OLG Celle, Beschluss vom 20.09.2018 - 13 U 166/17 (Kart)
Fundstelle
openJur 2020, 9808
  • Rkr:

Die Auswahl des Konzessionärs für den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes muss in einem transparenten Verfahren erfolgen und ist vorrangig an Kriterien auszurichten, die das Ziel des § 1 EnWG (Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen örtlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas) konkretisieren. Das aus dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG folgende Transparenzgebot verlangt, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Auswahlkriterien der Gemeinde und ihre Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden. Diesen Anforderungen wird die Gemeinde nicht gerecht, wenn sie als Auswahlkriterien nur die fünf in § 1 EnWG genannten Ziele angibt, ohne mitzuteilen, wie sie diese bei der Auswahl näher konkretisieren will. Das gilt auch bei einem sog. Ideenwettbewerb.

Tenor

Es wird erwogen, die Berufungen der Verfügungsbeklagten und der Streithelferin gegen das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover vom 7. Dezember 2017 durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagten und ihrer Streithelferin wird Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses gegeben.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 300.000,00 € festzusetzen.

Gründe

I.

Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung des Neuabschlusses eines Konzessionsvertrages gemäß § 46 Abs. 2 EnWG über den Betrieb des Strom- sowie des Gasverteilernetzes im Stadtgebiet der Verfügungsbeklagten mit der Streithelferin in Anspruch.

Die Verfügungsklägerin ist bisherige Konzessionsnehmerin, Eigentümerin der Verteilernetze und nach dem bereits erfolgten Auslaufen der Konzessionsaltverträge gegenwärtig Betreiberin sowohl des Strom- als auch des Gasverteilernetzes auf dem Gebiet der Verfügungsbeklagten. Die Verfügungsbeklagte ist neben der Enercon GmbH maßgeblich an der Streithelferin beteiligt.

Die Altkonzessionsverträge endeten zum 31. Dezember 2012. Nachdem in einem ersten, im Jahr 2010 im Bundesanzeiger bekannt gemachten Konzessionierungsverfahren die damals noch vollständig im Eigentum der Verfügungsbeklagten stehende Streithelferin als neue Konzessionspartnerin ausgewählt worden war, hob die Verfügungsbeklagte mit Blick auf die zwischenzeitlich ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung das Konzessionsverfahren auf und gab mit Anzeige im elektronischen Bundesanzeiger vom 1. Februar 2016 erneut gemäß § 46 Abs. 3 EnWG bekannt, dass sie beabsichtige, neue Wegenutzungsverträge Strom und Gas abzuschließen (Anlage ASt 2, Anlagenordner K). Sowohl die Verfügungsklägerin als auch die Streithelferin bekundeten ihr Interesse am Abschluss der neuen Konzessionsverträge mit der Verfügungsbeklagten.

Mit Verfahrensbrief vom 26. August 2016 (Anlage Ast 3, Anlagenordner K) erteilte die Verfügungsbeklagte Informationen über den Ablauf des Verfahrens sowie die Wettbewerbsbedingungen, insbesondere die einzelnen Auswahlkriterien und deren Gewichtung. Die Interessenten wurden aufgefordert, verbindliche Angebote zum Abschluss des Konzessionsvertrages Strom und/oder Gas bis zum 29. November 2016 einzureichen.

Die Auswahlkriterien wurden in zwei Hauptgruppen „Verwirklichung der Ziele des § 1 EnWG“ mit einer maximal zu erreichenden Gesamtpunktzahl von 70 Punkten und „Vertragliche Regelung der Wegenutzung und der Netzbewirtschaftung/Gestaltung des Konzessionsvertrages Strom bzw. des Konzessionsvertrages Gas“ mit einer Gesamtpunktzahl von 30 Punkten unterteilt. Das Auswahlkriterium 1 (Verwirklichung der Ziele des § 1 EnWG) wurde in die Unterkriterien: a) Sicherheit des Netzbetriebes: 25 Punkte; b) Preisgünstigkeit des Netzbetriebes: 10 Punkte; c) Verbraucherfreundlichkeit des Netzbetriebes: 10 Punkte; d) Effizienz des Netzbetriebes: 5 Punkte und e) Umweltfreundlichkeit des Netzbetriebes: 20 Punkte weiter aufgefächert. Bei jedem der Unterkriterien schloss sich die Bitte an darzulegen, wie die Erreichung des Unterkriteriums gewährleistet werden soll. Im Anschluss an den Satz „Wir erwarten hier insbesondere Ausführungen zu den folgenden Themen:“ folgte eine jeweils am Rand mit einem Pfeil eingeleitete Angabe von Aspekten, die teilweise noch mit weiteren, durch Punktzeichen markierten Erläuterungen untergliedert worden. Als letzte der mit Pfeil gekennzeichneten Angaben folgt die Aufforderung, weitere Ausführungen zu ergänzen, die für das jeweilige Unterkriterium als wesentlich erachtet werden. Abschließend fand sich der Hinweis, dass derjenige Bieter am besten bewertet werde, der ein Konzept vorlege, das unter Beachtung aller für das jeweilige Unterkriterium dargestellten Aspekte das insgesamt höchste Maß erwarten lasse. Soweit der Bieter die dargestellten Aspekte vertraglich gewährleiste, werde dies bei der Bewertung besonders positiv berücksichtigt.

Auch unter Ziffer 2 „Vertragliche Regelung der Wegenutzung und der Netzbewirtschaftung/Gestaltung des Konzessionsvertrages Strom bzw. Konzessionsvertrages Gas“ benannte die Verfügungsbeklagte die aus ihrer Sicht erwarteten Ausführungen mit einer Pfeilkennzeichnung sowie teilweise mit weiteren durch Punkte gekennzeichneten Ergänzungen. Als letzte Pfeilmarkierung fand sich die Aufforderung, weitere Vertragsregelungen zu ergänzen, die für einen kommunalfreundlichen und umfassenden Entwurf des Konzessionsvertrages Gas bzw. Strom als wesentlich erachtet werden. Abschließend führte die Verfügungsbeklagte auf:

„Die aufgezählten Vertragsthemen stellen keine Unterkriterien für die Bewertung der Vertragsentwürfe dar. Die Aufzählung ist vielmehr bewusst nicht abschließend gehalten. Wir setzen auf die Impulse der Wettbewerber, die konzessionsvertraglichen Regelungskomplexe im Sinne der Stadt Aurich bestmöglich und detailliert festzulegen und wollen innovative Ansätze nicht durch starre Vorgaben behindern. Für die Bewertung der vorgelegten Konzessionsvertragsentwürfe ist das „Gesamtpaket“ der konzessionsvertraglichen Regelung für uns maßgeblich.

Wir werden denjenigen Bieter am besten bewerten, der den Konzessionsvertragsentwurf Strom bzw. Gas anbietet, der unter Beachtung aller von ihm vorgesehenen Regelungen das insgesamt höchste Maß an Kommunalfreundlichkeit beinhaltet.“

Als Bewertungsmethode war die „relative Bewertungsmethode“ vorgesehen, wonach bei der Auswertung dasjenige Angebot die volle Punktzahl erhalten sollte, das im Vergleich zu den anderen Angeboten das jeweilige Auswahlkriterium am besten erfüllt. Die anderen Angebote sollten eine dem Erfüllungsgrad, bezogen auf das Angebot des besten Bewerbers, entsprechend niedrigere Bepunktung erhalten.

Mit Schreiben vom 9. September 2016 bat die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte um Aufklärung von offenen Fragen, die sich aus dem vorgenannten Verfahrensbrief ergäben, insbesondere zu der Vollständigkeit und Gewichtung der unter den Unterpunkten aufgelisteten „Themen“ (Anlage ASt 7, Anlagenordner K). Die Verfügungsbeklagte teilte dazu am 15. September 2016 schriftlich mit, dass die unter den jeweiligen Gliederungspunkten I. 1. a) bis e) zu den jeweiligen Unterkriterien beispielhaft aufgezählten Themen weder abschließend noch als Unterunterkriterien zu verstehen seien. Deshalb könne auch keine Gewichtung der Themen im Verhältnis zueinander im Einzelnen mitgeteilt werden (Anlage ASt 8, Anlagenordner K).

Am 20. September 2016 (Anlage ASt 9, Anlagenordner K) stellte die Verfügungsklägerin weitere Nachfragen, welche die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 30. September 2016 beantwortete (Anlage ASt 10, Anlagenordners K). Am 21. September 2016 rügte die Verfügungsklägerin schriftlich, dass keine vollständige Angabe der Unterkriterien (Ziffer 1) und keine ausreichende Angabe der Gewichtung der Auswahlkriterien erfolgt sei sowie weitere aus ihrer Sicht bestehenden Rechtsverstöße (Anlage ASt 11, Anlagenordner K). Das verneinte die Verfügungsbeklagte (ASt 12, Anlagenordner K), wobei sie darauf hinwies, dass alle von dem Netzbetreiber vorgebrachten Aspekte bewertet werden, nämlich jeweils das „Gesamtpaket“ der Ausführung des Bieters zu dem jeweiligen Unterkriterium im direkten Vergleich zu den entsprechenden „Gesamtpaketen“ der anderen Bieter.

Sowohl die Verfügungsklägerin (Anlage ASt 15 und 16, Anlagenordner K) als auch die Streithelferin reichten vor Ablauf der Angebotsfrist Angebote für beide Konzessionen ein. Die Bewertung der Angebote erfolgte bei beiden Konzessionen in der Weise, dass die im Verfahrensbrief genannten Unterkriterien zunächst separat bewertet wurden. Dabei wurde unter A. die Vorgehensweise erläutert, unter B erfolgte die Bewertung und unter C. wurde das Gesamtergebnis mitgeteilt. Bei der unter B. durchgeführten Bewertung sind aufgelistete „Aspekte“ der Angebote, einschließlich solcher, die als „zusätzliche Themen“ über den oben genannten Verfahrensbrief hinaus aufgegriffen worden sind, jeweils separat auf einer Skala von 1-10 bewertet worden. Die dabei erreichten Werte sind jeweils mit dem gleichen Gewicht in das Gesamtergebnis des jeweiligen Unterkriteriums eingeflossen (wegen der Einzelheiten: vgl. Anlagenordner „Bewertung“). Alle Kriterien bzw. Unterkriterien wurden von der Verfügungsbeklagten mit der dargestellten Methodik bewertet und anschließend unter Berücksichtigung der im Verfahrensbrief mitgeteilten Bewertungsfaktoren in die Gesamtbewertung einbezogen.

Mit Vorabinformation vom 10. April 2017 teilte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin mit, dass ihr Rat beschlossen habe, die Konzessionsverträge mit der Streithelferin abzuschließen (ASt 17, Anlagenordner K), und erklärte, dass sie das Rüge- und Präklusionsregime der §§ 46 ff. EnWG anwende. Mit Schreiben vom 14. April 2017 wiederholte die Verfügungsklägerin ihre bereits im Laufe des Verfahrens vorgebrachten Rügen (Anlage ASt 19, Anlagenordner K). Nach Akteneinsicht, bei der ihr die Auswertungsvermerke Strom und Gas in teils geschätzter Form zur Verfügung gestellt worden waren (vgl. ASt 22-35, Anlagenordner K) reichte sie unter dem 23. und 24. Mai 2017 (ASt 36 und 37, Anlagenordner K) weitere Rügeschreiben ein. Die Verfügungsbeklagte half ihnen nicht ab und wies sie mit einheitlichem Schreiben vom 21. August 2017 zurück (ASt 38, Anlagenordner K).

Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat die Verfügungsklägerin begehrt, den beabsichtigten Vertragsschluss über den Betrieb des Strom- bzw. Gasverteilernetzes mit der Streithelferin zu untersagen, bevor nicht ein neues diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren zur Konzessionsvergabe durchgeführt wurde, hilfsweise, bevor ihr nicht vollständige Einsicht in die Bewertungsdokumentation und Gelegenheit zur Analyse und Rüge gewährt wurde. Sie hat geltend gemacht, die von der Verfügungsbeklagten gewählte relative Bewertungsmethode verstoße in der hier erfolgten Ausgestaltung gegen die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung. Ferner sei die Gewichtung von Wertungskriterien intransparent und diskriminierend erfolgt und es seien willkürlich zusätzliche Kriterien in die Bewertung einbezogen worden. Die vorgenommene Bewertung sei so nicht im Verfahrensbrief dargestellt worden, insbesondere die im Verfahrensbrief nicht benannten Aspekte hätten keine Berücksichtigung finden dürfen.

Die Verfügungsbeklagte ist dem ebenso wie die Streithelferin, die dem Verfahren nach der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2017 mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 (Bl. 297 ff. d. A.) auf Seiten der Beklagten beigetreten ist, entgegengetreten. Beide haben die Auffassung vertreten, dass es der Klage zudem am Rechtsschutzinteresse fehle, weil die Verfügungsklägerin im Hinblick auf die erfolgte Übersendung der ungeschwärzten Angebotsunterlagen und Bewertungsunterlagen durch die Verfügungsbeklagte in einem weiteren Konzessionsvergabeverfahren zwingend auszuschließen sei.

Das Landgericht hat dem (Haupt)Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung stattgegeben. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass die Klage zulässig sei und ihr insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Zwischen den Parteien sei unstreitig gestellt, dass die Verfügungsklägerin die ihr auf dem Datenträger übermittelten Informationen über das Angebot der Streithelferin nicht zur Kenntnis genommen, sondern diesen ungeöffnet unmittelbar an das Gericht weitergesandt habe. Ferner sei es treuwidrig, Anbieter auszuschließen, denen die konzessionierende Kommune unter Verstoß gegen § 47 Abs. 3 EnWG n. F. unverlangt Unterlagen übersandt habe, um anschließend das fehlende Rechtsschutzbedürfnis der Klage und die Notwendigkeit des Ausschusses bei einem weiteren Vergabeverfahren zu rügen. Der Verfügungsklägerin stehe ein Verfügungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB i. V. mit §§ 19, 20 GWB und § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG zu. Bezüglich der Vergabe beider Konzessionen habe die Verfügungsbeklagte bei den Unterkriterien“ Sicherheit des Netzbetriebes“, „Preisgünstigkeit des Netzbetriebes“ und „Umweltfreundlichkeit des Netzbetriebes“ voneinander völlig unabhängige und selbständig zu wertende Aspekte zusammengefasst, ohne ihnen eine einzelne konkrete und überprüfbare Gewichtung beizumessen. Darüber hinaus habe die Verfügungsbeklagte - entgegen ihrer Ankündigung im Verfahrensbrief vom 26. August 2016 und ihrer Stellungnahme zu den gestellten Fragen - im Rahmen der Bewertung weitere Unterunterkriterien gebildet und auf deren Grundlage die Bewertung durchgeführt. Die vorgenommene Gewichtung als solche sei offensichtlich fehlerhaft, weil die Verfügungsbeklagte zentrale Aspekte, zum Beispiel bei der „Sicherheit des Netzbetriebes“ mit dem gleichen Gewicht berücksichtigt habe, wie völlig nebensächliche. Diese Fehler hätten zur Folge, dass die Verfügungsklägerin nicht im ausreichenden Maße in der Lage gewesen sei, sich auf die tatsächlich verlangten Auswahlkriterien, insbesondere die zusätzlichen Themen, einzustellen. Sie hätten sich deswegen auch auf das Ergebnis des Auswahlverfahrens ausgewirkt.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Verfügungsbeklagte und ihre Streithelferin mit ihren Berufungen, mit denen sie ihre Anträge auf Zurückweisung der Anträge auf Erlass der einstweiligen Verfügung weiterverfolgen, ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholen und in Bezug auf die Erwägungen des Landgerichts weiter vertiefen. Sie betonen, dass es keine Pflicht zur Bildung von weiteren Unterkriterien gäbe. Die zu den Unterkriterien des Auswahlkriteriums 1 aufgelisteten Themen stellten ausdrücklich keine weiteren Unterunterkriterien dar, sondern dienten lediglich zur Veranschaulichung dessen, was die Verfügungsbeklagte für die Darstellung in den Bieterkonzepten zum Betrieb des Strom- bzw. des Gasnetzes unter den jeweiligen Aspekt bedeutsam finde. Eine besondere Gewichtung bestimmter Aspekte habe aufgrund des konzeptionellen Charakters des Konzessionsverfahren zwangsläufig unterbleiben müssen. Bei der isolierten Aufstellung der Ziele des § 1 EnWG als Auswahlkriterien seien umfangreiche Konzepte miteinander zu vergleichen, während bei der Bildung von Unterunterkriterien abgeschichtete konzeptionelle Bestandteile im Vergleich zueinander stünden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Verfügungsbeklagten und der Streithelferin wird auf die Berufungsbegründungen vom 25. April 2018 (Bl. 411 ff. d. A.) sowie vom 27. April 2018 (Bl. 450 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass der einstweiligen Verfügung abzuweisen.

Die Streithelferin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Tatbestand und die sonstigen tatrichterlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil einschließlich der dort wiedergegebenen erstinstanzlichen Anträge Bezug genommen.

II.

Eine mündliche Verhandlung gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO ist nicht geboten. Die Zulassung der Revision ist im Verfahren über eine einstweilige Verfügung nicht statthaft (§ 542 Abs. 2 ZPO). Die zulässigen Berufungen der Verfügungsbeklagten und der Streithelferin haben nach derzeitigem Beratungsstand schließlich offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Zu Recht dürfte das Landgericht dem Antrag der Verfügungsklägerin stattgegeben haben, der Verfügungsbeklagten zu untersagen, einen Konzessionsvertrag über den Betrieb des Stromverteilernetzes bzw. des Gasverteilernetzes in der Stadt Aurich mit der Streithelferin abzuschließen, bevor nicht ein neues diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren zur Konzessionsvergabe durchgeführt wurde.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.

a) Die Verfügungsklägerin hat nach Erhalt der Vorabinformation vom 10. April 2017, die eine Aufforderung zur Rüge im Sinne des § 118 Abs. 23 EnWG n. F. enthielt, mit Schreiben vom 24. April 2017 und damit innerhalb der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 2, 3 i. V. m. § 118 Abs. 3 EnWG n. F. ihre bereits im Verfahrensverlauf geäußerten Rügen wiederholt und nach Akteneinsicht mit Schreiben vom 23. und 24. Mai 2017 weitere Rüge vorgebracht. Nach Zurückweisung ihrer Rügen durch Schreiben der Verfügungsbeklagten vom 21. August 2017 hat die Verfügungsklägerin mit ihrem am 31. August 2017 eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Frist des § 47 Abs. 5 S. 1 EnWG von 15 Kalendertagen gewahrt.

b) Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten (Bl. 180 ff. d. A.) und der Streithelferin (Bl. 309 ff., 451 ff. d. A.) fehlt dem Antrag nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Verfügungsbeklagte im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens der Verfügungsklägerin Unterlagen zugänglich gemacht hat, die gegebenenfalls auch für ein weiteres, noch durchzuführendes Vergabeverfahren von Bedeutung sein könnten.

aa) Nach § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG n.F. hat die Gemeinde die Einsicht in die Unterlagen zu versagen, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist. Als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen zu verstehen, die nach dem erkennbaren Willen des Trägers geheim gehalten werden sollen, die ferner nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und damit nicht offenkundig sind und hinsichtlich derer der Geheimnisträger deshalb ein sachlich berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat, weil eine Aufdeckung der Tatsachen geeignet ist, ihm wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (BGH, Urteil vom 10. Mai 1995 - 1 StR 764/94, NJW 1995, 2301 m. w. Nachw.; Dicks, in: Ziekow/Völlink, VergabeR, 3. Aufl. 2018, § 165, Rn 7). Im Konfliktfall ist dabei zwischen den Belangen der Akteneinsicht, der davon abhängigen Wirksamkeit des Rechtsschutzes sowie dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) einerseits und des Geheimschutzes andererseits abzuwägen (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16, juris Rn. 49 ff. - Notärztliche Dienstleistungen).

Entgegen der Auffassung von Verfügungsbeklagter und Streithelferin führte die Ermöglichung einer ungewollten Einsichtnahme in das Angebot der Streithelferin, das vom Akteneinsichtsrecht nicht umfasst sein sollte, nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses und damit zur Unzulässigkeit des einstweiligen Verfügungsantrags. Vielmehr nimmt die vergaberechtliche Rechtsprechung in den Fällen der verbotenen Einsichtnahme in Angebotsunterlagen des Mitbewerbers - soweit überhaupt ein hochsensibler Bereich, wie etwa Kalkulationsunterlagen, betroffen ist - ein Verwertungsverbot im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens an (OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Februar 2012 - 11 Verg 11/11, juris Rn. 54; Kus in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. § 165 GWB, Rn. 42) bzw. fordert den zwingenden Ausschluss des Angebots vom streitgegenständlichen Vergabeverfahren (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2005 - VerG W 7 /05, juris Rn. 48 ff.).

bb) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

aaa) Dass in der übermittelten Auswertung der Angebote bestimmte Angaben enthalten sind, die als Geschäftsgeheimnis bewertet werden, haben bislang weder die Verfügungsbeklagte noch ihre Streithelferin dargetan.

bbb) Darüber hinaus ist nicht dargelegt worden oder ersichtlich, dass die Verfügungsklägerin das Angebot der Streithelferin überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Im Gegenteil, haben die Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung beim Landgericht Hannover am 28. September 2017 unstreitig gestellt, dass die Verfügungsklägerin die ihr auf einem Datenträger übermittelten Informationen über das Angebot der Streithelferin nicht zur Kenntnis genommen, sondern den Datenträger, ohne ihn zu öffnen, unmittelbar an das Gericht weitergesandt habe. Gegen diesen im Verhandlungsprotokoll festgestellten Sachverhalt (Bl. 294 d. A.) hat sich auch die Streithelferin nicht gewandt.

cc) Ferner hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass der geltend gemachte Ausschluss der Verfügungsklägerin in einem künftigen Vergabeverfahren erst in jenem Verfahren zu prüfen wäre.

2. Der (Haupt)Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist auch begründet.

a) Die Voraussetzungen des Verfügungsanspruchs gemäß § 935 ZPO, der sich vorliegend allein aus § 33 Abs. 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 und 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 GWB ergeben könnte, liegen vor. Die Verfügungsbeklagte hat bei der Vergabe der Netzkonzession für Strom und Gas die Anforderungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren nicht eingehalten.

aa) Das Landgericht hat mit Recht angenommen, dass bereits das Auswahlverfahren der Verfügungsbeklagten fehlerhaft ist, weil die am Netzbetrieb interessierten Unternehmen nicht erkennen konnten, worauf es der Verfügungsbeklagten bei der Auswahlentscheidung ankommt.

Gemeinden handeln beim Abschluss von Konzessionsverträgen als Unternehmen i. S. d. deutschen Kartellrechts und haben dabei eine marktbeherrschende Stellung (vgl. BGH, Urteile vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12, juris Rn. 19 ff. m. w. N.; KZR 65/12, juris Rn. 19 ff.). Als marktbeherrschende Anbieter der Wegenutzungsrechte in ihrem Gebiet sind die Gemeinden gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 46 Abs. 1 EnWG verpflichtet, den Konzessionär für den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes in einem diskriminierungsfreien Wettbewerb auszuwählen. Aus dem Transparenzgebot folgt als allgemeiner Grundsatz diskriminierungsfreier Auswahlverfahren die Pflicht zur Offenlegung der Entscheidungskriterien (BGH, Urteil vom 17.12.2013 - KZR 65/12, juris Rn. 46).

Die Auswahl ist vorrangig an Kriterien auszurichten, die das Ziel des § 1 EnWG (Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen örtlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas) konkretisieren. Das Auswahlverfahren muss so gestaltet werden, dass die am Netzbetrieb interessierten Unternehmen erkennen können, worauf es der Gemeinde bei der Auswahlentscheidung ankommt. Denn nur dann ist gewährleistet, dass die Auswahlentscheidung im unverfälschten Wettbewerb nach sachlichen Kriterien und diskriminierungsfrei zugunsten desjenigen Bewerbers erfolgt, dessen Angebot den Auswahlkriterien am besten entspricht. Das aus dem Diskriminierungsverbot folgende Transparenzgebot verlangt dementsprechend, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und ihre Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden (BGH, Beschluss vom 03. Juni 2014 - EnVR 10/13 -, juris Rn. 52, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12, juris Rn. 36 und KZR 65/12, WuW/E DE-R 4139 Rn. 44 ff. - Stromnetz Heiligenhafen). Genügt die Konzessionsvergabe diesen Anforderungen nicht, liegt eine unbillige Behinderung derjenigen Bieter vor, deren Chancen auf die Konzessionen dadurch beeinträchtigt worden sind.

Die von der Verfügungsbeklagten aufgeführten Auswahlkriterien genügen diesen Anforderungen nicht. Es werden keine Kriterien mitgeteilt, die das Ziel des § 1 EnWG (Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen örtlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas) konkretisieren. Stattdessen hat die Verfügungsbeklagte, was das mit 70 von 100 Punkten gewichtete erste Auswahlkriterium „Verwirklichung der Ziele des § 1 EnWG“ betrifft, nur die fünf in § 1 EnWG genannten Ziele als „Unterkriterien“ angegeben. Sie hat damit den interessierten Unternehmen nur das mitgeteilt, was nach der gesetzlichen Regelung ohnehin für jede Konzessionsvergabe nach § 46 EnWG gilt, weil bei der Vergabe von Wegerechtskonzessionen die Auswahl vorrangig an Kriterien auszurichten ist, die das Ziel des § 1 Abs. 1 EnWG konkretisieren (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2013 - KZR 66/12, juris R. 16). Wie die Verfügungsbeklagte die Ziele des § 1 EnWG aber konkretisieren will, ist nicht zu erkennen. Soweit in dem Verfahrensbrief zu jedem der dort als „Unterkriterien“ bezeichneten fünf Ziele des § 1 EnWG verschiedene „Themen“ mitgeteilt werden und angegeben wird, dass die Verfügungsbeklagte zu den Themen insbesondere Ausführungen erwarte, handelte es sich nicht um Kriterien oder Unterkriterien sondern nur um beispielhaft aufgezählte Themen, wie die Verfügungsbeklagte in ihrer schriftlichen Mitteilung an die Bewerber vom 9. September 2016 ausdrücklich klargestellt hat. Im vorliegenden Verfahren hat die Verfügungsbeklagte vorgetragen, dass die Angabe der Themen weder für sie bei der Bewertung der Angebote bindend noch für die Bieter bei der Gestaltung der Angebote verbindlich seien. Damit fehlt es aber an einer hinreichenden Offenlegung der Entscheidungskriterien um gewährleisten zu können, dass die Auswahlentscheidung nach sachlichen Kriterien und diskriminierungsfrei zu Gunsten desjenigen Bewerbers erfolgen würde, dessen Angebot den Auswahlkriterien am besten entsprach.

Ob das mit 30 von 100 Punkten gewichtete „Auswahlkriterium 2“ mit der Überschrift „Vertragliche Regelung der Wegenutzung und der Netzbewirtschaftung „Gestaltung des Konzessionsvertrags Strom bzw. des Konzessionsvertrags Gas“ unter Berücksichtigung der Erläuterungen hinreichend erkennen ließ, worauf es der Verfügungsbeklagten insoweit ankam, kann offenbleiben.

Das Fehlen jeglicher Kriterien zum ersten, mit 70 von 100 Punkten gewichteten Auswahlkriterium führt dazu, dass die Bewerber jedenfalls insoweit nicht erkennen konnten, worauf es der Gemeinde ankommt, so dass sie dementsprechend auch nicht ihre Angebote daran ausrichten konnten (vgl. LG Kiel, Urteil vom 13. Februar 2015 - 14 O 111/14 Kart -, juris Rn. 23ff.; LG München I, Beschluss vom 29. Februar 2016 - 37 O 3123/16 -, juris Rn. 80).

Für die von der Verfügungsbeklagten und der Streithelferin vertretene Meinung spricht nicht das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. April 2017 - X ZB 3/17. Der Bundesgerichtshof hat nur für den dort entschiedenen Streitfall, in dem es um die Vergabe von Postdienstleistungen ging, ausgeführt, dass es einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) nicht entgegenstehe, dass die von den Bietern vorgelegten Konzepte benotet würden und einen der jeweiligen Note zugeordneten Punktwert erhielten, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl für das Konzept konkret abhängen solle (BGH, aaO Rn. 39). Der hier zu beurteilende Sachverhalt liegt anders. Zum einen ging es in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um einen wesentlich weniger komplexen Gegenstand des Vergabeverfahrens, nämlich um weitgehend standardisierte Dienstleistungen, als dies bei der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen der Fall ist (vgl. BGH a. a. O. Rn. 48). Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof zum dort entschiedenen Fall ausgeführt, dass weitere Erläuterungen zu den Erwartungen an die Inhalte des einzureichenden Konzepts deshalb rechtlich nicht geboten seien, weil der Auftraggeber Unterkriterien gebildet hatte, die aufgrund der ergänzenden Informationen in den Vergabeunterlagen hinreichend verdeutlicht waren, so dass die Bieter sich ein Bild davon machen konnten, wofür ihr Konzept eine taugliche Lösung anbieten muss. Das ist im vorliegenden Fall aus den oben genannten Gründen anders.

Die Streithelferin kann sich für ihre Auffassung, dass die Ziele des § 1 EnWG als Hauptkriterien ausreichten und keiner weiteren Konkretisierung und Unterkriterien bedürften (GA 471f.), auch nicht auf das von ihr zitierte Urteil des OLG Brandenburg vom 22.08.2017 - 6 U 1/17 berufen. Diese Entscheidung betraf nämlich ein Auswahlverfahren, in dem sich die Gemeinde gerade nicht auf die Ziele des § 1 EnWG als Kriterien der Konzessionsvergabe beschränkt sondern in einem Verfahrensbrief insgesamt 45 Hauptkriterien, Unterkriterien und Unter-Unterkriterien sowie deren jeweilige Gewichtung benannt und erläutert hatte.

Die Verfügungsbeklagte macht geltend, aus dem Verfahrensbrief vom 26. August 2016 ergebe sich, dass sie einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben habe, in dem von den Bietern die Entwicklung eines bestmöglichen Netzbewirtschaftungskonzeptes erwartet werde. Es wäre, so die Verfügungsbeklagte, nicht sinnvoll gewesen, wenn die Verfügungsbeklagte Lösungskomponenten vorgegeben hätte, die die Bieter aufgreifen würden anstatt eigene Lösungen zu entwickeln. Ähnlich trägt die Streithelferin vor, ein Rechtssatz, dass die Ziele des § 1 Abs. 1 EnWG einer weiteren Konkretisierung bedürften, würde dem grundsätzlich anerkannten Konzept- und Ideenwettbewerb zuwiderlaufen. Dem folgt der Senat nicht. Soweit die Bieter ihre Konzepte für die Erfüllung der Ziele des § 1 EnWG schriftlich darstellen sollen, hat der Wettbewerb partiell das Gepräge eines Vergabeverfahrens mit funktionaler Leistungsbeschreibung (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17 -, juris Rn. 41). Die Funktionalität der Ausschreibung entband die Verfügungsbeklagte nicht von der Pflicht, alle von ihr für die Aufgabenerfüllung wesentlichen Anforderungen sowie die Auswahlkriterien und deren Gewichtung vor der Angebotsabgabe durch eine entsprechende Mitteilung offen zu legen. Denn auch eine (teil)funktionale Ausschreibung muss den Anforderungen an die Bestimmtheit und Transparenz genügen. Der Auftraggeber muss insoweit selbst die notwendigen Festlegungen treffen, als er das Leistungsziel, die Auswahlkriterien, und die Rahmenbedingungen der Leistung anzugeben hat. Denn auch bei einer teilfunktionalen Ausschreibung ist sicherstellen, dass miteinander vergleichbare Angebote abgegeben und bewertet werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2014 - VI-2 Kart 2/13 (V) -, juris Rn. 132).

Soweit der Senat ausgeführt hat, dass gerade bei der Bewertung von noch zu erstellenden Bieterkonzepten detaillierte Vorgaben problematisch seien, weil sie die Möglichkeiten der Bieter zur konzeptionellen Darstellung einschränkten, hat er zugleich darauf hingewiesen, dass eine Grenze, ab der das Offenlassen konkreter Bewertungsmaßstäbe unzulässig ist, dann erreicht ist, wenn die aufgestellten Wertungsmaßstäbe so unbestimmt sind, dass die Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informiert werden, auf deren Grundlage das wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt wird, und sie infolge dessen vor einer willkürlichen und/oder diskriminierenden Angebotsbewertung nicht mehr effektiv geschützt sind (OLG Celle, Urteil vom 17. März 2016 - 13 U 141/15 (Kart) -, juris Rn. 86). So ist es hier.

bb) Außerdem hält das von der Verfügungsbeklagten auf der Grundlage der eingereichten verbindlichen Angebote konkret vorgenommene Auswahlverfahren einer Überprüfung nicht stand, weil es den von ihr im Verfahrensbrief vom 26. August 2016 vorgesehenen und in ihren Stellungnahmen auf die Nachfragen der Bieter bestätigten Bewertungsmaßstäben widerspricht.

aaa) Allgemein gilt in Anlehnung an die Grundsätze des Vergabeverfahrens, dass der Vergabestelle im Rahmen der Konzessionsvergabe bei der Prüfung der Angebote ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. Gegenstand der Überprüfung ist, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, von keinem unzutreffenden oder unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind und sich die Wertungsentscheidung im Rahmen der Gesetze unter allgemein gültigen Beurteilungsmaßstäben hält (vgl. Senatsurteile 13 U 141/15 (Kart) und 13 U 9/16 (Kart), a.a.O., Rn. 130 bzw. Rn. 159).

bbb) Das Auswahlverfahren der Verfügungsbeklagten genügt diesen Anforderungen nicht. Die Verfügungsbeklagte hat sich bei der vorgenommenen Bewertung der Unterkriterien für das Auswahlkriterium 1 und der Bewertung des Auswahlkriteriums 2 nicht an ihren im Verfahrensbrief vom 26. August 2016 und in ihren Antworten auf die dazu gestellten Fragen angekündigten Bewertungsmaßstab gehalten.

(1) In dem Verfahrensbrief vom 26. August 2016 hat die Verfügungsbeklagte zu dem ersten der beiden Auswahlkriterien fünf (Unter)Kriterien benannt und ihnen einzelne, von den in dem Auswahlkriterium 1 insgesamt zu erreichenden 70 Punkte zugewiesen. Es wurde dargestellt, dass zu den jeweils angeführten, mit Pfeilmarkierung gekennzeichneten Themen, die teilweise durch die Verwendung von Punktzeichen noch näher aufgefächert wurden, Ausführungen erwartet werden. Unter der letzten Pfeilmarkierung wurde um Ergänzung weiterer, vom Bieter für wesentlich erachteter Aspekte gebeten. Abschließend fand sich der Hinweis, dass derjenige Bieter am besten bewertet werde, der ein Konzept vorlege, das unter Beachtung aller für das jeweilige Unterkriterium dargestellten Aspekte das insgesamt höchste Maß für dessen Gewährleistung erwarten lasse. Soweit der Bieter die dargestellten Aspekte vertraglich gewährleiste, werde dies bei der Bewertung besonders positiv berücksichtigt.

Gleiches wurde für die unter Ziffer 2 „Vertragliche Regelung der Wegenutzung und der Netzbewirtschaftung/Gestaltung des Konzessionsvertrages Strom bzw. Konzessionsvertrages Gas“ mit einer Pfeilkennzeichnung aufgelisteten sowie teilweise durch Punktzeichen weiter aufgefächerten Themen mitgeteilt. Insoweit hat die Verfügungsbeklagte explizit ausgeführt:

„Die aufgezählten Vertragsthemen stellen keine Unterkriterien für die Bewertung der Vertragsentwürfe dar. Die Aufzählung ist vielmehr bewusst nicht abschließend gehalten. Wir setzen auf die Impulse der Wettbewerber, die konzessionsvertraglichen Regelungskomplexe im Sinne der Stadt Aurich bestmöglich und detailliert festzulegen und wollen innovative Ansätze nicht durch starre Vorgaben behindern. Für die Bewertung der vorgelegten Konzessionsvertragsentwürfe ist das „Gesamtpaket“ der konzessionsvertraglichen Regelung für uns maßgeblich.

Auf Nachfrage der Verfügungsklägerin teilte die Verfügungsbeklagte am 15. September 2016 schriftlich mit, dass die unter den jeweiligen Gliederungspunkten I. 1. a) bis e) zu den jeweiligen Unterkriterien beispielhaft aufgezählten Themen weder abschließend noch als Unterunterkriterien zu verstehen seien. Deshalb könne auch keine Gewichtung der Themen im Verhältnis zueinander im Einzelnen mitgeteilt werden (Anlage ASt 8, Anlagenordner K). Im Hinblick auf die Verfahrensrügen vom 21. September 2016 verwies die Verfügungsbeklagte (ASt 12, Anlagenordner K) darauf, dass alle von dem Netzbetreiber vorgebrachten Aspekte bewertet werden, nämlich jeweils das „Gesamtpaket“ der Ausführung des Bieters zu dem jeweiligen Unterkriterium im direkten Vergleich zu den entsprechenden „Gesamtpaketen“ der anderen Bieter (vgl. ASt 2, S. 2 unten).

(2) Mit diesem, von ihr gewählten und den Bietern mitgeteilten Vergleichsmaßstab steht die von der Verfügungsbeklagten vorgenommene Bewertung der Angebote der Verfügungsklägerin sowie der Streithelferin nicht im Einklang.

Statt bei den einzelnen zu dem Auswahlkriterium 1 benannten (Unter)Kriterien und bei dem Auswahlkriterium 2 ein die aufgelisteten Themen umfassendes Gesamtkonzept der Bieter miteinander zu vergleichen und hierfür eine (Anmerkung: Unterstreichung durch den Senat) Bewertung abzugeben, hat die Verfügungsbeklagte - entgegen ihrer Ankündigung in dem Verfahrensbrief vom 26. August 2016 sowie in ihren Stellungnahmen auf die Nachfragen vom 9. September 2016 sowie auf die Verfahrensrüge vom 21. September 2016 - die mit den Pfeilen markierten und teilweise noch mit Punktzeichen näher aufgefächerten einzelnen Themen sowie die von den Bietern ergänzten Aspekte jeweils separat gewertet und dem Bieter, dessen Angebot zu dem jeweiligen Aspekt am überzeugendsten war, die höchste Punktzahl von 10 gegeben, während das Angebot des anderen Bieters eine dementsprechend niedrigere Bepunktung bzw. in den Fällen, in denen dieser zu einem ergänzten Aspekt des anderen Bieters keine vergleichbare Vorgehensweise angeboten hat, gar keine Punkte zugewiesen. Demzufolge ergab sich für das Unterkriterium „Sicherheit des Netzbetriebs“ folgende Wertung:

„Sicherheit des Netzbetriebs“VerfügungsklägerinStreithelferin1. Referenzen als Netzbetreiber1012. Vergangenheitsbezogene Wertea) Störungshäufigkeit, Ausfallzeiten und   -dauerb) Schadensstatistiken10 106 33. Darstellung des techn. Netzbetriebskonzeptsa) Finanzausstattung   Allgemein   Vorlage von Finanzamtsbescheinigungen10101010b) Sachausstattung109c) Personalausstattung   Allgemein   VDE-AR-N 400110101010d) Störungsbeseitigungskonzept:- Erreichbarkeit- Verfügbarkeit (…) und Reaktionszeiten- Ausstattung (…) Kommunikation   und Beseitigung- Entstörungsprozesse10810 1010109 10e) Prüfungs- und Wartungsintervalle10104. Netzerhaltungs- und   Netzausbauinvestitionskonzepta) Investitionenb) Erneuerungsquoten3410105. Unfallquoten0106. Risikomanagement1037. Netzstruktur1010Insgesamt25,024,4

In derselben Weise hat die Verfügungsbeklagte auch die zu den anderen unter dem Auswahlkriterium 1. (Verwirklichung der Ziele des § 1 EnWG) folgenden Unterkriterien: b) Preisgünstigkeit des Netzbetriebs, c) Verbraucherfreundlichkeit des Netzbetriebs, d) Effizienz des Netzbetriebs und e) Umweltfreundlichkeit des Netzbetriebs bzw. unter dem Auswahlkriterium 2 (Gestaltung des Konzessionsvertrages Strom bzw. Gas) aufgelisteten und weiteren, von den Bietern eingebrachten Themen einzeln wertend gegenübergestellt und den zu dem jeweiligen Punkt nach ihrer Wertung überzeugendsten Ausführungen die höchste Punktzahl und dem anderen Bieter eine entsprechend niedrige Bepunktung bzw. in den Fällen, in denen er zu einem ergänzten Aspekt des anderen Bieters keine vergleichbare Vorgehensweise angeboten hat, gar keine Punkte zugewiesen.

(c) Mit der isolierten Bewertung von jedem einzelnen der von den Bietern vorgetragenen Aspekte hat die Verfügungsbeklagte einen gänzlich anderen Maßstab verwendet, als sie in ihrem Verfahrensbrief vom 26. August 2016 sowie auf die entsprechenden Nachfragen der Bieter mitgeteilt hatte. Aufgrund der dort erteilten Informationen, dass derjenige Bieter am besten bewertet werde, der ein Konzept vorlege, das unter Beachtung aller für das jeweilige Unterkriterium dargestellten Aspekte das insgesamt höchste Maß für dessen Gewährleistung erwarten lasse, mussten die Bieter von einem Bewertungsvorgang (Anmerkung: Unterstreichung durch den Senat) für jedes Unterkriterium des Auswahlkriteriums 1 (Verwirklichung der Ziele des § 1 EnWG) sowie von einem Bewertungsvorgang (Anmerkung: Unterstreichung durch den Senat) für das Auswahlkriterium zu 2 (Gestaltung des Konzessionsvertrages Strom bzw. Gas) ausgehen. Es ist an keiner Stelle ausgeführt worden, dass der Bieter, dessen Angebot zu dem jeweils im Rahmen des Unterkriteriums angesprochenen Thema am überzeugendsten war bzw. im Sinne der von dem Bieter ausdrücklich gewünschten Ergänzung ohne Entsprechung in dem anderen Angeboten geblieben ist, die höchste Punktzahl erhält und auf diese Weise alle Themen einzeln einer Benotung zugeführt werden.

Daher mussten die Bieter annehmen, dass es für jedes Unterkriterium auf die Einreichung eines Konzeptes ankommt, das die angesprochenen sowie weitere, von ihnen ergänzte Aspekte insgesamt am besten zu gewährleisten verspricht. Im Rahmen der insoweit vorgesehenen Gesamtbetrachtung sind, insbesondere bei dem hier geforderten innovativen Lösungsansatz, Konstellationen denkbar, in denen die Nachteile bei einem der genannten Themen durch besondere Vorteile bei einem oder mehreren der anderen aufgelisteten Themen sowie etwaiger weiterer, vom Bieter benannter Aspekte (mehr als) aufgewogen werden (vgl. dazu: OLG Celle, Urteil vom 26. Januar 2017 (Kart), a. a. O., Rn. 160), weshalb das Gesamtkonzept auch aufgrund seiner inhaltlichen Kohärenz am meisten überzeugen könnte. Wird aber nicht das Gesamtkonzept des einen Bieters mit dem des anderen verglichen und gewertet, sondern jeder aufgelistete und ergänzte Aspekt des jeweiligen Unterkriteriums einer separaten Bewertung zugeführt, wobei allen genannten Themen - ungeachtet dessen, ob sie durch Verwendung der Pfeilmarkierung gleichrangig nebeneinander stehen oder einen unter einer Pfeilmarkierung benannter Aspekt durch Punktzeichen näher aufgliedern - und einschließlich jedem der von den Bietern zusätzlich angeführten Themen die gleiche Gewichtung zukommt, ist dies ein vollkommen anderer Ansatz als das angekündigte Bewertungsverfahren. Eine solche Vorgehensweise verstößt gegen den Transparenzgrundsatz.

Dadurch, dass die Verfügungsbeklagte darüber hinaus auch die unter den Pfeilmarkierungen genannten mit den darunter durch Punktzeichen weiter aufgefächerten Ergänzungen und sogar mit den auf dieser nachfolgenden Stufe in Klammern aufgeführten Differenzierungen gleichgestellt und ihnen allen die gleiche Gewichtung zugewiesen hat, war der Bewertungsmaßstab für die Bieter noch in besonderem Maße nicht vorhersehbar und gibt dem gesamten Bewertungsvorgang ein willkürliches Gepräge. Zutreffend hat das Landgericht als Beispiel dafür im Rahmen der Bewertung des Unterkriteriums „Sicherheit des Netzbetriebes“ den Aspekt herausgegriffen, dass die im Verfahrensbrief vom 26. August 2016 nicht einmal erwähnte Vorlage der Bescheinigung VTE-AR-N 4001 (Strom) bzw. DVGW G 1000 Zertifizierung (Gas) mit dem gleichen Gewicht berücksichtigt wurde wie die Personalausstattung. Auch die von der Streithelferin als zusätzlichen Aspekt eingeführte „Unfallquote“, welche die relative Unfallhäufigkeit pro 1000 Vollzeitmitarbeiter anzeige, hat eine dazu gleichwertige Gewichtung erfahren, obwohl es sich lediglich um einen Teilaspekt der “Personalausstattung“ handelt. Diese, für die Bieter im Vorhinein nicht ansatzweise erkennbare und vor allem der Darstellung im Verfahrensbrief vom 26. August 2016 und den vorgenannten Stellungnahmen der Verfügungsbeklagten widersprechende Vorgehensweise war intransparent und insgesamt willkürlich.

Insoweit ist der Fall auch nicht vergleichbar mit den Konstellationen, die der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juli 2016 (C-6/15 - Dimarso) und des Bundesgerichtshofs vom 4. April 2017 (X ZB 3/17 - Postdienstleistungen) zu Grunde lagen. Dort wurde erfolglos beanstandet, dass die von den Bietern vorgelegten Konzepte im Rahmen der Angebotswertung einen der jeweiligen Note zugeordneten Punktwert erhielten, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten hatten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl für das Konzept konkret abhängen sollte (BGH, a. a. O. Rn. 39). Dazu hatte der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass der öffentliche Auftraggeber in der Lage sein muss, die Bewertungsmethode, die er zur Bewertung und Einstufung der Angebote anwenden will, an die Umstände des Einzelfalles anzupassen (EuGH, a. a. O. Rn. 30). Diese Entscheidungen betreffen also die Zulässigkeit der Vergabe von Noten mit zugeordneten Punktwerden und mithin die konkret gewählte Bewertungsmethode und nicht das hier in Rede stehende Vorgehen bei der Auswertung der Angebote.

In diesem Kontext hat auch der Europäische Gerichtshof betont, dass die Kriterien für die Vergabe von Verfahrensbeginn an klar bestimmt sein müssen und sich der Auftraggeber während des gesamten Verfahrens an dieselbe Auslegung der Zuschlagskriterien halten muss (EuGH, Urteil vom 18. Oktober 2001 - C-19/00, Rn. 43 - SIAC Construction, und Urteil vom 14. Juli 2016, a.a.O. Rn. 23 - dimarso). Genau dagegen hat die Verfügungsbeklagte hier aber verstoßen, indem sie entgegen ihrer im Verfahrensbrief vom 26. August 2016 vorgestellten und in den späteren Stellungnahmen, insbesondere auch auf die Verfahrensrügen vom 21. September 2016 (Anlage ASt 12), bestätigten Vorgehensweise nicht jeweils das Gesamtkonzept des Bieters zu dem jeweiligen Unterkriterium im direkten Vergleich mit dem entsprechenden Gesamtkonzept des anderen Bieters bewertet hat. Vielmehr hat sie faktisch doch jeden der unter der Pfeilmarkierung genannten Themenpunkte sowie jeden weiteren, von den Bietern aufgeführten Aspekt als gleichwertiges Unterunterkriterium zu den unter 1. a) bis e) genannten Unterkriterien separat gewertet.

cc) Vor diesem Hintergrund kann es dahinstehen, ob die von der Verfügungsbeklagten auf der Grundlage der ihr eingereichten Angebote getroffene Auswahlentscheidung in den weiteren, von der Verfügungsklägerin in ihrem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung beanstandeten Punkten (Blatt. 41-49, 60 f., 73-112) einer Überprüfung standhält.

dd) Angesichts der unter aa) und bb) genannten Mängel ist das Verfahren insgesamt als intransparent und willkürlich anzusehen. Es liegt bei einer Gesamtwürdigung eine unbillige Behinderung der Verfügungsklägerin vor, die sich auch im Ergebnis ausgewirkt haben könnte. Eine unbillige Behinderung durch ein fehlerhaftes Auswahlverfahren ist - lediglich - zu verneinen, wenn feststeht, dass sich die Fehlerhaftigkeit nicht auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann, weil derselbe Bewerber die Konzession auf jeden Fall auch ohne den Verfahrensfehler erhalten hätte (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember - KZR 66/12, juris Rn. 99 - Stromnetz Berkenthin). Davon kann hier nicht ausgegangen werden, was keiner weiteren Erläuterung bedarf.

b) Der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes bedarf es nach § 47 Abs. 5 Satz 3 EnWG nicht.

III.

Die Verfügungsbeklagte und ihre Streithelferin erhalten Gelegenheit, zu der beabsichtigten Zurückweisung ihrer Rechtsmittel binnen einer Frist von sechs Wochen ab Zugang dieses Beschlusses schriftlich Stellung zu nehmen oder auch, insbesondere zur Vermeidung weiterer Kosten, ihre Berufung zurückzunehmen.

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