Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 10.10.2017 - 2 ME 1547/17
Fundstelle
openJur 2020, 10224
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 B 6911/17

Ein Anspruch auf Notenschutz ist grundsätzlich schon immer dann ausgeschlossen, wenn zuvor nicht alle zumutbaren Schritte unternommen worden sind, um einen Nachteilsausgleich zu erhalten.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes B-Stadt - Einzelrichter der 6. Kammer - vom 7. August 2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- € festgesetzt.

Gründe

Die am … geborene Antragstellerin wendet sich gegen ihre Nichtversetzung in den 8. Jahrgang (Schuljahr 2017/2018) bei der Antragsgegnerin. Über den dagegen eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden. Das Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgewiesen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es aller Voraussicht nach zu Recht hat abgelehnt, im Wege des einstweiligen Rechtschutzes (§ 123 VwGO) eine Beschulung im 8. Jahrgang bei der Antragsgegnerin zu ermöglichen. Der Vortrag im Beschwerdeverfahren gibt zu keiner anderen Bewertung Anlass.

Ein Anspruch auf Versetzung in den 8. Jahrgang besteht nicht, weil die Fächer Französisch und Mathematik im Jahresendzeugnis (v. 21.6.2017) für den 7. Jahrgang (Schuljahr 2016/2017) jeweils mit „mangelhaft“ beurteilt worden sind, das Zeugnis keine zwei „befriedigenden“ Leistungen in den Pflicht- und Wahlpflichtfächern als Ausgleich aufweist und die Antragstellerin von der eröffneten Möglichkeit einer Nachprüfung zur Notenverbesserung im Fach „Französisch“ keinen Gebrauch gemacht hat. Die Klassenkonferenz ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass eine erfolgreiche Mitarbeit im 8. Jahrgang nicht zu erwarten ist (vgl. § 59 Abs. 4 Satz 1 NSchulG iVm. §§ 3 ff. der Verordnung über den Wechsel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen der allgemeinbildenden Schulen v. 3.5.2016 einschl. der Änderung v. 12.8.2016, NdsGVBl. 2016, 82 und 149; die weitere Änderung v. 24. 5.2017, NdsGVBl. 2017, 163, hat inhaltlich für die hier vorliegende Konstellation keine Bedeutung, in § 3 der VO wird durch Hinzufügen eines weiteren Absatzes lediglich die Absatzreihenfolge verändert, zudem gilt diese Änderung erst ab 1.8.2017, erfasst also nicht das hier im Streit befindliche Zeugnis).

Mit dem Verwaltungsgericht hat der Senat keine Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Bewertung der Fächer Französisch und Mathematik; denn es ist nicht ersichtlich, dass die Lehrer den ihnen jeweils einzuräumenden und gerichtlicher Prüfung nicht vollständig zugänglichen Beurteilungsspielraum (vgl. hierzu z.B. Sen., Beschl. v. 5.1.2015 - 2 LA 287/14 -, v. 7.3.2012 - 2 ME 101/12 -, Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchulG, Stand: Sept. 2017, § 59 Anm. 5.1) überschritten haben. Sowohl der Französisch- als auch der Mathematiklehrer haben vielmehr in sehr ausführlichen, in sich plausiblen Beiträgen (Mathematik, Herr C., St. v. 31.7.2017, BA 001 Bl. 18; Französisch, Frau D., St. v. 19.6.2017, BA 001, Bl. 20) die vergebene Note begründet. Es besteht auch kein Abhängigkeitsverhältnis dergestalt, dass bei - wie hier - einer mittleren Note für das Arbeitsverhalten bzw. einer guten Note für das Sozialverhalten eine mangelhafte Bewertung in den Fachfächern nicht mehr zulässig ist.

Der Vortrag der Antragstellerin, eine bei ihr vorhandene Schwerbehinderung in Höhe von 50 % sei bei der Notenvergabe nicht zureichend berücksichtigt worden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Sinngemäß fordert die Antragstellerin damit, Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit hätten durch Notenschutz oder Nachteilsausgleich (Veränderung der äußeren Bedingungen) aufgefangen werden müssen. Damit kann sie nicht durchdringen.

Aus einer Nichtgewährung eines - hier unterstellt: aufgrund einer Behinderung tatsächlich gebotenen - Nachteilsausgleichs kann nicht ohne weiteres ein Anspruch auf nachträgliche Notenverbesserung hergeleitet werden. Zum einen liefe dies auf die Gewährung eines sogen. Notenschutzes hinaus, auf den im Grundsatz nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats kein Anspruch besteht (vgl. Beschl. v. 10.3.2015 - 2 ME 7/17 -, juris, v. 10.7.2008 - 2 ME 309/08 -, NVwZ-RR 2009, 68, vgl. auch BVerwG, Urt. v. 29.7.2015 - 6 C 35/14 -, juris, wonach aus dem Gebot der Chancengleichheit keine Ansprüche auf Änderung des Maßstabes der Leistungsbewertung folgen und ein etwaig gleichwohl erfolgter Notenschutz im Zeugnis zu vermerken sei, wofür bei Abschlusszeugnissen zudem eine gesetzliche Regelung zu fordern sei; über zu dieser Problematik anhängige Verfassungsbeschwerden - 1 BvR 2577/15, 2578/15, 2579/15 - ist noch nicht entschieden). Zum anderen und selbständig tragend ist ein solcher Anspruch jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn - wie hier - vor dem Schreiben der Klassenarbeiten von der Antragstellerin bzw. ihren Eltern nicht alle zumutbaren Schritte unternommen worden sind, um einen Nachteilsausgleich zu erhalten. Fehlt es nämlich an hinreichenden Schritten, den Nachteilsausgleich im Vorfeld der Leistungserbringung durchzusetzen und ist die Notwendigkeit eines etwaigen Nachteilsausgleichs auch für die unterrichtenden Lehrkräfte nicht ohne weiteres erkennbar, kann sich die Antragstellerin auf dessen Fehlen nach der erfolgten Leistungsbewertung nicht mehr berufen (Sen., Beschl. v. 1.9.2015 - 2 ME 248/15 -). So liegt es hier.

Die Eltern der Antragstellerin haben nach Aktenlage während des 7. Jahrgangs mit der Antragsgegnerin kein Gespräch wegen einer etwaigen Behinderung ihrer Tochter gesucht. Die Lehrkräfte wiederum hatten aufgrund der ihnen bekannten Gegebenheiten keinen Anlass, über die von ihnen bereits angebotenen, von der Antragstellerin aber im Wesentlichen nicht angenommenen schulischen Maßnahmen hinaus von sich aus etwaige Nachteilsausgleiche zu erwägen; denn ihnen war Art und Umfang der Behinderung nicht zureichend bekannt.

So lag der Antragsgegnerin bis zum 15. Mai 2017 lediglich Seite 1 eines Berichtes der Praxis für Phoniatrie und Pädaudiologie von Dr. med. E. (v. 21.2.2012, GA Bl. 10 iVm. BA 001 Bl. 27) vor. Der Bericht war zum einen also nicht vollständig, zum anderen waren schon die Ausführungen auf Seite 1 in sich unklar, weil einerseits eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung als „gesichert“ erwähnt wird, allerdings vor dem Hintergrund einer nicht weiter präzisierten Konzentrationsstörung, andererseits an anderer Stelle aber nur von einem „Verdacht“ auf eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung sowie auf ADHS gesprochen wird. Weiter ist der Seite zu entnehmen, dass eine Ergotherapie begonnen wurde, die Entwicklung abzuwarten sei und im Übrigen die allgemeine Entwicklung regelgerecht verlaufe. Bei diesen wenig konkreten Angaben hatte die Antragsgegnerin keinen Anlass, von sich aus weiter nachzuforschen, zumal die unvollständige Stellungnahme zeitlich den Grundschulbesuch der Antragstellerin betraf. Nur den Grundschulbesuch umfasst auch die in den Akten befindliche Bescheinigung einer Ergotherapie-Praxis (ohne Datum; Ergotherapie von Januar 2012 bis Januar 2013, GA 11).

Während des Schulbesuchs bei der Antragsgegnerin sind keine aussagekräftigen ärztlichen Stellungnahmen von den Eltern der Antragstellerin vorgelegt worden. Die Ausführungen der Antragstellerin, in der 5. und 6. Klasse hätten die Lehrer die Behinderungen ohne weiteres anerkannt, werden durch die vorgelegten Vorgänge nicht bestätigt. Ein Nachteilsausgleich war weder in der 5. noch in der 6. Klasse im Gespräch. Nach der im Beschwerdeverfahren eingereichten Stellungnahme der Schulleiterin der Antragsgegnerin (OStD F., v. 18.9.2017, GA Bl. 108), an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht, ist die Antragstellerin von den unterrichtenden Lehrkräften im 5. und 6. Schuljahr zwar als sozial auffällig wahrgenommen worden, da sie große Probleme gehabt habe, sich in die Klassengemeinschaft zu integrieren. Die von der Schule erbetenen Elterngespräche haben indes ersichtlich keine weiteren Erkenntnisse erbracht. Die in diesen Gesprächen den Eltern angebotenen Hilfen (Begleitung durch schulischen Beratungslehrer, Aufnahme in die Gruppe „Buddy“ zur Überwindung der sozialen Isolation, Teilnahme an Förderunterricht) wurden zudem abgelehnt. Im 7. Jahrgang wurden bei der neuen Zusammensetzung der Klassen Wünsche der Antragstellerin berücksichtigt, angebotener Förderunterricht wurde erneut nicht angenommen. Die Teilnahme an dem Projekttag „Soziales Lernen“ wird als unauffällig beschrieben. Da neben einer nach wie vor deutlichen Zurückhaltung der Antragstellerin keine weiteren Verhaltensauffälligkeiten zu beobachten waren, aber der Verdacht auf eine auditive Verarbeitungsstörung weiter im Raum stand, hätte es den Eltern oblegen, diesem Verdacht durch Einholung von ärztlichen Stellungnahmen ggfls. näher nachzugehen. Das ist nicht geschehen. Vielmehr war es der Klassenlehrer, der im 7. Jahrgang - soweit ersichtlich zuletzt Ende Januar 2017 - auf Vorlage einer aktuellen Stellungnahme drängte. Wenn diese dann erst am 4. Mai 2017 erstellt und der Antragsgegnerin am 16. Mai 2017 zugänglich gemacht wird (vgl. Dr. med. G., Kinder- und Jugendpsychiater, St. v. 4.5.2017, BA 001, 1), mithin zu einem Zeitpunkt kurz vor Ende des Schuljahres, zu dem viele Klassenarbeiten bereits geschrieben waren, müssen sich die Eltern, die die Antragstellerin erst am 28. April 2017 Dr. med. G. vorgestellt haben (vgl. Dr. med. G., St. v. 8.8.2017, GA 104) diese Zeitverzögerung zurechnen lassen. Im Übrigen bot auch die ärztliche Stellungnahme vom 4. Mai 2017 der Antragsgegnerin keinen Anlass, von sich aus für einen etwaigen Nachteilsausgleich Sorge zu tragen; denn in der Stellungnahme werden zwar eine emotionale Störung und eine auditive Wahrnehmungsverarbeitungsstörung sowie ein Verdacht auf Aufmerksamkeitsdefizitstörung genannt, weiter heißt es indes auch, eine erweiterte Diagnostik sei geplant und die Antragstellerin fühle sich nach dem Übergang in die 7. Klasse deutlich besser integriert und zeige sich deutlich zuversichtlicher, sich emotional stabilisieren zu können. Konkrete Maßnahmen schulischer Art werden in der Stellungnahme nicht vorgeschlagen, vielmehr heißt es zum Abschluss, die Stabilisierung innerhalb des Klassenverbandes (7. Klasse) stelle eine erfreuliche Entwicklung dar. Bei dieser Sachlage war es allein Aufgabe der Erziehungsberechtigten, den Kontakt mit der Antragsgegnerin zu suchen, um auf etwaige weitergehende Beeinträchtigungen ihrer Tochter aufmerksam zu machen und diese auch nachvollziehbar durch ärztliche Stellungnahmen zu belegen. Dies galt umso mehr, als den Eltern der Antragstellerin sowohl durch die Ergebnisse von Klassenarbeiten als auch durch die Abmahnung vom 6. April 2017 (GA 15), wonach die Antragstellerin in Deutsch, Englisch, Französisch, Musik, Erdkunde, Mathematik, Biologie erhebliche Schwächen zeige und ihre Versetzung deswegen gefährdet sei, die unzureichenden schulischen Leistungen bekannt sein mussten.

Dass der erstmals im Beschwerdeverfahren (SchrS. v. 7.9.2017) überreichte Bescheid des Nds. Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie (v. 8.8.2017), in dem rückwirkend ab 19. Januar 2012 für die Antragstellerin ein Grad der Behinderung von 50 % festgestellt wird, der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen kann, versteht sich von selbst, da dieser Bescheid erst nach Ablauf des Schuljahres 2016/2017 vorgelegt wurde. Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass auch dieser Bescheid Umfang und Art der Behinderung der Antragstellerin nach wie vor nicht zureichend deutlich macht, ebenso wenig wie die ergänzende Stellungnahme von Dr. med. G. (ebenfalls v. 8.8.2017), in der nunmehr neben einer emotionalen Störung ein Verdacht auf phobische Störung erwähnt wird.

Soweit die Antragstellerin im Laufe des Beschwerdeverfahrens mit Schriftsatz vom 7. September 2017, also nahezu drei Monate nach Erhalt des Zeugnisses die Berechtigung aller Noten bestritten hat (GA 81), verbleibt dieser Vorwurf derart im vagen, dass der Senat keinen Anlass sieht, dem im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nachzugehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (Hälfte des Auffangwertes).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).