LAG Niedersachsen, Urteil vom 20.11.2018 - 3 Sa 496/16 B
Fundstelle
openJur 2020, 9326
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 Ca 461/15 B

Durchführung des Barwertvergleichs bei der Ablösung einer Versorgungsordnung.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 16.03.2016 (Az.: 1 Ca 461/15 B) wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, nach welchem Regelwerk sich die betriebliche Altersversorgung des Klägers richtet.

Der am 08.11.1963 geborene Kläger steht seit dem 01.04.1992 als Innovationsberater in einem Arbeitsverhältnis zu beiden Beklagten, die örtlich benachbarte Industrie- und Handelskammern sind. Der Arbeitsvertrag vom 28.02.1992 hat, soweit hier von Interesse, folgende Regelungen:

Industrie- und Handelskammer A-Stadt-WolfsburgIndustrie- und Handelskammer H-Stadt für den Elbe-Weser-Raum

Zwischen

A) der Industrie- und Handelskammer A-Stadt-Wolfsburg in A-Stadt

b) der Industrie- und Handelskammer H-Stadt für den Elbe-Weser-Raum in H-Stadt

und

Herrn D., geb. am 2.11.1963, wohnhaft in 2000 D-Stadt 71, -straße 2, wird folgender Dienstvertrag geschlossen:

Paragraph 1

Herr D. wird ab 1. April 1992 von den obengenannten beiden Industrie- und Handelskammern gemeinsam als Innovationsberater eingestellt. Er erbringt seine Tätigkeit in den beiden Kammerbezirken im Durchschnitt je zur Hälfte. Die Dienstaufsicht führen beide Hauptgeschäftsführer jeweils für die in ihrem Kammerbezirk zu erbringende Tätigkeit. Dienstsitz für Herrn D. ist die Industrie- und Handelskammer A-Stadt-Wolfsburg in A-Stadt. Abrechnung und Auszahlung der Vergütung, Sonderzuwendung, Beihilfen und Reisekosten erfolgt durch die Industrie- und Handelskammer A-Stadt-Wolfsburg.

Paragraph 2

Es wird eine Probezeit von 6 Monaten vereinbart; innerhalb der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von 4 Wochen zum Monatsschluss beendet werden. Die Vergütung, der Erholungsurlaub, die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall und die Kündigungsfrist nach Ablauf der Probezeit werden in Anlehnung an den Bundesangestelltentarifvertrag BAT geregelt. Herr D. erhält eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe Ib des BAT.

Paragraph 3

Herr D. stellt den beiden Industrie- und Handelskammern seine volle Arbeitskraft zur Verfügung. Die vertragsmäßigen Aufgaben wird er nach besten Kräften, sorgfältig und unter Beachtung der Interessen der beiden Industrie- und Handelskammern ausführen. Die Übernahme jeder auf Erwerb gerichteten Nebentätigkeit, insbesondere der Geschäftsführertätigkeit eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens, oder die Unterstützung eines Unternehmens durch gesellschaftsrechtliche Beteiligungen bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung beider Kammern. Die Nebentätigkeit, wie aber auch die Mitarbeit in wissenschaftlichen Zirkeln dürfen die Interessen der Kammern nicht beinträchtige.

Paragraph 4

Über alle nicht allgemein bekannten betrieblichen Angelegenheiten der von Herrn D. betreuten Unternehmen ist gegenüber Außenstehenden und unbeteiligten Mitarbeitern, auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Stillschweigen zu bewahren. Sämtliche von den beratenen Unternehmen übergebenen Unterlagen oder Informationen dürfen nur zum Zwecke der Innovationsberatung für die Kammern benutzt und nicht aus dem Dienstbereich entfernt bzw. Nach- und Abbildungen angefertigt werden. Ausgenommen sind lediglich Fälle, in denen das beratene Unternehmen Herrn D. hierfür ausdrücklich die schriftliche Erlaubnis erteilt, oder aber für die arbeitsvertragliche Tätigkeit von Herrn D. notwendig ist.

Paragraph 5

Die Ruhegeldsatzung der Industrie- und Handelskammer A-Stadt-Wolfsburg ist Bestandteil dieses Dienstvertrages.

Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform.

Für die Arbeitgeberinnen unterschrieben jeweils deren Hauptgeschäftsführer den Vertrag. Auch die weiteren vertraglichen Vereinbarungen wurden jeweils in einem Dokument von beiden Arbeitgeberinnen gemeinsam mit dem Kläger getroffen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K1 zur Klagschrift (Blatt 7 ff) Bezug genommen.

Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages bestand bei der Beklagten zu 1) eine Ruhegeldsatzung vom 02.12.1976 (nachfolgend Satzung 1976). Die Beklagte zu 2) hat für ihre Beschäftigten eine betriebliche Altersversorgung mit anderen Regelungen als derjenigen der Beklagten zu 1) aufgelegt. Die Satzung 1976 enthält unter anderem folgende Vorschriften:

§ 1

Allgemeines

Um die Versorgungsbezüge zu verbessern, die langjährige bewährte Mitarbeiter bei ihrem Ausscheiden aus den Diensten der Kammer von der Sozialversicherung erhalten, gewährt die Industrie- und Handelskammer für den Regierungsbezirk A-Stadt ihren Angestellten Ruhegeldleistungen nach Maßgabe dieser Ruhegeldsatzung, soweit nicht durch Einzelvertrag eine Sonderregelung getroffen ist oder auf anderem Wege Leistungen gewährt werden, die das mit der Ruhegeldzusage angestrebte Ziel erreichen.

()

§ 3

Höhe der Ruhegeldleistungen

1. Als Ruhegeld wird monatlich der Betrag gewährt, um den die Summe der in Absatz 2 genannten Bezüge hinter der errechneten Gesamtversorgung zurückbleibt.

2. Bezüge im Sinne des Absatzes 1 sind:

Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit oder das Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Leistungen von Lebensversicherungsgesellschaften, die durch Beitragszuschüsse des Arbeitgebers entstanden sind in dem Umfang, in dem sie bei der gesetzlichen Rentenversicherung entstanden wären.

3. Die Gesamtversorgung wird auf der Grundlage der gesamtversorgungsfähigen Zeit und des monatlichen Bruttogehaltes, das dem Versorgungsberechtigten bei Eintritt des Versorgungsfalles gewährt wurde, errechnet. Wenn ein Anspruch auf höheren Ortszuschlag für versorgungsberechtigte Kinder besteht, wird der höhere Ortszuschlag ungekürzt dem Ruhegehalt zurechnet.

Die Gesamtversorgung beginnt nach Ablauf der Wartezeit mit 35 % vom Entgelt. Sie steigt in den folgenden 15 Dienstjahren der gesamtversorgungsfähigen Zeit um jährlich 2 % und in den folgenden weiteren Dienstjahren um jährlich 1 % bis zu höchstens 75 %.

Tritt der Versorgungsfall nach 25jähriger Dienstzeit bei der Kammer ein, so ist in jedem Fall der Höchstsatz von 75 % der Gesamtversorgungsbezüge erreicht.

Wegen der genauen Einzelheiten wird auf die Anlage K2 zur Klagschrift (Bl.12 ff d. A.) Bezug genommen.

Die Watson Wyatt Heissmann GmbH erstellte für die Beklagte zu 1) unter dem 16. und 21.07.2009 ein Gutachten über die Steigerung der Versorgungsverpflichtungen der Beklagten zu 1) seit Einführung des Versorgungswerkes in 1973. Dabei lagen für 39 betroffene Arbeitnehmer die individuellen Beitragsverläufe vor, für die weiteren 18 betroffenen Personen wurde die gesetzliche Rentenanwartschaft nach einem Näherungsverfahren errechnet. Das Gutachten wies aus, dass der Dotierungsrahmen für die betriebliche Altersversorgung auf Basis der Rechtslage in 1973 bis zum Juli 2009 nach dem Näherungsverfahren um 115 %, bei Berücksichtigung der individuellen Rentenverläufe der 39 Arbeitnehmer um 138 % gestiegen war. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 08.03.2016 (Blatt 70 ff der Akte) verwiesen.

Am 04.08.2010 schlossen der Personalrat und die Beklagte zu 1) mit Wirkung zum 01.01.2008 eine Dienstvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung (nachfolgend DV 2010), die, soweit hier erheblich, folgende Regelungen enthält:

Für Mitarbeiter, die bis zum 31.03.2000 in die Dienste der IHK getreten sind, richtet sich die Altersversorgung nach den Regelungen der Ruhegeldsatzung der IHK vom 02.12.1976, die dieser Dienstvereinbarung als Anlage beigefügt und Inhalt dieser Dienstvereinbarung ist, jedoch mit folgender Maßgabe:

1.

§ 3 Abs. 3 der Ruhegeldsatzung wird geändert. Das ruhegeldfähige Einkommen wird erhöht auf 1/12 des Gesamtjahreseinkommens (monatliches Bruttogehalt im Sinne der Dienstvereinbarung). Im Gegenzug werden die Steigerungsbeträge entsprechend reduziert (75 % auf 66,7 %). Ferner wird der Höchstsatz der Versorgung um 10 % gesenkt auf 60 % (für rentennahe Jahrgänge siehe Ziffer 4). § 3 Abs. 3 erhält daher folgende Fassung:

„Die Gesamtversorgung wird auf der Grundlage der gesamtversorgungsfähigen Zeit und des monatlichen Bruttogehaltes, das dem Versorgungsberechtigten bei Eintritt des Versorgungsfalles gewährt wurde, errechnet. Maßgebend ist 1/12 der Gesamtbezüge des letzten Kalenderjahres vor Eintritt des Versorgungsfalles.

()

Die Gesamtversorgung beginnt nach Ablauf der Wartezeit mit 30 % vom monatlichen Bruttogehalt i. S. d. Dienstvereinbarung. Sie steigt in den folgenden 15 Dienstjahren der gesamtversorgungsfähigen Zeit um jährlich 1,8 % und in den folgenden weiteren Dienstjahren um jährlich 0,9 % bis zu höchstens 60 %

Tritt der Versorgungsfall nach 25jähriger Dienstzeit bei der Kammer ein, so ist in jedem Fall der Höchstsatz von 60 % des monatlichen Bruttogehaltes i. S. d. Dienstvereinbarung zu gewähren.

Nach 40 Dienstjahren, die ausschließlich bei der IHK A-Stadt – Wolfsburg zurückgelegt wurden (ohne Anrechnung anderer Dienstzeiten) beträgt die von der IHK zu zahlende Mindestrente 16 % des Bruttogehaltes im Sinne der Dienstvereinbarung.“

()

7.

Der bis zum Änderungsstichtag (1.1.2008) erreichte Besitzstand der zeitanteilig erdienten Dynamik wird als Mindestrente garantiert. Dazu wird die erreichte Anwartschaft in entsprechender Anwendung von § 2 BetrAVG berechnet, jedoch werden die Bemessungsgrundlagen zum Zeitpunkt des Versorgungsfalles zugrunde gelegt.

()

9.

Es besteht Einigkeit darüber, dass §§ 4, 6, 7 der Ruhegeldsatzung 1976 noch durch eine spätere Dienstvereinbarung an den heutigen Sprachgebrauch und die gesetzlichen Neuregelungen (inklusive Regelungen für Teilzeitarbeitnehmer) anzupassen sind.

()

11.

Diese Dienstvereinbarung tritt mit Wirkung vom 01.01.2008 in Kraft und ersetzt die Regelung der Altersversorgung durch die Ruhegeldsatzung und die arbeitsvertraglichen Bezugnahmen auf diese Satzung.

Diese Dienstvereinbarung kann mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden, erstmals zum 31.12.2017.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 26.07.2016 (Blatt 157 ff der Akte) verwiesen.

Am 17.10.2013 schlossen der Personalrat und die Beklagte zu 1) eine „ergänzende Dienstvereinbarung zur Dienstvereinbarung von 2010 und zur Ruhegeldsatzung von 1976 (DV 2010+)“ (nachfolgend DV 2010+). Soweit hier von Interesse, hat diese Dienstvereinbarung folgenden Inhalt:

Präambel

Durch die „Dienstvereinbarung vom 22.07./04.08.2010“ (in der Folge Dienstvereinbarung 2010) wurde die betriebliche Versorgung der IHK-Mitarbeiter nach der „Ruhegeldsatzung der Industrie- und Handelskammer für den Regierungsbezirk A-Stadt vom 2. Dezember 1976“ (in der Folge Ruhegeldsatzung 1976) abgelöst. Daher hat die IHK-Vollversammlung die Ruhegeldsatzung 1976 am 29.09.2010 formal aufgehoben. Bestimmte Regelungsinhalte der Ruhegeldsatzung 1976 gelten im Rahmen der Dienstvereinbarung 2010 jedoch fort. Daher nimmt die Dienstvereinbarung 2010 an verschiedenen Stellen auf den Text der Ruhegeldsatzung 1976 Bezug.

Mit der vorliegenden Dienstvereinbarung sollen die in der Dienstvereinbarung 2010 noch bestehenden Lücken im Konsens der Vertragspartner geschlossen werden. Dies bezieht sich vor allem auf bislang noch fehlende Regelungen zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente, zu den Hinterbliebenenleistungen, zu den Invaliditätsleistungen und zu Teilzeitarbeitnehmern (vgl. Ziffer 9 der Dienstvereinbarung vom 22.07./04.08.2010), aber auch auf die Ermittlung des Besitzstandes und auf weitere bislang noch offene Regelungsdetails.

Die Vertragspartner sind sich einig, dass die vorliegende Dienstvereinbarung ausschließlich der Klarstellung und Aktualisierung im Hinblick auf die derzeitige Rechtslage dient. Der Administrationsaufwand für die IHK soll sich dadurch nicht erhöhen und insbesondere soll sich der bestehende Dotierungsrahmen für die betreffenden betrieblichen Versorgungszusagen weder ausweiten noch vermindern. Zielsetzung ist daher, bestehende Lücken nach Maßgabe der derzeitigen Rechtslage zu schließen.

Vor diesem Hintergrund regeln die Vertragspartner folgendes:

()

§ 4 Feste vertragliche Altersgrenze

(1) Nach übereinstimmender Auffassung der Vertragspartner ist die feste vertragliche Altersgrenze, ab welcher der Mitarbeiter eine Altersgrenze beanspruchen kann, im Rahmen der Dienstvereinbarung 2010 die individuelle Regelaltersgrenze des Mitarbeiters in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem jeweils geltenden Recht der gesetzlichen Rentenversicherung.

(2) Nach übereinstimmender Auffassung der Vertragspartner ist die feste vertragliche Altersgrenze nach der Ruhegeldsatzung 1976 der Zeitpunkt, ab welchem der Mitarbeiter vor Inkrafttreten des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes individuell eine ungekürzte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nehmen konnte.

()

§ 7 Ermittlung des Besitzstandes

Ergänzend zu Ziffer 7 der Dienstvereinbarung 2010 gilt folgendes:

(1) Bei der zeitanteiligen Berechnung des Besitzstandes als Mindestrente entsprechend § 2 BetrAVG ist bei der Ermittlung des Quotierungsfaktors hinsichtlich der erreichbaren Betriebszugehörigkeit auf die feste vertragliche Altersgrenze der Ruhegeldsatzung 1976 abzustellen. Anrechnungsfähige Vordienstzeiten (vgl. § 3 Abs. 4 der Ruhegeldsatzung 1976) werden für die Berechnung der anrechnungsfähigen Dienstzeit und damit für die erreichbare Versorgungsleistung berücksichtigt, nicht aber für die Berechnung des Quotierungsfaktors.

(2) Die Bemessungsgrundlage „ruhegeldfähiges Einkommen“ wird zum Zeitpunkt des Versorgungsfalles nach der Vergütungsstruktur der IHK ermittelt, welche bis Juli 2010 galt. Hierzu wird das tatsächliche monatliche ruhegeldfähige Einkommen des Mitarbeiters im Versorgungsfallnach folgender Formel in ein fiktives Einkommen nach der alten Vergütungsstruktur umgerechnet (die Abkürzung „rf EK“ steht in der Formel für ruhegeldfähiges Einkommen“):

altes monatliches rf EK = (neues monatliches rf EK x 12 ./. 102,26 EUR ./. Kinderzuwendung) / 13,5

Zu den Bemessungsgrundlagen im Sinne der Ziffer 7 der Dienstvereinbarung 2010 zählen auch die nach § 3 Absatz 2 der Ruhegeldsatzung 1976 zu berücksichtigende Renten der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die Leistungen von Lebensversicherungsgesellschaften (sogenannte befreiende Lebensversicherungen im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung).

(…)

Wegen der genauen Einzelheiten wird auf die Anlage 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 26.07.2016 (Bl. 161 ff d.A.) Bezug genommen.

Mit seiner Klage vom 08.12.2015 will der Kläger festgestellt wissen, dass die Beklagten verpflichtet seien, ihm Ruhegehalt (allein) nach der Satzung 1976 ab Eintritt des Versicherungsfalls zu gewähren. Er hat die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag verweise statisch auf die Satzung 1976. Eine Abänderung durch nachfolgende Dienstvereinbarung sei nicht möglich.

Der Kläger hat beantragt,

es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger Ruhegehalt nach der Ruhegeldsatzung der Industrie- und Handelskammer für den Regierungsbezirk A-Stadt vom 2. Dezember 1976 ab Eintritt des Versicherungsfalles zu gewähren.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben gemeint, im Arbeitsvertrag sei eine betriebliche Altersversorgung nach einer Gesamtzusage zugesagt worden. Diese sei dynamisch; die DV 2010 und 2010+ hätten den Anspruch des Klägers wirksam abgeändert. Es lägen sowohl zwingende, als auch sachlich-proportionale Gründe nach der 3-Stufen-Theorie des BAG für die Abänderung vor.

Das Arbeitsgericht Lüneburg hat mit Urteil vom 16.03.2016 die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die im Arbeitsvertrag in Bezug genommene Ruhegeldsatzung sei einer abändernden Regelung zugänglich. Ob die DV 2010 in Verbindung mit der DV 2010+ die Höhe der Gehaltsansprüche des Klägers verändert habe, sei unerheblich. Denn selbst eine derzeit rechtswidrige abändernde Dienstvereinbarung würde es der Beklagten zu 1) nicht verwehren, durch künftige wirksame Dienstvereinbarungen den Ruhegeldanspruch des Klägers - vorbehaltlich der Rechtmäßigkeit der Veränderung - anzupassen.

Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 11.04.2016 zugestellt worden ist, hat dieser am 10.05.16 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 11.07.2016 an diesem Tag begründet.

Im Berufungsverfahren haben die Beklagten ein weiteres Gutachten, erstellt durch Willis Tower Watson im September 2017, eingereicht, in dem der Dotierungsrahmen der betrieblichen Altersversorgung aufgrund der Satzung 1976 zum Stichtag 31.12.2007 unter Berücksichtigung des Rechtsstands in der gesetzlichen Rentenversicherung in 1976 einerseits und andererseits zum 31.12.2007 verglichen wurde. Auf dieses wird Bezug genommen (Anlage 6 zum Schriftsatz der Beklagten vom 26.09.2017, Bl 223ff d.A.).

Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, die Bezugnahme auf die Satzung 1976 im Arbeitsvertrag sei statisch. Dies ergebe sich insbesondere aus der Besonderheit des Arbeitsvertrages mit 2 Arbeitgebern. Im Übrigen sei eine Ablösung durch Dienstvereinbarung nicht möglich. Außerdem liege kein ausreichender Grund für die erfolgte Abänderung vor. Das durch Willis Towers Watson erstellte Parteigutachten sei nicht geeignet, einen ausreichenden Grund darzulegen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 16.03.2016 – Aktenzeichen 1 Ca 461/ 15 B – zugestellt am 11.04.2016, abzuändern und festzustellen, dass die Berufungsbeklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger Ruhegehalt nach der Ruhegeldsatzung der Industrie- und Handelskammer für den Regierungsbezirk A-Stadt vom 02.12.1976 ab Eintritt des Versicherungsfalles zu gewähren.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und meinen, es lägen ausreichende Gründe für eine Abänderung der Satzung 1976 in Form der Äquivalenzstörung vor. Insbesondere bilde das Gutachten von Willis Towers Watson sowohl die Veränderung des Dotierungsrahmens der betrieblichen Altersversorgung der Beklagten zu 1) bis zum 31.12.2007 als auch die zulässige Abänderung ab dem 01.01.2008 ordnungsgemäß ab.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Das Gericht hat den Zeugen A. am 20.11.2018 zu dem Beweisthema „welcher Personenkreis und welche Daten wurden Willis Towers Watson für den Barwertvergleich übermittelt, wie hatte die Beklagte zu 1) die Daten generiert?“ vernommen. Am gleichen Tag wurde die Zeugin C. zu dem Beweisthema „anhand welcher Daten und mit welchen Methoden wurde der Barwertvergleich für die Beklagte zu 1) bezogen auf die Satzung 1976 und den Ablösestichtag 31.12.2007 vorgenommen?“ vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.11.2018 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

A.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form -und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher insgesamt zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

I.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere erfüllt der Feststellungsantrag die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO. Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Dass der Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, ist unerheblich. Der Vorrang der Leistungsklage greift vorliegend schon deshalb nicht ein, weil die Betriebsrente noch nicht zur Zahlung fällig ist (vgl. BAG 15.05.2012 – 3 AZR 11/10 – Rn. 20). Eine mögliche Änderung der Sachlage nach Abschluss des Rechtsstreits steht dem Feststellungsinteresse nicht entgegen. Soweit sich in der Zukunft die für die Versorgungsverpflichtung der Beklagten maßgeblichen, tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ändern sollten, entfiele die Rechtskraftwirkung des Feststellungausspruches (vgl. BAG 12.02.2013 – 3 AZR 414/12 – Rn. 41).

II.

Die Klage ist jedoch unbegründet, denn die Versorgungsansprüche des Klägers ergeben sich aus den dynamisch in Bezug genommenen Versorgungsregelungen der Beklagten zu 1), derzeit DV 2010 und DV 2010 +. Die Abänderung der Satzung 1976 war zulässig und auch materiell wirksam.

1.

Durch den Arbeitsvertrag der Parteien wird dynamisch auf die jeweils geltende Ruhegeldregelung der Beklagten zu 1) Bezug genommen. Die Satzung 1976 findet also nicht wegen einer statischen Bezugnahme auf diese Anwendung.

a)

Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei den Regelungen im Arbeitsvertrag um allgemeine Geschäftsbedingungen und nicht um eine echte Individualabrede. Die Versorgungsregelung in § 5 des Arbeitsvertrages ist deshalb nach den für allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Auslegungsregeln auszulegen.

Nach § 305 Abs. 1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt.

Schon das äußere Erscheinungsbild begründet vorliegend eine tatsächliche Vermutung dafür, dass es sich bei den Bestimmungen des Arbeitsvertrags um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt. Letztlich kann jedoch offenbleiben, ob es sich um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen handelt (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB), denn der Arbeitsvertrag ist ein Verbrauchervertrag iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB (vgl. BAG 18.09.2018 – 9 AZR 162/18 - Rn. 30). Dass der Kläger auf den Inhalt des Arbeitsvertrags Einfluss nehmen konnte (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB), hat vorliegend niemand behauptet.

Der Umstand, dass der Arbeitsvertrag die Besonderheit aufweist, dass er mit beiden Beklagten geschlossen wurde, führt nicht dazu, dass die Regelung in § 5 des Arbeitsvertrags nicht nach den Grundsätzen für Allgemeine Geschäftsbedingungen auszulegen ist. Bei dem vorliegenden Arbeitsvertrag gibt es in § 1 und 3 Vereinbarungen, die dem Umstand geschuldet sind, dass das Arbeitsverhältnis zu beiden Beklagten besteht. Insbesondere wird geregelt, wer die Vergütung abrechnet und auszahlt und wo der Dienstsitz liegen soll. Insoweit ist für beide Regelungsbereiche die Beklagte zu 1) zuständig. Lediglich die Dienstaufsicht wird getrennt vorgenommen. In §§ 2, 4 u. 5 finden sich dagegen keine Sonderregelungen. Unstreitig ist, dass aktuell kein anderer Arbeitnehmer der Beklagten über einen solchen Vertrag mit beiden Beklagten verfügt. Allerdings hatte der Vorgänger des Klägers gleichfalls einen Vertrag zu beiden Beklagten. Jedoch wurde dort die Abwicklung durch die Beklagte zu 2) vorgenommen.

Dass die Vertragsbestimmungen durch die Parteien im Einzelnen ausgehandelt wurden, ergibt sich daraus nicht. Vielmehr wird hieran deutlich, dass es sich um Einmalbedingungen im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB handelt. Hinzukommt, dass sich das Aushandeln (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB) bzw die Möglichkeit der Einflussnahme (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB) auf die jeweilige Klausel beziehen muss (vgl BAG 12.12.2012 – 8 AZR 829/12 – Rn. 31). Allein bezogen auf § 5 des Arbeitsvertrages gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte.

b)

Die Einmalbedingung in § 5 des Arbeitsvertrages nimmt – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht statisch die zum Zeitpunkt des Arbeitsvertrags geltende Ruhegeldsatzung in Bezug. Der Arbeitsvertrag verweist vielmehr auf die jeweils bei der Beklagten zu 1) geltende Versorgungsregelung.

Allgemeine Geschäftsbedingungen und Einmalbedingungen i.S. v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden kann, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziel gelten (BAG vom 19.03.2014 - 10 AZR 622/13 - Rn. 29).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts werden Bezugnahmen auf außerhalb des Arbeitsvertrags liegende Versorgungsvorschriften in der Regel als dynamisch angesehen. Sie verweisen, soweit keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen, auf die jeweils beim Arbeitgeber geltenden Regelungen. Das Verständnis einer solchen Bezugnahme als dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Versorgungsregelungen ist sachgerecht und wird in der Regel den Interessen der Parteien eher gerecht, als eine statische Verweisung auf einen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Rechtszustand. Nur so wird eine einheitliche Anwendung der Versorgungsordnung auf alle Arbeitnehmer und Versorgungsempfänger des Arbeitgebers sichergestellt. Der Arbeitgeber will im Zweifel die Betriebliche Altersversorgung nach einheitlichen Regeln, d. h. als System, erbringen. Ein solches System darf nicht erstarren. Dies ist bei der Auslegung dahingehender Vereinbarungen zu berücksichtigen. Deshalb ist für den Regelfall eine dynamische Verweisung anzunehmen. Will der Arbeitgeber eine Versorgung unabhängig von der jeweils geltenden allgemeinen Versorgungsordnung zusagen, muss er dies deutlich zum Ausdruck bringen (vgl. BAG 13.01.2015 – 3 AZR 897/12 – Rn. 19f; 17.06.2014 – 3 AZR 529/12 – Rn. 30).

Eine solche deutliche Angabe im Arbeitsvertrag, dass eine Versorgung unabhängig von der jeweils geltenden allgemeinen Versorgungsregelung zugesagt wurde, ist § 5 des Arbeitsvertrags nicht zu entnehmen. Es findet sich noch nicht einmal das Datum der Ruhegeldsatzung, das ein Anhaltspunkt sein könnte für eine statische Inbezugnahme.

Dass die Zusage der Altersversorgung nach der Ruhegeldsatzung 1976 für den Kläger von besonderer Bedeutung war bei Abschluss des Arbeitsvertrages, ändert an der Auslegung des Arbeitsvertrags nach den Regelungen für Einmalbedingungen im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB nichts. Weder haben die Parteien den Vertrag individuell ausgehandelt, noch hat der Kläger ausdrücklich aufführen lassen, dass seine Altersversorgung sich ausschließlich nach der Ruhegeldsatzung 1976 ohne Änderungsmöglichkeit regeln solle.

2.

Die Ablösung der Satzung 1976 durch die DV 2010 und 2010+ ist formell wirksam.

Durch die dynamische Verweisung in § 5 des Arbeitsvertrags auf die Ruhegeldsatzung der Beklagten zu 1) wird auf die jeweils geltende Altersversorgung unabhängig von ihrer Rechtsqualität Bezug genommen. Dies ergibt erneut die Auslegung.

Bei der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Satzung handelt es sich um arbeitsvertragliche Einheitsregelungen, da diese für alle Arbeitnehmer gelten, in deren Arbeitsvertrag eine Bezugnahme insoweit aufgenommen wurde. In einem solchen Fall beinhaltet die dynamische Bezugnahme, wie soeben herausgearbeitet, nicht nur, dass eine Ablösung durch Regelungen mit gleicher Rechtsqualität erfolgen kann, sondern auch eine Ablösung auf kollektivvertraglicher Grundlage eröffnet ist, insbesondere durch eine Dienst- oder Betriebsvereinbarung (vgl. BAG 18.09.2012 – 3 AZR 415/10 – Rn. 22 ff.) Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass Einheitsregelungen über die betriebliche Altersversorgung der Mitbestimmung des Personalrats unterliegen und nur als Dienstvereinbarung wirksam werden können (§ 66 Abs. 1 Ziff. 5 NPersVG).

3.

Die Satzung 1976 wurde durch die DV 2010 und 2010+ auch materiell wirksam abgelöst. Die Neuregelung hält einer Überprüfung am Maßstab der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes stand.

a)

Aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit folgt, dass die Gründe, die den verschlechternden Eingriff in die Altersversorgung rechtfertigen sollen, um so gewichtiger sein müssen, je stärker der Besitzstand ist, in den eingegriffen wird. Hierbei gilt ein dreistufiges Prüfungsschema.

Den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer sind danach entsprechend abgestufte, unterschiedlich wichtige Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüber zu stellen. Der unter der Geltung der bisherigen Ordnung und im Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 S. 1aF, § 2a Abs. 1nF BetrAVG ermittelte Teilbetrag darf nur in seltenen Ausnahmenfällen entzogen werden. Das setzt zwingende Gründe voraus (1. Stufe). Zuwächse, die sich – wie etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen – dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik) können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden (2. Stufe). Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, also noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe (3. Stufe) (ständige Rechtsprechung vgl. BAG 11.07.2017 – 3 AZR 513/16 – Rn. 48). Ob eine spätere Betriebsvereinbarung in Besitzstände eingreift und deshalb eine Überprüfung anhand dieses dreistufigen Prüfungsschemas erforderlich ist, kann nur im Einzelfall und auf das Einzelfallergebnis bezogen festgestellt werden. Dazu ist es erforderlich, dass die Versorgungsrechte bzw. Anwartschaften nach den beiden unterschiedlichen Versorgungsordnungen berechnet und gegenübergestellt werden (vgl. BAG 15.01.2013 – 3 AZR 705/10 – Rn. 20).

b)

Vorliegend ist unstreitig, dass sich ein Eingriff in den Besitzstand des Klägers durch die DV 2010 und DV 2010+ ergibt. Denn der Versorgungshöchstsatz wurde von 75 % auf 60 % abgesenkt (Ziff. 1 DV 2010). Auch wenn sich die Bemessungsgrundlage durch Einbeziehung der 1,5 Zusatzgehälter pro Jahr erhöht hat, kann diese die Absenkung des Ruhegeldes nicht vollständig ausgleichen, denn eine Absenkung erfolgt zumindest rechnerisch auf 67,5 % (60 % x 13,5 : 12). Da der Kläger auch die 25jährige Dienstzeit erreicht, wirkt sich die Reduzierung des Versorgungshöchstsatzes auch für ihn aus, da er durch diese Dienstzeit den Versorgungshöchstsatz erreicht hat (§ 3 Ziff. 3 Unterabs. 3 Satzung 1976, Ziff. 1 Abs. 4 DV 2010).

c)

Ob tatsächlich ein Eingriff auf der ersten Stufe vorliegt, kann vorliegend offenbleiben, da auch ein zwingender Grund für den Eingriff in den erdienten Besitzstand besteht.

aa) Ein zwingender Grund für den Eingriff in den bereits erdienten und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 BetrAVG ermittelten Teilbetrag kann insbesondere bei einer Störung der Geschäftsgrundlage der bisherigen Versorgungszusage vorliegen (BAG 19.02.2008 – 3 AZR 290/06 – Rn. 18). Hiervon ist dann auszugehen, wenn sich die zugrunde gelegte Rechtslage nach Schaffung des Versorgungswerks wesentlich und unerwartet geändert und dies beim Arbeitgeber zu erheblichen Mehrbelastungen geführt hat. So kann durch Änderungen des Steuer- und Sozialversicherungsrechts nach Schaffung des Versorgungswerks der ursprünglich zugrunde gelegte Dotierungsrahmen ganz wesentlich überschritten werden. Bei Gesamtversorgungszusagen kann eine Anpassung wegen Äquivalenzstörung nur dann verlangt werden, wenn der ursprüngliche Dotierungsrahmen aufgrund von Änderungen der Rechtslage um mehr als 50 % überschritten wird. Dabei ist bei kollektiven Gesamtzusagen auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Belastung in dem Zeitraum zwischen der Schaffung des Versorgungssystems und dem Zeitpunkt, zu dem eine Anpassung verlangt wird, abzustellen. Dies ist grundsätzlich unternehmensbezogen anhand eines Barwertvergleichs festzustellen (BAG a. a. O. Rn. 18, 24).

bb) Vorliegend ist der Eingriff in die Versorgungsanwartschaften des Klägers durch die DV 2010 und 2010+ gerechtfertigt, da eine Äquivalenzstörung vorliegt. Der Dotierungsrahmen für die Versorgungen der Arbeitnehmer nach der Satzung 1976 ist bis zum 01.01.2008 um weit über 50 % gestiegen. Die Abänderungen durch die Dienstvereinbarungen haben nicht dazu geführt, dass der Dotierungsrahmen sich auf unter 150 % verringert hat. Dies ergibt sich aus dem von Willis Towers Watson durchgeführten Barwertvergleich aus September 2017.

Sowohl bei der Versorgungsregelung nach der Satzung 1976 als auch nach derjenigen entsprechend der DV 2010 und 2010 + handelt es sich um Gesamtversorgungszusagen. Dies ergibt sich aus § 3 Ziff. 1 und 3 der Satzung 1976 sowie aus Ziff. 1 Abs. 2 der DV 2010.

Diese beruhen auch auf einer kollektiven Regelung. Die Dienstvereinbarungen gelten schon aufgrund ihrer Rechtsqualität kollektiv. Auch bei der Satzung 1976 handelt es sich im Zusammenhang mit entsprechenden Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen um eine aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft erlassene allgemeine Regelung.

Aus dem Gutachten von Willers Towers Watson aus September 2017 ergibt sich, dass sich der Dotierungsrahmen zwischen der Schaffung des Versorgungswerks 1976 und dem 31.12.2007 um 112,3 % erhöht hat. Damit hat er sich mehr als verdoppelt. Auch nach der Neuordnung beträgt der Barwert zum 31.12.2007 immer noch 51 % mehr als bei Schaffung des Versorgungswerks 1976. Diese Werte ergeben sich aus Ziff. 4.2 des Gutachtens von Willis Towers Watson.

Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht nach der gemäß § 286 ZPO freien Überzeugung des Gerichtes fest, dass die in diesem Privatgutachten aufgeführten Werte zutreffend sind.

Der Barwertvergleich ist bezogen auf den Ablösestichtag einerseits und dem Tag der Schaffung des Versorgungswerks andererseits vorzunehmen. Einzubeziehen ist ein identischer Personenbestand, nämlich die Gesamtheit der anwartschaftsberechtigten Arbeitnehmer, denen zum Ablösestichtag eine Versorgung nach den Regeln zugesagt war, die verändert werden sollen. Maßgebend für die Durchführung des Barwertvergleichs sind die Rechnungsgrundlagen und anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik. Für den Vergleich ist der aktuelle Barwert, d. h. der Barwert der Pensionsverpflichtungen aus dem anzupassenden Versorgungswerk nach der Sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Rechtslage zum Ablösestichtag, dem Ausgangsbarwert, d. h. dem Barwert der Pensionsverpflichtungen aus dem Versorgungswerk nach der bei dessen Schaffung maßgeblichen Rechtslage gegenüber zu stellen (vgl. BAG 19.02.2008 – 3 AZR 920/06 – Rn. 30, vom 10.11.2015 – 3 AZR 390/14 – Rn. 39 für den Barwertvergleich zur Feststellung von sachlich-proportionalen Gründen auf der dritten Stufe). Diese Anforderungen sind vorliegend eingehalten worden.

(1.) Für den Barwertvergleich ist der Personenbestand, dem zum Ablösestichtag eine Versorgung nach der Satzung 1976 zugesagt war, zugrunde gelegt worden. Es handelt sich dabei um die 57 in der Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 08.08.2018 (Bl. 370 d. A.) namentlich benannten Personen. Nachdem die Beklagte im Berufungsverfahren die Namen und Sozialdaten dieser Personen benannt hatte, hat der Kläger nicht mehr bestritten, dass diese benannten Personen die Gesamtheit der anwartschaftsberechtigten Arbeitnehmer aus der Satzung 1976 darstellen.

Die Beklagte hat auch diesen Personenkreis mit den Sozialdaten Geburtsdatum, IHK-Eintritt, Beginn der ruhegeldfähigen Dienstzeit und Höhe des ruhegeldfähigen Einkommens zutreffend an Willis Towers Watson übermittelt. Dies ergibt sich aus der durchgeführten Beweisaufnahme. Der Zeuge A. und die Zeugin C. haben dies unter Heranziehung vernehmungstechnischer Erkenntnismethoden glaubhaft bekundet. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugen nicht glaubwürdig wären, etwa weil das von ihnen bekundete Geschehen auf Irrtum, Suggestion oder Belastungseifer beruht, liegen nicht vor.

Die Zeugen A. und C. haben übereinstimmend ausgesagt, dass der angeführte Personenkreis nebst Sozialdaten schon 2009 zur Erstellung des ersten Gutachtens, damals noch durch die Watson Wyatt Heissmann GmbH, übermittelt worden war. Willis Towers Watson sandte die von ihnen für das Gutachten aus September 2017 verwandten Daten im Herbst 2018 an den seit März 2012 für die Beklagte tätigen Personalleiter, den Zeugen A.. Dieser überprüfte die Richtigkeit des gemeldeten ruhegeldfähigen Einkommens zum 31.12.2007 für alle Personen und stellte keinen Fehler fest. Die Zeugin C., für Willis Towers Watson mit der Erstellung des Gutachtens aus September 2017 betraut, konnte aus ihren Daten, die Grundlage des Gutachtens waren, die Sozialdaten mitteilen, die sich aus der Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 08.08.2018 ergeben. Auszugsweise ist sie zu zwei Arbeitnehmern befragt worden. Daraufhin ist unstreitig geworden, dass die weiteren nicht im Einzelnen von Frau C. referierten Daten, die Grundlage des Gutachtens geworden sind, zutreffend waren und Willis Towers Watson ordnungsgemäß zur Verfügung gestellt worden waren.

Bei der Würdigung von Zeugenaussagen geht es um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, d. h. einem tatsächlichen Erleben der aussagenden Person entsprechen. Das methodische Grundprinzip besteht darin, den zu überprüfenden Sachverhalt solange zu negieren (sogenannte Null-Hypothese), bis diese Negation mit den gesamten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Die gedanklichen Arbeitsschritte zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage bestehen aus Elementen der Aussageanalyse, der Persönlichkeitsanalyse und der Fehlerquellen- bzw. der Motivationsanalyse (vgl. hierzu BGH vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98NJW 1999, 2746 ff. zur Bewertung von Glaubhaftigkeitsgutachten).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte die Kammer den Aussagen der beiden Zeugen folgen. Sie haben sich für die Einzelheiten auf ihre schriftlichen Unterlagen berufen und diese referiert. Die Abläufe haben sie jedoch unabhängig voneinander identisch dargestellt, so dass das Gericht hinsichtlich der Datenlage nicht von einem Irrtum oder Fehler ausgehen konnte. Insbesondere da der Zeuge A. sofort offen einräumte, dass er selbst die Versendung der Sozialdaten an Willis Towers Watson nicht veranlasst hatte, besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass seine Aussage dem tatsächlichen Geschehen entspricht. Gleiches gilt jedoch auch für die Zeugin C.. Diese hat, zwar nicht bezogen auf die Datenlage, sondern auf die Methodenwahl, offen über andere Möglichkeiten der Vorgehensweise, als von Willis Towers Watson gewählt, gesprochen.

(2.) Die von Willis Towers Watson angewandten Methoden zur Ermittlung der Barwerte sind auch zutreffend gewählt worden.

Der Barwert einer Pensionszusage entspricht den auf den Berechnungsstichtag abgezinsten erwarteten zukünftigen Zahlungsströmen (vgl. auch Bader/Hartloff, DB 2016, 1437, 1441). Die Ermittlung der voraussichtlichen Leistungshöhe hängt somit unter anderem davon ab, welches Lebensalter der Pensionsberechtigte erreichen wird und, jedenfalls bei einer Gesamtversorgungszusage, welche gesetzliche Rente anzurechnen sein wird.

(2.1.) Für die biometrischen Wahrscheinlichkeiten, insbesondere auch für Invaliditäts- und Todesleistungen, wurden die Werte aus den Heubecktafeln 2005 G verwandt. Dies ist zulässig. Diese Richttafeln werden für die bilanzielle Bewertung von Pensionsverpflichtungen herangezogen (vgl Schreiben BMF IV B 2-S 2176-106/05 vom 16.12.2005; BGH 09.03.2016 XII ZB 540/14 Rn. 25). Es handelt sich dadurch um ausreichend anerkannte Methoden der Berechnung von Barwerten einer Versorgungsanwartschaft. Die Richttafeln werden beispielsweise auch angewandt zur Ermittlung des nach § 4 Abs. 5 BetrAVG erforderlichen Übertragungswerts einer Rentenanwartschaft oder zur Bestimmung der Höhe einer Abfindung nach § 3 Abs. 5 BetrAVG (vgl Neufeld/ Flockenhaus RdA 2016, 274, 285).

Im Übrigen liegen den Richttafeln 2005 G kürzere Lebenserwartungen zugrunde als den Berechnungen der privaten Rentenversicherungen (BGH 09.03.2016 – XII ZB 540/14 - Rn. 25). Der mit Heubeck 2005 G ermittelte Barwert ist daher geringer als der einer privaten Rentenversicherung. Der danach berechnete Barwert begünstigt den Kläger somit und kann auch aus diesem Grund herangezogen werden.

(2.2.) Die Verwendung des von der Finanzverwaltung zugelassenen Näherungsverfahrens, um die gesetzliche Sozialversicherungsrente voraus zu berechnen, ist ebenfalls zulässig. Dies ist bei der Berechnung von Teilansprüchen eines mit einer unverfallbaren Anwartschaft vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers schon im Gesetz vorgesehen, § 2a Abs.3 BetrAVG n.F.

Da es vorliegend nicht nur um die Berechnung eines individuellen Anspruchs geht, wie nach § 2a Abs.3 BetrAVG n.F., sondern um die Ermittlung des Barwerts einer Gruppe anwartschaftsberechtigter Arbeitnehmer, ist gegen die Verwendung dieses versicherungsmathematischen Verfahrens nichts einzuwenden. Denn das Näherungsverfahrens bezweckt den Ausgleich einer Vielzahl von gleichförmigen Berechnungen mit individuell unterschiedlichen Ergebnissen, sodass es für die Errechnung der Sozialversicherungsrente einer größeren Gruppe von Arbeitnehmern zu genügend genauen Ergebnissen führt (vgl Höfer/deGroot/Küpper/Reich-Höfer Betriebsrentenrecht 2018 Bd I § 2 BetrAVG Rn. 348).

Willis Towers Watson verwandte auch die für den jeweiligen Zeitpunkt zutreffenden Verfahren. Für den Barwert der Pensionsverpflichtungen nach der Rechtslage 1976 war das Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 23.04.1985 heranzuziehen. Für den Rechtsstand zum 31.12.2007 gilt das Schreiben des Ministeriums vom 15.03.2007 (vgl Höfer/Veit/Verhuven-Höfer Betriebsrentenrecht 2018 Bd. II Kapitel 3 Rn. 23).

(2.3.) Auch die im Gutachten genannte und von der Zeugin C. beschriebene sogenannte statische Berechnungsweise führt vorliegend zu zutreffenden Ergebnissen. Da eine verschlechternde Abänderung einer Versorgungsordnung wegen Störung der Geschäftsgrundlage grundsätzlich nur aufgrund bis zum Änderungsstichtag bereits eingetretener und nicht wegen künftig zu erwartender Veränderungen verlangt werden kann (vgl BAG – 19.02.2008 -3 AZR 290/06 – Rn. 33), war es erforderlich auf die Situation zum Ablösungsstichtag abzustellen, ohne Änderungen ab diesem Zeitpunkt einzubeziehen.

(2.4.) Auch der angewandte Zinssatz in Höhe von 6% entspricht den Rechnungsgrundlagen und anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik. Je höher der Zinssatz gewählt wird, desto niedriger ist der Barwert (FG Köln 12.10.2017 – 10 K 977/17; Budinger/ Wrobel NZFam 2014, 721). Der mit 6% angesetzte Zinssatz, der sich auch für die steuerliche Bewertung ergibt (vgl § 6a Abs. 3 S. 3 EStG), ist - verglichen mit dem Marktzinssatz nach § 253 Abs. 2 HGB - relativ hoch. Daher führt der gewählte Zinssatz zu einer niedrigeren Bewertung des Barwertes. Gegen diese zulasten der Beklagten sich auswirkende Berechnung bestehen daher keine Bedenken.

Anderweitige Anhaltspunkte, die im Gutachten von September 2017 verwandten Methoden für nicht zulässig zu erachten, waren nicht ersichtlich.

Nach alledem sind die von Willis Towers Watson angewandten Methoden zur Ermittlung der Barwerte zutreffend gewählt worden. Im Übrigen war vorliegend – wie dargelegt – ein Vergleich der beiden Barwerte mit altem und neuem Rechtsstand vorzunehmen. Da jedoch beide Barwerte mit den gleichen Parametern errechnet worden sind, kommt der Wahl der Methoden im Einzelnen keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Auch das weitere Vorbringen des Klägers, auf das in diesem Urteil nicht mehr besonders eingegangen wird, weil die Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

Demnach richtet sich der Ruhegeldanspruch des Klägers nicht nach der Ruhegeldsatzung der Beklagten zu 1) vom 02.12.1976; die Klage des Klägers ist unbegründet.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.

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