Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 07.01.2019 - 3 LA 189/18
Fundstelle
openJur 2020, 8492
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 4. Kammer, Einzelrichterin - vom 14. November 2018 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) gestützte Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

Voraussetzung für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (ständ. Rspr. des beschließenden Senats: vgl. etwa Beschl. v. 10.01.2017 - 3 LA 9/17 -; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 08.08.2013 - 14 ZP 13.30199 -, zitiert nach juris, Rn. 7 m.w.N.).

Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargelegt werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche neuen Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (ständ. Rspr. des beschließenden Senats: vgl. etwa Beschl. v. 10.01.2017, a.a.O.; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.07.2012 - 8 LA 132/12 -, zitiert nach juris, Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.10.2014 - 8 LA 129/14 -, zitiert nach juris, Rn. 3).

Diesen Anforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht.

1. Die Kläger werfen die Frage auf,

ob in Armenien ein Gesundheitsversorgungssystem existiert, in dem kostenfreie Gesundheitsdienstleistungen tatsächlich verfügbar sind.

Die Kläger legen nicht dar, inwiefern diese Frage über ihren konkreten Einzelfall hinaus von Bedeutung sein könnte, und setzen sich auch nicht mit dem angegriffenen Urteil auseinander.

Zur Begründung tragen sie vor, dass der neue Ministerpräsident dem armenischen Parlament auf eine entsprechende Anfrage mitgeteilt habe, dass infolge des nicht funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens alle medizinischen Leistungen vollständig selbst bezahlt werden müssten. Diese Frage sei auch entscheidungserheblich, weil die Kläger nicht über erforderliche finanzielle Mittel verfügten, die für den Kläger zu 1) erforderliche Heilbehandlung selbst zu finanzieren. Der Kläger zu 1) sei infolge Wegfalls der Erwerbstätigkeit nicht mehr in der Lage, Arztrechnungen zu begleichen. Inwiefern das Verwaltungsgericht angenommen habe, es könne familiäre Hilfe in Anspruch genommen werden, erschließe sich daher nicht.

Mit diesen Darlegungen stellen die Kläger ihr behauptetes individuelles Schicksal in den Mittelpunkt und die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung infrage. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist in dem enumerativen Katalog der Zulassungsgründe des § 78 Abs. 3 AsylG jedoch nicht enthalten. Zudem setzen sich die Kläger nicht mit den gerichtlichen Erwägungen auseinander, dass der Kläger zu 1) nicht an einer derart schwerwiegenden Erkrankung leide, dass diese sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würde; die Erkrankungen des Klägers zu 1) seien in Armenien behandelbar, der Kläger zu 1) würde Zugang zu der für ihn notwendigen Behandlung erhalten (vgl. Urteilsabschrift Bl. 10ff.).

2. Die Kläger werfen zudem die Rechtsfrage auf,

ob eine Befristung auf 30 Monate vorgenommen werden darf, wenn lediglich keine Gründe für eine kürzere Befristungsdauer gegeben sind.

Diese Frage sei entscheidungserheblich, weil in die behördliche Entscheidung keine Umstände eingeflossen seien, die zu einer Befristung oberhalb der gesetzlichen Mindestfrist (Null Monate) Anlass böten. Da jede Befristungsentscheidung oberhalb der Mindestfrist begründungsbedürftig sei, hätte eine Aufhebung der Entscheidung insoweit erfolgen müssen. Es liege auch keine Sollregelung dahingehend vor, dass bei Fehlen einzelfallbezogener Umstände eine Befristung auf 30 Monate erfolgen müsse, so dass das Begründungserfordernis auch nicht auf Fälle der Abweichung von der Regelentscheidung beschränkt bleiben könne. Es handele sich um eine belastende Maßnahme, die in jedem Fall der Abweichung von der gesetzlichen Mindestbefristungsdauer von null Monaten begründungspflichtig sei. Da hiervon abgewichen worden und eine Fristbestimmung in der Mitte des Ermessensrahmens als Regelentscheidung akzeptiert worden sei, sei die Frage auch entscheidungserheblich.

Diese Darlegungen sind nicht geeignet, einen grundsätzlichen Klärungsbedarf zu begründen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass das mit einer Rückkehrentscheidung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG stets einer behördlichen oder richterlichen Einzelfallentscheidung bedarf, die auch seine Dauer festlegen muss (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.08.2017 - 1 A 10.17 -, juris Rn. 5). Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 1. Halbsatz AufenthG ist über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden, wobei die Dauer der Befristung (regelmäßig) fünf Jahre nicht überschreiten darf. Es ist daher bereits nicht zutreffend, dass die Vorschrift eine "gesetzliche Mindestfrist" von null Monaten vorsieht; das Gesetz bestimmt eine Höchstdauer. Bei der Festlegung der im Einzelfall angemessenen Frist hat das Bundesamt die im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannten Umstände zu berücksichtigen. Fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Kriterien können hierzu nicht festgelegt werden. Lediglich dann, wenn - wie dies auch vorliegend der Fall ist - keinerlei individuelle Umstände vorgetragen werden und solche auch sonst nicht ersichtlich sind, ist es aus Gründen der Gleichbehandlung angemessen, die gesetzlich festgelegte Höchstdauer zur Hälfte auszuschöpfen und eine Frist von 30 Monaten zu bestimmen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 28.11.2016 - 11 ZB 16.30463 -, juris Rn. 4).

Diese Vorgehensweise ermöglicht in Fallkonstellationen wie der vorliegenden, in der keinerlei einzelfallbezogene Umstände geltend gemacht werden, eine, den Vorgaben des grundrechtlichen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) entsprechende, gleichförmige Verwaltungs- und richterliche Rechtsanwendung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).