v. 15.11.2017 - 3 Bs 252/17 -, juris Rn. 8; vgl. auch: Allgemeine Anwendungshinweise des BMI zur Duldungserteilung nach § 60a AufenthG vom 30.5.2017, S. 11; a.A.: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.10.2017 - 11 S 2090/17 -, juris Rn. 5 ff.; VG Freiburg, Beschl. v. 17.8.2017 – 3 K 5875/17 -, juris Rn. 10 ff.). Eine Korrektur der eindeutigen Regelung des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist auch im Hinblick auf mögliche verwaltungsinterne Verzögerungen zwischen Asylgesuch und Asylantragstellung weder erforderlich noch zulässig, denn der Gesetzgeber hatte die starke Belastung des Bundesamtes bei Schaffung der Vorschrift im Oktober 2015 durchaus im Blick (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BT-Drs. 18/6185, S. 1 f. und Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BR-Drs. 446/15, S. 1 f.).

Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin ihren Asylantrag erst am 19. November 2015 gestellt (BeiA 1, Blatt 7, 12). Mit der vorausgegangenen bloßen Registrierung als Asylsuchende durch die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen im Juli 2015 war ein Asylantrag ersichtlich nicht gestellt. Hierauf ist die Antragstellerin in der nach § 63a AsylVfG a.F. erteilten Bescheinigung der Antragsgegnerin vom 31. Juli 2015 (BeiA 1, Blatt 2) auch ausdrücklich hingewiesen worden ("Die formelle Asylantragstellung und Asylanhörung durch das BAMF steht noch aus.").

Eine hiervon abweichende Betrachtung ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht durch Art. 20 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (Dublin III-VO) und dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof im Urteil vom 26. Juli 2017 (- C-670/16 -, juris Rn. 75 ff.) geboten. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bezieht sich dieses Urteil ausschließlich auf die Regelungen der Antragstellung im sog. Dublin-Verfahren auf Grundlage der Dublin III-VO. Ausdrücklich weist der EuGH darauf hin, dass sich Art. 6 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie und Art. 20 Abs. 2 der Dublin III-VO hinsichtlich der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz zwar ähnelten, aber auch in wesentlichen Punkten unterschieden. Diese Vorschriften seien zudem Teil verschiedener Verfahren, die eigene Anforderungen aufwiesen und unterschiedlichen Regelungen unterlägen (EuGH, Urt. v. 26.7.2017, a.a.O., Rn. 99 ff.). Eine Übertragung der Auslegung des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 der Dublin III-VO auf das nationale Asylverfahrensrecht und die nationalen Bestimmungen zur Ausbildungsduldung, insbesondere in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hinsichtlich des Zeitpunkts der Antragstellung scheidet mithin aus.

b) Die Anknüpfung des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG an die Staatsangehörigkeit eines sicheren Herkunftsstaates im Sinne des § 29a AsylG verstößt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -, juris Rn. 40 m.w.N.).

Diesen allgemeinen Grundsätzen folgt auch die verfassungsrechtliche Beurteilung einer Norm, die Ausländer im Vergleich zu Deutschen anders behandelt. Der allgemeine Gleichheitssatz garantiert "allen Menschen" die Gleichbehandlung vor dem Gesetz und steht damit fraglos auch Ausländern zu. Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber indessen nicht jede Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern. Es ist dem Gesetzgeber nicht generell untersagt, nach der Staatsangehörigkeit zu differenzieren. Die Staatsangehörigkeit wird in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG trotz Ähnlichkeiten und Überschneidungen mit den dort genannten Merkmalen nicht als unzulässiges Differenzierungsmerkmal aufgeführt. Eine Unterscheidung anhand der Staatsangehörigkeit unterliegt darum nicht dem strengen Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz bedarf es für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal jedoch eines hinreichenden Sachgrundes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012, a.a.O., Rn. 41, 46 m.w.N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt ein hinreichender sachlicher Grund für die Differenzierung in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vor. Die von Art. 16a Abs. 3 GG vorgegebene asylverfahrensrechtliche Sonderstellung von Staatsangehörigen sicherer Herkunftsstaaten ist seit Langem anerkannt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93 -, BVerfGE 94, 115, 132 ff.). Der Gesetzgeber geht in diesen Fällen zulässigerweise davon aus, dass Asylantragstellern aus diesen Ländern grundsätzlich weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung droht, sie mithin von vornherein eine geringe Bleibeperspektive haben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn vollziehbar ausreisepflichtigen Staatsangehörigen dieser Länder, deren Asylanträge bereits abgelehnt worden sind, die Möglichkeit einer weiteren Verfestigung ihres Aufenthalts durch eine langfristige Ausbildungsduldung genommen wird. Es ist ein legitimer Zweck, auf diese Weise Fehlanreize zu beseitigen und so dem Zuzug weiterer Staatsangehöriger dieser Länder sowie der Stellung unberechtigter Asylanträge entgegenzuwirken (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BT-Drs. 18/6185, S. 1 f. und Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BR-Drs. 446/15, S. 1 f.).

Die beantragte Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, für die im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes ohnehin grundsätzlich kein Raum ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.1992 - 1 BvR 1028/91 -, juris Rn. 29), kommt mithin wegen fehlender Überzeugung des Senats von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht in Betracht.

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Der Beschwerde kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362) unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu (vgl. zu den im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016, - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.). Auch die unterschiedlichen Auffassungen zum Begriff des Asylantrags im Sinne des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG rechtfertigen im vorliegenden Fall nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da bereits kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden ist. Für eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ist mithin ebenfalls kein Raum.

III. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens ergibt sich aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

IV. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 8.3 sowie Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).