LG Verden, Beschluss vom 22.10.2018 - 1 T 121/18
Fundstelle
openJur 2020, 9533
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 XVII 98/97
Tenor

Die Beschwerde des Betreuers vom 19.06.2018 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 12.06.2018 wird zurückgewiesen.

Gerichtliche Kosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Betroffene steht wegen einer psychischen Erkrankung seit 1998 unter Betreuung. Zuletzt wurde die Betreuung durch Beschluss vom 02.12.2014 bis 2021 verlängert. Zum Aufgabenkreis des Berufsbetreuers gehören die Vermögenssorge, Gesundheitssorge sowie Geltendmachung von gesetzlichen Ansprüchen.

Am 30.10.2014 verstarb der Vater des Betroffenen. Er hinterließ ein notarielles Testament vom 23.06.2010, in dem es heißt:

„ I. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Meine Ehefrau ist körperbehindert. Mein ältester Sohn H, geb. am....1960, ist zu 80 % behindert und lebt in Verden. Mein Sohn E ist am...1964 geboren und gesund. Meine Tochter S, geb. am...1968, ist zu 100 % behindert und lebt in C. … II. 1. Zu meinen Erben setze ich ein a) meinen Sohn E zu 64 %, b) meinen Sohn H zu 18 %, c) meine Tochter S zu 18%. … H und S sind nur Vorerben. … Nacherbe nach H und S wird E. Die Nacherbfolge tritt mit dem Tod der Vorerben ein. … 3. Mit Rücksicht darauf, daß H und S aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage sein werden, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen, ordne ich für die Erbteile von H und S Dauertestamentsvollstreckung gemäß § 2209 BGB an, und zwar bis zu ihrem jeweiligen Tod. Aufgabe des jeweiligen Testamentsvollstreckers (TV) ist die Verwaltung der Erbteile von H und S. Der Testamentsvollstrecker hat alle Verwaltungsrechte auszuüben, die H und S als Vorerben zustehen. Über die Erbteile selbst darf der TV nicht verfügen. Nach der Teilung des Nachlasses setzt sich die Testamentsvollstreckung an den H und S zugefallenen Vermögenswerten fort. …“

Zugunsten seiner Ehefrau und Mutter des Betroffenen setzte der Vater im Testament u.a. ein lebenslanges Wohnrecht als Vermächtnis aus. Nach Auskunft des Testamentsvollstreckers Rechtsanwalt Dr. W beläuft sich der Erbteil des Betroffenen auf 32.456,32 €. Der Testamentsvollstrecker wies auf die angeordnete Dauertestamentsvollstreckung und darauf hin, dass der Betreute nach den Festlegungen des Testaments über seinen Erbteil nicht verfügen dürfe. Allerdings habe der Nacherbe auf eine mündelsichere Anlage verzichtet und ihn – den Testamentsvollstrecker – befugt, einen Betrag von jährlich bis zu 2.500,00 € zu entnehmen, um dem Betroffenen damit eine Steigerung seiner Lebensqualität zu ermöglichen, unter dem Vorbehalt, dass dadurch keine Leistungsansprüche des Betroffenen gegen Dritte, insbesondere gegen das Sozialamt, gefährdet würden.

Nachdem auf Antrag des Betreuers dessen Betreuervergütung jeweils im vereinfachten Verwaltungsverfahren aus der Landeskasse gezahlt worden war, kündigte der Rechtspfleger des Amtsgerichts durch Schreiben vom 03.05.2018 gegenüber dem Betreuer die Geltendmachung einer Regressforderung in Höhe von insgesamt 3.432,- € hinsichtlich der für den Betreuungszeitraum vom 01.01.2015 bis 31.03.2018 in gleicher Höhe geleisteten Zahlungen gegen das Vermögen des Betroffenen an. Die für das Regressverfahren eingesetzte Verfahrenspflegerin nahm dahingehend Stellung, dass der Betroffene als mittellos anzusehen sei, weshalb ein Regress ausscheide. Der Betreuer wies auf das Schreiben des Testamentsvollstreckers Dr. W vom 04.06.2016 (Bl. 190-191 des Vergütungsheftes) hin, wonach dieser sich wegen der angeordneten Dauertestamentsvollstreckung nicht in der Lage sehe, den angeforderten Betrag zu begleichen. Angesichts der nicht befreiten Vorerbschaft sei auch eine Zwangsvollstreckung in den Nachlass nicht erfolgsversprechend. Den testamentarischen Beschränkungen hätte sich der Betroffene durch Geltendmachung des Pflichtteils entziehen können, worauf bewusst verzichtet worden sei.

Durch Beschluss vom 12.06.2018 setzte der Rechtspfleger bei dem Amtsgericht Verden den vom Betroffenen an die Landeskasse zu erstattenden Betrag auf 3.432,00 € fest. Dagegen legte der Betreuer namens des Betroffenen Beschwerde ein. Das ererbte Vermögen sei bei der Feststellung des Vermögensstatus nicht zu berücksichtigen.

Nach Anhörung der Bezirksrevisorin half das Amtsgericht durch Beschluss vom 08.08.2018 der Beschwerde nicht ab und legte die Akten dem Landgericht vor.

II.

Die namens des Betroffenen eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Amtsgericht gemäß § 168 Abs. 1 FamFG entschieden, dass wegen der aus der Staatskasse in den letzten drei Jahren erfolgten Vergütung des Betreuers in Höhe von insgesamt 3.432,00 € der Rückgriff in das Vermögen des Betreuten zu nehmen ist. Der Rückgriff findet seine Rechtsgrundlage in §§ 1908i Abs. 1, 1836e, 1836c Abs. 1, 1836 Abs. 1 BGB. Die Leistungsfähigkeit des Betroffenen ist im Regressverfahren gemäß § 1836c BGB erneut zu prüfen.

Der Betroffene ist nicht mittellos im Sinne des § 1836d BGB, sondern vermögend. Er hat gemäß § 1836c Nr. 2 BGB i.V.m. § 90 SGB XII für die Kosten der Betreuung sein gesamtes verwertbares Vermögen einzusetzen, soweit dieses das Schonvermögen gemäß § 90 Abs. 2 SGB XII übersteigt. Das Erbe des Betroffenen, das nach den letzten Angaben des Betreuers einen Wert von 32.520,41 € hat, ist Bestandteil seines Vermögens und vom Testamentsvollstrecker gemäß § 2217 BGB zur Entrichtung der Betreuervergütung freizugeben. Der Testamentsvollstrecker ist gleichwohl am vorliegenden Verfahren zur Festsetzung der Betreuervergütung nicht notwendig zu beteiligen (vgl. BGH, Beschluss vom 15.04.2015 - XII ZB 534/14).

Allerdings besteht die Aufgabe des Testamentsvollstreckers darin, entsprechend dem Willen und unter Beachtung der Anordnungen des Erblassers (§ 2216 Abs. 2 BGB) die letztwillige Verfügung des Erblassers zur Ausführung zu bringen und den Nachlass zu verwalten (§ 2205 BGB). Die durch ein sog. Behindertentestament angeordnete (Vor-) Erbschaft bei gleichzeitiger Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung führt grundsätzlich zu einer Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Erben gemäß § 2211 BGB. Demgemäß können sich die Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten; § 2214 BGB. Das schließt auch eine Verwertung des Nachlasses für die Betreuervergütung grundsätzlich aus.

Das gilt aber nicht ausnahmslos. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH zum sog. Behindertentestament sind Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer - mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen - Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus (vgl. BGH FamRZ 2011, 472; FamRZ 2013, 874; Beschluss vom 01.02.2017 - XII ZB 299/15; Beschluss vom 10.05.2017 - XII ZB 614/16, jeweils m.w.N.).

Solche konkreten Verwaltungsanweisungen an den Testamentsvollstrecker, aus denen sich ergäbe, in welchem Umfang und für welche Zwecke der Betroffene Vorteile aus dem Nachlass erhalten solle, enthält das vorliegende notarielle Testament jedoch gerade nicht. Dort heißt es lediglich, dass der Testamentsvollstrecker alle Verwaltungsrechte auszuüben habe, die den Vorerben zustünden. Über die Erbteile selbst dürfe der Testamentsvollstrecker nicht verfügen. Nach der Teilung des Nachlasses setze sich die Testamentsvollstreckung an den zugefallenen Vermögenswerten fort. Darin kommt der Wille des Erblassers zum Ausdruck, dass die Substanz der Erbschaft vor dem Nacherbfall nicht angegriffen werden dürfe. Ausdrückliche Anordnungen, dass aus der Substanz oder mit den Nutzungen der Erbschaft zugunsten des Betroffenen als Vorerben zu verfahren sei, enthält das Testament gerade nicht. Es ist auch unter Berücksichtigung seines übrigen Inhalts nicht dahingehend auszulegen, dass der Betroffene irgendwelche Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhalten sollte. Folglich ist es nicht Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod hinaus, sondern diente ausschließlich der einseitigen Bevorzugung und Sicherung des gesamten Nachlasses zu Gunsten des nicht behinderten Sohnes E und damit auch einer Verhinderung des Zugriffs der Sozialhilfe- und übrigen Leistungsträger auf die Erbteile der behinderten Familienangehörigen. Das ergibt sich daraus, dass beide behinderten Kinder lediglich mit Erbteilen bedacht wurden, die mit jeweils 18 % nur wenig über dem Pflichtteilsanspruch von 1/6 des Nachlasses lagen, und der ebenfalls behinderten Ehefrau lediglich ein Vermächtnis ausgesetzt wurde. Für beide behinderten Kinder wurde eine Vorerbschaft mit gleichzeitiger Dauertestamentsvollstreckung bis zu ihrem Tod angeordnet. Der nichtbehinderte Sohn wurde dagegen mit einer erheblich höheren Erbquote bedacht, zum Nacherben seiner Geschwister und außerdem testamentarisch auch zum Testamentsvollstrecker eingesetzt. Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung ging der Erblasser auch nicht davon aus, dass aus den Erbteilen der Vorerben Erträgnisse entstünden, die ihnen als Zuwendung zu Lebzeiten zu Gute kommen könnten, denn der Nachlass bestand im Wesentlichen aus dem Grundbesitz, auf den sich das als Vermächtnis seiner Ehefrau zugewandte lebenslängliche Wohnrecht bezog, auf das diese erst nach dem Erbfall verzichtet hat.

Das Testament verstößt damit gegen § 138 Abs. 1 BGB, denn der Erblasser hat seine beiden behinderten Kinder sittenwidrig benachteiligt, indem er weder ihnen noch öffentlichen Leistungsträgern, die in der Vergangenheit für ihre Versorgung aufgekommen waren und noch in Zukunft aufkommen werden, einen Anteil am Nachlass eröffnete. Der Grundsatz der Testierfreiheit steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass der Betroffene, der seit 1996 im <Name des Heims> lebt, bereits vorher elf Jahre lang in einer Wohngemeinschaft eines anderen Heims gelebt hatte und seither Sozialleistungen der öffentlichen Hand erhält. Der Erblasser hat seinen psychisch erkrankten Sohn, der als Schwerbehinderter anerkannt ist, in dieser Zeit weder selbst gepflegt und versorgt noch die beträchtlichen laufenden Kosten seiner Unterbringung getragen. Auch für die Zeit nach seinem Tod hat der Erblasser keine sittliche Verantwortung gesehen, seine behinderten Kinder zu versorgen oder ihnen über die beschränkten staatlichen Leistungen hinaus Vorteile zukommen zu lassen, die ihnen eine günstigere Rechtsstellung verschafft hätten, als eine Enterbung oder eine bloße Zuwendung des Pflichtteils. Der Erblasser hat die vom Gesetzgeber bereitgestellten Gestaltungsinstrumente zwar versucht auszuschöpfen, dabei jedoch die Vorgaben des Bundesgerichtshofs, welche dieser bereits in der Entscheidung BGHZ 111,36 aufgestellt und seither in seinen Entscheidungen beständig wiederholt hatte, nicht umgesetzt. Wäre es Ziel des Erblassers gewesen, die Lebensbedingungen seines erkrankten Sohnes über die von der Sozialhilfe gewährleistete Versorgung hinaus durch zusätzliche Annehmlichkeiten und Vorteile zu verbessern, wäre dies allein durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung bezüglich des Erbteils dieses Sohnes in Kombination mit konkreten Verwaltungsanweisungen möglich gewesen. Auf diese Weise hätte der Erblasser in rechtlich nicht zu beanstandender Weise bestimmen können, dass die Vorteile der Erbschaft seinem Sohn H zur Befriedigung bestimmter einzeln aufgeführter Bedürfnisse, ausdrücklich aber beispielsweise nicht für die Betreuervergütung, zukommen sollten. Derartige konkrete Anweisungen an den Testamentsvollstrecker enthält das Testament trotz der Vorgaben des Bundesgerichtshofs nicht. Es ist deshalb im Ergebnis als sittlich anstößig zu bewerten. Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass sich der Nacherbe freiwillig und unter den von ihm vorgegebenen Bedingungen bereit erklärt hat, auf eine mündelsichere Anlage des Erbteils zu verzichten und dem Testamentsvollstrecker zu gestatten, für den Betroffenen aus der Vermögenssubstanz jährlich „bis zu 2.500,00 €“ zur Steigerung der Lebensqualität zu entnehmen. Derartige Anordnungen hätte der Erblasser treffen müssen, um dem Betroffene einen Rechtsanspruch auf deren Durchsetzung zu geben. Der Sittenwidrigkeit des Testaments steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene die Erbeinsetzung hätte ausschlagen und seinen Pflichtteil verlangen können. Ob der Betroffene bzw. sein Betreuer davon Gebrauch machten, unterlag allein ihrer Entscheidung, führt aber nicht dazu, dass der unterbliebene Pflichtteilsverzicht die Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung entfallen lässt.

Da der Erbteil des Betroffenen mit über 30.000,- € das Schonvermögen von 5.000,- € übersteigt, ist der gegen das Vermögen des Betroffenen festgesetzte Betrag an die Landeskasse zu leisten. Für die Berücksichtigung des Erbteils als Vermögen des Betreuten kommt es zuletzt auch nicht darauf an, ob der Testamentsvollstrecker sich weigert, den festgesetzten Betrag freizugeben. Dazu bedarf es ggf. der Vollstreckung.

Danach war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81, 84 FamFG.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde folgt aus § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG.

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