OLG Oldenburg, Beschluss vom 02.08.2017 - 14 UF 39/17
Fundstelle
openJur 2020, 8971
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der am 17. März 2017 erlassene Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Varel im Ausspruch zum Sorgerecht (Tenor zu Ziffer III) und zu den Kosten des Verfahrens aufgehoben und die Folgesache elterliche Sorge an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die gesamten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.000 Euro

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Scheidungsverbundbeschluss des Familiengerichts, soweit das Amtsgericht die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder der Eheleute antragsgemäß auf die Antragstellerin übertragen hat.

Die Eheleute trennten sich im Jahre 2013. Der Antragsgegner war zwischenzeitlich inhaftiert, in einer Obdachlosenunterkunft gemeldet und wechselte häufig seinen Wohnsitz. Er hat zwar aus der Haft heraus den Fragebogen zum Versorgungsausgleich eingereicht, ist jedoch zu gerichtlichen Terminen nicht erschienen und hat keine schriftlichen Stellungnahmen zum Verfahren abgegeben. Zuletzt erfolgte die Bekanntgabe von Terminen und Entscheidungen des Amtsgerichts im Wege öffentlicher Zustellung.

Die Antragstellerin hat vorgetragen, der Antragsgegner habe keinerlei Kontakte mit den Kindern unterhalten, sei ihr gegenüber im Jahre 2013 gewalttätig geworden, sei stets schlecht erreichbar und verweigere die Zustimmung zur Behandlung der Tochter K…, zum Abschluss von Kindergartenverträgen und Bausparverträgen für die Kinder.

Der im Wege öffentlicher Zustellung geladene Antragsgegner ist zum Anhörungstermin vor dem Familiengericht nicht erschienen. Das Amtsgericht hat die Antragstellerin daraufhin persönlich angehört und ihr sodann mit seiner Entscheidung im Tenor zu III des Verbundbeschlusses die elterliche Sorge zur alleinigen Ausübung übertragen.

Der Antragsgegner wendet sich mit der Beschwerde gegen die Entscheidung in der Folgesache Sorgerecht und trägt vor, er habe sein Leben wieder im Griff, wolle die Beziehung zu seinen Kindern wieder aufbauen und sowohl mit der Mutter als auch mit dem Jugendamt zusammenarbeiten. Die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung seien nicht gegeben gewesen, weil es dem Gericht möglich gewesen sei, seinen Aufenthalt zu ermitteln.

Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung. Sie macht geltend, der Antragsgegner sei nach wie vor drogenabhängig und ohne festen Wohnsitz.

II.

Die zulässige, namentlich form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners hat vorläufigen Erfolg. Denn die Folgesache Sorgerecht war auf Antrag des Antragsgegners unter Aufhebung des Ausspruchs zum Sorgerecht an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Amtsgericht wird auch erneut über die Kosten des Scheidungsverbundverfahrens zu befinden haben.

Dabei hat sich der Senat von folgenden Überlegungen leiten lassen:

Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 FamFG darf das Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem Mangel leidet, zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Diese Voraussetzungen liegen vor:

1. Das vor dem Amtsgericht geführte Verfahren zur Folgesache Sorgerecht leidet an Mängeln.

a) Leben im gemeinsamen Sorgerecht stehende Eltern getrennt, kann gemäß § 1671 BGB jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge insgesamt oder einen Teil überträgt. Diesem Antrag ist stattzugeben, soweit entweder der andere Elternteil zustimmt oder zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Das Verfahren ist zwar vom Antrag eines Elternteils abhängig. Das Gericht hat jedoch gemäß § 26 FamFG die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen in eigener Verantwortung durchzuführen. Es muss sich ein eigenes Bild von der Sachlage verschaffen und darf sich nicht auf einseitige Darstellungen und Angaben nur eines Elternteils verlassen. Denn es handelt sich nicht um ein kontradiktorisches Verfahren zwischen den Eltern. Vielmehr geht es wie in allen Kindschaftsverfahren um das Wohl des betroffenen Kindes.

Um den Interessen des Kindes gerecht zu werden, verpflichtet das Gesetz den Familienrichter zur Einhaltung verfahrensrechtlicher unverzichtbarer Mindeststandards:

aa) Zum einen muss das Gericht gemäß § 158 FamFG dem minderjährigen Kind einen geeigneten Verfahrensbeistand bestellen, soweit dies zur Wahrung seiner Interessen erforderlich ist. Dies ist in Verfahren nach § 1671 BGB in der Regel der Fall, weil das Interesse des Kindes jedenfalls zu einem seiner beiden gesetzlichen Vertreter in erheblichen Gegensatz steht, § 158 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.

bb) Gemäß  § 159 Abs. 2 FamFG sind noch nicht vierzehn Jahre alte Kinder persönlich anzuhören, wenn deren Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind und das Kind ein Alter erreicht hat, in dem es diese Umstände zum Ausdruck bringen kann. Diese Anhörung ist in Verfahren nach § 1671 BGB in der Regel geboten, weil die Beziehungen und Bindungen des Kindes zum anderen Elternteil sowie sein Wille von zentraler Bedeutung für die zu treffende gerichtliche Entscheidung sind.

cc) Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, zwingend das Jugendamt anzuhören, welches gemäß § 162 Abs. 3 S. 1 FamFG zudem von Terminen zu benachrichtigen ist.

b) Diese verfahrensrechtlichen Vorschriften dienen nicht in erster Linie dem Schutz des anderen Elternteils, gegen den sich der Antrag richtet, sondern sollen eine sachgerechte, am Kindeswohl orientierte Entscheidung des Familiengerichts gewährleisten. Dies gilt namentlich auch in Verfahren nach § 1671 BGB. Denn der Entzug der elterlichen Sorge und die Übertragung auf nur einen Elternteil stellt nicht nur einen schweren Eingriff in das Recht des anderen Elternteils dar. Vielmehr wird auch in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht des Kindes auf Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung durch beide Elternteile eingegriffen. Auch in tatsächlicher Hinsicht kann der vollständige Entzug der elterlichen Sorge schwere nachteilige Folgen für das betroffene Kind nach sich ziehen. Denn eine solche Entscheidung kann dazu führen, dass der aus der rechtlichen Verantwortung entlassene Elternteil seine elterlichen Einstandspflichten auch in tatsächlicher Hinsicht vernachlässigt oder gar aufgibt und die vom Gericht getroffene Sorgerechtsentscheidung auf diese Weise entgegen den Interessen und Wünschen des Kindes dazu beiträgt, die Beziehung zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil nachhaltig zu beschädigen.

Vor diesem Hintergrund bedarf es der Beachtung der verfahrensrechtlichen Mindeststandards im Sinne der Interessen des betroffenen Kindes auch und erst recht für den Fall, dass der andere Elternteil im Sorgerechtsverfahren wegen ständig wechselnder Aufenthaltsorte und mangelnder Kooperationsbereitschaft oder -fähigkeit für das Gericht nicht greifbar ist und nicht am Verfahren mitwirkt. Belässt es das Gericht in diesem Fall bei der Anhörung des antragstellenden Elternteils, erhält es nur einseitige Informationen, die allein keine tragfähige Erscheinungsgrundlage vermitteln können. Gerade in einem solchen Fall ist die Bestellung eines Verfahrensbeistands, die persönliche Anhörung des Kindes und die Einholung einer qualifizierten Stellungnahme des Jugendamts zwingend geboten. Einzelne dieser Verfahrenshandlungen können auch in einer solchen verfahrensrechtlichen Lage nur aus schwerwiegenden Gründen unterbleiben.

c) Das Amtsgericht hat es jedoch unterlassen, diese in Kindschaftssachen unerlässlichen Verfahrenshandlungen vorzunehmen und lediglich die Mutter persönlich angehört. Weder hat es den Kindern einen Verfahrensbeistand bestellt noch das Jugendamt und auch nicht die Kinder angehört, die zum Zeitpunkt der Entscheidung deutlich älter als vier Jahre waren. Das Amtsgericht hat sich unter Verstoß gegen § 26 FamFG auch nicht auf andere Art und Weise ein tragfähiges Bild von den entscheidungserheblichen Tatsachen verschafft. Namentlich fehlt es an jeglichen Ermittlungen und Feststellungen zu der Frage, in welcher Weise die Eltern ihrer gemeinsamen elterlichen Verantwortung in der Vergangenheit nachgekommen sind und wie sich die persönliche Beziehung zwischen den Kindern und dem Antragsgegner in der Vergangenheit dargestellt hat.

Diese unerlässlichen Feststellungen ergeben sich auch nicht aus den Ausführungen des Amtsgerichts in den Gründen des angegriffenen Beschlusses. Das Amtsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass dem Wohl der Kinder nur durch die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter Rechnung getragen werden könne, weil der Kindesvater unbekannten Aufenthalts sei und die tatsächliche elterliche Sorge nicht ausübe. Mit dieser Begründung ließe sich jedoch allenfalls das Ruhen der elterlichen Sorge des Antragsgegners, nicht aber deren Entzug rechtfertigen.

2. Zur Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin bedarf es umfangreicher und aufwändiger weiterer Ermittlungen im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Denn neben der persönlichen Anhörung beider Elternteile sind auch sämtliche weiteren in den § 151 ff FamFG vorgeschriebenen und hier unterbliebenen unerlässlichen Verfahrenshandlungen vorzunehmen.

Der Senat hat davon Abstand genommen, diese Verfahrenshandlungen im Beschwerdeverfahren nachzuholen, um den Beteiligten nicht eine Tatsacheninstanz zu nehmen. Für die Zurückverweisung der Sache sprach zudem die örtliche Nähe des Amtsgerichts zur Antragstellerin, den Kindern, dem zu bestellenden Verfahrensbeistand und dem Jugendamt, denen die sonst notwendige lange Anfahrt zum Beschwerdegericht so erspart bleibt. Diese Belange überwiegen das Interesse der Beteiligten an der Vermeidung der durch die Zurückverweisung entstehenden geringfügigen zeitlichen Verzögerung und Mehrkosten.

3. Der erforderliche Antrag eines Beteiligten auf Aufhebung und Zurückverweisung der Sache liegt vor.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Gemäß § 38 Abs. 2 Nummer 1 FamFG muss jede familiengerichtliche Endentscheidung die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter bezeichnen. Gemäß § 7 Abs. 2 Nummer 1 FamFG müssen deshalb in sorgerechtlichen Kindschaftsverfahren zwingend auch die durch eine solche Entscheidung unmittelbar in eigenen Rechten betroffenen Kinder im Rubrum des Beschlusses nebst ihren gesetzlichen Vertretern aufgeführt werden. Daran fehlt es im angegriffenen Beschluss.

2. Gemäß § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG muss jede familiengerichtliche Endentscheidung mit einem Erlassvermerk versehen werden. Ist die Entscheidung verkündet, also durch Verlesen der Beschlussformel bekannt gegeben worden, ist das Datum dieser Bekanntgabe auf den Beschluss als Erlassdatum zu vermerken. In den anderen Fällen entspricht das Datum des Erlasses dem Zeitpunkt der Übergabe des Beschlusses an die Geschäftsstelle. Der angegriffene Scheidungsverbundbeschluss ist folglich entgegen dem Erlassvermerk nicht am 22. März 2017 mit Eingang auf der Geschäftsstelle, sondern zum Zeitpunkt der Verkündung am 17. März 2017 erlassen worden.

3. Gemäß § 162 Abs. 3 S. 1 FamFG sind dem Jugendamt zwingend alle Entscheidungen des Gerichts in Sorgerechtssachen bekannt zu machen, zumal diesem stets die Beschwerde eröffnet ist. Dies gilt auch dann, wenn das Jugendamt im Ausgangsverfahren verfahrensfehlerhaft nicht angehört worden ist oder keine Stellungnahme abgegeben hat. Diese Bekanntgabe ist unterblieben und wurde namentlich nicht durch die richterlich verfügte formlose Übersendung einer Teilausfertigung des Tenors des Scheidungsausspruchs an das Jugendamtssorgeregister ersetzt. Der Senat hat die Zustellung im Beschwerdeverfahren nachgeholt.

IV.

Der Senat hat gemäß § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG wie zuvor angekündigt im schriftlichen Verfahren entschieden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren waren wegen der unrichtigen Sachbehandlung durch das Amtsgericht nicht zu erheben, § 20 FamGKG. Über die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten wird das Familiengericht im Rahmen der neu zutreffenden Kostengrundentscheidung zu befinden haben.

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